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Manchmal
Manchmal, wenn Nachts bereits alle im Haus schlafen und kein Laut die Stille durchbricht, wacht sie aus einem traumlosen Schlaf auf. Die ersten Momente in denen sie nicht weiß wo oder wer sie ist - diese Momente liebt sie. Keine Erinnerungen, die den Groll in ihr wecken. Keine Gefühle, vor denen sie sich zu fürchten braucht. Die Spuren ihrer Schmerzen werden von der Dunkelheit ihres Zimmers verschluckt.
Manchmal erwischt sie sich, wie sie sich auf den neu anbrechenden Tag freut. Auf Menschen die ihr begegnen werden, Dinge die sie erleben wird. Diese Augenblicke liebt sie.
Doch dann kommen sie wieder, kämpfen sich an die Oberfläche ihres Bewusstseins. All die Erinnerungen, die jeden Frieden aus ihrem Körper vertreiben - und im Schlepptau die Gefühle, die drohen ihr ihren Verstand zu rauben. Allen Frieden und Hoffnung ersticken sie im Keim. Lassen ihre Seele niemals los.
Manchmal bekommt sie Angst. Vor den Erinnerungen, den Gefühlen und den Menschen, denen sie tagtäglich begegnet. In diesen Momenten schlägt der Groll seine scharfen Klauen ihr Herz, zerquetscht es und lässt es erkalten. Dann gibt sie den Menschen in ihrer Umgebung - ihrem Zuhause, ihrer Schule - die Schuld an ihrem ganzen Leid. Denn da ist niemand der sie auffängt, ihr Schutz oder Halt gibt. Niemand der ihre Angst sieht. Der ahnt, was diese Angst alles zerstören kann.
Manchmal fürchtet sie, sich zu verlieren. Die Kontrolle über ihr Leben. Über ihre Gefühle. Über den Groll tief in ihr drin. Noch kann sie den leisen Versprechungen des Grolls widerstehen. Ihn tief in ihr Herz einsperren und im Zaum halten. Aber sie weiß, mit jedem Tag der vergeht, an dem man ihrer Seele neue Wunden zufügt, wird ihre Abwehr zunehmend geschwächt. Sie wird immer mehr ihre Kontrolle verlieren.
Bis ihre Finger sich um den Griff des Messers schließen. Bis sie sich nicht mehr abhalten kann, ihre Angst sie nicht mehr zurück hält. Dann wird sich der Groll in ihrem Herzen von seinen Ketten befreien und alles vernichten, was sich ihm in den Weg stellt. Er wird seine Krallen von ihrem Herz lösen und sie in die Herzen ihrer Peiniger schlagen - wird das Messer in ihren kalten Händen führen.
Manchmal schafft sie es, danach wieder einzuschlafen. Sich zurück in die warmen Arme der Nacht fallen zu lassen.
Manchmal wünscht sie sich, es wären die sanften Arme des Todes - denn nur er kann sie aufhalten, wenn der Groll in ihr sich losreißen wird.