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Mare
Obwohl die Erinnerungen jener Tage schwinden, möchte ich trotzdem aufschreiben, was mir widerfahren ist, damit die Menschheit nun ein klares Bild davon bekommt, was ich erlebt habe. Man mag mich für verrückt halten und jedem steht es frei zu behaupten, dass ich lüge, aber wenn sie sich ein Urteil erlauben, dann bitte nur wenn sie meine ganze Geschichte aus erster Hand, aus diesem Bericht, erfahren haben.
Es war am 26. November, als ich mit meiner Frau in das Haus meines Onkels zog. Der alte Mann war vor einiger Zeit an einer seltenen Schlafkrankheit gestorben und mir, seinem Alleinerben, vermachte er sein Haus und seinen ganzen Besitz.
Das Haus wurde laut der Unterlagen im 17. Jahrhundert erbaut und einige Male restauriert, auch wenn die letzte Sanierung schon Jahrzehnte zurücklag. Es hatte zwei Stockwerke, einen Dachboden, einen Keller, eine kleine Terrasse, einen Vorgarten und einen Gemüsegarten.
Alles in allem befanden sich das Haus und das Grundstück in einem schlechten Zustand. Die obligatorische Umzäunung erfüllte schon lange nicht mehr ihren Zweck, die Gärten waren ungepflegt und der Gemüsegarten anscheinend seit Jahren nicht mehr benutzt. Die Fassade fing an zu bröckeln, was wohl auch mit der Witterung zu tun hatte, die am Meer ja bekanntlich unberechenbar ist. Stürme hatten das Haus teilweise stark beschädigt und es würde wohl einiges kosten das Ganze erneut zu restaurieren.
Während die Gärten eher durch komplette Verwahrlosung auffielen, glich das Innere des Hauses einem Chaos. Mehr und mehr fing ich an mich zu fragen, was in meinem Onkel vorgangen war. Es war nicht so, dass er lange krank gewesen wäre und in seinem Delirium möglicherweise alles um sich vergessen hatte.
Den einzigen Freund von ihm, den ich kannte war James Wilberforce, ein Mann mittleren Alters, der in meinem Onkel, so sagte er, eine Art Mentor gefunden hatte. Zu meiner Verwunderung erzählte er mir eines Abends, dass mein Onkel während er zuvor gastfreundlich und offen allem gegenüber stand, er sich etwa vor einem halben Jahr vor seinem Tode, mehr und mehr von anderen abzuschotten begonnen hatte. Er ging nicht mehr in die Kirche, öffnete niemandem die Tür und pflegte seinen doch so geliebten Garten nicht. Was war mit dem Mann passiert? Was war der Grund für dieses heillose Durcheinander?
Hätte ich damals gewusst, was ihm widerfahren ist, hätte ich das Haus wolmöglich niedergebrannt. Wir richteten unser Schlafzimmer nach Osten aus. Meine Frau liebte den Ausblick hier, obwohl einem der Nebel oft den Blick auf das Meer verwehrte. Unser Schlafzimmer befand sich im 2. Stock und eine ruhige Kammer im Erdgeschoss wurde mein Arbeitszimmer. Im Gegensatz zu meiner Frau mochte ich kleine Räume. Meine Arbeit erledigte ich meist Nachts, weil ich seit Kindesbeinen an schlecht schlief. Meine Frau arbeitete, wie es der Zufall wollte, in der Nachtschicht. Sie hatte einen Job im hiesigen Hospital gefunden, worüber wir beide natürlich sehr froh waren, weil die Renovierung des Hauses wohl Unmengen an Geldern verschlingen würde.
Trotz alledem begannen wir das Innere des Hauses zu säubern und den angefallenen Müll zu entsorgen. Nach einigen Tagen des Schaffens war das Haus zum größten Teil aufgeräumt und bewohnbar, obwohl es noch einiges zu tun gab. Auch, wenn ich durch die Arbeit gut abgelenkt war, ging mir mein Onkel nicht aus dem Kopf. Die Bücher sowie die Zeichnungen, die wir in den Keller geräumt hatten, ließen mich an der geistigen Gesundheit meines Onkels zweifeln. Eines Nachmittags rang ich mich dazu durch, in den Keller zu gehen und mir seine Sammlung genauer anzusehen. Er hatte eine regelrechte Anhäufung von Büchern, die sich mit Okkultismus beschäftigten, aber auch einige Sachbücher zum Thema Schlaflosigkeit. Zwischen den Büchern waren auch oft kryptische Zeichnungen zu finden, die für mich aber keinen Sinn ergaben und mich auch nicht weiter interessierten.
Wenn ich mir allerdings überlege mit welchen Dingen sich mein Onkel in den Wochen vor seinem Tode beschäftigte, wundert es mich nicht, dass er nicht schlafen konnte.
Nachdem ich mir einige weitere Schriften seltsamer Autoren angeschaut hatte, war ich mir fast sicher, dass mein Onkel glaubte von einer Art Dämon heimgesucht zu werden. Er war immer schon etwas eigen, aber das ging über die üblichen Hirngespinste seinerseits hinaus. Normalerweise beruhigte es ihn in seinem Garten zu arbeiten und nach der Arbeit bei einem Glas Bourbon vor dem Kamin zu entspannen, aber diese Situation gefiel mir garnicht.
Man kann sich vielleicht denken wie es ist zu erfahren, dass sein Onkel gestorben war und man sich nun um sein Haus kümmern sollte, aber diese Bücher, die wirren Zeichnungen und das allgemeine Chaos, was mein Onkel hinterlassen hatte, ließen mir lange Zeit keine Ruhe.
Auch ich war nun wieder schlaflos, schlaflos wie ich es schon oft zu vor gewesen war. So wie immer in solchen Zeiträumen, arbeitete ich bis tief in die Nacht, bis ich dann für einige Minuten oder Stunden in eine Art Halbschlaf fiel. Glücklicherweise kam meine Frau immer etwa um die Zeit nach Hause und so konnten wir wenigstens noch ein paar ruhige Minuten mit einander verbringen, bevor sie in ihren wohlverdienten Schlaf fiel.
Ich allerdings war wach, hörte ihr leises Atmen, doch ließ mir das Schicksal meines Onkels keine Ruhe. Voller innerer Unruhe schlich ich mich leise aus dem Schlafzimmer, die Treppe herunter und öffnete die Kellertür, um mir eines der Bücher zu holen. Ganz behagen tat mir diese Sache nicht, weil mir das Haus schließlich noch sehr fremd vorkam und ich außer einer Kerze keine Lichtquelle hatte. Eines der Bücher, das mir vorher nicht aufgefallen war, schien perfekt zu sein. Es handelte sich hierbei um ein Buch welches sich mit mystischen Wesen und Gestalten beschäftigte. Das Buch in der einen und die Kerze in einer anderen, machte ich mich auf den Rückweg. Meine Befürchtung, dass die Kerze bis zum Schlafzimmer erlischen könnte, sollte sich nicht bewahrheiten. Zurück bei meiner Frau, entbrannte bei mir ein Interesse an der Materie, wie ich es noch nie empfunden habe. Bis zum Morgengrauen las Berichte über Hexen, Dämonen,Vampire, Untote, Werwölfe und vorallem über die Alben, bis ich dann endlich auch ins Land der Träume wanderte.
Erst am späten Nachmittag wachte ich auf. Meine Frau hatte sich gut eingelebt und pflegte den Garten, auch wenn die Zeit knapp wurde, denn ein Sturm zog auf. Während sie noch einige Blumen pflanzte bereitete ich das Essen vor. Nachdem wir zusammen das deftiges Abendessen verspeisten, machte sich meine Frau auf den Weg ins Hospital. Wie immer wandte ich mich dann meiner Arbeit zu.
Doch an diesem Tag, an diesem Abend, fühlte ich mich anders. Ich fühlte mich beobachtet. Ein Autor eines Groschenromans hätte meine Situation nicht besser beschreiben können. Noch während der Sturm langsam heftiger wurde und der Regen gegen mein Fenster prasselte, überkam mich ein Gefühl, dass mir den Hals zuschnürte und just in diesem Moment erinnerte ich mich an das, was ich vor dem Schlafengehen gelesen hatte und noch bevor ich mir im Klaren darüber werden konnte, was das alles zu bedeuten hatte, war es verschwunden. Der Regen war immer noch heftig und weit aus dem Osten hörte ich das Grollen des Donners. Ich hoffe Nikolaus von Myra hatte an diesem Abend ein Auge auf die armen Seelen, die dort draussen auf dem Meer den Sturm überstehen mussten.
Auch wenn ich durch diese plötzliche Angst stark verunsichert war, beendete ich meine Arbeit und machte ich auf den Weg in unser Schlafzimmer. Der Regen ließ nach und der Ton der grollenden See wurde leiser. Das Holz knackte unter meinen Schritten während ich mich durch den Flur bewegte und weit in der Ferne, durch das Fenster sah ich die letzten zuckenden Blitze. Doch da draussen war noch etwas. Es hockte auf dem Zaun und schaute mich an. Sein Fell war dunkel und seine Ohren spitz. Noch bevor ich das Tier weiter beobachten konnte, verschwand es im Dunkeln.
Mein erster Gedanke war, dass es ein besonders großes Exemplar einer Katze war, die sich scheinbar in dem ehemals verwahrlosten Garten heimisch fühlte. Trotz dieser offenbar einfachen Erklärung, nahm ich mir das Buch zur Hand und schlug die Seite mit den Alben auf. Eines dieser Wesen, der Nachtalb oder auch Nachtmahr hatte eine frappierende Ähnlichkeit mit der Kreatur, die ich im Garten beobachtet hatte. Aber das konnte doch nicht sein, oder? Solche Wesen existierten doch garnicht? Sie waren nur Hirngespinste!
Mit diesen Gedanken legte ich mich ins Bett, aber in dieser Nacht hatte ich einen Traum, der so schrecklich und markerschütternd war, dass ich mich nicht wage ihn zu beschreiben. Das allerdings sollt ihr wissen: das Bild des Nachtmahrs verfolgte mich.
Am nächsten Tag wurde ich von meiner Frau geweckt. Scheinbar hatte ich ungewöhnlich lange geschlafen, aber ich merkte davon nichts ausser einer Müdigkeit, die mich auch erstmal nicht verließ. Meine Glieder waren schwer und jede Bewegung war eine Anstrengung. Meine Augen mussten sich an das Licht gewöhnen und bis ich wirklich scharf sehen konnte, vergingen einige Stunden. Erst als ich richtig wach war, erinnerte mich an die Ereignisse der letzten Nacht und mich graute es.
Ich nahm mir fest vor am nächsten Tag in die Stadt zu fahren und mich von einem Arzt untersuchen zu lassen. Ich würde wahrscheinlich einfach nur verrückt sein oder geistig und körperlich erschöpft durch die jahrelange Schlaflosigkeit. Bereit für eine lange Nacht, besorgte ich mir aus der Sammlung meines Onkels einige interessante Bücher und las so allerhand über die Kreaturen der Nacht. Sie kommen des Nachts, setzen sich auf ihre Opfer und berauben sich ihrer Energie. Die Opfer haben währenddessen starke Albträume.
Erschreckenderweise traf das selbe auch auf mich zu und die Skizzen und einzelne Wortfetzen ließen darauf schließen, dass mein Onkel auch auf die selben Gedanken kam wie ich. Sollte ich es hier wirklich mit einem Wesen zu tun haben, welches mir nachts die Kraft nimmt? Ich war zwiegespalten, auf der einen Seite war ich nie ein guter Schläfer und Albträume waren bei mir an der Tagesordnung, aber der mysteriöse Tod meines Onkels, dieses Haus, sein Sammelsurium des Obskuren und die Begegnung mit diesem Ding.
Ich sagte mir, dass es ganz sicher eine Katze gewesen sei, ganz sicher. Nach einigen Stunden des Forschens und des Nachsinnens schlief ich bei Kerzenschein das Schlimmste erwartend, ein.
Am nächsten Morgen, meine Frau schlief noch friedlich, schrieb ich ihr eine Nachricht und fuhr in die Stadt, um mich einmal von einem Arzt untersuchen zu lassen. Der Arzt fand zwar nichts, empfahl mir aber, dass ich meine Arbeit einige Tage ruhen lassen und mich etwas entspannen und neue Kräfte sammeln sollte.
In den nächsten Tagen hatte ich immer mal wieder jenes Gefühl, welches ich schon einmal hatte. Dieses simple Gefühl, beobachtet zu werden. Dies legte sich aber immer nach einiger Zeit und Albträume konnte ich auch nicht bemerken, obwohl ich zugegebenerweise miserabel schlief. Trotzdem war ich entspannter als sonst. Scheinbar tat es mir gut die Schreibmaschine mal ruhen zu lassen. Doch dann aber kam jene Nacht, die die Ereignisse einleitete, die noch heute an mir nagen.
Es war wohl kurz vor Mitternacht. Ich hatte es mir am Kamin gemütlich gemacht und beobachtete die Flammen des Feuers, während ich mir ein Glas des Schnapses meines Onkels genehmigte, als ich plötzlich schläfrig wurde. Benebelt von der Wärme und dem Alkohol glitt ich langsam in den Schlaf. Erst jetzt, seit langem träumte ich wieder von dem Nachtmahr, diesem unheiligen Geschöpf aus der alten Zeit. Ich träumte er sitzt auf mir, seine Zähne in meinen Hals verbeissend. Ich schrie, schlug im Traum um mich und wachte abrupt auf. Doch was gerade noch ein Traum zu sein schien, war nun Realität. Vollkommen überrascht von den Ereignissen im Traum und dem plötzlichen Aufwachen sah ich das grauenhafte Geschöpf nur aus den Augenwinkeln wieder im Dunkeln verschwinden. Aus Panik und Verwirrung rannte ich um mein Leben, hinaus in unser Schlafzimmer, verbarrikadierte mich und zündete alle Kerzen an.
Nach einiger Zeit kam mir der Gedanke, dass meine Frau wohl bald Schichtende hat. Was wird ihr passieren, wenn sie nach Hause kommt? Ich bewaffnete mich mit einer Flasche und einer Kerze und machte mich auf den Weg, die Augen wachsam auf jede Bewegung vorbereitet.
Nichts. Es war mir aber nicht geheuer. Was war hier gerade passiert? War das wirklich passiert? Ich besuchte meine Frau im Krankenhaus und erzählte ihr nichts von dem Geschehenen. Sollte ich uns einer derartigen, wenn auch vielleicht eingebildeten Gefahr aussetzen? Es war nicht einfach für mich den Entschluss zu fassen mir einzureden, dass es sich dabei um einen Alptraum und einer Schlafstarre handelte. Meine Forschungen zum Thema hatten zumindest in der Hinsicht Früchte getragen, als dass ich mich mittlerweile mit allerhand Diagnosen und Ursachen auskannte.
Mit gedrückter Stimmung fuhren meine Frau und ich nach Hause und legten uns schlafen. Diesmal hatte ich keinen Albtraum.
Am nächsten Tag war ich frisch und munter, die Geister der Nacht waren verschwunden und ich war guter Dinge. Während meine Frau mal wieder einige Arbeiten im Gartenvollzog, räumte ich die Bücher wieder in den Keller und schloss die Tür fest zu.
In der Annahme, dass das alles nur ein böser Traum war, lebten wir einige Monate an dem Haus am Meer. Wir erlebten einige Stürme, ähnlich dem Sturm vor einigen Tagen. Wir sahen viele Katzen durch unseren Garten streunen. Sie waren nicht traurig darüber, dass der Garten nun gepflegt und schön anzusehen war. Das Haus war wieder auf Vordermann und wir fühlten uns langsam heimisch. Meine Arbeit hatte ich schon lange wieder aufgenommen und es war ein gutes Leben.
Zumindest bis zu dem Tag, der mir immer noch das Blut in den Adern gefrieren lässt. Es war eines Sommerabends und meine Frau bereitete sich, wie so oft, auf ihre Arbeit vor. Nichts von dem Grauen ahnend, was mich erwartete, ging ich mein Arbeitszimmer. In diesem angekommen merkte ich, dass ich meine Brille auf der Terrasse vergessen hatte. Um meine Brille zu holen, ging ich wieder herunter und in die Küche. Ich bereitete mir einen Kaffee zu um mich besser konzentrieren zu können, schließlich hatte ich einen Haufen Arbeit vor mir und ging in den Garten.
Das was ich da sah, erschreckte mich zutiefst. Wieder sah ich dieses Wesen sich hinter Gestrüpp versteckend. Den Kaffee ließ ich fallen, nahm meine Brille um besser sehen zu können, aber es war verschwunden. Übermannt von der selben Angst, die mich immer schon in diesem Haus packte, schloss ich die Tür zum Garten rasch zu. Durch das Fenster sah ich das Geschöpf wieder, es hielt auf mich zu. Ich rannte um mein Leben, durch jedes Fenster auf dem Weg zum Schlafzimmer sah ich ES. Ein Poltern ging durchs ganze aus. Türen gingen auf und zu und überall in jedem Schatten sah ich das schreckliche Ungetüm. Einmal mehr verbarrikadierte ich in meinem Zimmer und setzte mich in die Ecke. Das Mondlicht schien durch die Fenster und immer noch polterte es durch das ganze Haus. Ich konnte nicht mehr an mich halten und schrie so laut ich konnte. Plötzlich sah ich meine Frau über mir, es war heller Tag, und ich hörte die Vögel zwitschern. Ich fragte meine Frau was geschehen sei, ich konnte es nicht fassen. Gerade eben waren da doch noch dieses Ding und jetzt? Meine Frau erzählte mir, dass ich mal wieder einen Albtraum hatte.
Für mich war das alles so real, wie ich jetzt diese Zeilen tippe. Es war zu real. Ich überzeugte meine Frau wegzuziehen, wegzuziehen aus dieser Stadt, aus diesem Haus, der verfluchten Küste. Ich will nicht wissen, welche Wesen dort noch genistet haben. Kreaturen aus vergessenen Zeiten und anderen Dimensionen. Diese Erlebnisse haben mich für immer verändert, aber das ist nun vorbei. Hier in Baltimore fühle ich mich wohl und auch sicher. Meine Frau und ich wohnen nun in einem kleineren Haus. Ich habe zwar immer noch Probleme mit dem Schlafen, aber die Albträume sind seit dem Auszug wieder weniger geworden. Was ich allerdings in dieser Zeit gelernt habe ist, dass auch wenn jemand verrückt ist, es nicht bedeutet, dass ihn nichts beobachtet.