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Mari und der Vibrator
Mari wusste nicht, dass Ökotrophologiestudenten außer Großküchentechnik und Diätrezepten noch andere Dinge lernten.
Nils unterrichtete Technik im Haushalt.
Im Seminar nahm er Toaster und Mixer auseinander. Mari stellte sich seinen Unterricht faszinierend vor. Interessanter, vor allem praktischer als mittelalterliche Linguistik. Man musste nie wieder ein Gerät entsorgen. Im Gegenteil: Dinge vom Sperrmüll konnten zu neuem Leben erwachen.
Leider verstand nicht jeder Nils Ausführungen. Ob es an Nils lag oder an seinen Studenten, konnte Mari nicht sagen. Bald konnte sie die Frage besser beantworten. Studenten, die durchs Testat fielen, bot Nils kostenlose Nachhilfestunden an. Nun erlebte Mari seinen Unterricht aus nächster Nähe.
Oft brachten Studenten Gegenstände von zu Hause mit. Defekte Föne, vorsintflutliche Küchenmaschinen, Uhren mit ausgelaufenen Batterien, die sie auf Nils Schreibtisch stellten und mit kleinen, teils winzigen Schraubenziehern öffneten.
Mari fand es spannend, in die Gehäuse zu schauen, in die Welt hinter den Dingen: im Dunkeln aufleuchtende Schrauben, die heimliche Ordnung im Gewirr von Kabeln. Die geräumige Leere eines CD-Players. Noch spannender war, wer welches Gerät mitbrachte.
Meistens war Mari dabei. Besonders, wenn es sich um eine Studentin handelte. Ihr waren Nils Blicke nicht entgangen, Blicke, die sich anfangs dezent, später immer „zufälliger“ in den Untiefen von Ausschnitten verloren. Oder über einladende Wölbungen unter einem Rock strichen, wenn ein Mädchen im Stehen ein besonders großes Gerät aufschraubte. Nils war nicht bewusst, wie lächerlich er sich machte und einmal hatten sich eine Studentin und sie heimlich hinter seinem Rücken zugezwinkert.
Nachts ließ sich Mari von Nils den Otto-Motor erklären, eins seiner Lieblingsthemen, seitdem sie auf den Führerschein sparte. Sie genoss sein Dozieren, weil er dann nicht über die Eindrücke vom Nachmittag nachdenken konnte, fremde Brüste, fremde Beine meist straffer als Maris eigene Formen. Warum nahm kein Mann Nachhilfe-Unterricht? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass alle Studenten Technikexperten waren. Ihr Bruder hatte als kleiner Junge auch nur Kugelschreiber auseinandergenommen.
Mari fand es schade, dass Nils nicht mehr hinschaute, wenn sie sich abends auszog. Meist war er müde, als hätte er tagsüber genug gearbeitet, genug gesehen – in der Tat – und mit geschlossenen Augen robbte er an sie heran, zog sie an seinen warmen, beharrten Bauch. Seine Hände strichen über ihren Bauch, wanderten tiefer, aber bevor mehr draus wurde, schlief er ein. Nils war lieb, großzügig, hilfsbereit, aber in Liebesdingen ein eher schlechter Techniker. Mari hatte einmal Leuchtkondome mitgebracht, aber sie verstaubten in seiner Schublade.
Vielleicht war sie, Mari, selbst langweilig und sie grübelte darüber nach, wie sie ihn besser verstehen könnte. Aus der Bücherei lieh sie sich die richtigen Bücher aus. Technikratgeber. Bilderlexika. Die Besten fand sie in der Kinderabteilung. Explosionszeichnungen von aufgeschnittenen Motoren, Schnitte durch Kampfjets und Milchzentrifugen. Mari genoss die abendlichen Terrassengespräche mit Nils. Angeregtes, weintrunkenes Fachsimpeln. Nils ging eingehend, fast zärtlich auf ihre Fragen ein. Bohrkörper, Konversionsposition, Horizontalleitwerk. Verbale Aphrodisiaka. Und nach Wochen war Nils abends nicht mehr müde. Was aber seinen WG-Frauen missfiel. Nach einer besonders aufregenden Nacht beschwerten sie sich am nächsten Morgen beim Frühstück.
Wohnt Mari jetzt heimlich hier? Hat sie kein Zuhause?
„Die sind nur neidisch“, sagte Nils später.
„Vielleicht sollte ich mir tatsächlich ein anderes Zimmer suchen“, entgegnete Mari, obwohl sie es genoss, nachts seine Nähe zu spüren.
Mari kannte die meisten Nachhilfeschülerinnen. Sie trank mit ihnen Kaffee und fühlte sich solidarisch. Die Solidarität der technisch Unbegabten. Obwohl, so unbegabt kam sich Mari gar nicht vor. Immerhin hatte sie als kleines Mädchen einen Elektrobaukasten besessen. Und sie hatte gern mit den einzelnen Teilen gespielt, mit den Kabeln, Lämpchen, Transistoren. Zumindest so lange, bis ihr Vater eines Nachmittags daraus ein Radio bastelte.
Mit den meisten Mädchen konnte sie lachen, nicht nur über Nils unbeholfene Flirtversuche. Aber da war diese Neue. Natascha. Mari kam sie wie eine Aussiedlerin vor, obwohl sie perfekt Deutsch sprach. Ein merkwürdiges, altmodisch klingendes Deutsch. Wie in alten Schwarz-Weiß-Filmen. Auch alles andere an ihr wirkte alt, ihre zu einem Kranz gesteckten Zöpfe, ihre Kleider, ihre Ernsthaftigkeit. Bei ihrem ersten Besuch hatte sie Mari angeschaut, als wollte sie mit Nils allein sein. Als sei Mari eine lästige Arzthelferin, die bei intimen Untersuchungen nicht zuschauen dürfe. Nils hatte Mari fragend angeschaut. Dann war Mari gegangen.
Diese Natascha kam jeden Dienstag. Sie nutzt Nils Gutmütigkeit aus, fand Mari. Oder war da mehr? Es ärgerte sie, dass Nils nicht viel erzählte. Was für Gegenstände sie wohl mitbrachte? Die meisten Haushaltsgeräte hatte Mari von der anderen Seite gesehen. Im Grunde waren sie alle ähnlich. Und es war ihr, als würden alle Studenten das gleiche zu Hause besitzen. Mari hatte sich über Nataschas Flirtversuche amüsiert, die noch unbeholfener ausfielen als Nils eigene. Bis sie erfuhr, dass Nils Bekannte ihre alte Wohnung Natascha versprochen hatten. Mari war sauer gewesen, aber Nils hatte gesagt, sie müsse mehr Mitleid haben.
Mari saß auf der Terrasse und fand es schwierig, Mitleid zu haben. Mit diesem Mädchen, das seit Stunden mit Nils in seinem Zimmer saß. Der WG-Kater saß auf Maris Schoß, das Schnurren wie von einem Mini-Traktor, tröstlich. Die Glastür zu Nils Zimmer war offen. Gesprächsfetzen drangen zu ihr hinüber. Nils tiefe, ruhige Stimme, in deren Geduld sich langsam andere Töne mischten. Aber Natascha bekam Nils Untertöne nicht mit oder überhörte sie.
Wenn Mari sich auf die Spiegelungen in der Glasscheibe konzentrierte, sah sie unscharfe Bewegungen. Natascha gab Nils etwas in die Hand. Das Ding sah aus wie eine Taschenlampe. Mari verstand nicht, wie man ein so einfach aufgebautes Gerät mitbringen konnte. Sie würde sich schämen. Aber diese Natascha kicherte. Albern, wie Mari fand. Schulmädchenhaft. Nils ließ das Ding in seinem Schreibtisch verschwinden. Dann brachte er Natascha zur Tür.
Mari stand auf. Der Kater sprang beleidigt auf den Boden. Eine Kicherkaskade kam vom Treppenhaus. Sie zog die oberste Schublade auf. Das Ding war keine Taschenlampe. Sondern ein Vibrator. Was fiel dieser Frau nur ein? Wollte sie Nils provozieren oder anmachen?
Mari hatte selbst noch nie einen Vibrator in der Hand gehalten. Er fühlte sich kalt an, metallisch. Irgendwie altmodisch wie Natascha selbst. Mari wüsste gern, wie sich so ein Ding anfühlte. In ihr. Aber sie konnte wohl schlecht das fremde Teil benutzen.
Nachts im Bett kuschelte sich Nils besonders zärtlich an Mari. Aber sie wich aus. Sie ärgerte sich, dass Nils den Vibrator nicht erwähnte.
„Wusstest du, dass es in alten Hausfrauenblättern früher Anzeigen gab? Für Massagestäbe?“ Nils lachte. „Man konnte die Dinger bestellen, einfach so. Niemand dachte sich etwas dabei.“
Mari musste trotz ihrer schlechten Laune lachen.
"Schon um 1910. Das hättest du nicht gedacht oder?", Nils kniff in ihren Po."Und manche Hausfrau dachte, sie kauft nur ein neues Haushaltsgerät."
Nils lachte bei der Vorstellung.
„Warum erzählst du nicht, was in deinem Schreibtisch liegt", fragte Mari.
„Ach, der Vibrator.“ Nils zog sie zu sich heran. „Der ist nur von Natascha, ziemlich kindischer Einfall."
Mari entspannte sich. Sie war froh, dass Nils den kleinen Wink übersehen hatte. Obwohl er so gern auf Brüste und Bäuche starrte, übersah er doch jedes Mal, wenn man sich für ihn interessierte. Und kindisch fand sie das Gerät nicht. Bald würde sie auch eins haben. Nur, dass man es nicht mehr so unschuldig bestellen konnte.