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mandala
Ich habe Halsschmerzen. Und jede Menge Arbeit. Also lasse ich mich von dem kleinen Kratzen im Hals nicht von meinem Rechner fern halten.
…Ok es ist zehn Uhr, ich habe Kopfschmerzen, mein Schädel brummt. Kommt davon, wenn man zu lange auf den Bildschirm schaut. Oder hat das was mir meinen Mandeln zu tun? Hey, ich mag Mandeln: auf dem Kuchen, mir Schokolade überzogen, auf meinem Magnum-Eis – oh ja, ein Magnum...(eiskalt…es könnte diesen Schmerz in der rechten Mandel betäuben).
Aber in Wirklichkeit sind Mandeln rote, geschwollene, verklebte Hautfetzen in meinem Hals. Was ich alles anstellen musste um die Dinger überhaupt erst einmal zu SEHEN! So tief hinten im Hals- zu hässlich für das Tageslicht!
Ich ergreife einfache, präventive Maßnahmen für die Nacht: die Sportunterwäsche, der Schlafanzug, die Stricksocken von Oma, der kuschelige Fliesschal und die Skimütze sollten ausreichen. Leider habe ich keinen Schnaps mehr, nur noch Amaretto, und der wird aus Mandeln gemacht…
Am nächsten Morgen geht es mir beschissen. Aber wenn das Rauschen in meinen Ohren kurzzeitig nachlässt, kann ich das Blut in meinen Mandeln pochen hören. Gott sei Dank, sie sind also nicht über Nacht abgefault, auch wenn sie sich so anfühlen. Ich löse den Schal und erforsche meine pulsierenden Lymphknoten. Ein brüllender Schmerz. Ich werte auch das als Lebenszeichen.
Ich bin ein erwachsener Mensch, keine wehleidige Memme und unterdrücke daher mein Wehwehchen mit meiner Willenskraft und vier bis fünf Aspirin. Ja, mein Gott, es ist Rosenmontag am schönen Rhein, ich lasse doch keinen besoffenen Menschen im Arztkostüm an diese offene Wunde. Außerdem haben die bestimmt zu, und der Metzger in der Notaufnahme im städtischen Krankenhaus sieht mich auch nie wieder. Am Ende wollen die mir noch die Mandeln herausnehmen, um Geld zu verdienen. (Man weiß ja wie schlecht die Krankenhäuser so zahlen):
„Guten Tag, haben Sie ihre Krankenkassenkarte? … aha, ….und die Praxisgebühr haben sie in diesem Quartal auch schon gezahlt? (Macht ein säuerliches Gesicht), ……sie haben also Halsschmerzen?“ (Ich lächle tapfer) „ Ooooooh, das ist bestimmt schlimm, am besten nehmen wir die gleich raus…..He,Zivi, hol den Anästesisten!“
„Aber sie haben ja noch nicht mal hineingeschaut!“ (Er schnallt mich mit Lederriemen am Zahnarztstuhl fest, da ich doch arg zappele.)
„Ja wo bleibt er denn?...Ach was, wir fangen mal weil an (wetzt sein groooooßes Messer)….so, wie hätten Sies denn gerne? Geschnitten oder am Stück?“
Ich schreie aus voller Kehle, aber keiner hört mich, weil ich heiser bin, weil ich eine Halsentzündung habe. Und noch während der Metzger mit der Decke kämpft, die ich ihm übergeworfen habe, erwache ich schweißgebadet in meinem Bett- mit meinen Mandeln; mit Schmerzen.
Gegen Mittag entschließe ich mich, doch meinen Arzt anzurufen. Vielleicht ist er ja schon vom Umzug zurück und noch ansprechbar. Die Sprechstundenhilfe erklärt, dass in der Praxis gerade der Teufel los sei, und nein, ich würde nicht vor morgen früh 10.30 Uhr behandelt werden können. Auch nicht wenn ich sofort käme.
Der Tag schleicht sich langsam an mir vorbei. Aus den geschwollenen Augenwinkeln kann ich jede seiner Bewegungen beobachten. Ich würde sagen, ich habe mittlerweile Fieber und beginne Dinge zu sehen, aber ich kann es nicht sagen, weil ich nicht denken kann. Nicht mit solchen Gehirnschmerzen. Da! War das wieder ein Stück von meinem Tag?
Ich versuche mich abzulenken und chatte mit meinem Freund.(Studentenfernbeziehung):
Er: „Ok ich bin fertig mit Chemie lernen, ich mach jetzt mein Fahrrad.“
Ich: „Schön, dass du schon so weit bist…meine Mandeln tun immer noch
so weh„
Er: „Ja, ich komm besser voran als ich gedacht habe“
Ich: „Ich würde ja auch gerne was machen, aber meine Mandeln sind
so entzündet, und diese Kopfschmerzen…Ich hab auch schon
Salzwasser gegurgelt und Milch getrunken (mit Honig), obwohl ich
von Milch immer kotzen muss…und Gliederschmerzen hab ich, meine
Güte, ich kann den Kopf kaum drehen, weil der Hals so weh tut, und
die Nase läuft auch ständig…..“
Ok...als nächstes versuche ich es mit meiner Spielkonsole. Nach drei Stunden und 90 Leben erreiche ich endlich diesen fiesen Endgegner (ah, der ist hässlich, sieht aus wie ne entzündete Mandel). Ich genieße den Augenblick, ich niese in diesem Augenblick, ich greife nach den Tempos, reiße das Stromkabel aus der Wand und rette somit dieser ***-Mandel ihr erbärmliches Videospiel-Leben! Die Konsole ist aus, das Spiel auch, die Welt wird weiterhin von Mandeln unterjocht, das Böse hat gesiegt, Gott ist tot…
Ich sinke in tiefe Fieberträume. Irgend jemand hat mich wohl angezogen und zu meinem Hals-Nasen-Ohren-Arzt geschleppt. Ich öffne meine verklebten Augen, sehe aber nur grelles weißes Licht. Wie durch einen Wollschal gesprochen höre ich eine Stimme an meinem Ohr:
„ Tja, das sieht gar nicht gut aus, ich glaube…“
Ich habe es gewusst. Es ist der Metzger. Ich habe nicht mehr die Kraft mich zu wehren; so nimm denn meine Mandeln, meine Seele bekommst du nie…
„…Ich glaube, ich verschreibe ihnen Antibiotika und Schmerzmittel. In ein paar Tagen müsste es ihnen deutlich besser gehen.“
Fröhlich pfeifend verlasse ich das Sprechzimmer. Im Warteraum drängen sich verängstigte Gestalten, mit Wollschals vermummt und aus roten Augen blinzelnd. „Dass die immer bis zum letzten Schnaufer warten müssen“ denke ich bei mir und schmunzle. „Und dann so ein Theater machen. Dabei haben sie womöglich nur ein bisschen Halsweh.“