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Mama ruft!

Noa

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03.05.2016
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Mama ruft!

Es sieht mich an, als wär’ ich ihm fremd. Flaschengrüne Augen. Viel zu grosse Nase. Und Lippen wie zwei aufeinandergelegte Minisalamis – irgendwie ekelhaft.
Vorsichtig hebe ich meine Hand. Mein Arm fühlt sich schwer an, meine Finger zittern. Wie fleischige Raupen kriechen sie auf mein Gegenüber zu und werden dabei immer langsamer, als würde der Widerstand mit jedem Zentimeter stärker werden.
Es hat ebenfalls seine Hand gehoben. Im selben Tempo wie ich versucht es die Lücke zu schliessen. Nur noch wenige Millimeter trennen unsere Fingerkuppen voneinander.
Ich stoppe. Es tut es mir gleich. Die Flaschenaugen glänzen. Der Mund scheint zu lächeln, aber die Salamilippen beben.
Stiller Schmerz, der nicht mehr still sein möchte. Man sieht es ihm an. Es möchte weinen, schreien, fluchen. Ballast abwerfen und den Körper am besten gleich noch dazu.
Ich kann nicht mehr. Ich will auch nicht mehr, lasse meine Hand wieder sinken und reisse den Blick von meinem Spiegelbild los.

Mama ruft, dass es Zeit sei. Sie nennt mich Mimmi. Ich rufe nicht zurück.
Mit schlurfenden Schritten verlasse ich das Bad und gehe in mein Zimmer. Mama ruft nochmal. Ihre Stimme ist schrill und schmerzt in meinen Ohren.
«Ja, ich komme gleich», ich klinge gewohnt gleichgültig.
Mein Schrank ist vollgestopft mit Kleidung, die Mama schön fand – fühlt sich an wie Kostümparty.
Mir ist heiß und gleichzeitig kalt, meine Augen brennen, aber es kommt nichts raus.
Stattdessen stelle ich mir vor, wie ich meine Brust aufreiße und mein Herz an die Wand werfe. Einfach so.
Auf dem Schreibtisch liegt eine Schere. Das lässt mich lächeln. Mama mag keine Scheren, sie meint, Klingen seien gefährlich, ich könne mich verletzen.
Mama vertraut mir nicht. Immer noch nicht. Dabei sind andere Jugendliche in meinem Alter schon von Zuhause ausgezogen.
Der Weg ins Bad fühlt sich länger an. Die Schere fällt mir aus der Hand. Ich hebe sie auf und gehe weiter. Mama ruft. Aber ich möchte nicht kommen. Trotzdem sage ich, dass ich gleich da sei.

Und dann sieht es mich wieder an. In meiner Magengegend breitet sich ein Kribbeln aus. Widerstand fühlt sich wunderbar an.
Ich hebe mein Handgelenk und schau’ es mir ausführlich an. Blau-violett sind die Venen und golden schimmern die Hautschuppen.
Die Schere kratzt über meine Haut . Aber es fühlt sich nicht gut an. Deswegen lasse ich sie sinken – meine Hand – und sehe wieder in die flaschengrünen Augen meines Gegenübers. Das Gefühl von vorhin wird stärker, wir sind uns fremd geworden.

Mama ruft. Ich ignoriere sie und wickle stattdessen eine Haarsträhne um meinen Zeigefinger. Meine Haare gefallen mir, aber sie sind viel zu lang.
Schnipp. Die erste Strähne landet im Wachbecken. Schnapp. Die zweite kringelt sich dazu. Glück durchflutet meinen Körper. Es fühlt sich gut an, federleicht und heroisch.
Mama ruft. Die Strähnen fallen weiter. Mama ruft lauter. Die Strähnen fallen weiter. Mama steigt die Treppe hoch. Die Strähnen fallen weiter. Mama ist schon bald da. Die Strähnen fallen weiter. Mama schreit. Die letzte Strähne fällt ins Becken.
Mama fragt, was in mich gefahren sei, und wuschelt mir durch die kurzen kupfernen Haarfransen. Immer wieder stammelt sie «Noemie».
Aber ich schüttle meinen Kopf und schaue gelassen in Mamas Flaschenaugen: «Nein, Mama, nicht Noemie. Ich bin Noah. Nenn mich bitte Noah.» Und da ist Mama still.

 

Liebe/r Noa,

mit solchen Geschichten tue ich mich immer recht schwer: Ich bin nämlich nicht sicher, ob ich verstanden habe, was mir erzählt wird. Kann also sein, dass ich sehr daneben liege. Mir scheint, du erzählst von einem Kind, das sich in einem falschen Körper befindet oder sich so fühlt, als befände es sich darin. Dabei wird mir nicht so richtig deutlich, ob Noemie gerne Noah sein möchte oder ob die Mutter möchte, dass Noah Noemie ist. Das Ende deiner Geschichte zeigt in diese Richtung: Gut beschrieben, wie die Strähnen fallen.

Mama ruft. Die Strähnen fallen weiter. Mama ruft lauter. Die Strähnen fallen weiter. Mama steigt die Treppe hoch. Die Strähnen fallen weiter. Mama ist schon bald da. Die Strähnen fallen weiter. Mama schreit. Die letzte Strähne fällt ins Becken.

Am Anfang schien es mir allerdings so, als habe dein Ich-Erzähler ein anderes Problem: Er empfindet sein Spiegelbild als etwas Fremdes, bezeichnet es als ‚es’, findet es hässlich und zu dick:

Finger, wie

fleischige Raupen

Dieses ‚Es’ möchte
Ballast abwerfen und den Körper am besten gleich noch dazu.
Unterm Strich ist mir nicht wirklich klar, was mit dem Protagonisten los ist. Ich sehe zwei Probleme, die ich nicht ohne Weiteres miteinander verbinden kann. Möglicherweise habe ich nicht genau genug gelesen. Möglicherweise bist du aber auch nicht klar genug, in dem, was du beschreibst.

Aber so, wie du schreibst, das ist gut, fast jeder Satz. Du schaffst sprachlich eine Psycho-Szene, die mich anspricht und die ich mir sehr gut vorstellen kann. Du kannst schreiben, das ist sicher.

Ein paar Kleinigkeiten noch:

Es hat ebenfalls seine Hand gehoben. Im selben Tempo wie ich versucht esK die Lücke zu schliessen.
Mama ruft nochmal.
noch mal

«Ja, ich komme gleich»(,) ich klinge gewohnt gleichgültig.
Hier würde ich einen Punkt setzen.

Dabei sind andere Jugendliche in meinem Alter schon von Zuhause ausgezogen.
zu Hause

Widerstand fühlt sich wunderbar an.
Aber es fühlt sich nicht gut an.
Vielleicht lässt sich diese Doppelung vermeiden.

Liebe/r Noa, willkommen bei den Wortkriegern.

Liebe Grüße
barnhelm

Ps: Ich glaube, du solltest deinen Zusatz gesondert posten, aber meistens macht das dann ein Moderator.

 

Der Autor schreibt zu seiner Geschichte:

Äh ... hi ^^''

Ich bin Noa und neu hier im Forum und ganz unerfahren und ziemlich extrem unsicher ... äh ... ja ^^'
Weil ich vorhabe in nächster Zeit wieder vermehrt zu schreiben, dachte ich, melde ich mich in einem Forum an, wo meine Geschichten kritisiert werden, und wo ich selbst ebenfalls Gesichten lesen kann, die ich dann respektvoll kritisieren darf. Und deswegen bin ich hier.
Wie gesagt, ich bin noch ziemlich unsicher, weshalb ich mich auch dazu entschlossen habe, als erste meiner Geschichten "Mama ruft!" zu posten. "Mama ruft!" habe ich vor eineinhalb Jahren im Rahmen eines Schülerwettbewerbs geschrieben und jetzt endlich überarbeitet. Bei der damaligen Version stand mir das Feedback der Jury zur Verfügung. Nun hoffe ich, dass die überarbeitete Version ebenfalls gefeedbackt wird ... oder so ^^''

Ganz liebe Grüsse
Noa ♥


Bitte solche Erläuterungen immer im eigenen Textfenster posten.

Willkommen hier.

VG, GoMusic

 

Hola Noa,

das ist doch mal ein Text! Bewundernswert, große Klasse – ich bin aus dem Staunen gar nicht herausgekommen.
Hier kommt richtig Freude auf beim Lesen; sehr geschickt gemacht.
Da braucht es keine Ratschläge, hier muss kräftig gelobt werden!

Ich hoffe, es gibt Nachschlag.

Viele Grüße!
José
Weil`s ohne Meckern nun mal nicht geht:

... fühlt sich an wie Kostümparty.

Der Weg ins Bad fühlt sich länger an.

 

Hi Noa!

Eine Geschichte, die eindringlich die Qual eines verzweifelten jungen Menschen beschreibt, der offenbar Probleme mit seiner Identität hat, sein Spiegelbild hasst und sogar an Selbstmord denkt, worauf das Bild mit der Schere und den blauen Venen hindeutet, ebenso wie die abstrakte Idee, sich das Herz herauszureißen und es gegen die Wand zu schleudern. Nehme ich das Schlussbild her, in dem sich Noemie die Haare kurz schneidet und seine Mutter auffordert, sie Noah zu nennen, (wohl nicht zum ersten Mal) würde ich auf geboren im falschen Geschlecht schließen. Dafür spräche auch das Bild mit dem Kleiderkasten, dessen Inhalt der Mutter gefällt, den sie vielleicht sogar ausgesucht hat und der von Noah, ja ich nenne deine Figur Noah, eher als Kostümball empfunden wird, was Verkleidung impliziert, wenn meine Interpretation zutrifft.
Am Text per se gibt es mAn nichts auszusetzen, er ist quasi fehlerfrei, schafft in knappen Worten aussagekräftige, emotionale Bilder, die das Innenleben des/der Protagonistin/en klar umreißen.

Gern gelesen! :)

 

Hej Noa,

das "Dilemma", in dem sich deine Protogonistin befindet ist sehr gut nachzuempfinden in dieser kurzen Szene, in der wie sie begleiten. Besonders gefällt mir die fast beiläufige Beschreibung der Beziehung zur Mutter. Wirklich gut.

Stattdessen stelle ich mir vor, wie ich meine Brust aufreiße und mein Herz an die Wand werfe. Einfach so.

Sehr traurig. Das arme Ding.

Freundlicher Gruß, Kanji

 

Erklärungen und sonstiges immer vom Geschichtenteil trennen, ist gemerkt :3

Zuerst möchte ich mich bei allen für die Kommentare bedanken. Vielen, vielen Dank!

@barnheim, ich schätze deine konstruktive Kritik, sie hat mir bestätigt, was ich auch bei der aktuellen Überarbeitung wieder befürchtet habe: Die Hintergründe meiner Geschichte sind nicht genau ausgearbeitet ... und das bestimmt, weil ich mir nicht zu 100% sicher war, was ich denn nun aussagen möchte.
Zu Beginn hatte ich über Transidentität, bzw. Transsexualität schreiben wollen. Später aber hat mich das Thema Helikoptereltern und passive Kinder mehr gereizt, weshalb ich auch versucht habe, beides miteinander zu verbinden. Anscheinend ist es mir nicht so ganz geglückt ^^''
Meine Interpretation der Geschichte: Der Protagonist ist ein Teenager, aber bereits volljährig. Er lebt zusammen mit seiner Mutter, die ihn noch immer stark kontrolliert und über ihn bestimmt. Der Teenager, geboren als Mädchen, spürt schon länger, dass er sich nicht mehr wohl in seinem Körper fühlt. Er hat aber nicht gelernt, wie er sich ausdrücken kann, weswegen sich auch seine starken Gefühle angestaut haben. Dadurch, dass er diese Gefühle immer in sich hineingefressen hat, hat sich auch eine Depression gebildet.
An diesem Morgen, an dem die Gesichte spielt, sammelt der Protagonist genügend Selbstvertrauen um sich seiner Mutter entgegenzustellen. Er erkennt, dass er als Junge akzeptiert werden möchte.
Warum er sich als Junge sieht, habe ich nie genau definiert. Vielleicht ist es hormonell bedingt, vielleicht auch nicht. Vielleicht sieht er sich als Junge, weil er sich unbewusst von seiner Mutter abgrenzen möchte?
Jedenfalls ... ich überlege mir, ob ich die Geschichte ein weiteres Mal überarbeiten soll, damit durch weitere kleine Details meine Absichten klarer werden? Und damit ich das kann, müsste ich mich endlich festlegen, was ich aussagen möchte. Aber das ist so schwer o.o
Trotzdem vielen Dank :3

josefelipe Manuela K. Kanji
Vielen Dank für das Lob, das macht so unglaublich stolz und glücklich *-*
... ich sollte vielleicht meinen Emoticongebrauch zurückschrauben, immerhin ist das ein seriöses Forum ... ^^''

Schreib- und Schönheitsfehler werden ausgebessert ... mir ist wirklich nicht aufgefallen, wie oft ich "fühlen" gebraucht habe ^^'

 

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