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Maria ist schwanger
Blass war sie, mein Gott, als habe sie tagelang nicht richtig geschlafen oder aber das strenge Fasten nicht vertragen: dünn, zerbrechlich, geschwächt. Sie war höchstens 15, ein zartes Mädchen, viel zu helle Haut für eine Araberin: ein geglättetes Tuch lag ohne Kunst über ihren Schultern und schloss sich mit gekonntem Knoten, so wie es die Frauen aus Palästina über die Stirn zu legen und am Hinterkopf zu binden verstanden, sittlich und sehr sauber; Schutz vor der Sonne, Platz für die Münzen, die man darunter in der Frisur oder im Zopf einflocht und versteckte, da eine Frau beileibe keine Tasche am Gewand zu tragen brauchte. Also kam sie in das Zimmer, in dem die Hitze sich bereits festgesetzt hatte, obwohl die Türe nur einen Moment geöffnet gewesen war.
„Komm doch näher, Kleines!“, rief sie der freundlich dreinblickende Arzt herbei. Schweiß stand ihm auf der Stirn, er war sehr dick und vertrug die Hitze überhaupt nicht. Zwischen den wattigen Haaren neben seinen Ohren, die wie Büschel aus zersplisstem rotem Schamhaar sprossen, standen dicke, visköse Tropfen, die nach Fleisch rochen, so als pökele das Salz in dem Schweiß und die Hitze des Tages das feuchte Fleisch des Arztes. Der Arzt quoll über von diesem Geruch, der Geruch wehte aus seinem Schritt, aus seinem Nacken, hinter seinen Ohren. Der Raum war schwanger davon, und es würgte das Mädchen vor Ekel, während sie ihn misstrauisch anschwieg. Wieder und wieder nahm der Arzt große Schlucke Wein aus einem prachtvollen und schweren Weinkelch, um seinen Durst zu stillen: Wasser zu trinken wäre ihm nie eingefallen. Wein hingegen! Der war sauber, vergoren, frei von krankmachenden Dingen.
„Komm doch endlich, Mädchen! Die Hitze verträgt ja kein Mensch! Und schließ die Türe“, beklagte sich der Arzt. Nun schritt das Mädchen, die 15-jährige, mit einem gewissen Hauch von Trotz schnurstracks auf den Arzt zu, ohne die Türe zu schließen, richtete sich vor ihm auf, streckte den Hals, so dass der kauernd sitzende und röchelnde Arzt in ihre Nasenlöcher schauen konnte, schmal, schwarz, absolut haarlos. Eine zweite Person erschien in der Türe: ein Greis, müde von der fruchtlosen Arbeit, zitternd, kaum in der Lage, zu laufen, zahnlos, säuerlich riechend, in erbärmlichen Gewand. „Guter Mann, was wollen Sie?“, schrie der Arzt, „ich werde mich nachher um Sie kümmern; erst ist dieses Mädchen hier dran.“ Das Mädchen runzelte die Stirn und drehte dem Greis fordernd das vor Wut sprudelnde Gesicht zu; dieser blickte drein und gab mit seiner dürren, fleckigen Hand das Zeichen dafür, dass er und dieses Mädchen verheiratet seien. Nun sah der Arzt die Ringe und begriff: die 15-jährige war die Gattin des Alten. Eine Sitte unter diesen Palästinensern, ihre Töchter an wen auch immer zu verheiraten, bevor sie unattraktiv wurden, nach Menstruation stanken und – viel wichtiger! – die Gewissheit über ihre Jungfräulichkeit verschwand. Der Arzt atmete tief aus, eine Wolke aus Alkohol wirbelte durch den Untersuchungsraum. Dann blickte er mit rot unterlaufenen Augen, schwer vom Wein und von der Hitze, das ungleiche Paar an: sie, ein halbes Kind, gerade mal 15 und schön wie eine Rose, verbissen schweigend, wie es sich gehört, dabei noch ein Kind, winzige Schultern, mit rauen Händen, viel zu schwere Arbeit und stolze Augen, die keine Schwäche zeigen würden, obgleich sich der junge Körper nach Ruhe sehnte, um endlich schlafen, sich erholen zu können. Und dieser Greis, ihr Mann, der ein Großvater des Arztes hätte sein können ohne weiteres, der sich umschaute, als wolle er sicher sein, dass keiner außer dem Arzt ihn hören würde bei den Worten, die er langsam, hadernd von sich gab: „Sie ist schwanger, mein Herr!“
Der Arzt verzog das Gesicht…das mit der Schwangerschaft ließ ihn kurz nüchtern werden: „Du alter Mann willst doch nicht behaupten, dass Du dieses Kind geschwängert hast, oder? Du kannst ja nicht einmal Deinen Kopf gerade halten! Und die Kleine ist höchstens 12!“ – „Sie ist 15“, murmelte der Alte, ohne den Blick zu heben. Das Mädchen schwieg. Der Arzt sank zurück in die Schwäche, die der Wein und die Hitze des frühen Nachmittages durch ihn ruderten, und kaute mit schwerem Mund die Worte hervor, wobei ihm Speichel zwischen den Zähnen schwamm: „Aber sie menstruiert nicht, oder?“. Der Alte schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, Herr, wie sie schwanger sein kann, ohne zu menstruieren. Es gibt wohl keine Möglichkeit, dass ein Mädchen vor der Menstruation schwanger wird, oder?“ Der Arzt überlegte kurz und fing dann an zu lachen, wobei er gelegentlich rülpste. „Doch, doch, vielleicht war es ihre erste Frucht? Was für ein Glück! Nur nichts verkommen lassen, was? Brav, Kleine, brav!“ Man konnte sehen, wie die Schläfen des Mädchens grün vor Ärger wurden, sie wurde weiß wie eine Leiche, aber eine Macht, ein Stolz, ließ sie schweigen und langsam weiteratmen.
„Hast Du sie anderen feil gegeben?“, fragte der Arzt, dem dieser Fall etwas unangenehm wurde, weil er wieder einmal schwer verdientes Geld bedeutete.
„Nein, wie gesagt, ich brauche das Geld nicht.“
Der Arzt schaute sie jetzt genau an. Sie sah nicht aus wie eine Vergewaltigte. Ihr Körperchen aber, klein wie eine Tomatenstaude, wölbte sich tatsächlich dort, wo man bei einer gestandenen Frau ein Baby vermuten durfte. Der Arzt beugte sich vor und griff nun nach dem Mädchen, denn das war sie ja, und zog sie zwischen seine Knie an sich heran, und das Mädchen stakte ihm entgegen, wie ein überraschter Neffe, den ein ruppiger Onkel an sich heranzieht, um ihm einen Schmatz auf die Stirn zu drücken.
„Jetzt sag mal, Liebes, wie heißt Du?“ Und wieder der aufrechte Blick, durchgestreckter Hals, zum Zerreißen dünne Haut auf dem durchsichtigen Hals, in dem die Venen mäandrierten wie zum Schmuck. „Sie heißt Maria, Herr.“, ächzte der Alte und rieb sich die Glatze, wobei ihm kleine, trockene Härchen abbrachen und durch die warme Luft flogen wie Staub.
„Maria heißt sie, ich habe sie geheiratet, damit sie mir im Alter hilft und auch ein wenig das Bett wärmt. Ich habe hart gearbeitet, wisst ihr, ich bin Tischler, und da brauch ich die Mitgift nicht. Ich habe sie weder feil gegeben noch entjungfert, weil ich ihre Jungfräulichkeit schonen wollte. Würde ich sterben, und das kommt bald, so hätte sie als Jungfrau bessere Möglichkeiten, mit meinem Besitz als Mitgift einen wohlstehenden Mann zu finden.“
– Der Arzt schmunzelte.
„Sehr edelmütig. Du verzichtest auf viel, wie ich sehe. Kannst Du auch auf 30 Silberlinge verzichten?“ – „Gewiss. Schont aber ihre jungfräuliche Blüte dabei.“ Der Arzt nickte und suchte in einer Truhe nach einem dafür geeigneten Instrument, während Joseph weiter berichtete: „Sie spricht wenig, aber neuerdings erbricht sie Tag und Nacht, und sie weint ohne Grund und kniet im Dreck, stundenlang, spricht mit Geistern. Jetzt kann man es sehen, es muss irgendwann im Winter gewesen sein, als sie empfangen hat. Ich lag neben ihrem jungen warmen Körper, sie schlief fest und duftete nach ihrer Arbeit, süß wie gekochte Honigwaben, und der Samen kam mir. Ich konnte im Dunklen sehen, wie sie langsam wach wurde, als ich sie mit meinen feuchten Fingern rieb. Ich habe sie nur gerieben, ich habe sie nicht entjungfert.“
Der Arzt schaute ihn an und schüttelte sich etwas bei der Vorstellung, wie der Greis seine samennassen Finger an dem Geschlechtsteil dieses Kindes reibt, als Ersatz für den Verkehr, um ihre Vulva nicht zu weiten, um sie nicht zu "entjungfern", um sie nicht zu entwerten. Wahrscheinlich war sie mit ihm sogar verwandt, Gott der Gerechte, das erklärte seine Umständlichkeit. Vielleicht hatte sogar der Bruder des Alten ihn auf dem Totenbett angefleht, die einzige Tochter, also die Nichte des Alten, unter seine Fittiche zu nehmen, um sie vor der Welt und vor allem vor den Männern zu bewahren, den Männern aus Roma und Campustellae, die nach Schweinen stanken, rote Haare hatten und jede Frau mit ihrem unbeschnittenem, nach Jauche stinkenden Schwanz zur Hure machten, sei sie auch noch so schön und noch so heilig. Nun war sie aber doch schwanger geworden, schwanger "ganz ohne Entjungferung", inmitten einer Ehe mit einem Greis, den eine Taube töten könnte, indem sie ihm auf dem Rücken landet und der die Kleine tagsüber so hart schuften läßt, daß sie nachts wie unter Narkose schläft, sodaß er in Ruhe sein krankes Spiel mit seinen Fingern treiben konnte. Nach philisterischem Recht würde man ihn ächten, er dürfte nicht mehr in den Tempel gehen. Den Arzt schüttelte es wieder. Was würden die Leute dazu sagen ... jedem in der Nachbarschaft wäre klar, was der Alte mit dem Mädchen angestellt hatte: mit ein wenig Phantasie könnte sich jeder bis in die kleinsten Einzelheiten vorstellen, wie der Alte mit seinen Samen die kleine Scheide warmgerieben hatte, und man würde ihn bis zu seinem Lebensende nicht mehr grüßen. Man würde ihn ein Schwein nennen, pädophil und impotent in einem, das alles mitten in der Ehe! Sobald der Bauch wachsen würde, wäre es jedem in der Nachbarschaft klar, daß SEIN Schwanz es nicht gewesen sein konnte, sondern der kalte Bauer seiner eigenen, vom Alter pervers gewordenen Gedankengänge. Wollte der Alte aber, wenn er das eine leugnete, nicht in den Verdacht kommen, das Mädchen als Hure zu unterhalten, mußte sie das Baby abtreiben, ganz klar. Wenn sie überhaupt schwanger war! Blass genug für einen Krebs im Bauch war sie allemal ..., aber das Erbrechen auf nüchternem Magen sprach für Schwangerschaft. Der Arzt wandte sich Maria zu, und tatsächlich, der Bauch war schwerer als der Rest, der an ihr umherwackelte wie bei einer Marionette, als er sie am Arm packte und schüttelte.
„Es kann sein, ich muss es tasten.“
Maria war hart, ablehnend, fast verächtlich gewesen. Jetzt aber fuhr sie auf, riss sich vom Arzt und lief mit zusammengepresstem Mund zu ihrem Greis, ihrem Ehemann, mit kleinen, verzweifelten Ächzern im Rachen, wie ein Kind, das sich vor einer Spritze fürchtet und kurz davor noch ein vergebliches Mal um Aufschub bettelt bei den Eltern. „Maria, der Arzt soll nachsehen, wo Du schwanger bist.“ Der Arzt zog sich geräuschlos die Gummihandschuhe über die Hände und stand auf. Hinter seinem Ohr hatte er eine Häkelnadel hervorgeholt. Sie war noch warm und glatt vom Schweiß. Maria klammerte sich an ihrem Mann, jetzt ging alles sehr schnell: der Arzt kniete sich hinter dem Mädchen nieder, stieß mit viel Übung die Schenkel zur Seite, so wie israelische Polizisten vermeintlichen Terroristen die Beine auseinander schlagen, während diese mit erhobenen Händen an der Wand lehnen. Plötzlich wurden alle drei sehr ruhig, Maria blickte mit einer Mischung aus Neugier und Entsetzen an die Decke. Joseph klammerte sie fest an sich, um ihr zu helfen, während der Arzt mit lautem „Haha!“ die Häkelnadel direkt, ohne zu suchen, schnell zwischen den Kinderbeinen höherschießen ließ und das schlanke Metall in die Scheide flitzen ließ und sofort den Muttermund fand, ohne ihn zu ritzen, flink, noch bevor Maria sich entgegenkrampfen konnte, die Nadel drehte, die Fruchtblase ohne reißen durchstach und die feine Nabelschnur des Embryos anhakte, um sie mit festem Ruck nach unten zu durchtrennen.
„Sie wird Schmerzen haben.“, sagte der Arzt heftig atmend, während Joseph versuchte, das verstörte, nur mit einem Auge weinende Mädchen zu beruhigen, das um sich blickte, als sähe sie alles zum ersten Mal, und sich an den Bauch griff, unter dem es anfing zu tropfen.
„Gebären wird sie erst mal nicht. Reibt euer Weib nicht zu oft, Joseph, dafür aber regelmäßig, und nehmt etwas Butter statt Samen, dann trächtet sie nicht.“
Joseph kramte die Silberlinge hervor, um zu zahlen.
„Zahlt die 30 Silberlinge ein anderes Mal, Joseph! Es ist nicht sicher, daß die Frucht abgestoßen wird. Vielleicht sind es ja Zwillinge, und der eine überwindet den Tod des anderen.“ Maria blickte starr auf die Pfütze zwischen ihren nackten Füßen, während Joseph sie langsam rückwärts aus der Praxis zu ziehen versuchte.
"Und was soll ich tun, wenn der Bauch weiter wächst?"
"Dann nimm sie auf Deinen Esel und verlasse das Dorf, mach eine anstrengende Reise mit ihr weit, weit weg, sie wird´s nicht überleben und dann ist alles aus der Welt, das behinderte Mädchen und das Baby in ihr auch. Vergrabe sie weit weg von hier, dann werden sie die Verwandten nicht wieder ausgraben, um zu sehen, ob sie schwanger war. Denk Dir eine gute Ausrede aus, bevor Du losreist, damit die im Dorf nicht mit ihrem Gerede anfangen. Und nun Türe zu!"