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Manfred kämpft
Es war Sonntagabend, kurz vor zehn Uhr und Manfred Radtke saß am Fenster. Eine kleine, leer getrunkene Flasche Cognac lag vor ihm auf dem Teppich. Der Mond sah jeden Abend anders aus, je nachdem wie man selber so drauf war, fand Manfred. War ja logisch, aber auch ein dämlicher Gedanke, irgendwie.
Er stand auf und holte sich den Wodka aus dem Gefrierfach. Es brannte angenehm im Hals und Magen. Er kippte das Bier hinterher um den Geschmack abzuschwächen. Er hatte den Pegel erreicht bei dem sein Stoffwechsel normal funktionierte und alles erleuchtet war.
Er bekam den Drang aufzustehen um mit dem Abend etwas anzufangen. Er stand auf und fragte sich erst einmal, womit man überhaupt anfing, wenn man etwas im Haushalt machen wollte, vielleicht gab es ja Regeln oder so. „Natürlich“, dachte er, ging in die Küche, schaltete das Licht an und fing an das dreckige Geschirr zu spülen, das dort seit Tagen stand. Er verscheuchte die Fliegen und schüttete Spülmittel mit Waldkräuterduft in das Wasser.
Vertieft in den Vorgang des Spülens, fiel ihm ein, dass er doch aufhören wollte mit dem Saufen. Genau, er erinnerte sich. Morgen würde der große Tag sein und heute Abend würde er zum Abschluss richtig einen Trinken.
„Das Amt für Vorwürfe ist heute geschlossen“, sagte er. Dann dachte er daran eine Spritztour zu machen, ließ das Geschirr im Spülwasser liegen und ging in den Flur um sich anzuziehen.
Fünfundsechzig Kilo zeigte die Waage, das blaue T-Shirt mit Flecken hing schlaff auf seinen dünnen Schultern. Auf dem rechten Unterarm war eine schlecht gestochene Meerjungfrau und auf dem linken Ellenbogen ein Spinnennetz tätowiert. Im Spiegel sah er seinen langen Kopf, die kleinen Augen, eine platte Nase und den ungleichmäßigen, borstigen Kurzhaarschnitt. Er verließ die Wohnung mit dem Wodka in der Hand, ließ aber das Licht an und den Fernseher laufen, weil es angenehmer war nach Hause zu kommen, wenn irgendjemand sabbelte, auch wenn es der bescheuerte Fernsehkommentator war.
Sein blauer Ford Taunus Baujahr 1981 stand auf der anderen Straßenseite. Er kannte jede Schraube von dem Wagen. Den nächsten TÜV würde er nicht mehr erleben, der Lack war verblichen und das Fahrgestell verrostet. Er öffnete die Tür, setzte sich hinter das Steuer und lehnte sich rüber zu der Beifahrerseite um nach Zigaretten zu suchen, zwischen McDonald's-Tüten, leeren Plastikflaschen und zerquetschten Bierdosen. Er fand drei Stück auf dem Boden. Der Motor sprang nach einigen Versuchen an. Manfred lenkte das Fahrzeug auf die Straße. Mit runtergekurbeltem Fenster und ausgestrecktem Ellenbogen ging es los, genau wie früher, als er oft durch die Gegend gefahren war. Er fuhr runter zum Rhein und parkte den Wagen an einer abgelegenen Stelle mit Sicht auf das Wasser.
Die Flasche Wodka hatte noch eine dünne Eisschicht. Das Gift brannte in den Eingeweiden, kickte in den Kopf und machte Manfred ganz weich von innen. Im Radio lief Born in the U.S.A von Bruce Springsteen. Bei so etwas konnte man wenigstens mitsummen, nicht so wie bei diesem Schwachsinn den sie nur noch spielten. Er fand eine Dose Bier in der Türablage und knackte sie auf.
Was viele ja machten war mit Autoabgasen abzutreten. Er schaute nach hinten, ob da nicht noch der Gartenschlauch lag, für den Auspuff, um das andere Ende dann durch das Fenster zu stecken, einfach so, nur um den Gedanken weiter zu folgen. Aber da lag kein Schlauch.
Einen Moment lang überlegt Manfred wie es wohl wäre, den Wagen einfach nach vorne zu steuern, durch den Drahtzaun, dass er über die Reling kippte. Nur eine Idee, nur so zum Spaß. Aber Ertrinken war bestimmt kein schöner Tod, das konnte lange dauern. Am Ende überlegte man es sich dann anders, tauchte wieder auf, die verdammte Karre war im Arsch und man musste die Bergungskosten bezahlen. Die dunkle Wasseroberfläche war friedlich. Er startete den Motor und steuerte den Wagen langsam nach vorne, nur um ein Gefühl für die Situation zu bekommen, einfach nur so. Als der Gedanke an Gewicht gewann und ihn hinunterzog, schüttelte er den Kopf wie eine Bulldoge.
„Halt endlich die Fresse“, sagte er zu sich selber und der Gedanke versank. Aus einem Impuls heraus wendete er den Wagen auf die Straße. Ihm war danach in die Stadt zu fahren um vernünftig einen drauf zu machen.
Auf dem Weg erschienen Wohnhäuser, Tankstellen und Kneipen. An der roten Ampel schmiss er die leere Dose Bier in die Büsche eines Parks. Die alte Frau in dem schwarzen Fiat 900, die auf der Gegenspur stand, schüttelte den Kopf. Manfred zeigte ihr den Mittelfinger und wollte bei Rot losfahren aber der Motor soff ab. Die Ampel sprang auf Grün und er legte einen stotternden Start hin um bloß schnell wegzukommen
Er fuhr weiter in Richtung Innenstadt vorbei an der Autobahnbrücke, dem Gay-Video Shop, dem Gebrauchtwaren Geschäft und den Dönerläden. In der Stadt saßen gut gelaunte Menschen in Bars mit Karibik Flair. Selbst die Kneipen am Bahnhof waren an diesem Abend überfüllt. Er bog ab und fuhr in Richtung Industriegebiet. Auf einem örtlichen Sender spielten sie das komplette Album After the Rain von Muddy Waters. Manfred fuhr weiter, vorbei an kantigen Firmengebäuden, dem verlassenen Güterbahnhof und einem Schrottplatz. Unter der Stahlbrücke standen die jungen Prostituierten. Er hatte leider kein Geld für so etwas. Am Ende der Straße sah er eine junge Schwarze, mit riesigen goldenen Ohrringen, einem hellblauen Lidschatten, enges weißes T-Shirt dazu ein pinker Minirock. Sie stand da wie ein kreischendes Graffiti.
Manfred trat auf das Gas und fuhr auf die Autobahn. Manfred schaltete hoch in den vierten Gang, ließ die Kupplung gewalttätig anspringen, die Reifen rutschten durch, fingen sich und zogen ab. Das Lenkrad begann zu zittern bei hundertzwanzig Kilometer die Stunde. Der Motor ächzte und die Zylinderkolben stießen schneller und schneller.
Rechts erschien der verlassene, beleuchtete LKW Parkplatz. Manfred trat auf die Bremse, zog das Lenkrad zum Anschlag nach rechts und rutschte quer über die Einfahrt auf die Parkfläche. Der Wagen brach aus und drehte sich um die eigene Achse. Fliehende Lichter um ihn herum. Er kam mit einem Ruck zum Stehen, öffnete die Tür und erbrach den sauren Mageninhalt auf den Asphalt. Sein Herz raste.
Von dem Parkplatz fuhr er mit zitternden Händen zurück auf die Autobahn, dann runter auf eine Kreuzung, niemand sonst war unterwegs. Irgendwo schrie ein Mann und Glas zerbrach. Die Ampeln waren im Störbetrieb und gaben ein gelangweiltes, orangefarbenes Blinken von sich.