Mitglied
- Beitritt
- 03.11.2009
- Beiträge
- 3
Manchmal
Manchmal schaue ich auf mein Handgelenk und sehe immer noch einen dunklen Abdruck, obwohl dieser schon längst wieder verblasst ist. Ich sehe einen dunkelblauen Fleck und mehrere Rötungen verteilt über die Haut meines Gelenkes.
Ich spüre schon längst verflogenen Schmerz und vor meinen Augen spielen sich Szenen ab, die in der Vergangenheit stattgefunden haben. Mit meinem Zeigefinger der rechten Hand streiche ich vorsichtig über mein linkes Handgelenk. Ganz vorsichtig, immer noch Angst habend, es könnte brennen oder anders weh tun. Es fühlt sich schrecklich an. In meinen Augen sammeln sich einige Tränen.
Ich fühle einen Schmerz in meinem ganzen Körper. Stechend, brennend. Alte Erinnerungen wirbeln auf, kommen hoch, wollen mich umbringen. In meinem Kopf vermischen sich die Gefühle. Trauer, Angst und Verzweiflung scheinen meine Liebe auffressen zu wollen.
Mir wird schwindelig. Ich schließe die Augen und sehe wieder alte Szenen, die mir schon Albträume beschert haben und mich nicht loslassen wollen. Ich reiße meine Augen wieder auf. Ich atme zwei, drei Mal tief ein und aus, in der Hoffnung, dass dann alles wieder vorbei ist. Die alten Erinnerungen rufen eine Panikattacke hervor. Mein ganzer Körper zittert. Ich kann meine Hände nicht still halten. Tränen quellen aus meinen Augen und rinnen wie Wasserfälle über meine Wangen. Ich verkneife mir das Schluchzen so weit ich kann. Ohne eine Vorwarnung meines Körpers verspüre ich eine Todesangst. Ich weiß nicht, woher die Angst kommt. Sie ist da. Überall in mir. Ich stehe auf, in der Hoffnung, die Panikattacke verdrängen zu können. Ich muss mich ablenken, ich muss. Ich stehe wackelig auf meinen Beinen. Ich fühle, dass sie mich nicht lange tragen werden. Als wäre ich noch nie selbst gelaufen, mache ich vier wackelige Schritte, bevor meine Beine einknicken und ich zu Boden falle. Auf Händen und Knien atme ich so laut, als drohe ich zu ersticken. In meinem Kopf spielt sich schon mein Ende ab. Mein gesamtes, bisheriges junges Leben zieht noch einmal in Bildern an mir vorbei. Ich schließe mit allem ab. Meine gefühlte Atemnot will mich demütigen. In die Knie hat sie mich schon gezwungen. Ich will ihr standhalten, kann jedoch nichts tun. Es fühlt sich an, als ob mir jemand die Kehle zu schnürt. Ich will hier nicht verenden. Nicht hier, nicht jetzt. Ich habe doch noch so viel vor mir. Oder? Das habe ich doch…
Ich kriege noch immer keine Luft. Ich kann nicht atmen. Ich frage mich, wann endlich alles vorbei ist. Ich will, dass diese Qual endet. Mein Kampf um Leben soll jetzt entweder belohnt werden oder mit dem Tod enden. Hauptsache ich bin erlöst. Ich will einfach nur ausatmen. Am liebsten danach wieder einatmen. Aber wenn es so nicht sein soll, will ich eben mit meinem nächsten Atemzug mein Leben loslassen. Ich will aber nicht länger kämpfen müssen. Ich will hier nicht verenden, aber ich will Erlösung. Wenn es so sein soll, bringe ich eben Opfer. Das Opfer wäre mein junges Leben. Ich schwitze, wie ich noch nie zuvor geschwitzt habe. Ich spüre, wie der Schweiß meine Stirn herunter rinnt, zu meiner Nasenspitze und dann abtropft, auf den Boden.
Ich fühle mich jämmerlich bis erbärmlich. Die Todesangst scheint ins Unermessliche zu wachsen. Ich weiß gar nicht, wovor ich wirklich Angst habe. Ich zittere. Ich lebe immer noch. Ist es mein Kampfgeist, der mich nicht sterben lässt? Vielleicht sollte ich ihn einfach aufgeben. Ich ächze und ringe nach Luft. In meinem Kopf ist jedoch alles schon ausgeschaltet. Ich empfinde mein letztes Schnappen nach Sauerstoff nur noch als Reflex meines Körpers, der nicht sterben will. Ich fühle, dass ich rot anlaufe. Ich kann mein Schluchzen nicht mehr in Zaum halten. Eine schlechte Kombination mit meiner Atemnot. Ich will sterben. Nun ist mein letzter Lebenswille verschwunden. Plötzlich hat er sich verabschiedet. Ich frage mich gar nicht erst, wieso. Keine Zeit.
Der Tod scheint der einzige Ausweg aus meiner Panikattacke zu sein. Ich kann mich nicht selbst beruhigen. Ich bin alleine, auf mich alleine gestellt. Alles liegt in meiner Hand, die gerade eher damit beschäftigt ist, sich in den Teppich zu krallen. Meine andere Hand schnellt wie von einer fremden Macht gesteuert zu meiner Kehle und scheint den nicht vorhandenen Strick, der mir die Atemmöglichkeit nimmt, lösen zu wollen. Ich weiß nicht mehr was ich tue. Ich merke, dass der Mensch auch nur ein Tier ist, das seinen Instinkten folgt. Ohne zu überlegen, handeln meine Hände, während mein Kopf ausgeschaltet ist. Ich fühle mich unglaublich schwach. Der Arm, mit dem ich mich auf dem Boden gestützt habe, gibt nach. Er knickt ein und sorgt so dafür, dass ich unsanft umkippe, mit dem Kopf auf dem Boden lande.
Ich öffne meine Augen. Noch immer liege ich wie ein geschlagener Hund auf dem Boden. Ich fühle mich trotzdem um einiges leichter, wenn auch nicht unbedingt gut. Mein erster Gedanke ist „Bin ich tot?“. Nein, ich lebe noch, ganz sicher. Ich setze mich auf. Ich atme immer noch schwer, nicht kontrolliert und die Angst bedrückt mich immer noch. Aber ich kann wieder atmen. Ich hyperventiliere nicht mehr. War ich eben bewusstlos? Ich weiß es wirklich nicht. Ich sehe mich kurz in dem Raum, in dem ich mich befinde, um. Wohnzimmer. Ich erinnere mich wieder, was eben geschehen ist, mit mir geschehen ist. Ich kann es nicht fassen. Ich blicke auf meine Hände.
Ohne Vorwarnung bricht die Angst wieder komplett aus. Die Panik steigt in mir auf. „Ich will sterben. Lass mich sterben. Gott, lass mich sterben.“ Ich keuche. Mein Hals ist ganz trocken. Ich brauche Wasser. Aber ich kann nicht aufstehen. Ich fühle mich zu schwach. Ich will nicht wieder umkippen, einknicken, auf den Boden stürzen. Nicht schon wieder fallen. Gezwungen versuche ich wieder, in einem ruhigen Rhythmus zu atmen. Ich merke schon nach wenigen Atemzügen, dass ich es lassen sollte. Ich werde nur wieder hyperventilieren, wenn ich mich zwingen will.
Mein Hals ist so unerträglich trocken. Und das alles nur, wegen einer Wunde, die längst schon verheilt ist? Nein, das ist sie nicht, belehre ich mich selbst. Die Wunde, die auf meiner Haut zu sehen war, ist längst wieder verheilt. Auf meinem Körper findet man nicht einmal mehr die kleinste Spur von ihr. Doch die Narbe, die auf meiner Seele zurückgeblieben ist, ist unheilbar. Sie wird für immer bleiben. Sie wird mich immer daran erinnern, was du mir einst angetan hast.
Ich habe immer noch Angst.
Ich höre, dass jemand den Raum betritt. Ich will jetzt keine Menschen um mich haben. Man wird mich finden, erkennen, wie schlecht es mir geht und versuchen, mir irgendwie zu helfen. Nein, ich will das nicht. Ich höre Schritte. Ich erkenne die Schritte, kann sie einer Person, die ich kenne, zuordnen. Ich seufze, ohne einen Ton von mir zu geben. Entweder nun ist alles verloren oder alles gerettet. Ich versuche, mich nicht zu bewegen. Die Person kommt näher und näher.
Eine Hand berührt meine Schulter. Ich drehe mich nicht um. Meine Bewegungen verraten, dass ich mich mit einer regelmäßigen Atmung noch immer schwer tue. Die Person nennt meinen Namen. Die Person – bist du.
Ich reagiere nicht auf das Wort, das mein Name ist. Mein Blick ist immer noch auf den Boden gerichtet und soll dort bleiben. Du wiederholst meinen Namen, willst dass ich reagiere. Du sollst gehen. Ich hasse dich nicht, aber du bist der Grund für meine Angst, meine Atemnot, meine Panik und meine Alpträume. Ich will dass du gehst. Du hast meine Seele auseinander genommen, nein auseinander gerissen. Du hättest sie töten können. Du sollst mich lassen. Bitte.
Ich spreche meine Bitte laut aus, ohne dich nur anzusehen, mein Blick bleibt auf den Boden gerichtet. Ein Seufzen bahnt sich den Weg zwischen deinen wunderschönen Lippen. Du nimmst mein Handgelenk, das Handgelenk, das einst so schmerzte und fasst es ganz sanft an. Es fühlt sich an, als könntest du niemals zerstören. Ganz sanft, so als wärest du es nie gewesen, der mir mein Handgelenk beinahe gebrochen hätte. Mit der anderen Hand fasst du an mein Kinn, lenkst es so, dass mein Gesicht sich zu dir dreht. Ich will dich nicht ansehen. Ich sehe weg. Du sagst, dass ich dich ansehen muss, wenn du mit mir redest. Ich muss nur leider gar nichts mehr für dich. Wer mich so verletzt… Verdient dieser Mensch irgendetwas von mir? Ich glaube nicht. Tief siehst du mir in die Augen. Ich fühle mich bedroht. Ich fühle mich unwohl und unsicher in deiner Gegenwart. Ich will gehen, kann aber nicht laufen. Mit ruhiger Stimme sprichst du die drei Worte aus, die die Welt eines jeden Menschen verändern. Mein Gehirn arbeitet. Alles in meinem Kopf dreht sich und rattert. Ich frage mich kurz selbst, ob sich mein Leben in einen schlechten Film verwandelt hat. Noch einmal sagst du mir die drei Worte. Ich erwidere „nein.“ Zurück kommt nur ein „doch, wirklich.“ Im Anschluss noch einmal die Worte, die ich gerne ein anderes Mal gehört hätte. Damals hätte ich sie gebraucht. Doch was bekam ich? Einen beinahe zerschmetterten Knochen und mehr als nur körperlichen Schmerz. Ich lache kurz, begleitet von einem kleinen Ausatmen, ohne einen weiteren Laut von mir zu geben.
Kein Mensch darf mir Unrecht tun, genauso wie ich niemanden Unrecht tun darf. Das darf man nicht, das soll man nicht, das tut man nicht. Und du hast es trotzdem getan. Darf ich es dir zurück tun? Ich glaube nicht, dass das das Richtige wäre. Ich bitte dich, mir aufzuhelfen. Langsam und behutsam ziehst du mich hoch, stellst mich wieder auf meine Beine. Meinen Blick lenke ich wieder in dein Gesicht.
„Weißt du, du bist wirklich mutig. Ich an deiner Stelle hätte mich das niemals getraut, so etwas zu einer Person zu sagen, die ich in meiner Wut schon einmal totschlagen wollte.“
Du scheinst unsicher zu werden, siehst mich ungläubig an.
„Kommt das unerwartet? Das war nicht meine Absicht. Wenn es das doch war, entschuldige ich mich hiermit bei dir, was nicht bedeutet, dass ich das eben gesagte zurücknehmen will.“
Ich drehe mich weg, gehe langsam. Nicht wieder fallen. Verlasse den Raum. Du bleibst zurück. Ich denke, du wirst deine Lektion innerhalb der nächsten 15 Minuten lernen.
Wirst du mal mit undefinierbarer Angst fertig. Alleine. In 20 Minuten komme ich dann wieder herein und werde dir helfen. Versprochen. Ich werde wohl kaum jemanden sterben lassen, den ich mehr als alles andere liebe.