Maik und der Teufel
Es ist sehr kalt hier, dachte sich Maik, als er mit seiner Tasche vor der Haustür seiner neuen Pflegefamilie stand. Seine leiblichen Eltern waren drogenabhängig. Sie liebten Koks, Heroin, Marihuana mehr als ihr einziges Kind. Am Anfang ließ sich Maik alles Gefallen. Als er zu einem Teenager reifte und gegen seine Eltern rebellierte, wurden diese immer handgreiflicher. Er beendete seine elende Situation durch die Verständigung des Jugendamtes. Sie schickten ihn nach Trostdorf, einem kleinen Vorort im Süden Deutschlands.
Er klingelte bei Familie Knolle, die Tür öffnete sich und eine kräftige, rothaarige Frau mit einem Dirndl trat hervor:
„Willkommen Maik bei Familie Knolle. Ich bin Marta. Komm rein!“
„Hi Marta.“
Maik stellte seine Tasche im Korridor ab, folgte Marta in die Küche und nahm am Esstisch Platz.
Sie stellte ihm ein Glas Milch und selbstgebackene Plätzchen auf dem Tisch.
„Lass es dir schmecken!“
„Danke.“
Seine Pflegemutter nahm sich eine Tasse Kaffee und gesellte sich zu ihm.
Maik berichtete über seine Anreise, welches angenehm war und sie erzählte über ihren Beruf als Imkerin und fragte ihm nach seinen Berufswunsch:
„Ich möchte gerne Pilot werden“, antwortete Maik.
„Warum möchtest du Pilot werden?“
„Als Pilot sieht man viele Ecken der Welt“
„Ja das stimmt“. Marta lächelte Maik an.
Als sie ein Blick auf die Küchenuhr warf, sprang sie panisch auf.
"Oh, Oh, Ich muss Herbert aufwecken, er hat heute Spätschicht. Sonst bekomme ich wieder Schläge. Bin gleich wieder da."
„Oookk. Bis gleich.“
Maik aß noch einen Keks und wartete auf seinen Pflegevater. An der Küchenwand entdeckte er ein Bild von Marta mit zwei weiteren Personen. Rechts neben ihr stand ein älterer, kräftiger Mann der sein Arm, um ihre Schulter legte. Vermutlich war das Herbert. Zwischen ihnen stand ein kleiner Junge, der eine Grimasse schnitt. Maik fand die Grimasse des kleinen Jungen lustig. Wer war dieser Junge? War das sein kleiner Bruder?
Marta kehrte mit ihren Ehemann in die Küche zurück. Herbert begrüßte Maik und erzählte von seiner Arbeit in der Stahlfabrik und trank dabei seinen Kaffee. Als er seine Meinung zur Stahlindustrie-Krise beendet hatte, verabschiedete er sich und machte sich auf dem Weg zur Arbeit. Maik deutete auf das Bild.
„Wer ist dieser kleine Junge auf dem Foto Marta?“.
„Das ist Tim, dein kleiner Bruder.“
„Ist Tim nicht zu Hause?“
„Doch, doch, aber leider schwer krank. Er liegt in seinem Zimmer. Sobald er genesen ist, stelle ich ihn dir vor.“
„Ooh. Hoffe es ist nichts Schlimmes.“
„Nein, nein. Er braucht nur etwas Ruhe“ Marta gähnte.
„Was ich jetzt auch brauche. Komm, ich zeig dir dein Zimmer.“
Maik begleitete Marta zu seinem Schlafzimmer, welches zwischen der Küche und dem Badezimmer lag. Das Zimmer war klein und rustikal eingerichtet: Ein Bett, Stuhl, Tisch und ein Kleiderschrank. Keine Spielkonsole, kein Fernseher nicht mal ein Radio. Es hang nur ein Kreuz, wo Jesus zu sehen war und eine Bibel auf dem Tisch. Marta verabschiedete sich. Maik packte seine Sachen aus, spielte Mario auf seinem Smartphone und schlief dabei ein.
Am ersten Schultag traf Maik seinen Klassen- und Religionslehrer. Felix Meier. Als er die Anwesenheit kontrollierte, fragte er ihn:
„Sagen Sie mal, sind Sie mit Tim Knolle verwandt?“
„Ja. “
„Gott beschütze Sie!“
„Warum ?“
„Darum.“ Felix Meier grinste.
Von da an vermieden seine Klassenkameraden jeglichen Kontakt mit ihm. In der Pause beschimpften ihn Kleinkinder mit den Worten: „Geh fort, du Teufelsbruder!“ Was tat Tim, dass die Schüler vor ihn so fürchteten? Warum war es schlimm, der Bruder von Tim zu sein? Diese Fragen beschäftigten ihn mehr, als der Mathe Unterricht von Herr Bartel. Als die Schulglocken zur letzten Unterrichtstunde läuteten, ging Maik nach Hause. Er hoffte, dass seine Pflegeeltern alles aufklären würden. Beim Abendessen mit seinen Eltern berichtete er von seinen ersten Schultag. Dabei schilderte Maik auch das merkwürdige Verhalten der Schüler, vor allem das vom Religionslehrer.
„Ach Maik, Felix ist ein netter Mann. Sowas würde er nie sagen“, seufzte Marta.
„Doch, das hatte er gesagt“, widersprach Maik.
„Maik, Felix kennen wir schon sehr lange, er ist ein Familienfreund“, entgegnete Marta.
„Aber was hatte Tim angestellt? Ist er ein Teufel?“, fragte Maik seine Pflegeeltern.
Marta blickte Herbert an und schwieg.
„Maik du wirst das irgendwann alles verstehen. Aber nicht heute!“, sagte Herbert.
„So ich bin müde.“ gähnte Herbert. „Ich gehe nun schlafen, Marta kommst du mit?“.
„Ja Herbert, wie du willst“, sagte Marta.
„Gute Nacht Maik“ und sie gingen fort.
In dieser Nacht konnte Maik nicht einschlafen, seine Gedanken kreisten um
Tim. Wohnte er wirklich mit einem Teufel zusammen? Dieser Gedanke löste in ihm keine Angst aus. Es brachte ihm zum Lachen, denn seine Kindheit mit seinen leiblichen Eltern war wie die Hölle auf Erden. Er wünschte keinem Kind auf dieser Welt, solche Erfahrung zu sammeln. Machte Tim auch gerade diese Erfahrung? War Tim in Not?
Er schlich zum Zimmertür seines kleinen Bruders, um eine Antwort zu erhalten. Sie war verschlossen, aber das stellte kein Hindernis dar. Um den Koks-Konsum zu finanzieren, begannen seine Eltern viele Wohnungseinbrüche. Damals lernte er viele Tricks, um Türen aufzubrechen. Einen davon nutzte er, um die „Pforte des Teufels“ zu öffnen. Als er das Zimmer betrat, wurde seine Nase von einem bestialischen Geruch überflutet. Es setzte sich aus Urin und Schweiß zusammen. Dem Teenager ging es übel, er musste fast erbrechen. Je weiter er in das stockdunkle Zimmer vorstieß, umso intensiver war der Gestank. Er blieb stehen, als sein Fuß etwas weiches berührte.
„Wasser“ Maik erschrak und sprang ein Schritt zurück.
„Wasser, Wasser“. Maik lief zur Eingangstür zurück und knipste das Licht an.
Er sah einen kleinen, reglosen, menschlichen Körper auf dem Boden liegen. Es war Tim. Der kleine lebhafte Junge aus dem Bild. Maik rief sofort die Polizei an und sie trafen mit einem Krankenwagen ein. Sie brachten Tim in ein Krankenhaus und seine Eltern wurden verhaftet. Bei Ihrer Abführung mit Handschellen warfen sie ihm einen tödlichen Blick zu.
Die Ärzte konnten Tim nicht retten. Der Junge starb im Alter von vier. Waren seine Pflegeeltern schuldig? Das Gericht lieferte die Antwort:
Ihr Sohn war ein lebhafter, frecher Junge gewesen, der oft Streiche spielte. Damals blamierte Tim durch einen Streich Herr Meiers Unterricht. Als Rache behauptete er, dass ihr Kind von einem Teufel besessen sei. Er riet den frommen, überforderten Eltern ihren Sohn für ein paar Wochen im Zimmer ohne Essen und Trinken einzusperren, um den Teufel auszutreiben. Aber daraus wurden Monaten und der kleine Junge starb aufgrund von Wassermangel. Maiks Zeugenaussage bestätigte die Todesursache. Er fasste es nicht, dass Tim so früh sterben musste. Das Gericht verurteilte Lehrer Meier und seine Pflegeeltern zu zehn Jahre Haft. Sie sollten diese Zeit nutzen, um über ihr Handeln nachzudenken. Das Jugendamt teilte Maik einer neuen Pflegefamilie zu. Es ging diesmal nach Norddeutschland, auf einer Farm. Was wird ihm wohl dort erwarten?