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Maria hilf

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23.01.2014
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Maria hilf

Ich schleppte zwei pralle Alditüten hoch zu Frau Vordermeier, unter dem Arm noch Knödelbrot des einzigen Bäckers in der näheren Umgebung, der dieses Produkt führte. Sie würde mich zum Essen einladen, ich würde dankend ablehnen. Ich hatte was im Ofen.
Ich wohnte im ersten Stock, Frau Vordermeier im fünften. Lift gab es keinen.

Frau Vordermeier öffnete in ihrem blauen Kittel und mit dicken grauen Wollsocken über den Strümpfen.
“Grüß Gott, Frau Vordermeier!“, sagte ich.
“Oh, Sie sind‘s. Danke! Kommen sie rein!“, sagte sie.
Frau Vordermeier war weit über 80 und seit zwei Jahren Witwe. Ich half ihr beim Einkaufen, einmal die Woche Grundnahrungsmittel bei Aldi und Diverses.
„Schauen Sie! Das ist mit der Post gekommen.“
Sie drückte mir einen Brief in die Hand und setzte sich.
Ich setzte mich neben sie auf ihr altes Sofa, sank tief in die Mulde, die ihr Mann im Lauf der Jahre ersessen hatte, und nahm den Brief.
Der Umschlag war geöffnet. Ich zog zwei Seiten heraus, große Schrift für schlechte Augen, großer Zeilenabstand.
Verein zur Unterstützung deutschgesinnter Erblasser e. V. prangte auf Seite 1. Ich vermochte meine Neugierde nicht zu zügeln, nahm das zweite Blatt und blickte auf das Ende.
Ernst Von Hohenschwang, 1. Vorsitzender stand da in fetten Lettern und darunter eine eingescannte Unterschrift.
Zurück zum Anfang!
Sehr geehrte Frau Theresia Vordermeier!
Älteren Herrschaften kommen manche ungewünschte Bettelbriefe ins Haus, zwielichtige Hilfsorganisationen wollen an ihr Erspartes, und dennoch, liebe Frau Vordermeier, bitte ich Sie, weiterzulesen und sich erst am Ende ein Urteil über mein Anliegen zu bilden.
„Der Brief kam heute?“, fragte ich.
„Ja. Was meinen Sie, soll ich da hingehen?“
„Lassen Sie mich erst fertig lesen. Aber ich glaube eher nicht.“
Ich bin ein großer Freund des offenen Wortes, las ich weiter. Wir alle erreichen eines näheren oder ferneren Tages den Zeitpunkt, an dem wir uns dem Gedanken stellen müssen, in eine andere Welt einzutreten. Und wir alle wünschen uns die Gnade, dies mit dem Gefühl tun zu können, das Bestmögliche aus diesem befristeten Erdenleben gemacht und unsere Pflichten erfüllt zu haben.
„Was steht denn drin. Von wem kommt er?“
„Warten Sie noch ein bisschen, Frau Vordermeier!“
Wir können einfach abtreten. schrieb Ernst von Hohenschwang an Theresia Vordermeier. Wir können aber auch, wie gläubige Menschen so treffend sagen dürfen, das Zeitliche segnen.
Wunderbar, Von Hohenschwang, dachte ich. Grandios, dieser Plural an dieser Stelle! Wir sitzen alle in einem Boot, nur dass du bald über Bord gehst, Theresia. Ich las weiter.
Dies bedingt aber, dass wir unsere irdischen Dinge geregelt haben. Die Güter, die wir in dieser Welt hinterlassen, sollen Gutes bewirken, sie sollen unseren Lieben das Leben erleichtern und nicht Neid und Zwietracht sähen. Wenn wir aber allein waren in den letzten Tagen, wenn wir keine nächsten Verwandten haben, an die wir denken müssen, dann harrt eine schwere Entscheidung. Wer soll Nutznießer der letzten guten Tat sein, mit der wir uns von diesem irdischen Dasein verabschieden und auf den Weg in Gottes Reich machen?
„Die wissen, dass Ihr Mann tot ist und dass Sie keine Kinder haben.“
„Was sagen Sie?“
„Ach nichts.“
„Kinder. Wir konnten nie Kinder haben. Wir hätten schon gewollt.“
„Das weiß ich doch Frau Vordermeier. Haben Sie mir schon mal erzählt. Aber der da…“, ich wedelte mit dem Brief, „der weiß das auch.“
Ich las weiter.
Soll es die Kirche sein, die vielleicht schon zu viel Weltliches verwalten muss, um dem Anspruch wahrer geistiger und geistlicher Führung zu genügen? Sollen es Hilfsorganisationen sein, die aufgeblähte Verwaltungsapparate finanzieren müssen, bevor sie den Restgroschen Notleidenden zur Verfügung stellen können. Soll es gar Vater Staat sein, der seit Jahren das Geld deutscher Bürger dazu benutzt, um Wirtschaftsflüchtlingen aus der ganzen Welt das Saugen am Tropf des deutschen Wohlfahrtsstaates zu ermöglichen, der Schulen finanziert, die das Kreuz aus ihren Klassenzimmern verbannt haben, ein Staat, dessen Vertreter bereits in dreistester Frechheit zugeben, aus unserem Deutschland ein Multi-Kulti-Einwanderungsland machen zu wollen, ein Land in dem das Geschrei der Muezzins die Kirchenglocken übertönt, in dem vermummte Frauen durch die Straßen schlurfen, in dem unsere Kinder in den Schulen neben Achmed, Ali und Mustafa sitzen und einen Unterricht für Analphabeten erhalten, ein Land in dem die Russenmafia, die Vietnamesenmafia und die Albanermafia die Straßen beherrschen, in denen es nach Knoblauch riecht und orientalische Klänge aus den Fenstern dröhnen?
Welch heilige Entrüstung! In jedem der Worte hörte ich Von Hohenschwangs deutsches Herz schlagen. Auch das meine schlug jetzt heftig.
Liebe Frau Vordermeier. Wenn Sie dereinst aus der Ewigkeit herabsehen auf dieses kleine Deutschland, werden Sie sich fragen: „Habe ich alles richtig gemacht, bin ich der Verantwortung für mein Land gerecht geworden?“ Wir können Ihnen diese letzte Entscheidung nicht abnehmen, aber wir können Sie begleiten, beraten und eine Alternative vorstellen.
Wir möchten Sie dazu ganz herzlich einladen zu unserem informellen und zwanglosen Seniorentreffen am Samstag, 3. Februar um 19.00 Uhr in der Gaststätte „Zur Inselmühle“, Thalkirchnerstr. 43.
Wir freuen uns auf Ihr Kommen.

Ernst von Hohenschwang, 1. Vorsitzender

„Sie brauchen da nicht hinzugehen, Frau Vordermeier. Ist nur eine Einladung zu einer Werbeveranstaltung.“
Sie bedankte sich nochmal für meinen Einkauf, wir verabschiedeten uns. Den Brief hatte sie schon vergessen.


Ich war gespannt.
Wir schrieben Samstag, den dritten Februar, es war ungefähr 18 Uhr. Bei der Erwähnung, bzw. beim Lesen des Namens „Inselmühle“ in von Hohenschwangs Brief war ich nicht sicher gewesen, aber die Erinnerung hatte dann doch eingesetzt. Mein Langzeitgedächtnis war noch leidlich intakt.
Vor ein paar Jahren hatten braune Jungschläger im Anschluss an eine Versammlung einen „Neger“ vor dem Lokal verdroschen, die Abendzeitung, natürlich auch tz und BILD berichteten, die AZ initiierte sogar eine Sammlung und demonstrierte auf diesem Weg, dass unsere Stadt so etwas nicht duldete.
Ich nahm an einem Tisch am Fenster Platz und besah mir die Umgebung. Vor einer beschilderten Abzweigung zu den Toiletten wies eine hohe doppelflüglige Tür auf einen weiteren Raum hin, in dem allem Anschein nach in einer knappen Stunde die Veranstaltung stattfinden würde, der ich beiwohnen wollte.
Der Kellner kam und ich bestellte ein Helles. Er brachte mein Bier, ich bezahlte noch vor dem Trinken drei Euro fünfzig und erklärte ihm, dass ich gleich wieder gehen müsste. Er kassierte und nickte uninteressiert.
Zehn Minuten später hatte er sich verkrümelt, vielleicht in die Küche, vielleicht in die Besenkammer mit der Küchenhilfe, jedenfalls war nichts mehr von ihm zu sehen. Ich stürzte mein Bier hinunter, machte mich auf in Richtung Toilette, vergewisserte mich noch einmal, sah mich allein im Gastraum der „Inselmühle“, öffnete die Tür zum Nebenraum, schob mich hindurch und schloss sie hinter mir. Für den Kellner war ich hoffentlich der seltsame Gast mit dem kurzen Bier, der gezahlt und sich getrollt hatte.

Es roch wie in einem Bienenstock. Ich schritt vorsichtig über frisch gebohnertes Fischgrätenparkett, stellte mich in die ungefähre Mitte des Raumes, um Überblick zu gewinnen und sah mich um. Der Saal durchmaß etwa zehn Meter in jede Richtung, an der abgehängten Decke waren eine Unzahl kleiner Spots befestigt, mit denen wahrscheinlich jedes einzelne Holzriemchen am Boden gesondert ausgeleuchtet werden konnte. An einer Seite waren billige nadelwaldgrüne Plastikstühle gestapelt. Keine weitere Möblierung, nicht einmal Tische zu sehen, kein Versteck für einen uneingeladenen Beobachter. Der Raum war nur mäßig hell trotz einer Reihe hoher Fenster zur Straßenseite. Schuld daran war eine halbtransparente Folie, die die untere Hälfte der Fenster bedeckte. Vermutlich war es nicht gewünscht, dass Passanten auf Zehenspitzen das Geschehen im Raum beobachten konnten.
Die der Tür gegenüberliegende Seite beherrschte ein schwerer weinroter Bühnenvorhang.
Noch war Zeit aber die Zeit würde das Problem nicht lösen: Wohin mit mir in Ermangelung einer Tarnkappe?
Dann sah ich die Tür. Links der Bühne, nur für scharfe oder ortskundige Augen an einem winzigen Knauf und dem Schatten einer Linie in der Wand zu erkennen.
Sie war schmal, kaum übermannsgroß und ließ sich problemlos an dem kleinen Griff aufziehen. Natürlich! Keine Bühne ohne Bühnentechnik. Eine steile Leiter führte zu einer Art Hochsitz, nicht für Jäger, sondern für Menschen, die ein schwarzes Stahlmonster mit zahllosen silbernen Knöpfen zu bedienen wussten. Es musste in die Wände eingelassene Lautsprecher geben, Bühnenscheinwerfer, farbiges Licht, Projektoren, Nebelmaschinen. Das Ungetüm maß mindestens drei Meter in der Breite und war doppelt so tief wie der Platz, der mir blieb, um mich hinzusetzen und zu warten. Ich konnte nur hoffen, dass Von Hohenschwangs Show auf Technik verzichtete. Ich jedenfalls würde eine Horde Achtzigjähriger nicht mit Klang- oder Lichtorgien verschrecken.
Ich setzte mich auf den Boden. Eine Ritze zwischen zwei Vorhangteilen in der Bühnenmitte bot mir einen wenn auch beschränkten Blick auf den Saal. Etwa zwei Drittel des Raumes konnte ich überschauen. Ich hoffte, dass Von Hohenschwang seine Gäste nicht am Rand in einem Hufeisen aufreihen würde. Ich war zufrieden und wartete.
Zehn Minuten später kam sie. Ich tippte auf Von Hohenschwangs Vorzimmerdame, die trotz schweren Gepäcks durch die Tür schwebte. Sie schnupperte kurz, roch mich nicht, stemmte zwei Taschen auf ein Fensterbrett, ließ ihren Blick durch den Saal wandern und machte sich ohne Zögern über die Stuhlstapel her. Ich hörte sie mehrmals ächzen, wenn sie verklemmte Stühle auseinanderzerren musste. Natürlich hätte ich mich in einer anderen Situation gern behilflich erwiesen. Am Ende dieses ersten Arbeitsgangs stand ein Kreis, bestehend aus achtzehn billigen grünen Plastikstühlen in der Raummitte. Keiner entzog sich meinem Jagdblick.
Nun öffnete sie die erste ihre beiden Taschen. Zum Vorschein kamen Vasen, die sie einzeln aus Zeitungsseiten wickelte und am Boden aufreihte. Achtzehn Stück. Aus der anderen Tasche zog sie einen dicken Rosenstrauß, schüttelte vorsichtig, entfernte geknickte Blätter und lose Blüten. Eine Rose pro Vase. Doch die Taschen bargen weitere Schätze. Kerzen wurden zu Tage gefördert, angezündet und auf den Fensterbrettern in Kreisen angeordnet. Nun erschienen Plakate mit Von Hohenschwangs Konterfei, Christusbildern, ich erkannte unseren Herrn als gewiegtes Kleinkind mit seligem Lächeln, als Leidenden mit bluttriefenden Extremitäten und als hold von Thron Winkenden an der Seite eines Greises. Nun wurde auch seine Mutter ausgewickelt und geglättet; die ganze Familie wurde an den Ecken mit Tesastreifen versehen, die sie in Ermangelung einer Schere von der Rolle biss und an die Wände heftete.
Doch die Taschen waren immer noch nicht leer. Vielleicht hatte Jesus ein Wunder gewirkt, ähnlich dem Trick mit den Fischen. Jedenfalls enthielten die Taschen noch einen beigen Rock, die passende Jacke mit Knöpfen, beides gebügelt, eine fleischfarbene Strumpfhose, noch verpackt und schwarze Pumps.
Aha!
Sie zog Jeans und Pulli aus, stand in weißer Unterwäsche in der Raummitte, drehte sich, damit ich sie von allen Seiten begutachten konnte, setzte sich, um mit aller Klasse und Raffinesse die Strumpfhose über ihre Beine zu rollen, stand wieder, fuhr in das beige Kostüm einer gehobenen Sekretärin des Geschäftsführers und sprang in die Pumps. Nicht wieder zu erkennen.
Sie war gerade rechtzeitig fertig geworden zum Einmarsch der Gladiatoren. Auch den Wirt lernte ich nun kennen, der er hielt einem anderen Herrn, der Von Hohenschwang sein musste, beflissen die Tür auf. Der Wirt war grauhaarig, trug einen gezwirbelten Schnauzer und Tracht, flüsterte etwas, machte einen Diener und schloss die Tür artig von außen.
Von Hohenschwang schüttelte die Hand seiner fleißigen Arbeitsbiene, musterte sie zufrieden und kommentierte ihren Geschmack und ihr Talent als Event-Managerin.
Das Timing des „Events“ war tatsächlich perfekt. Die beiden und ich brauchten keine fünf Minuten zu warten, da öffnete sich die Eingangstür wieder. Der Wirt schien davor gewartet zu haben. Anscheinend war seine Aufgabe, die Ankömmlinge in den Saal zu geleiten. Einige hatten auch noch ihren Taxichauffeur zur Hand und manche hatten ihn auch nötig, um die Schwelle zwischen Wirtsstube und Saal zu überwinden. Nahtlos wurden sie an Von Hohenschwang übergeben, der sie alle aufs Herzlichste begrüßte und gelegentlich charmante Komplimente ausstieß bezüglich der Rüstigkeit und der Frische seiner Gäste.
Allerdings sagte er nicht einfach: „Guten Abend, Sie sehen aber gut aus.“ Vielmehr zeigte er sich vollkommen überwältigt von der jugendlichen Ausstrahlung, die so massiv über ihn hereinbrach.
„Gnädige Frau!“, brüllte er und hielt abrupt inne in seinen Schritten, die er auf eine arme alte Dame zu tat.
„Was für eine Freude! Darf ich Ihnen sagen, dass Sie glänzend aussehen. Das blühende Leben.“
Die Dame errötete und machte, dermaßen angefeuert, einen entschlossenen Schritt vorwärts. Von Hohenschwang schnappte sich ihren Arm und geleitete sie zu einem der Stühle.
Nach und nach füllte sich der Kreis. Die Alten kamen pünktlich.
Um Viertel nach Sieben saßen geschätzt 1500 Lebensjahre im Kreis und blickten gebannt auf ihren Gastgeber. Einige Stühle waren entfernt worden, um Rollstühlen Platz zu machen. Neben der so begeistert begrüßten Dame saß eine Alte, die doppelt so viele Kilos wie Jahre auf die Waage brachte, im eigenen Gefährt. Aber ihre Augen blinzelten wach aus von Fett nahezu zugewachsenen Höhlen.
Drei Viertel waren Frauen, was eindrucksvoll die Statistiken bestätigte, die besagten, dass Männer eine deutlich geringere Haltbarkeit besaßen. Neben der Dicken kämpfte einer der wenigen Männer tapfer mit dem Sandmännchen. Alle paar Minuten sank ihm das Kinn auf die Brust, doch der Ruck im Nacken weckte ihn wieder. Jedes Mal schien er sich von neuem zu fragen, wo er war und mit wem und warum. Die Stühle waren lehnenlos und sollte er gänzlich in sich zusammensinken und zur Seite kippen, blieb nur zu hoffen, dass er im mächtigen Schoß der Rollstuhlfahrerin landen würde.
Auch die beiden Gastgeber saßen im Stuhlkreis, primi inter pares, kein Podest, keine Kanzel. Ich vermutete, dass die meisten der Alten bereits professionellem Pflegepersonal ausgeliefert waren. Von Hohenschwang setzte einen Kontrapunkt aus Ehrerbietung und Anerkennung zu ihrem leidvollen Alltag. Kein „Na wie geht’s uns denn heut morgen. Haben wir schon schön geschissen?“ sondern Respekt gegenüber dem Alter, so wie es früher war, als man die Lebensleistung der Kriegsgenerationen schätzte und mit gesicherten und üppigen Renten belohnte.
Von Hohenschwang erhob sich.
„Sehr geehrte Damen und Herren, meine lieben Freundinnnen und Freunde.“ hob er an.
Er stellte sich vor als letzter Spross des Hauses derer Von Hohenschwang, der sich selbstlos in den Dienst seines Landes gestellt hatte, sich allerdings nicht in bestehende Organisationen einordnen konnte, da war kein Zuhause für ihn, für einen der sich das Reden und Denken nie verbieten lassen wollte, heutzutage in einem Land, in dem man nicht einmal mehr sagen durfte, dass Vertriebene vertrieben sind und Schwule nicht gebären können.
Einzelne Kicherer.
Und dann folgte im Prinzip eine ausufernde Präsentation des Inhalts des Briefes, den die alte Frau Vordermeier und natürlich auch alle anderen Anwesenden erhalten hatten. Aber einen Brief lesen oder Herrn Von Hohenschwang lauschen war etwa wie der Unterschied zwischen dem Studieren eines gelben Reclam-Heftes und einer Faust-Inszenierung mit Gustav Gründgens.
Nach zwei Sätzen hatte er die Gemeinde im Sack. Sogar dem müden Alten troff der Speichel aus den Mundwinkeln. Manifestierte sich die Zustimmung anfangs noch mit Murmeln und Nicken, schwoll sie, je weiter Von Hohenschwangs Rede fortschritt, zu begeisterten Jawoll-Rufen und ergriffenen Seufzern. Der dürre Leib einer weißhaarigen Alten, die anfangs noch haltlos in ihrem Stuhl gehangen hatte, erinnerte sich an Haltung und Körpertonus. Sie riss sich ihre Brille vom Gesicht, kein Fremdkörper sollte zwischen ihren verzückt geschlossenen Augen und Von Hohenschwangs Redeschwall stehen, ruderte mit ihren Armen wie Joe Cocker und rief:
„Helfen Sie uns, Herr Von Hohenschwang!“
Herr Von Hohenschwang nahm diesen verzweifelten Hilferuf zum Anlass für eine Pause.
Gerade hatte er die auswegslose Situation eines Christenkindes ohne Kreuz im Klassenzimmer beschworen.
„Natürlich werde ich Ihnen helfen. Ich kann Ihnen versichern, dass ich und meine Freunde alle Mittel in Bewegung setzen werden, um aus diesem Land wieder ein Deutschland zu machen, auf das Sie dereinst stolz und voll Liebe herabsehen werden.“
Zum ersten Mal hatte er beiläufig das Wort „Mittel“ in die Runde geworfen. Diese Mittel waren nicht einfach Geld, sie waren der Schlüssel zur Erneuerung unseres Vaterlandes.
„Und nun liebe Freundinnen und Freunde möchte ich Ihnen Pater Rafael vorstellen, der sich dankenswerterweise erbeten hat, ein paar Worte an Sie zu richten.“
Er setzte sich, der Wirt öffnete die Tür und ein braunkuttiger Mönch kam hereingewatschelt. Die Oberbekleidung wies ihn als echten oder falschen Franziskaner aus; allerdings trug er schwarze Slippers statt Sandalen, was jedoch niemanden störte.
Dieses Kaninchen aus Von Hohenschwangs Hut überraschte selbst mich, aber ich war sicher, dass auch er die richtigen Worten und Gesten finden würde, galten die Franziskanerbrüder doch als besonders fremdsprachentüchtig.
„Meine lieben Schwestern und Brüder! zwitscherte er. „Dies ist nicht der Ort, eine heilige Messe zu lesen. Dennoch empfinden wir alle die Heiligkeit des Augenblicks. Denn wir befassen uns mit diesem Erdenleben bereits aus der Sicht des Himmelsreiches. Dies ist die Sicht des Christenmenschen. Wir fragen nicht, welche Belohnung wir in diesem Leben bekommen, sondern wir wollen tun was gottgefällig ist. Lasset uns unseren Herrn gemeinsam um Beistand für unsere Entscheidungen bitten.
„Herr, lass fast vergessene Tugenden wie Glauben und Rechtschaffenheit wieder in unserem Land einkehren!“
„Wir bitten dich erhöre uns.“ erschallte es aus dem Kreis in unerwarteter Kraft. Zwei besonders rüstige Damen stemmten sich aus ihrem Stuhl, um sich aufrecht ihrem Herrn zu nähern. Von Hohenschwangs Augen folgten dem Manöver sorgenvoll. Sie standen schwankend, hielten sich aber auf den Beinen.
„Wir bitten dich erhöre uns!“
„Herr, lass uns mit unseren Mitteln und nach unseren Möglichkeiten dazu beitragen!“
“Wir bitten dich erhöre uns!“
„Gib uns Weisheit und Vertrauen in den rechten Rat! Lasset uns singen!“
Die beiden Frauen hatten sich zu Von Hohenschwangs Beruhigung wieder auf ihre Stühle sinken lassen.
Der Mann der Kirche begann, rostige Kehlen stimmten ein.
„Meerstern ich dich grüße.“
„OhoMaharihijaha hilf!“
Von Hohenschwangs Bariton führte und gab Sicherheit und Ruhe. Der Sopran seiner Gehilfin wärmte die Herzen.
„Gottesmutter süße.“
„OhoMaharihijaha hilf!“
Ich musste an mich halten, um nicht begeistert einzustimmen. Das Lied erinnerte mich an meine lustvolle Zeit als Ministrant. An Frau Elmar, unsere Religionslehrerin, die so gerne und inbrunstvoll mit der ganzen Klasse sang, den braven achtjährigen Mitsingern liebevoll über die Haare strich und ihre Wangen an ihren Busen drückte. Frau Elmar war meine frühe Maria.

Ich hatte genug, kletterte so leise wie möglich die Treppe hinunter und stieß die Tür zum Saal auf, die natürlich niemand als möglichen Ein- oder Ausgang wahrgenommen hatte.
Ein letztes „OhoMahari …“ verstummte jäh.
Alle Augenpaare waren auf mich gerichtet.
„Entschuldigen Sie! Arbeiten an der Bühnentechnik“, sagte ich und ging gemessenen Schrittes auf den Ausgang zu, ohne mich einmal umzusehen. Ich erreichte die Tür, schritt hindurch. Vier Taxen standen draußen und warteten auf ihre betagten Passagiere. Ich sprang ins erste.
„Bin besetzt.“
Ich drückte dem Mann einen Geldschein in die Hand (10 Euro).
„Fahren Sie mich nur schnell zur U-Bahn. In fünf Minuten sind Sie wieder hier.“
Er gab Gas. Ich blickte durch das Rückfenster. Gerade als wir um die Ecke bogen schien es mir, als würde Von Hohenschwang aus dem Haus stürzen. Egal.
Meine Frau Vordermeier hatte ich gerettet. Ein kleiner beschämend feiner Gedanke ereilte mich, als ich mich durchatmend zurücklehnte.
Der lieben alten Frau Vordermeier gehörte das Haus, in dem ich wohnte und Miete zahlte. Die nächste Essenseinladung würde ich nicht so schnöde zurückweisen.

 
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Servus wander,
es wundert mich ein wenig, gerade von dir so einen Text hier zu lesen, hat sich doch - mit deiner Mitwirkung - eben unter Grethas Milchmädchen-Geschichte ein Disput darüber entsponnen, was man sich als Leser von „Geschichten“ erwarten darf.

Ich zitiere mal aus deinem dortigen Kommentar:

wander schrieb:
... nett zum Lesen wird das immer. Aber hier fehlt mir was. Ein paar Milliarden Frauen könnten hier sagen: Ja, genau so ist es. Nur schreiben hätte ich das nicht können. Aber reicht dir das? Das ist eine gut geschriebene Glosse. Wo ist das Einzigartige, das Besondere?

Ja, nett zu lesen ist auch dein Text hier, er ist gut und souverän geschrieben, das schon. Nett halt. Aber so wie du Gretha vorwirfst, eine Glosse geschrieben zu haben, werfe ich dir hier vor, bestenfalls eine Reportage geschrieben zu haben. So wirkt es zumindest auf mich. Der Einfachheit halber zitiere ich mich selbst aus meinem Kommentar zu Grethas Text:

offshore schrieb:
Leute jedoch, die „Geschichten“ lesen wollen, die ihnen im besten Fall durch stilistische Außergewöhnlichkeit das Hirn zu verdrehen imstande sind und deren Inhalt ihnen gleichzeitig einen Pfahl ins Herz rammt, na ja, die wirst du mit diesem Text wahrscheinlich nicht erreichen. Dazu fehlt ihm das Unvorhersehbare, das Überraschende, das Mitreißende, das Individuelle, das gut ausgedachte Fiktive und ja, das „Literarische“. Was immer das heißen mag.

Auch wenn das Beschriebene hier fiktiv ist, wirkt es auf mich nicht besonders gut ausgedacht, sondern vielmehr, als hättest du das Geschilderte selbst erlebt und es lediglich eins zu eins erzählt. Ohne es zu brechen, irgendwie auf eine neue Ebene zu heben, ohne es „literarisch zu erhöhen“. Zu einer Geschichte, die mich berührt, mich vereinnahmt, mich fesselt, mich gar verstört oder mich zumindest zum Lachen bringt, wenn du schon das Stichwort Humor anführst, fehlt mir hier beinahe alles. Ist halt so ein Alltagserlebnis, das man seinen Freunden erzählt.

Also leise Gesellschaftskrtik klingt natürlich schon an, aber halt auch nur so binsenweisheitsmäßig, ich finde da nichts Niegehörtes, nichts wirklich Originelles. Und die Zuordnung zu Humor und Satire? Ich weiß nicht recht.

Überrasche mich mit deinem nächsten Text, wander. Du kannst weit mehr, das weiß ich, das hast du mir ja schon bewiesen.

offshore

 
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Hallo wander,

nach dem offshore darauf hinwies, dass der Text mit den Tags »Humor« und »Satire« behaftet ist, habe ich glatt hochgescrollt und mich davon überzeugt. Tatsächlich. Aber die Geschichte ist meiner Meinung nach weder witzig noch satirisch. Die einzige Stelle, an der ich überhaupt schmunzeln konnte, war:

Neben der Dicken kämpfte einer der wenigen Männer tapfer mit dem Sandmännchen.
da ich diese Redewendung so noch nicht kannte, das aber vielleicht wirklich eine Wendung ist, die ich schleunigst in meinen Sprachschatz aufnehmen sollte. (Müsste es allerdings nicht »gegen das Sandmännchen« heißen?)

Wie dem auch sei. Meine Idee wäre, eine tatsächliche Geschichte daraus zu machen, denn in der Tat bin ich hier mit offshore einer Meinung: Es handelt sich um eine Anekdote, wobei ein paar Stellen sicherlich als Anklänge an eine Geschichte durchgehen können, etwa der Dialog mit der Frau Vordermeier. Und dabei wäre es gar nicht so schwer. Ich würde anregen, dass sich die Frau Vordemeier entgegen der Empfehlung des Prots, nicht zu kommen, doch dahin begibt. Lass sie doch zu spät reinplatzen, etwa zu dem Zeitpunkt, zu dem der Prot sich in der vorliegenden Fassung entschließt, sich aus dem Staub zu machen. Und das Weitere überlasse ich deiner Phantasie.

Ach ja, und bitte setze die Zitate aus dem Brief kursiv. Dies erreichst du durch Einschlagung der Zitate in [i]i-Tags[/i] (die spitzen Klammern erzeugst du mit AltGr-8 und AltGr-9).

Weitere kleine Fehler:

Keine weitere Möblierung, nicht einmal Tische zu sehen, kein Versteck für einen uneingeladenen Beobachter.
  • Umgangssprache bitte vermeiden >> Nicht einmal Tische waren zu sehen.

Noch war Zeit aber die Zeit würde das Problem nicht lösen: Wohin mit mir in Ermangelung einer Tarnkappe?
  • Komma fehlt >> Noch war Zeit, aber Zeit

Auch den Wirt lernte ich nun kennen, der er hielt einem anderen Herrn, der Von Hohenschwang sein musste, beflissen die Tür auf.
  • Hier würde ich einen neuen Satz beginnen >> kennen. Er [...]

Ich drückte dem Mann einen Geldschein in die Hand (10 Euro).
  • Wieso fügst du den Betrag in Klammern an den Satz an? >> Ich drückte dem Mann einen Zehn-Euro-Schein (oder kurz: Zehner) in die Hand

-- floritiv

 

Als erstes möchte ich betonen, dass dieser Text Handlung aufweist, und das ist essentiell für eine Geschichte. Und wenn hier gesagt wird, man hätte beim Lesen das Gefühl, Du, wander, hättest die Geschichte selbst erlebt und sich nicht ausgedacht, so ist das für mich ein Lob ohnegleichen, denn was kann einen Autor mehr freuen als Solches für eine fiktive Geschichte gesagt zu bekommen.

Diese Geschichte ist natürlich eine Satire, denn die Personen wie die Handlung sind überzeichnet und dennoch glaubwürdig – siehe den vorhergehenden Satz. Klar, sie kommt eher leise daher, aber in der Wirkung ist sie stark. Dies auch, weil der Erzähler die Handlung abbricht, übrigens nicht einer billigen Pointe wegen, sondern weil eine zu Ende erzählte Geschichte langweilig geworden wäre.

Zu kritisieren ist die umständliche Zitierung des Briefes - das kann man sicher besser machen.

Ansonsten: :thumbsup:

 

Hallo wander,
ich stimme Dion zu. Ich empfinde deinen Text durchaus als Geschichte, und zwar sogar als eine mit einer wirklich guten Idee: Ein Club von Rechten macht sich an alte Leute ran und salbadert sich zu ihren Erben, indem er ihre rechskonservative Gesinnung bis zum Exzess bedient. Mir gefällt auch das Ende, wenn den Protagonisten, der sich eben noch freute, seine etwas lästige Frau Vordermeier vor den rechten Erbschleichern gerettet zu haben, ein feiner beschämender Gedanke ereilt und er das nächste Essen nicht mehr zurückweisen wird. Ist doch geil diese Andeutung. Gut, ein bisschen vorhersehbar, aber mir gefiels.
Meine Kritik bezieht sich eher darauf, dass ich es an manchen Stellen etwas zu lang fand. Das gilt für Hohenschwangs Brief, aber auch die Reden dehnten sich ein wenig.
Aber sonst? Vom Prinzip her? Ich weiß echt nicht, warum da eine Geschichte fehlen soll. Und der Humor, klar, der ist wie so oft, die Geschichte lebt jetzt nicht von Lachsalven, sondern von diesen merkwürdigen überzeichneten Figuren.Vielleicht kann man da noch mehr zuspitzen oder verzerren, ja, aber ich fand das schon gut.
Viele Grüße von der Novak

 

Novak schrieb:
Ich weiß echt nicht, warum da eine Geschichte fehlen soll.
Viele Geschichten, nicht alle, brauchen eine Art Konflikt als Handlungsmotivation. Und diese hier schreit danach. Der Protagonist findet sein Vorurteil (im Sinne eines Urteils, das vorab gefällt wird) bestätigt. Na und?

Das ist natürlich nur meine Meinung. :)

 

Erst mal Danke für Lesen und Kommentieren. Die Meinungen gehen auseinander und das deckt sich auch mit meinen eigenen Meinungen über den Text. Er ist einige Jahre alt und ich muss heute noch an einigen Stellen grinsen, wenn ich ihn lese. Das Schreiben daran hat einen höllischen Spaß gemacht und das ist wohl auch der Grund für die Längen. Da wäre sicher nochmal ein Eindampfungs-Durchlauf nötig, sollte ich mit dem Text noch etwas unternehmen wollen. Ich glaube das aber eher nicht. Ich schreibe heute anders. Die Frage, ob es eine Geschichte ist, wurde von euch auch kontrovers beantwortet. Ich denke, es ist eine. Aber da ist keine Zuspitzung, kein Plot. Ich kann nachvollziehen, dass das manchen fehlt.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi wander!

Wurde durch Marias Kommentar auf deine Story aufmerksam. Satirisch empfand ich sie nicht, aber als Geschichte funktioniert sie allemal, mAn, auch wenn nichts Spannendes oder Erhellendes passiert. Du schreibst flott und locker drauflos, sprachlich gäbe es dennoch einiges zu kritisieren, aber da du bisher keine Korrekturen gemacht hast, vermute ich mal, es wäre vergebliche Liebesmühe, mich damit groß auseinanderzusetzen. Seltsam, dass es mir schon wieder passiert, an der gewählten Zeitform herumzunörgeln, aber auch deinem Text stünde Präsens besser an, als die (mAn verstaubte) Mitvergangenheit.

Dennoch ein paar Anmerkungen und sorry für folgendes Off-Topic:

Zitat, Maria Meerhaba:

Ich gehöre auch zu denen, die das Kreuz im Klassenzimmer haben wollen. Bin ich jetzt ein Rassist?

Ich gehöre zu jenen, die überhaupt keine religiösen Symbole im Klassenzimmer haben wollen. Was bin dann ich? :)


Und nun zum Eigentlichen:

Die Güter, die wir in dieser Welt hinterlassen, sollen Gutes bewirken, sie sollen unseren Lieben das Leben erleichtern und nicht Neid und Zwietracht sähen.

säen

... ein Staat, dessen Vertreter bereits in dreistester Frechheit zugeben, aus unserem Deutschland ein Multi-Kulti-Einwanderungsland machen zu wollen, ein Land in dem das Geschrei der Muezzins die Kirchenglocken übertönt, in dem vermummte Frauen durch die Straßen schlurfen, in dem unsere Kinder in den Schulen neben Achmed, Ali und Mustafa sitzen und einen Unterricht für Analphabeten erhalten, ein Land in dem die Russenmafia, die Vietnamesenmafia und die Albanermafia die Straßen beherrschen, in denen es nach Knoblauch riecht und orientalische Klänge aus den Fenstern dröhnen?

... ein Land, in dem ...
... und Unterricht für Ananlphabeten ...
... ein Land, in dem ...


Noch war Zeit aber die Zeit würde das Problem nicht lösen:

... noch war Zeit, aber die ...


als Leidenden mit bluttriefenden Extremitäten und als hold von Thron Winkenden an der Seite eines Greises.

... und hold vom Thron Winkenden ...

Auch den Wirt lernte ich nun kennen, der er hielt einem anderen Herrn, der Von Hohenschwang sein musste, beflissen die Tür auf.

... denn er ...

Ich drückte dem Mann einen Geldschein in die Hand (10 Euro).

... drückte dem Mann zehn Euro in die Hand


LG, Manuela

 

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