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Mangozeit

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24.11.2007
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Mangozeit

Der Deckenventilator gibt sein Bestes und dreht sich mit ohrenbetäubendem Geratter, so dass er den Anschein erweckt, er würde sich jeden Moment aus seiner Verankerung reißen und auf die ausgebleichten rot-weißen Steinfliesen krachen.
Es nützt nicht viel. Eliezer fließt trotzdem der Schweiß in Bächen über die Stirn. Er wischt ihn mit dem Handrücken ab. Die Regenzeit sollte eigentlich längst da sein.
„Ich sehe bei euch ist es auch verdammt heiß mein Junge!“
Eliezers Vater grinst seinen Sohn schief aus dem Skype-Fenster auf Eliezers Computer im Internetcafé an.
Heute ist Sonntag. Sonntag ist Skype-Tag. Jeden Sonntag fährt Carmen mit Eliezer und Carlos in die Stadt ins Internetcafé, damit sie mit ihrem Vater reden können.
Dieser fährt sich gerade durch seine schwarzen, lockigen Haare. Das Video ist ziemlich verpixelt, aber Eliezer freut sich trotzdem, seinen Vater so dicht vor sich zu sehen. Er sieht müde aus.
„Ja es ist ziemlich heiß. Die Hühner finden kaum noch etwas zum Picken, so verdorrt ist alles.“
„Ich hoffe euch geht es besser als den armen Hühnern!? Kauft euch Tia Carmen genug zu Essen und ordentliche Kleider für die Schule von dem Geld das ich euch schicke? Meine Jungs müssen schließlich groß und stark werden!“
„Ja uns geht es prima Papa!“, sagt Eliezer ein wenig lauter als beabsichtigt, da ironischerweise genau in diesem Moment sein Magen laut zu knurren anfängt.
Der Vater arbeitet bei einem Schrotthändler in Costa Rica, schon viele Jahre. Kurz nach dem Tod der Mutter bei Carlos' Geburt hat er das Land verlassen. Er will seiner Familie in Nicaragua ein besseres Leben ermöglichen.
Eliezer hört seinem kleinen Bruder zu, der dem Vater aufgeregt plappernd von der Spiderman-Pinata auf dem Geburtstag seines besten Freundes Manuel erzählt. „Es waren Kaugummis und Lollis drin!“, berichtet er stolz.
Er ist seinem Vater erst zweimal begegnet.
Tia Carmen betritt schnaufend und mit Einkaufstüten bepackt das Internetcafé. Die Tante ist eine dicke Frau mit zurück gekämmten dunklen Haaren und ausgewaschener Bluse. Mit dröhnender Stimme unterhält sie sich mit Rosa, der Betreiberin des Internetcafés, über die gestiegenen Preise für Avocados, während sie sich mit einem Stück Papier Luft zu fächelt und ihren Neffen zu verstehen gibt, dass sie sich von ihrem Vater verabschieden sollen. Die halbe Stunde ist gleich vorbei, das Guthaben für das Internet fast aufgebraucht. Die Jungs winken ihrem Vater zu. Der winkt zurück.
„Tschüss Jungs, bis nächste Woche!“
Dann wird der Bildschirm schwarz.

„Eliezer! Eliezer! Steh endlich auf du Bengel! Dein Vater würde sich schämen wenn er wüsste, wie faul sein Sohn ist!“
Eliezer setzt sich auf seiner Matratze auf und strampelt sich aus dem Moskitonetz. Es ist schon hell draußen, durch die Ritzen in der Hüttenwand dringen Sonnenstrahlen und zeichnen Streifen auf den gestampften Lehmboden. Eliezer schlüpft in seine ausgetretenen Plastik Flip-Flops. Eigentlich waren sie mal grün, aber der Staub hat sie in ein hässliches Beige verwandelt.
Vor dem Häuschen steht die Regentonne. Jetzt in der Trockenzeit ist meist nur ganz unten am Boden etwas Wasser, denn das einzige Wasser das es jetzt gibt kauft Tia Carmen in Eisblöcken, die sie schmelzen lässt.
Eliezer taucht mit einem Plastikbecher tief in die Tonne und schüttet sich etwas Wasser ins Gesicht und über die Haare. Er schüttelt sich. Zum Glück spendet der große Mangobaum im Garten etwas Schatten und lässt die Hitze draußen braten. Während er die Sau, die behaglich und faul unter dem Schatten des gigantischen Mangobaums liegt, mit dem Fuß zur Seite scheucht, säubert Eliezer eine Mango vom Staub und schält die grüne Schale geschickt herunter, bis nur noch das orangen faserige Fruchtfleisch übrig bleibt. Die Sau grunzt empört und bewegt sich keinen Meter, und Eliezer grunzt auch ein wenig als er in die saftige Frucht beißt und ihm der klebrige Saft das Kinn und den Hals hinunter läuft.
Er wirft den Stein achtlos auf den Boden, wischt sich mit dem nackten Unterarm über das verschmierte Gesicht, nimmt einen riesigen, mit Mangos gefüllten Sack der an der Hauswand lehnt und geht dann wieder nach drinnen.
Tia Carmen und Carlos sitzen in Plastikstühlen vor dem Fernseher und schauen irgendeine mexikanische Telenovela, in der die Hauptdarsteller immer unrealistisch hübsch, unrealistisch reich und unrealistisch weiß sind.
Carlos springt auf als er seinen Bruder sieht und zieht sich das weiße, zur Schuluniform gehörende Hemd an. Es ist leicht gräulich vom Staub, aber Carlos trägt es jeden Morgen neu mit einem gewissen Stolz. Auch jetzt strafft er merklich dir Brust, als er den letzten Knopf seines Hemdes zuknöpft. Er packt Bleistift, Radiergummi und Schulheft in seinen mit Disneymotiven verzierten Plastikrucksack und macht sich zusammen mit Eliezer auf den Weg.
"Adiós Tia Carmen“, ruft er im Hinausgehen.
„Adiós, seid brav Kinder!“, gibt die Tante zurück, ohne von ihrer Telenovela aufzuschauen.

„Wieso gehst du eigentlich immer in diese komische Schule für große Kinder?“, fragt Carlos zum wiederholten Mal, während die Brüder nebeneinander die Straße entlang trotten.
„Karla ist elf, so wie du, und sie geht auch bei uns in die sechste Klasse. Und Maria-Lydia ist sogar zwölf.“
„Das ist eine spezielle Schule“, murmelt Eliezer unwirsch. „Weißt du doch.“
Auf der linken Straßenseite taucht die Grundschule auf. Kinder in Schuluniformen drängen sich durch das Tor im Maschendrahtzaun auf den Schulhof.
„Tschüss Großer, viel Spaß!“, ruft Eliezer seinem kleinem Bruder zu, der im Getümmel verschwindet. Carlos Disneyrucksack hüpft beim Rennen auf seinem Rücken auf und ab, dann ist er verschwunden.
Eliezer zieht sich den prall gefüllten Sack mit Mangos fester über die Schulter und läuft weiter die geteerte Hauptstraße entlang. Nur ab und zu taucht ein kleines Häuschen auf, ansonsten säumt dichtes Gestrüpp die Carretera.
Mit lautem Gehupe nähert sich der Bus. Es ist ein ausrangierter amerikanischer Schulbus, so wie alle öffentlichen Busse hier. Eliezer hält den Arm hoch, der Bus wird langsamer und der Gehilfe des Busfahrers zieht Eliezer noch im Fahren in den rollenden Bus, während er ununterbrochen „Granada Granada Granada“ ruft.
Der Bus ist völlig überfüllt und Eliezer bleibt nichts anderes übrig als sich mit seinem Mangosack, der ihm bis zur Brust reicht, zwischen zwei dicke Marktfrauen und ihre Körbe mit Früchten und lebendigen Hühnern zu stellen und versuchen, nicht umzufallen. Beim nächsten Halt steigt ein Mann ein, der mit dröhnender Stimme Angst und Schrecken verbreitet, und den verängstigten Mitfahrern dann als Lösung aller Probleme Tabletten gegen Parasiten, Hirntumore und Analphabetismus verkauft. Eliezer wird fast zerdrückt und bekommt kaum noch Luft. Die Halteschnur seines Sacks hat tiefe Striemen in seine Handflächen geschnitten. Er muss in der Stadt Pflaster kaufen.

Später sitzt Eliezer auf einem umgedrehten Plastikeimer und versucht erfolglos, die Horden an Fliegen zu verscheuchen, die seit Stunden um seine vor ihm auf dem Boden liegenden Mangos schwirren. Dabei ist es bei ihm und seinen Mangos nicht einmal so schlimm. Andere Marktstände, vor allem die, die riesige rohe Fleischstücke oder Fische anbieten, werden regelrecht von Fliegenschwärmen überfallen. Dass das Fleisch seit Stunden in der sengenden Sonne liegt, macht es nicht besser.
Ein süßlicher, leicht fauliger Duft liegt über dem gesamten Markt.
Die Geschäfte sind heute nicht besonders gut gelaufen. Es ist Mango-Hochsaison, jeder zweite Stand bietet Mangos an und versucht sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen, indem er sie zu immer noch niedrigeren Preisen verkauft. Mit Mangos kann man um diese Jahreszeit definitiv kein Vermögen verdienen. Aber Mangos sind alles, was Eliezer hat.
Wenn auch nur für die Hälfte des Preises von vor einigen Wochen, so sind doch fast alle Mangos verkauft. Eliezer weiß nicht wie spät es ist, aber es muss schon später Nachmittag sein, die Sonne steht tief und auch die anderen Händler haben einen Großteil ihrer Ware verkauft und packen zusammen.
Die Zunge klebt Eliezer trocken im Gaumen und von den Stunden in der prallen Sonne ist ihm schwindelig. Er winkt eine der Frauen zu sich, die in großen Schalen auf ihrem Kopf Wassertütchen tragen und und lässt sich das Wasser gierig in die raue Kehle tropfen. Es macht keinen Sinn mehr weiter hier zu sitzen, heute wird er nichts mehr verkaufen. Die Geldmünzen liegen schwer in seiner Tasche. Scheine sind kaum dabei. Eliezer sammelt die letzten fünf Mangos ein und packt sie zurück in seinen Stoffsack.
Natürlich kann er sie morgen nicht mehr verkaufen, die Sonne hat sie weich und matschig gemacht. Aber die einzige Nahrungsquelle der Familie wegzuwerfen ist undenkbar.
Jetzt braucht er aber etwas Richtiges in den Magen. Den Sack über die Schultern gehängt schlendert er die Straßen entlang, auf der Suche nach etwas, von dem er nicht weiß, was es ist.
Die Sonne geht innerhalb von Minuten unter, aber nach Hause gehen möchte er nicht.
Je weiter Eliezer sich vom Markt entfernt und je näher er der Innenstadt kommt, desto sauberer werden die Straßen, desto farbenfroher und ordentlicher die kleinen Steinhäuschen. Die Menschen haben sich vor ihre Häuser gesetzt, auf Plastikstühlen oder der Bordsteinkante beobachten sie das immer noch lebhafte Treiben auf den jetzt dunklen Straßen. Laute Reggaetonmusik erschallt aus verschiedenen Straßenecken und versucht sich gegenseitig zu übertönen, die Straßencomedore haben ihre Grills aufgestellt und frittieren auf dem Bürgersteig Huhn, Bananen und Gallo Pinto, was sie in großen Bananenblättern servieren. Eliezers Magen krampft sich zusammen, der Geruch nach Frittiertem erinnert ihn daran, dass er den ganzen Tag nichts gegessen hat.
"Eliezer! Qué tal? Alles klar?"
Jemand tippt Eliezer auf die Schulter und als er sich umdreht steht Francisco vor ihm. Er klatscht dessen Hand ab.
"Hóla. Alles bestens und bei dir?"
"Mir geht es immer gut", meint Francisco und grinst. "Die Jungs und ich gehen auf die Calzada, komm mit!"
Die Calzada ist die einzige Touristenstraße im Land, alle Weißen die sich irgendwie hierher verirrt haben und einige der Nicas aus der Stadt treffen sich hier am Abend und essen und trinken in einem der unzähligen Straßenrestaurants. Hier bezahlen sie den dreifachen Preis. Das machen die Tischdecken auf den Plastiktischen, die sauber gekehrte Straße, der Blick auf die restaurierte Kathedrale und die Straßenkünstler, die hier ihre Feuertänze aufführen. Es stört sie nicht.
Eliezer mag die Calzada nicht. Er fühlt dort immer eine seltsame Spannung, von der er nicht weiß woher sie kommt. Aber er nickt Francisco zu, der zu seinen Freunden zurück gegangen ist und sich ungeduldig nach Eliezer umsieht.
"Klar komm ich mit. Da wollte ich gerade sowieso hin."
Auf der Calzada bietet sich das gewohnte Bild. Die Straßencafés sind prall gefüllt, um diese Jahreszeit kommen besonders viele Touristen ins Land.
Francisco, Daniel und die anderen Jungs haben sich ihre geflochtenen Binsenkörbe, in denen sie Kaugummis, Bonbons und einzelne Zigaretten zum Verkauf anbieten auf die Schultern gestemmt und fangen an, systematisch ein Restaurant nach dem anderen abzuarbeiten. Lauthals rufen sie ihre Ware aus und gehen dann von einem Tisch zum nächsten, um selbige mit einem möglichst mitleiderregenden Blick vor den Gästen zu präsentieren.
Das ist nicht sehr schwierig, die ausgewaschenen, vom Staub gräulich gefärbten Kleider sprechen ihre eigene Sprache. Die Touristen reagieren sehr unterschiedlich auf die barfüßigen Jungen, manche kaufen eine Kleinigkeit, ein Mann ermahnt sie seien zu jung um sich um diese Uhrzeit auf der Straße herumzutreiben, aber die meisten ignorieren die ambitionierten Verkäufer oder scheuchen sie davon wie lästige Insekten.
Eliezer weiß nichts richtig mit sich anzufangen während die anderen Jungen verkaufen, er steht da mit seinen fünf matschigen Mangos und kommt sich ziemlich dämlich vor.
Francisco scheint das bemerkt zu haben, jedenfalls kommt er auf Eliezer zu, gibt ihm einen vertrauten Klaps auf die Schulter und meint: "Komm mit mir mit, von mir kannst du lernen wie man richtig Geschäfte macht!"
Und dabei grinst er breit und zeigt seine vielen Zahnlücken.
Eliezer versucht sich an einem erwachsenen Gesichtsausdruck und folgt Francisco von einem Tisch zum nächsten, von einem Restaurant zum nächsten.
Viel verkauft Francisco nicht, hier und da ein paar Zigaretten oder zwei, drei Bonbons für ein paar Centavos.
An einem Irish Pub ist Pubquiz, wie jeden Mittwoch. Eine junge Frau steht am Eingang und stellt durch ein Megaphon die Fragen, und die Gäste sitzen in großen Gruppen dicht gedrängt über einem Stück Papier und beraten sich über die Antworten. Manchmal, bei Fragen die Nicaragua betreffen, fragen sie die Straßenjungs um Hilfe, dann lassen sich die besten Geschäfte machen.
Momentan können Eliezer und Francisco sicher nicht helfen, gefragt ist die Jahreszahl des Baus von irgendeiner Mauer in Deutschland.
Trotzdem winkt ein junger Mann in einem weißen Muscleshirt und kurzen braunen Haaren die Jungs zu sich heran.
"Sagt mal Jungs, habt ihr auch was Richtiges zum Rauchen?"
Er zwinkert verschwörerisch.
Francisco zeigt wieder seine Zahnlücken. "Si Senor! Allerbeste Qualität!" Stolz zieht er unter einer Ladung Lollis einen kleinen, mit Gras gefüllten Beutel hervor. Der junge Mann scheint überzeugt zu sein, denn er kramt in seinem gefüllten Portemonnaie nach Geldscheinen.
Eliezer überlässt Francisco die Geschäfte und erfährt gerade noch, dass die ominöse deutsche Mauer 1961 erbaut wurde.
Dann ist Francisco fertig, schultert seinen Korb wieder und geht mit der stolzgeschwellten Brust eines Geschäftsmannes voran zum nächsten Restaurant.

Eine Stunde später versammeln sich die ganzen Jungs am Parque Central direkt neben der Kathedrale. Sie lümmeln auf den weißen Bänken und trinken Cola.
Die Stimmung ist aufgeheizt, anscheinend haben ein paar Jungs irgendwo Bier oder Rum geschnorrt.
Im Gegensatz dazu sitzen ein paar andere Jungen mit starrem Blick teilnahmslos an einen Baum gelehnt. Es ist nicht schwierig zu erraten, was sich in den Plastiktüten in ihren Händen befindet.
Daniel zieht eine eben solche Tüte aus der Tasche hervor und kommt dann auf Eliezer zu.
„Was hast du denn heute verdient? Wenn du hier dabei sein willst, solltest du dich schon ein bisschen beteiligen, meinst du nicht?“
Der Klebstoff schließt jedes Loch im Magen und ist dabei billiger als jedes Lebensmittel.
Ein älterer, ungefähr 15 Jahre alter Junge mischt sich ein. Er spukt verächtlich auf den Boden.
„Was willst du mit dem Scheiß? Der da hat viel besseres Zeug!“
Er geht auf Francisco zu und will ihm seinen Korb entreißen.
"Spinnst du!? Das ist nur zum Verkauf, viel zu teuer!"
Francisco schlägt seinem Angreifer blitzschnell mit der Faust in den Magen. Der braucht einige Sekunden, um sich von diesem Schock zu erholen, dann stürzt er sich auf Francisco.
„Hijo de Puta! Das kriegst du zurück!“
Ein wildes Gedränge entsteht als die anderen Jungen sich laut rufend und fluchend einmischen und für einen der Jungs Partei ergreifen.
Doch plötzlich erstarrt und verstummt die eben noch ineinander verkeilte Menge. Einer der Jungs hat ein Messer gezogen. Drohend geht er mit der blitzenden Klinge auf die gegnerischen Gruppe zu. „Mach kein Scheiß man!“ ertönt es aus der Menge, doch der Junge erhebt weiter mit finsteren funkelnden Augen das Messer. Vor Francisco bleibt er stehen. Ganz langsam legt er ihm das Messer an die Kehle. Keiner der Umstehenden wagt es zu atmen. In der Ferne dudelt Reggeatonmusik. Die Klinge drückt sich in die weiche Haut und ein dünner roter Blutfaden sickert unter der Klinge hervor. „Pass das nächste Mal auf, mit wem du dich anlegst!“, zischt der Angreifer und lässt dann endlich von Francisco ab.

Es musste so kommen! Der Deckenventilator hat seinen Geist aufgegeben und hängt nutzlos in seiner Verankerung.
Es fällt schwer die feuchte Luft einzuatmen, einzelne Schweißtröpfchen bilden sich auf Eliezers Stirn, bevor sie auf die Steinfliesen des Internetcafés tropfen. Plopp.
Im Skypefenster auf dem Bildschirm erzählt ein ebenfalls ziemlich erschöpft wirkender Vater gerade von einem Baseball-Spiel, das er mit seinen Kollegen letzte Woche organisiert hat.
„Und was habt ihr letzte Woche getrieben meine Jungs?“
„Ach, dies und das“, murmelt Eliezer ausweichend.
Er lacht ein wenig betreten. „Die Mangos sind reif, wir haben alle schon Bauchschmerzen so viele haben wir gegessen! Nicht mal die Sau will noch welche haben!“
„Und wie war es in der Schule?“, erkundigt sich der Vater wie jede Woche. Carlos plappert sofort drauf los. Er hat das P und das T schreiben gelernt. „Ich hab eine ganze Seite lang „Papa“ geschrieben!“
„Super mein Sohn! Und du Eliezer, was hast du gelernt?“
Eliezer zögert. „Ach was man in der Schule eben so lernt. Mathematik und solche Sachen..“
Dann kommt ihm ein Gedanke. Er grinst. „Und Geschichte. Dass die Mauer in Deutschland 1961 gebaut wurde!“
Der Vater lacht und zum ersten Mal verschwinden die dunklen Schatten unter seinen Augen.
„Ich bin stolz auf dich! Aus dir wird noch was! Aber ich sehe gerade, die Zeit ist um... Wir sehen uns nächsten Sonntag! Adiós meine Lieben!“
Und dann wird der Bildschirm schwarz.

 

Hallo Hellbunt,

das Kleinzeug zuerst.

Der Deckenventilator gibt sein Bestes und dreht sich mit ohrenbetäubendem Geratter, so dass er den Anschein erweckt, er würde sich jeden Moment aus seiner Verankerung reißen und auf die ausgebleichten rot-weißen Steinfliesen krachen.
Bei dem Satz verliert das Bild des Ventilators kurz vorm Absturz dadurch, dass du so viele Wörter benutzt, um es umzusetzten. Versuch den mal einzudampfen. Wenn du das gleiche (oder sehr nahe dran) Bild mit weniger Worten schaffst, ist es häufig besser. Vor allem verwendest du viele Adjektive für die Steinfliesen. Da kann auch was raus.

Eliezer fließt trotzdem der Schweiß in Bächen über die Stirn.
Das Bild ist ziemlich verbraucht.

Heute ist Sonntag. Sonntag ist Skype-Tag. Jeden Sonntag fährt Carmen mit Eliezer und Carlos in die Stadt ins Internetcafé, damit sie mit ihrem Vater reden können.
Da sind viele Sonntage drin. Mein Vorschlag: Sonntag ist Skype-Tag und Carmen fährt mit Elizier und Carlos ins die Stadt ins Internet Cafe, damit sie mit ihrem Vater reden können.

Oder in zwei Sätzen. Sprich nach Tag einen Punkt und das "und" weglassen.

ein wenig lauter als beabsichtigt, da ironischerweise genau in diesem Moment sein Magen laut zu knurren anfängt.
Ironischerweise ist Leserbevormundung. Das kapiert so gut wie jeder, dass da eine Diskrepanz herrscht zwischen Gesagtem und der Realtität. Es ist viel Stärker, wenn du den Leser solche Schlüsse selbst ziehen läßt. Gerade wenn's so einfache Sachen sind.
Und ich würde das "laut" bei "knurren" streichen. Erstens gibt das jetzt nicht wirklich mehr Information und du hast auch schon ein "lauter" im Satz.

Jetzt in der Trockenzeit ist meist nur ganz unten am Boden etwas Wasser, denn das einzige Wasser das es jetzt gibt kauft Tia Carmen in Eisblöcken, die sie schmelzen lässt.
Also genau betrachtet ist das "denn" logisch nicht ganz richtig. Weil der Grund für die leere Tonne ist der fehlende Regen. Lass einfach das "denn" weg und mach zwei Sätze draus und das Problem ist geregelt.

Während er die Sau, die behaglich und faul unter dem Schatten des gigantischen Mangobaums liegt, mit dem Fuß zur Seite scheucht, säubert Eliezer eine Mango vom Staub und schält die grüne Schale geschickt herunter, bis nur noch das orangen faserige Fruchtfleisch übrig bleibt.
Da sind viele, viele Adjektive drin. Und eine Schale schälen ist auch doppeltgemoppelt. Vorschlag: "Während er die Saude, die behaglich im Schatten des Mangobaumes liegt, mit dem Fuß zur Seite scheucht/verscheucht, säubert Eliezer eine Mango vom Staub und schält sie, bis nur noch das fasrige Fruchtfleisch bleibt.
Wären deutlich weniger Adjektive. Und man liegt im Schatten nicht unter einem.

Die Sau grunzt empört und bewegt sich keinen Meter, und Eliezer grunzt auch ein wenig als er in die saftige Frucht beißt und ihm der klebrige Saft das Kinn und den Hals hinunter läuft.
Hier habe ich das Problem: Du sagt er verscheut die Sau, dann kommt der lange Teil mit der Frucht und anschließend erfahre ich, die Sau bewegt sich doch nicht. Ich muss da mein Bild von der Situation revidieren. Ich denke, mit iener kürzeren Version des ersten Satz, gäbe es das Problem nicht so und warte mal, ob das noch wem auffällt, oder ob nur ich das sehe.

Er wirft den Stein achtlos auf den Boden, wischt sich mit dem nackten Unterarm über das verschmierte Gesicht, nimmt einen riesigen, mit Mangos gefüllten Sack der an der Hauswand lehnt und geht dann wieder nach drinnen.
Wieder viele Adjektive. "Achtlos" kann raus, weil's durch die Tatsache, dass er die Steine zu Boden wirft schon impilziert ist. "verschmiert" würde ich auch raus nehmen und "riesigen", "nackt" vielleicht auch. Der Satz funktioniert einfach auch ohne die Beiworte und gewinnt für mich dadurch sogar.

kleines Häuschen
Auch so eine Tautologie. Ein Häuschen ist klein. Das "dicht" im gleichen Satz kann eingentlich auch raus.

Andere Marktstände, vor allem die, die riesige rohe Fleischstücke oder Fische anbieten, werden regelrecht von Fliegenschwärmen überfallen.
Vorschlag: Marktstände, die rohes Fleich oder Fisch(e) anbieten, werden von Fliegenschwärmen überfallen.
Da hättest du das Bild stärker kompromiert und wenn ohnehin nur die Fisch/Fleisch-Stände wichtig sein, lass die anderen doch einfach weg.

Allgemein würde ich dir raten mehr auf Adjektive zu achten. Ich meine nicht, dass du generell keine verwenden sollst, sondern achte mal drauf, wenn du eines benutzt, ob du das auch wirklich brauchst. Ist es dir wirklich wichtig, hat es Aussagekraft oder steckt es vielleicht schon in den anderen Wörter mit drin, wird's da mitgetragen und muss gar nicht mehr hingeschrieben werden?

Es musste so kommen!
Der Satz fällt für mich aus dem Rahmen. Ich kann mich nicht erinnern, dass du solche Aussage sonst wo im Text hast. Da greift der Erzähler plötzlich stärker ein als sonst. Würd ich persönlich rausnehmen.

Zum Text als Ganzes:

Der ist angenehm rund geschrieben. Ich hab das Gefühl, du hast dir Gedanken gemacht und die Geschichte sauber umgesetzt. Das ist schon mal viel. Ich hab jetzt keine Logikbrüche gesehen oder wirklich grobe Schnitzer. Deine Sprache ließt sich flüssig.

Aber ich denke, du hast ein leichtes Fokusproblem. Du zeigst hier sehr viel:

- Vater in Ausland
- Sohn geht nicht zur Schule, sondern Arbeitet, sagt das aber nicht seinem Bruder
- Arbeit mit den "Freunden"
- Kampf + Messer
- Skypegespräch plus Lüge

Ich vermute mal der Kampf ist als Höhepunkt gedacht. Als das krasseste Beispiel aus dem Leben der Hauptfigur. Aber der bleibt ziemlich blass, weil du dem Rest so viel Raum gibst und dem Kampf relativ wenig. Falls es dir also wirklich um diesen Kampf als Höhepunkt geht, würde ich mich stärker darauf konzentrieren. Und vor allem sollte deine Hauptfigur irgendwie daran beteiligt sein und sei es nur Emotional. Jetzt fällt die einfach weg, solange der Kampf stattfindet.

Überhaupt könnte Eliezer mehr Profil vertragen, da kann noch einiges an Tiefe ran. Denn ich erfahre ja nur, wie sein Leben ist, nicht aber wie er sich damit auseinander setzt. Und gerade da liegt, für mich, das Potential deiner Geschichte. Denn die reinen Merkmale von Gewalt und Armut sind für mich nicht sonderlich interessant, weil ich da literarische Beispiele kenne und entsprechend "abgestumpft" bin. Das ist jetzt nicht deine Schuld, aber für mich verschenkst du einfach viel.
Ein bisschen hast du diese Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben schon drin, er erzählt ja weder seinem Bruder noch seinem Vater, was wirklich ab geht.
Aber mehr, wäre da besser. Mich interessiert Eliziers Sicht auf die Armut und Gewalt, nicht die Armut und Gewalt an sich.

Kurz gesagt:

- sauber gearbeitete Gesicht, keine groben Fehler, flüssige Sprache
- mehr auf Adjektive achten (welche braucht es, welche nicht)
- überlegen, wo der Fokus liegen soll und die Geschichte entsprechen aufbauen
- der Hauptfigur mehr Tiefe geben

Ich hoffe du kannst was damit anfangen. Und wichtig: Du hast bereits ein Fundament, auf dem du aufbauen kannst. Das ist schon mal viel.

Gruß,
kew

 

Hallo Kew,

vielen Dank für deine Kritik!
Es stimmt schon, dass die Geschichte nicht ganz so auf den Punkt gebracht, oder wie du es nennst, fokusiert ist, deshalb hatte ich mir auch überlegt, ob ich sie überhaupt hochladen soll.
Ich wollte eigentlich keinen Fokus auf den Kampf oder das Leben in der Gewalt legen, ich wollte eher zeigen wie einfach solche negativen Dinge in einem entsprechenden Umfeld "einfach passieren".
Eliezer ist noch ein kleiner Junge, der in diesem Umfeld aufgewachsen ist, er reflektiert nicht ständig was ihm passiert und was er sieht, er ist es einfach nicht anders gewohnt. Dementsprechend gibt es auch kein Gut und Böse, er wird (wie die anderen auch) einfach so mehr und mehr mit hineingezogen.
Hm is das nachvollziehbar?
Ich kann aber gut nachvollziehen, dass das Ganze von außen (vor allem wenn man die Mentalität dort nicht kennt) ziemlich blass wirkt. Da hatte ich Schwierigkeiten das richtig umzusetzen, eben so dass man trotzdem etwas vom Protagonisten und seinen Gefühlen erfährt und ein Spannungsbogen zustande kommt. Deshalb hilft mir deine Kritik auf jeden Fall schonmal weiter :)
Vielleicht werde ich die Geschichte bei Gelegenheit nochmal rausnehmen und versuchen, sie gezielt auf wenige Aspekte zu fokusieren.

Viele Grüße,
Hellbunt

 

Hallo nochmal,

deshalb hatte ich mir auch überlegt, ob ich sie überhaupt hochladen soll.
Das Problem kenne ich auch. Ich überlege manchmal auch, ob ich das wirklich hochladen soll. Quinn hat dazu mal gesagt, dass es wichtig ist bei Forentexten die Eitelkeit zu verlieren - sprich nicht hochladen, weil man hofft, der Text ist gut, sondern, um etwas zu lernen.
Somit also: Gut dass du den Text trotz Zweifeln reingestellt hast.

Ich wollte eigentlich keinen Fokus auf den Kampf oder das Leben in der Gewalt legen, ich wollte eher zeigen wie einfach solche negativen Dinge in einem entsprechenden Umfeld "einfach passieren".
Ja aber damit hast du doch eine Ausrichtung: Umstände => Gewalt. Und ich hab derzeit ein wenig das Gefühl, dass deine Umständ eigentlich schon eigene Themen sind, gerade die Sache mit dem Vater, der weg ist.
Aber das ist nur meine Sicht.

Eliezer ist noch ein kleiner Junge, der in diesem Umfeld aufgewachsen ist, er reflektiert nicht ständig was ihm passiert und was er sieht, er ist es einfach nicht anders gewohnt.
Da hab ich mich wohl missverständlich ausgedrückt. Ich meinte nicht, der soll ewig viel nachdenken, so als Beobachter, der alles versteht. Sondern mir fehlt ien bisschen die emotionale Beteiligung. Ich weiß zum Beispiel nicht, ob es ihn stört Mangos zu verkaufen, oder ob ihn der Kampf erschreckt, er ihn normal findet, oder gar beführwortet. Du zeigst mir, wie seine Welt ist, aber nciht wie er sie verarbeitet (gar nicht so sehr interlektuell, sonder emotional).

Gruß,
Kew

 

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