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Manifeste

Seniors
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01.07.2006
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Manifeste

Erstaunlicherweise gibt es hier noch keinen derartigen Thread. Oder hab ich etwas übersehen?

Es soll hier um theoretische Grundlagen des Schreibens gehen. Ja, ich denke, die hat jeder, selbst Hobbyautoren, und es ist besser, man macht sich die eigenen durch Nachdenken und Aufschreiben bewusst. Jeder folgt einer Ideologie beim Schreiben. Und es wird Zeit, dass hier auch einmal ordentlich Stellung dazu bezogen wird.

Ich stelle mir vor, dass essayartige Texte veröffentlicht werden, die nicht allzu lang sind, vielleicht so ca. zwei Seiten. Sie sollten sich auf ein einziges Grundthema konzentrieren. Ich wünsche mir außerdem, dass diese Texte durchnummeriert werden. Bei einer etwaigen Diskussion zu einer Geschichte, wo es vielleicht auch um Grundsatzfragen geht, braucht man dann nur auf die jeweilige Nummer des passenden Manifestes verweisen. Die Nummer bitte auch angeben, wenn man zu einem Grundthema hier an dieser Stelle noch etwas Grundsätzliches sagen will.
Es soll also eine Sammlung von grundsätzlichen Fragen und Problembereichen, was Schreiben betrifft, entstehen, auf die man immer wieder zurückgreifen und aber auch erweitern kann.

Die Texte müssen auch nicht unbedingt in sich logisch sein, auf jeden Fall sollten sie aber einen interessanten, eigenständigen Gedankengang beinhalten und vielleicht sogar zu neuen Ideen, was Geschichten betrifft, anregen. Vor allem aber sollten sie in gutem Sinne provokant sein!

Schön wäre auch, wenn an den Texten von den jeweiligen Autoren immer weitergearbeitet werden würde, sprich: wenn sie da wirklich um Prägnanz und Eindringlichkeit ringen würden.

Aja: „Meiner Meinung nach“ zu sagen, ist hier verboten! :D

Naja, ich muss wohl mal den Anfang machen! ;)

 

1. Die Liebe zu den Dingen

Die Dinglichkeit oder Materialität in all ihren Erscheinungen ist für mich die Basis alles Schreibens. Das Wesen der Dinglichkeit zu erfassen, ermöglicht mir, auch den Buchstaben die Materialität zu geben, die ihnen von Geburt an fehlen.

Ein erster Schritt zur Materialität ist eine tiefgehende Liebe zu den Dingen. Wobei ich unter „Ding“ alles verstehe, was es tatsächlich gibt, aber auch das, was es noch nicht gibt, was aber auch ein Ding sein könnte. Im Prinzip muss ich ja bei Science Fiction- oder Fantasy-Geschichten eine Haltung haben, als ob das alles tatsächlich existiert, worüber ich schreibe. Ja, ich denke, erst wenn man diese Liebe zu den real existierenden Dingen hat, ist man fähig, über fiktive Dinge zu schreiben.

Weiters verstehe ich unter Dingen auch Lebewesen, also auch Menschen. Wobei es da keine Hierarchie geben sollte: Dinge im engeren Sinne (Banales wie Haus, Tisch, Blume usw.) sollten in der Liebe des Autors zu den Dingen keine geringere Stellung einnehmen als Menschen. Vor dem Auge des Autors sollte alles gleich sein. Menschen als materielle Dinge zu sehen, sollte man nicht als Herabsetzung sehen, vielmehr sollte man tote Dinge in ähnlicher Weise betrachten, wie man Menschen betrachtet. Als etwas mit Seele.

Die Seele eines Dings erschöpft sich nicht in den naturwissenschaftlichen Gesetzen, denen es folgen muss, vielmehr sollte ich als Autor imstande sein, dieses Mehr, das es ausmacht, zu begreifen. Ich denke, erst wenn man ein Ding (also auch Menschen) in seinem materiellen Sein ganz erfasst, kann man langsam und vorsichtig dazu übergehen, auch etwas von seinem Inneren verstehen zu wollen.

Texte, in denen Dinglichkeit nicht vorkommt, sind ungenießbar, man kann sie als Leser nicht einverleiben. Wenn die Sinne des Lesers nichts zu tun haben, wird er sich langweilen. Es muss das berühmte „als ob“ funktionieren, der Leser muss das Gefühl haben, dass er mitten im Geschehen ist, dass er es ist, der etwas mit seinem Körper erlebt. Ich denke, gerade die überproportionale Bedienung des Augensinns durch die modernen Medien sollte der Literatur ein Ansporn sein, hier neue Wege einzuschlagen.

Unter „Liebe“ in diesem Zusammenhang verstehe ich, dass ich mich selbst auslöschen muss, wenn ich die Dinge ganz erfassen will. Man muss alles sehen, was zu diesem Ding gehört, auch die weniger schönen Dinge, und, im Sinne der Selbstauslöschung, auch das, was meiner Person zuwiderläuft oder sie stört. Und dabei geht es nicht um eine Objektivität, wie sie die Wissenschaft verlangt, vielmehr muss ich meine Subjektivität auf das Ding übertragen. Ich muss ganz es werden. Ich muss seine Art, sich zu bewegen oder bewegt zu werden, nachvollziehen können, seine Verhältnismäßigkeit zu anderen Dingen usw. Ich muss mich als dieses Ding fühlen, über das ich schreibe. Ich weiß nicht, ob dass das ist, was man allgemein unter Authentizität versteht. Aber auf jeden Fall wird man mehr zu schreiben wissen, wenn man die Dinge mit Liebe betrachtet. Völlig neue Welten werden sich auftun, man sieht mehr, mehr als das, was uns andere Erkenntnismittel nahelegen.

 

Hallo Lea!

Freut mich, dass die Provokation zumindest bei dir schon etwas gewirkt hat! :D

Ich weiss nicht, zuerst gehst du von der "Dinglichkeit aller Erscheinungen" aus, dem dann plötzlich ein "Wesen" jenseits der "Dinglichkeit" untergeschoben wird

Nein, eben nicht, kein Wesen "jenseits" der Dinglichkeit, sondern DAS Wesen der Dinglichkeit. Ich denke, dass das Materielle heutzutage schon derart als das Beherrschbare angesehen wird, dass uns die Naturwissenschaften weismachen wollen, dass es da nichts mehr gibt im Materiellen, was wir nicht schon kennen und daher auch beherrschen können. Schon möglich, dass ich "Wesen" und "Seele" hier unscharf verwende, aber ich bin keine Philosophin! ;) Ich kann hier nicht alle Begriffe scharf definieren, dann müsste ich viele Seiten schreiben.
Ich habe hier "Buchstaben", wahrscheinlich wieder etwas unscharf einfach als zusammenfassenden Begriff für die materielle Seite von Sprache und Schrift verwendet.
Was die "Metaphysik" betrifft: Wenn ich diesen Begriff streng fasse: Ja, tatsächlich, ich denke, dass die Literatur etwas anderes leisten, einen Überschuss bieten soll gegenüber dem, was die Naturwissenschaften leisten. So gesehen hab ich kein Problem mit der Metaphysik.
Der Autor kennt das "Mehr", also die Metaphysik, wenn da nicht der Genius schwirrt, oder wie Nietzsche es nennt, der "Hinter-Weltler" schwärmt, der sein Subjekt ins Göttliche verdreht, oder einfach seine inneren Zustände dreist in die "Dinge" legt, zu welchen er natürlich Liebe empfindet, weil es Selbstliebe ist.
Tut mir leid, Lea, aber diesen Satz kann ich einfach nicht verstehen, wahrscheinlich ist das zu hoch für mich! ;)

Das ist mir zu esoterisch verbrämter Idealismus, der die Subjekt-Objekt-Differenz auflöst, in dem er sie entweder einfach ignoriert oder durch Worthülsen, wie "Liebe" auflöst, im Grunde nur im Selbst um sich selbst kreist und die Aussage, die einzige, die gemacht werden kann ist: ICH, ICH, ICH!
Nein, eigentlich nicht, ich denke, ich hab deutlich gesagt, dass der Autor sich derart in die Dinge versenken muss, dass er auf sich selbst vergisst. Gerade wenn ich das Materielle als etwas Inferiores ansehe, würde die Subjekt-Objekt-Differenz aufgehoben werden, mir geht es aber darum die Dinglichkeit der Welt als gleichberechtigt neben das Subjekt zu stellen, diesem nicht untertan. Aber so einfach ist das natürlich nicht, denn auf der anderen Seite: Was die aufgehobene Subjekt-Objekt-Beziehung betrifft - Ja, ich kann die Welt nur mit meinen Sinnesorganen wahrnehmen, so gesehen ist die ganze Welt sicher auch immer meine Welt. Wenn das idealistisch ist, dann soll mir das recht sein.

Was die "Liebe" betrifft: Die Naturwissenschaften sehen die Welt mit einem analytischen Auge, und ich finde, die Literatur sollte schön langsam wieder versuchen, die Welt synthetisch zu sehen oder sympathetisch, das heißt, nach inneren Beziehungen und Verwandtschaften Ausschau halten. Wenn das Esoterik ist, wenn ich ein "Mehr" von der Literatur verlange, dann soll mir auch das recht sein.

Ich danke dir für deinen interessanten und anregenden Kommentar! :)

Gruß
Andrea

 

Hallo Woltochinon!

Ja, ich denke, da lassen sich wahrscheinliche viele Threads finden, die dafür in Frage kommen, oder sich mit meinem überschneiden. Mit einem Wort: Es ist mir klar, dass hier schon öfter über Grundsätzliches diskutiert wurde. ABER: Die Intention ist doch eine etwas andere: Meist werden Threads eröffnet, in denen irgendeine oder mehrere Fragen gestellt oder Probleme angeschnitten werden. Da kommen dann meistens Antworten, die in viele Richtungen gehen.

Mein Thread sollte aber vor allem bekenntnishaft sein, also Antworten geben, Standpunkte in konzentrierter und wenn möglich in stilistisch hochstehender Form vertreten. Womit ich nicht sagen will, dass mir das selbst schon gelungen ist, aber ich will es zumindest mal versuchen. :)

Wenn aber die Moderatoren meinen, dass "Manifeste" überflüssig ist, hab ich kein Problem damit, wenn dieser Thread wieder entfernt wird.

Gruß
Andrea

 

Jeder folgt einer Ideologie beim Schreiben.
Nö. Und selbst wenn: Den Leser interessiert die Geschichte, nicht die Ideologie des Autors, welche ohnehin schon in einer Geschichte mitschwingt.

Ich wünsche mir außerdem, dass diese Texte durchnummeriert werden.
Wieso das? Man setzt einfach einen Link zum entsprechenden Beitrag. Ist zwar aufwändiger, aber diesen Aufwand soll ein Autor, der seine Leser mit abstraktem Nonsense auf den Geist gehen will, auch investieren.

Außerdem, wenn es darum geht andere über das Warum der Präsenz auf diesem Board, über die Haltung zum Schreiben (du sagst vielleicht "Ideologie"), die eigene Meinung von "guten" Geschichten und sowas halt aufzuklären, gibt es schon einen viel geeigneteren und passenderen Ort: das Steckbrieffeld im Profil.


-- floritiv.

 

Hi FloH!

Den Leser interessiert die Geschichte, nicht die Ideologie des Autors, welche ohnehin schon in einer Geschichte mitschwingt.

Hier geht es auch nicht darum, was der Leser will.

Außerdem, wenn es darum geht andere über das Warum der Präsenz auf diesem Board, über die Haltung zum Schreiben (du sagst vielleicht "Ideologie"), die eigene Meinung von "guten" Geschichten und sowas halt aufzuklären, gibt es schon einen viel geeigneteren und passenderen Ort: das Steckbrieffeld im Profil.

Es geht weder um die Präsenz an diesem Board, noch darum, was gute Geschichten ausmacht, es geht einfach um die Grundlagen unseres Denkens, die uns zum Schreiben bringen und die Art und Weise unseres Schreibens bestimmen.

Ich weiß nicht so recht, was ich dir sonst noch auf deinen Kommentar antworten soll. Du kanzelt meinen Beitrag als "abstrakten Nonsense" ab, sprichst aber nur Dinge an, die eher nur am Rand wichtig sind. Und irgendwie hab ich das Gefühl, dass du dir nicht wirklich Mühe dabei gegeben hast, zu verstehen, was ich eigentlich meine. Kann schon sein, dass ich ich sehr abstrakt geschrieben habe, aber du hast keine einzige Frage formuliert, sondern einfach nur abgeurteilt.

Gruß
Andrea

 

Hallo Andrea nochmal :),

Hier geht es auch nicht darum, was der Leser will.
Die Manifeste sollen doch hier stehen, damit sie auch gelesen werden, nicht wahr? Hier sind jene, die die Manifeste lesen, allerdings identisch mit denen, die auch unsere Geschichte lesen sollen. KG.de ist ja keine Box mit einer Trennwand darin, in der auf der einen Seite die Autoren und auf der anderen die Leser residieren, vielmehr ist die Mehrzahl Autor und Leser in einem, was auch der Sinn dieser Plattform ist.
Letztendlich wäre die Veröffentlichung eines Manifestes, und in noch stärkerem Maße die Verweisung darauf vergleichbar mit der Marotte, durch nachträgliche Erläuterungen zu einer Geschichte zu verhindern, dass diese in den Augen der Leser werkimmanent erscheint.
Damit dies nicht passiert, damit eigene Geschichten für sich stehen können, sollten Geschichten (und daneben kurze Antwort auf Lob, Kritik und konstruktive Änderungsvorschläge) auch das Einzige sein, was man in der Autorrolle ungefragt von sich gibt. Aber was erzähl ich da, schließlich gehört die AG/Autoren noch zu meinen Lieblingsrubriken, und einige Threads hier zeugen davon, dass ich einmal anderer Meinung gewesen sein muss ;).

Du kanzelt meinen Beitrag als "abstrakten Nonsense" ab
Nicht insbesondere deinen Beitrag, muss ich dazu sagen, ich etwa hätte noch viel Schlimmeres abgeliefert. Außerdem nichts gegen dich persönlich; auf eine Frage wie nach den "Grundlagen unseres Denkens, die uns zum Schreiben bringen und die Art und Weise unseres Schreibens bestimmen" kann man nur abstrakt und vage antworten, weil die Frage selbst für mich schon abstrakt und vage ist. Sowas artet dann schnell in pseudophilosophische Gedankenknotifizierungsirritationen aus.

Vielleicht helfen ein paar Nachfragen, um Licht in mein Dunkel, in eine vielleicht doch gute Sache zu bringen:

  • Was sind ein paar konkrete, beispielhafte Grundlagen des Denkens, was kann ich mir darunter vorstellen?
  • Was meinst du mit "unser Schreiben"? Die neurophysiologischen Vorgänge, die sich im Kopf des Autors abspielen? Die Abfolge der Tastendrücke, Löschungen, Rearrangements und Tipppausen? Die Wahl von Ausdruck, Erzählmustern und Stilebenen?

Grüße,
-- floritiv.

 

Hallo Andrea,

"überflüssig" finde ich so eine fragestellung nicht. Ich denke nur, dass es günstiger ist einen bestehenden Thread zu erweitern, damit alles zu einem Thema an einer Stelle zu finden ist.

Immerhin habe ich aufgrund deines Threads überlegt, was mein Manifest wäre. Ich habe wohl keins, eher Qualitätsansprüche. Vielleicht verdirbt mir auch einfach die Assoziation "Ideolgie" das Konzept "Manifest".

Alles Gute,

Woltochinon

 
Zuletzt bearbeitet:

2. Wozu brauchen wir Manifeste oder die erste Grundlage unseres Schreibens

FLoH und Woltochinon gewidmet​

Eigentlich meine ich damit weniger, dass wir beim Schreiben inne halten und uns fragen: warum schreibe ich eigentlich, oder warum schreibe ich eigentlich auf diese bestimmte Art und Weise.
Ich glaube nicht, dass es etwas bringt, in sich zu gehen, und dort nachzusehen: Aha, hier habe ich sozusagen meine Schreibgene, oder aus diesem oder jenem Erlebnis heraus habe ich zu schreiben begonnen, oder, seht her, ich muss deswegen schreiben, damit meine einzigartige Persönlichkeit offenbart wird, oder auch, und das wäre gar kein so geringer Grund, ich sehe es so gerne, wenn sich ein sinnvoller, geordneter Satz an den anderen reiht und ein weißes Blatt oder eine Word-Seite mit schwarzen Buchstaben gefüllt wird, also ich sehe mich so gerne den Akt des Schreibens vollziehen. Der erste Grund für das Schreiben liegt nicht in uns. So gesehen war die Formulierung „die Grundlagen unseres Denkens, die uns zum Schreiben bringen“ missverständlich.

Das alles ist letztlich zweitrangig gegenüber einer Haltung, die jeder Autor haben sollte: Er muss seinen Fuß in Gebiete setzen, die vor ihm noch keiner betreten hat. Er muss seine Gedanken wie eine Angelschnur weit in unbekanntes Gewässer werfen, voll Neugier und unwissend, was er dann an der Angel haben wird. Absichtslos. Aber zuerst muss er diese Angel, bestimmte Gedanken haben, damit das möglich wird. Vielleicht ist es dazu notwendig, die Gedanken möglichst frei schweifen zu lassen, alles Eigene und bereits Bekannte abzuschalten und einfach nur ohne Wertung, unterschiedslos und umfassend wahrzunehmen. Vielleicht. Die bekannten oder realistischen oder authentischen oder subjektiven Inhalte schießen dann beim Schreiben ja von selbst wieder ein.

Es soll hier nicht um philosophische, psychologische, subjektive oder historische Gründe für das Schreiben gehen, sondern es sollen Punkte in diesen bis jetzt brach liegenden Teilen des Möglichen oder Vorstellbaren gefunden werden, die ein neues Schreiben und eine neue Sicht auf die Dinge ermöglichen. Anders hat die Literatur keine Legitimation. Damit ist aber keineswegs gemeint, dass Manifeste Literatur einen Sinn geben sollen.

Manifeste sind nichts, worin im Nachhinein, also anhand von literarischen Texten, festgestellt wird, wie diese auszusehen haben, sie sollten also keineswegs vom bereits Geschriebenen ausgehen und es daraufhin untersuchen, woraus es wohl entstanden ist, sondern sie sollten ein unhintergehbares Apriori setzen. Ich kann in so einem Manifest sagen, dass literarische Texte so und so aussehen, dieses und jenes leisten sollen, ich muss aber keineswegs begründen, warum. Der Wille, einen neuen Beginn zu setzen, zählt, nicht, ob die Gedanken darin sinnvoll oder logisch sind. Manifeste sollen keinen anderen Sinn haben als den, die darin aufgestellten Regeln zu erfüllen.

Damit soll auch klar werden, dass ich weiß, dass ich mich mit diesem ganzen Unternehmen auf schwieriges Terrain begebe, es ist mir völlig klar, wie angreifbar das alles ist, ich kann hier auch nur vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzen, manchmal tastend, manchmal ängstlich, aber doch immer weitergehend.

 
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>> mental synchronisation with andrea H.: failed. <<

Der erste Grund für das Schreiben liegt nicht in uns.
Nein? Da bin ich anderer Meinung.

Tut mir leid, ich erkenne beim besten Willen nicht, worauf du hinauswillst. Was suchst du? Wenn nicht den Grund, so dann vielleicht den Sinn und Zweck des Schreibens?

[Stumpfsinn gelöscht]

-- floritiv.

 

Hallo Andrea,

du schreibst:

„Eigentlich meine ich damit weniger, dass wir beim Schreiben inne halten und uns fragen: warum schreibe ich eigentlich, oder warum schreibe ich eigentlich auf diese bestimmte Art und Weise.“

Den ‚glücklichen [kulturellen] Wilden’ , der aus sich selbst heraus, unbeeinflusst, ohne sein Tun zu hinterfragen, schreibt, wird es schwerlich geben, da wir nicht isoliert aufwachsen und Leben, zu unserer Genetik noch die Gesellschaft kommt (schon Ortega y Gasset hat formuliert: ‚Ich bin ich und meine Umstände’).

Du sagst „zuerst muss er diese Angel, bestimmte Gedanken haben“. Was, wenn das „beim Schreiben innehalten“ diese „bestimmten Gedanken“ repräsentiert? Wer weiß, wo er steht, kann dann wirklich

„seinen Fuß in Gebiete setzen, die vor ihm noch keiner betreten hat. Er muss seine Gedanken wie eine Angelschnur weit in unbekanntes Gewässer werfen, voll Neugier und unwissend, was er dann an der Angel haben wird. Absichtslos.“

Das Folgende ist ein hehres Ziel, wobei sich die Frage ergibt, inwieweit das „Mögliche“ endlich ist.

„sondern es sollen Punkte in diesen bis jetzt brach liegenden Teilen des Möglichen oder Vorstellbaren gefunden werden, die ein neues Schreiben und eine neue Sicht auf die Dinge ermöglichen“

Wenn ein Manifest so definiert ist: „Manifeste sollen keinen anderen Sinn haben als den, die darin aufgestellten Regeln zu erfüllen“ kann zwar das Manifest theoretisch absichtslos (weil zufällig, unter der Einschränkung von ‚Ortega’) sein, aber wenn man sich im Manifest bewegt beeinträchtigen die Regeln meinen ‚Angelradius’ .

Das Ganze sieht doch nach kreativem Schreiben aus, innerhalb gewisser Grenzen (Regeln), wie man es in der experimentellen Literatur betrieben hat - im Gegensatz zum völlig freien Schreiben, welches schnell unsinniger Selbstzweck wird, da es zu nicht kommunizierbaren Texten führt. Auch im Futurismus (und Dadaismus) gab es Manifestansätze.

„Damit soll auch klar werden, dass ich weiß, dass ich mich mit diesem ganzen Unternehmen auf schwieriges Terrain begebe“

Klar, wer hinterfragt und Neues probiert, hat es schwerer, als der ‚geistige Stubenhocker’. Ich finde es gut, wenn du dir solche prinzipielle Gedanken machst.
Ich wünsche dir viel Erfolg!

L G,

tschüß Woltochinon

 

"Der Mann streichelt einen Hund" ist aber kein fixierter Satz, denn im Kopf des Lesers wird er wieder lebendig. Dann ist "der Mann" doch wieder ein Idee, ein Konzept, denn jeder Leser wird sich einen darunter vorstellen, den Prototypen eines Mannes, vielleicht einen Filmhelden, einen Freund, sich selbst, den eigenen Vater. Er wird ihn auch anziehen, er könnte einen grauen Anzug und Hut tragen oder eine besudelte Jogginghose, obwohl der Satz selbst dazu keinen Anlass gibt.
Und auch der Hund wird bei jedem Menschen anders auftauchen. Ein Schäferhund? Oder ein kleiner Dackel? Und wie wird er gestreichelt? Beugt sich der Mann zu ihm herunter und berührt nur kurz den Kopf? Oder streicht er ihm über den Rücken?

Natürlich wird etwas fixiert, wenn es bezeichnet wird, aber der Leser decodiert diese Fixierung wieder in eigene Bilder.
Ich hab das Gedicht von Rilke gerne gelesen, weil es etwas Wichtiges behandelt, aber schlußendlich geht es um etwas recht Banales, das nicht die Metaphysische-Ebene erreicht, die Rilke ihm gerne zuweisen würde. Und man ist hier auch in einem Konflikt, denn viele Leser, geprägt durch die Zunahme des Fernsehens, wünschen sich fixierte Bilder, fertige Bilder. Sie loben die "präzise" Sprache, das fixierte, die Details der Bilder. Die großen "Erzähler" werden auch deshalb gelobt, weil sie sich den Zeit und den Platz nehmen genaue Bilder zu malen, die Ideen so zu fixieren, dass jeder Leser dasselbe Bild im Kopf hat.
Deshalb sind doch Romane, deren Stoff eigentlich nur für 150 Seiten reicht, 400 Seiten dick. Die amerikanische Beschreibungsliteratur hat ihren Siegeszug schon lange angetreten.

Gruß
Quinn

 

Hallo Blackwood!

Zunächst freut es mich, dass dich mein Text dazu angeregt hat, selbst etwas dazu zu verfassen. Allerdings muss ich einiges zurückweisen.

Die materiellen, sinnlich erfassbaren Dinge sind der Ursprung der Wörter, des Sprechens und des Schreibens. Das Reden beginnt nicht bei den Ideen, sondern bei den Dingen. Die Liebe zu den Dingen, und ja, ich hab mich da nicht bei der Wortwahl vertan und sehe auch nicht ein, was daran rosarot sein soll, meint keineswegs die Liebe zu ihrem materiellen Wert. Ich glaube, gerade der Umstand, dass man Ideen als wertvoller ansieht als die Dinge, macht letztere zu Objekten. Genau DAS trennt die Ideen, oder das, was man in den Dingen entdecken kann, von ihnen ab. Ich hab auch nirgends gesagt, dass ich die Dinge auf analytisch-naturwissenschaftliche Weise betrachten und dann benennen will. Ich glaube auch, wie Rilke in dem Gedicht, dass das die Dinge tot macht. Ich habe auch nirgends gesagt, dass ich die Dinge gänzlich erklären will. Ich habe ganz deutlich gesagt, dass wir die Dinge wieder auf synthetische und nicht analytische Weise betrachten sollen. Damit wir wieder begreifen lernen, dass wir eben keine reinen Geistwesen sind, die nur aus Zufall oder weil wir bestraft werden, mit einem Körper behaftet sind. Die materiellen Dinge, und dazu zählt auch unser Körper, sollten nicht als Untertan der Ideen angesehen werden. Sondern ich denke, dass Materialität eine eigene Logik hat, die unserer Verstandeslogik vielleicht entgegensteht oder zumindest in eine andere Richtung geht. Der aufklärerische Wille, den Körper durch den Geist oder die Ideen zu überwinden, hat der Sprache ihre Lebendigkeit genommen. Wörter wurden im Zuge der wachsenden Bedeutung der Naturwissenschaften dazu degradiert, nur mehr ihre repräsentative Aufgabe zu erfüllen, deren materiellen Anteile, das Lautliche und das Rhetorische, wurde zurückgedrängt.

„Aber genau dadurch wird die Sprache nichts anderes mehr sein als ein besonderer Fall der Repräsentation [...] Die tiefe Zusammengehörigkeit der der Sprache und der Welt wird dadurch aufgelöst. Der Primat der Schrift wird aufgehoben, und damit verschwindet jene uniforme Schicht, in der sich unendlich das Gesehene und das Gelesene, das Sichtbare und das Aussagbare kreuzten.“ (Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge)
Wenn es literarische Texte nicht schaffen, der Sprache ihr „rohes Sein“ zurückzugeben, werden sie ihre Legitimation verlieren. Und ich denke, das können sie nur, wenn sie etwas von der Sinnlichkeit der Dinge übernehmen, indem sie nicht einfach die Idee von Dingen repräsentieren, sondern die Dinge selbst ZEIGEN. Und zwar nicht so, wie wir sie in Filmen sehen, sondern ich denke, dass literarische Sprache den Dingen tatsächlich noch näher kommt, weil sie alle Sinne ansprechen kann. Nicht anderes wollte ich sagen.

Gruß
Andrea

 

Philosophiert bitte nicht das Schreiben tot, ja? Ich neige selbst zum Philosophieren, und mir ist allmählich bewusst geworden, dass man sich damit vorzüglich vom Wesentlichen ablenkt und sich letztendlich keinen Gefallen damit tut. Philosophieren ist Grübeln (für nicht-studierte Laien wie mich), man wringt den Geist aus, und der auf diese Weise gewonnene augenscheinliche Saft der Erkenntnis entpuppt sich als schales Wasser.
Wahre Erkenntnis tropft von selbst aus unserem Geist, wenn er entspannt ist.

Mein Wort zum Sonntag+1,
und viel Spaß weiterhin,


-- floritiv.

 

Wahre Erkenntnis tropft von selbst aus unserem Geist, wenn er entspannt ist.

Ist das jetzt der reine Nektar der Erkenntnis oder doch auch nur schales Wasser? :D

 

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