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Manfred kämpft

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12.11.2017
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Manfred kämpft

Es war Sonntagabend, kurz vor zehn Uhr und Manfred Radtke saß am Fenster. Eine kleine, leer getrunkene Flasche Cognac lag vor ihm auf dem Teppich. Der Mond sah jeden Abend anders aus, je nachdem wie man selber so drauf war, fand Manfred. War ja logisch, aber auch ein dämlicher Gedanke, irgendwie.
Er stand auf und holte sich den Wodka aus dem Gefrierfach. Es brannte angenehm im Hals und Magen. Er kippte das Bier hinterher um den Geschmack abzuschwächen. Er hatte den Pegel erreicht bei dem sein Stoffwechsel normal funktionierte und alles erleuchtet war.
Er bekam den Drang aufzustehen um mit dem Abend etwas anzufangen. Er stand auf und fragte sich erst einmal, womit man überhaupt anfing, wenn man etwas im Haushalt machen wollte, vielleicht gab es ja Regeln oder so. „Natürlich“, dachte er, ging in die Küche, schaltete das Licht an und fing an das dreckige Geschirr zu spülen, das dort seit Tagen stand. Er verscheuchte die Fliegen und schüttete Spülmittel mit Waldkräuterduft in das Wasser.
Vertieft in den Vorgang des Spülens, fiel ihm ein, dass er doch aufhören wollte mit dem Saufen. Genau, er erinnerte sich. Morgen würde der große Tag sein und heute Abend würde er zum Abschluss richtig einen Trinken.
„Das Amt für Vorwürfe ist heute geschlossen“, sagte er. Dann dachte er daran eine Spritztour zu machen, ließ das Geschirr im Spülwasser liegen und ging in den Flur um sich anzuziehen.
Fünfundsechzig Kilo zeigte die Waage, das blaue T-Shirt mit Flecken hing schlaff auf seinen dünnen Schultern. Auf dem rechten Unterarm war eine schlecht gestochene Meerjungfrau und auf dem linken Ellenbogen ein Spinnennetz tätowiert. Im Spiegel sah er seinen langen Kopf, die kleinen Augen, eine platte Nase und den ungleichmäßigen, borstigen Kurzhaarschnitt. Er verließ die Wohnung mit dem Wodka in der Hand, ließ aber das Licht an und den Fernseher laufen, weil es angenehmer war nach Hause zu kommen, wenn irgendjemand sabbelte, auch wenn es der bescheuerte Fernsehkommentator war.
Sein blauer Ford Taunus Baujahr 1981 stand auf der anderen Straßenseite. Er kannte jede Schraube von dem Wagen. Den nächsten TÜV würde er nicht mehr erleben, der Lack war verblichen und das Fahrgestell verrostet. Er öffnete die Tür, setzte sich hinter das Steuer und lehnte sich rüber zu der Beifahrerseite um nach Zigaretten zu suchen, zwischen McDonald's-Tüten, leeren Plastikflaschen und zerquetschten Bierdosen. Er fand drei Stück auf dem Boden. Der Motor sprang nach einigen Versuchen an. Manfred lenkte das Fahrzeug auf die Straße. Mit runtergekurbeltem Fenster und ausgestrecktem Ellenbogen ging es los, genau wie früher, als er oft durch die Gegend gefahren war. Er fuhr runter zum Rhein und parkte den Wagen an einer abgelegenen Stelle mit Sicht auf das Wasser.
Die Flasche Wodka hatte noch eine dünne Eisschicht. Das Gift brannte in den Eingeweiden, kickte in den Kopf und machte Manfred ganz weich von innen. Im Radio lief Born in the U.S.A von Bruce Springsteen. Bei so etwas konnte man wenigstens mitsummen, nicht so wie bei diesem Schwachsinn den sie nur noch spielten. Er fand eine Dose Bier in der Türablage und knackte sie auf.
Was viele ja machten war mit Autoabgasen abzutreten. Er schaute nach hinten, ob da nicht noch der Gartenschlauch lag, für den Auspuff, um das andere Ende dann durch das Fenster zu stecken, einfach so, nur um den Gedanken weiter zu folgen. Aber da lag kein Schlauch.
Einen Moment lang überlegt Manfred wie es wohl wäre, den Wagen einfach nach vorne zu steuern, durch den Drahtzaun, dass er über die Reling kippte. Nur eine Idee, nur so zum Spaß. Aber Ertrinken war bestimmt kein schöner Tod, das konnte lange dauern. Am Ende überlegte man es sich dann anders, tauchte wieder auf, die verdammte Karre war im Arsch und man musste die Bergungskosten bezahlen. Die dunkle Wasseroberfläche war friedlich. Er startete den Motor und steuerte den Wagen langsam nach vorne, nur um ein Gefühl für die Situation zu bekommen, einfach nur so. Als der Gedanke an Gewicht gewann und ihn hinunterzog, schüttelte er den Kopf wie eine Bulldoge.
„Halt endlich die Fresse“, sagte er zu sich selber und der Gedanke versank. Aus einem Impuls heraus wendete er den Wagen auf die Straße. Ihm war danach in die Stadt zu fahren um vernünftig einen drauf zu machen.
Auf dem Weg erschienen Wohnhäuser, Tankstellen und Kneipen. An der roten Ampel schmiss er die leere Dose Bier in die Büsche eines Parks. Die alte Frau in dem schwarzen Fiat 900, die auf der Gegenspur stand, schüttelte den Kopf. Manfred zeigte ihr den Mittelfinger und wollte bei Rot losfahren aber der Motor soff ab. Die Ampel sprang auf Grün und er legte einen stotternden Start hin um bloß schnell wegzukommen
Er fuhr weiter in Richtung Innenstadt vorbei an der Autobahnbrücke, dem Gay-Video Shop, dem Gebrauchtwaren Geschäft und den Dönerläden. In der Stadt saßen gut gelaunte Menschen in Bars mit Karibik Flair. Selbst die Kneipen am Bahnhof waren an diesem Abend überfüllt. Er bog ab und fuhr in Richtung Industriegebiet. Auf einem örtlichen Sender spielten sie das komplette Album After the Rain von Muddy Waters. Manfred fuhr weiter, vorbei an kantigen Firmengebäuden, dem verlassenen Güterbahnhof und einem Schrottplatz. Unter der Stahlbrücke standen die jungen Prostituierten. Er hatte leider kein Geld für so etwas. Am Ende der Straße sah er eine junge Schwarze, mit riesigen goldenen Ohrringen, einem hellblauen Lidschatten, enges weißes T-Shirt dazu ein pinker Minirock. Sie stand da wie ein kreischendes Graffiti.
Manfred trat auf das Gas und fuhr auf die Autobahn. Manfred schaltete hoch in den vierten Gang, ließ die Kupplung gewalttätig anspringen, die Reifen rutschten durch, fingen sich und zogen ab. Das Lenkrad begann zu zittern bei hundertzwanzig Kilometer die Stunde. Der Motor ächzte und die Zylinderkolben stießen schneller und schneller.
Rechts erschien der verlassene, beleuchtete LKW Parkplatz. Manfred trat auf die Bremse, zog das Lenkrad zum Anschlag nach rechts und rutschte quer über die Einfahrt auf die Parkfläche. Der Wagen brach aus und drehte sich um die eigene Achse. Fliehende Lichter um ihn herum. Er kam mit einem Ruck zum Stehen, öffnete die Tür und erbrach den sauren Mageninhalt auf den Asphalt. Sein Herz raste.
Von dem Parkplatz fuhr er mit zitternden Händen zurück auf die Autobahn, dann runter auf eine Kreuzung, niemand sonst war unterwegs. Irgendwo schrie ein Mann und Glas zerbrach. Die Ampeln waren im Störbetrieb und gaben ein gelangweiltes, orangefarbenes Blinken von sich.

 

Hej svendraht,

diese kleine Introspektion deines Protagonisten hat mich erreicht. Ich wurde getragen von der einfachen Sprache (ich übertrug es auf die Schlichtheit deines Protagonisten), vom melancholischen Ton (ich hatte den Eindruck von Resignation, obwohl ein Kampf angekündigt wird), der Umstände (alleinlebender, einsamer Alkoholiker), der äußeren und inneren Atmosphäre (ein düsterer Abend ohne Ziel).
Ich war also ganz bei Manfred.

Der Mond sah jeden Abend anders aus, je nachdem wie man selber so drauf war, fand Manfred. War ja logisch, aber auch ein dämlicher Gedanke, irgendwie.

Das gab den Ausschlag für meine Empathie. Manfred langweilt sich, sinniert über den Mond, weil er sich mit irgendetwas beschäftigen möchte, bemerkt aber die Sinnlosigkeit selbst.

Es war Sonntagabend, kurz vor zehn Uhr und Manfred Radtke saß am Fenster. Eine kleine, leer getrunkene Flasche Cognac lag vor ihm auf dem Teppich. Der Mond sah jeden Abend anders aus, je nachdem wie man selber so drauf war, fand Manfred. War ja logisch, aber auch ein dämlicher Gedanke, irgendwie.
Er stand auf und holte sich den Wodka aus dem Gefrierfach. Es brannte angenehm im Hals und Magen. Er kippte das Bier hinterher um den Geschmack abzuschwächen. Er hatte den Pegel erreicht bei dem sein Stoffwechsel normal funktionierte und alles erleuchtet war.
Er bekam den Drang aufzustehen um mit dem Abend etwas anzufangen. Er stand auf und fragte sich erst einmal, womit man überhaupt anfing, wenn man etwas im Haushalt machen wollte, vielleicht gab es ja Regeln oder so. „Natürlich“, dachte er, ging in die Küche, schaltete das Licht an und fing an das dreckige Geschirr zu spülen, das dort seit Tagen stand. Er verscheuchte die Fliegen und schüttete Spülmittel mit Waldkräuterduft in das Wasser.

Die Wiederholung deiner Satzanfänge mit Pronomen spiegelt den Inhalt der Eintönigkeit gut wieder. Manfred realisiert seine Situation, glaubt aber wohl selbst nicht an den großen Tag, benötigt nur eine Genehmigung für sich, weiter zu trinken. Ein so trauriges Schauspiel.

Das Amt für Vorwürfe ist heute geschlossen“, sagte er. Dann dachte er daran eine Spritztour zu machen, ließ das Geschirr im Spülwasser liegen und ging in den Flur um sich anzuziehen.

Wie nett er noch mit sich selbst umgeht, wie wenig konzentrationsfähig er bereits ist. Ich mag die Bilder, die du um Manfred herum entwickelst sehr gerne. Manfred ist ein sympathischer, bedauerlicher Kerl.

Er kannte jede Schraube von dem Wagen.

Es gab Zeiten, an denen Manfred sich beschäftigte, sich interessierte, es gab bessere Zeiten. Mir genügt das. Ich benötige für diese Perspektive keine Anhäufung von Bildern vom Gestern.

Mit runtergekurbeltem Fenster und ausgestrecktem Ellenbogen ging es los, genau wie früher, als er oft durch die Gegend gefahren war.

Und weil ich so gut mitfühlen kann und ihn genau verstehe, wie er in seinem alten Wagen sitzt und sich spürt, empfinde ich den Zusatz genau wie früher, als er durch die Gegend gefahren war als überflüssig, denn genau das dachte ich über ihn, als ich das las. Und mehr. ;)

Das Gift brannte in den Eingeweiden, kickte in den Kopf und machte Manfred ganz weich von innen.

Hier bin ich etwas überfordert, kann ich mir unter kickte den Kopf und weich von innen nichts vorstellen. Und genau das würde ich gerne. Was fühlt Manfred, auch körperlich. Weich, im Sinne von sanft? Oder bräsig und gedankenlos? Ich bräuchte noch etwas Hilfestellung.

Was viele ja machten war mit Autoabgasen abzutreten. Er schaute nach hinten, ob da nicht noch der Gartenschlauch lag, für den Auspuff, um das andere Ende dann durch das Fenster zu stecken, einfach so, nur um den Gedanken weiter zu folgen. Aber da lag kein Schlauch.

Im ersten Satz fehlt ein Komma. Es war klar, dass selbstmordgedanken früher oder später auftauchen würden. Mir gefällt es, dass du auch an dieser Stelle souverän bei der Melancholie, der Gleichgültigkeit bleibst, Manfred nicht hektisch werden lässt oder verzweifelt. Ein runder Charakter.

Als der Gedanke an Gewicht gewann und ihn hinunterzog, schüttelte er den Kopf wie eine Bulldoge.

Bulldogge passt nicht so gut zu dem Bild, dass ich vom hageren Manfred habe.

Halt endlich die Fresse“, sagte er zu sich selber und der Gedanke versank. Aus einem Impuls heraus wendete er den Wagen auf die Straße. Ihm war danach in die Stadt zu fahren um vernünftig einen drauf zu machen.

Auch eine gute und schlichte Wendung, hin zum Leben. Sehr stimmig.

Auf dem Weg erschienen Wohnhäuser, Tankstellen und Kneipen.

Mir gefällt das Verb nicht so gut, weil es mir wie eine Fata Morgana vorkommt, dabei sieht Manfred gerade ja wieder klarer.

An der roten Ampel schmiss er die leere Dose Bier in die Büsche eines Parks. Die alte Frau in dem schwarzen Fiat 900, die auf der Gegenspur stand, schüttelte den Kopf. Manfred zeigte ihr den Mittelfinger und wollte bei Rot losfahren aber der Motor soff ab.

Eine Wendung auf emotionaler Ebene. Kommt gut. Gut austarierte Bilder.

Er fuhr weiter in Richtung Innenstadt vorbei an der Autobahnbrücke, dem Gay-Video Shop, dem Gebrauchtwaren Geschäft und den Dönerläden. In der Stadt saßen gut gelaunte Menschen in Bars mit Karibik Flair. Selbst die Kneipen am Bahnhof waren an diesem Abend überfüllt

Manfred wechselt auf die Aussenpersektive, realisiert sein Umfeld, das Lebendige.

Manfred schaltete hoch in den vierten Gang, ließ die Kupplung gewalttätig anspringen, die Reifen rutschten durch, fingen sich und zogen ab. Das Lenkrad begann zu zittern bei hundertzwanzig Kilometer die Stunde. Der Motor ächzte und die Zylinderkolben stießen schneller und schneller.
Rechts erschien der verlassene, beleuchtete LKW Parkplatz. Manfred trat auf die Bremse, zog das Lenkrad zum Anschlag nach rechts und rutschte quer über die Einfahrt auf die Parkfläche. Der Wagen brach aus und drehte sich um die eigene Achse. Fliehende Lichter um ihn herum. Er kam mit einem Ruck zum Stehen, öffnete die Tür und erbrach den sauren Mageninhalt auf den Asphalt. Sein Herz raste.

Etwas finden, um sich lebendig zu fühlen. Ich mag es, dass du nutzt, was bereits vorhanden ist und einmal wichtig für ihn war.

Von dem Parkplatz fuhr er mit zitternden Händen zurück auf die Autobahn, dann runter auf eine Kreuzung, niemand sonst war unterwegs. Irgendwo schrie ein Mann und Glas zerbrach. Die Ampeln waren im Störbetrieb und gaben ein gelangweiltes, orangefarbenes Blinken von sich.

Und gerade, als seine Emotionalität den Höhepunkt erreicht hat, kehrt er auf die Autobahn zurück, realisiert erneut die Eintönigkeit im Bild der blinkenden Ampel. Wobei du meinetwegen gelangweilt streichen könntest, denn alles passt und ist klar, weil du Bilder geschaffen hast, die aussagekräftig sind.

Es gefällt mir gut, wie du ganz in dieser Szene bleibst und nicht ausschweift, weder in die Vergangenheit, denn die ist in einem Fall wie seinem so beliebig und jeder Leser darf sich das Drama aussuchen, welches zum Ist-Zustand geführt hat, noch in eine imaginäre Zukunft.

Danke für diese Geschichte. Ich wünschte, Manfred ginge seinen Weg auf einer anderen Spur weiter.

Freundlicher Gruß, Kanji

 
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Hallo svendraht

Mir hat einiges an deinem Text gut gefallen, das Geschirrspülen, die Fahrt durch die Nacht, das ist zuweilen schön gefärbt, hat Atmosphäre. Ich versuche, ein paar Hinweise darauf zu geben, wie man das eventuell noch verstärken könnte.

Es war Sonntagabend, kurz vor zehn Uhr und Manfred Radtke saß am Fenster.

Diese Zeitabgabe killt die Atmosphäre, bevor sie entstehen kann. Das liest sich wie der erste Satz eines Protokolls. Es ist ja nicht wichtig, an welchem Wochentag die Geschichte spielt, wenn doch, dann solltest du das später elegant einfliessen lassen, in einem Nebensatz.

Eine kleine, leer getrunkene Flasche Cognac lag vor ihm auf dem Teppich.

Warum ist die Flasche klein? Ich würde bei einem so kurzen Text jedes Adjektiv gezielt einsetzen. Leer, ja, das ist wichtig. Aber klein?

Der Mond sah jeden Abend anders aus, je nachdem wie man selber so drauf war, fand Manfred. War ja logisch, aber auch ein dämlicher Gedanke, irgendwie.

Das gefällt mir nicht so, dieses explizite: „fand Manfred“. Ist natürlich eine Frage des Stils, aber in meinen Augen wird ein Text dichter, du kommst auch näher an die Figur ran, wenn du ihre Gedanken, ihre Sicht auf die Welt, direkt formulierst. Dazu brauchst du jeweils eine kleine Markierung, die dazu überleitet, hier vielleicht so etwas wie: Manfred sah aus dem Fenster. Der Mond hing über den Dächern …

Der erste Abschnitt könnte dann so lauten, nur als Vorschlag, um zu verdeutlichen, was ich meine:

Manfred Radtke saß am Fenster. Eine leere Flasche Cognac lag vor ihm auf dem Teppich. Er zog die Vorhänge auf, sah den Mond über den Dächern. Jeden Abend sah er anders aus, der Mond, je nachdem, wie man selber drauf war. Logisch. Aber auch ein dämlicher Gedanke, irgendwie.

Er kippte das Bier hinterher um den Geschmack abzuschwächen.

Infinitivsätze, die mit „um“ eingeleitet werden, erhalten zwingend ein Komma. Das hast du mehrfach im Text, auch andere Kommafehler, unter anderem auch vor Relativsätzen. Ich würde das noch mal durchgehen.

. Er hatte den Pegel erreicht bei dem sein Stoffwechsel normal funktionierte und alles erleuchtet war.

Hier zum Beispiel. Komma nach „erreicht“.

Er bekam den Drang aufzustehen um mit dem Abend etwas anzufangen. Er stand auf und fragte sich erst einmal, womit man überhaupt anfing, wenn man etwas im Haushalt machen wollte, vielleicht gab es ja Regeln oder so. „Natürlich“, dachte er, ging in die Küche, schaltete das Licht an und fing an das dreckige Geschirr zu spülen, das dort seit Tagen stand. Er verscheuchte die Fliegen und schüttete Spülmittel mit Waldkräuterduft in das Wasser.

Hier stört mich wieder dieses „Natürlich“, dachte er. Ich sehe da auch nicht die Funktion dieses Gedankens.
„dreckige“ kannst du weglassen. Ist ja klar, wenn er spült und das dort seit Tagen steht.

Vertieft in den Vorgang des Spülens, fiel ihm ein, dass er doch aufhören wollte mit dem Saufen. Genau, er erinnerte sich. Morgen würde der große Tag sein und heute Abend würde er zum Abschluss richtig einen Trinken.

Die Formulierung „vertieft in den Vorgang des Spülens“ ist ein wenig umständlich. Du könntest das ja auch zeigen. Die Ärmel hochgekrempelt, schrubbt er mit der Bürste, bis der Schmutz sich endlich löst. Und dann vielleicht wieder den Übergang zu seinen Gedanken ohne „fiel ihm ein“ und „erinnert er sich“. Er schrubbt. Morgen würde der grosse Tag sein. Morgen würde er aufhören. Und heute würde er zum Abschluss richtig einen trinken (trinken klein geschrieben). So was in der Art. Das ermöglicht meines Erachtens einen direkteren Blick in Manfreds Kopf.

Er verließ die Wohnung mit dem Wodka in der Hand, ließ aber das Licht an und den Fernseher laufen, weil es angenehmer war nach Hause zu kommen, wenn irgendjemand sabbelte, auch wenn es der bescheuerte Fernsehkommentator war.

Neulich hat mir jemand gesagt, man solle als Autor stets davon ausgehen, dass der Leser mindestens so klug ist wie man selbst. Wenn du Manfred also einfach das Licht brennen und den Fernseher laufen lässt, wenn er die Wohnung verlässt, werden sich die Leser dieses Verhalten vermutlich genau so erklären, wie du das im Text tust. Nur dass sie dann das Gefühl haben, selbst etwas entdeckt zu haben an Manfreds Charakter. Wenn du meiner Einschätzung nicht traust, dann kannst du einen Hinweis auf das Nachhausekommen geben: „Er liess das Licht an und den Fernseher laufen. Später, wenn er wieder nach Hause kommen würde, wäre schon jemand am sabbeln, ein Fernsehkommentator oder die Frau von der Tagesschau.“ So was. Also, manchmal reicht es schon, das „weil“ wegzulassen, damit die Leser nicht das Gefühl bekommen, die Figur werde erklärt. Aber, wie gesagt, man kann da auch weitergehen und noch stärker darauf vertrauen, dass die Leser kapieren, weshalb eine Figur so handelt, wie sie es tut.

Ich hoffe, die Hinweise, die ich gegeben habe, lassen sich auch auf andere Abschnitte anwenden. Bin gespannt, ob du Lust hast, noch am Text zu arbeiten, und wie das Ergebnis aussieht.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
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Hi @Kanji,

danke vielmals für dein Feedback. Deine Anmerkungen sind sehr ausführlich und gefühlvoll. Der Text ist schon etwas älter und er kann definitiv Überarbeitung gebrauchen. Ich freue mich für den Text, deine schönen Verbesserungen einzubauen. Es hilft mir auch ein bisschen besser zu verstehen, was ich da geschrieben habe ^^

Beste Grüße

Sven

Lieber @Peeperkorn,

ich fühle mich geehrt, dass du dir meinen Text vorgenommen hast und vielen Dank für das hochwertige Feedback. Ich werde alles so definitiv einbauen, da ich auch nicht denke, dass der Text mir gehört und durch mehrere Leute einfach an Leben gewinnt. Da ich zur Zeit noch eine andere Kurzgeschichte überarbeite und mir vorkomme wie ein Bergarbeiter, in den dunklen Minen meines Kopfes, wird es etwas dauern, aber dann werden die entsprechenden Stellen überarbeitet.

Danke dir !

Sven

 

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