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Mai

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02.11.2001
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Mai

Die Sonne sandte ihre wärmenden Strahlen auf die hellgrünen Blätter der Pappeln und malte tanzende Lichtflecke auf den sauber geharkten Kiesweg. Primeln, Narzissen und Maiglöckchen blühten ringsum und machten mit ihrem zarten Duft auch dem letzten Winterschläfer klar, daß der Frühling den Winter für dieses Mal wieder zurückgeschlagen hatte.

Klara saß auf der niedrigen grüngestrichenen Bank, hatte die Augen geschlossen und genoß den vollkommenen Frühlingstag.
"Weißt du noch", begann sie lächelnd, "wie wir in den Seerosenteich gesprungen sind? Es muß auch Anfang Mai gewesen sein. Die Sonne hat so warm geschienen, doch das Wasser war noch fürchterlich kalt." Sie kicherte. "Du hast so einen Schreck bekommen, daß ich dachte, du würdest ohnmächtig werden."
Paul lachte heiser, dieses Lachen, das sie immer so geliebt hatte und nun so sehr vermisste. "Ja, und du hast so laut geschrien und gequietscht, daß mir die Ohren wehtaten."
"Ach du," seufzte Klara lächelnd. Sie lehnte sich zurück und Paul legte seinen Arm um ihre Schultern. Klara griff nach seiner Hand, verschränkte ihre Finger mit seinen. Sie fühlte die rauhe, schwielige Handfläche und den sanften Druck seiner Finger und überlegte, wie oft diese Hand wohl in all den Jahren ihren Körper berührt haben mochte, wie oft die kleinen Wehwehchen der Kinder weggestreichelt und ihre Tränen weggewischt.
"Du konntest besser schwimmen und schneller laufen als alle anderen," sagte er mit unverhohlenem Stolz in der Stimme. "Und du warst das hübscheste Mädchen weit und breit. Ich bin niemals einer schöneren Frau begegnet als dir."
"Alter Schmeichler!" lachte Klara. "Erzähl mehr davon!"
Paul lachte und drückte seine Frau liebevoll an sich. "Du bist das Beste, was mir je passieren konnte, weißt du das? Was würde ich nur ohne dich machen?"
"Du würdest wohl in deiner Junggesellenwohnung sitzen, rauchen und Bier trinken und hättest eine hübsche junge Freundin nach der anderen", sagte Klara schmunzelnd. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie beliebt Paul früher bei den Mädchen gewesen war. Einige waren ihm nachgestiegen und Rebekka aus der Parallelklasse hatte nie einen Hehl daraus gemacht, daß sie mit allen Mitteln versuchte, ihn Klara auszuspannen.
"Du hast mir immer vertraut, warst nie eifersüchtig", sagte Paul.
"Du hast mir nie einen Grund gegeben", entgegnete Klara.
Sie saßen eine Weile schweigend nebeneinander, dann fragte Paul:
"Bist du mir böse, weil ich dich alleingelassen habe?"
Erfolglos kämpfte Klara gegen die Tränen an, die ihr den Hals zuschnürten und glitzernd ihren Weg von den Augenwinkeln über die faltigen Wangen suchten.
"Nein, Paul", erwiderte sie sanft. "Wie könnte ich dir böse sein? Aber... ich vermisse dich, Liebster."
Paul sah zu den Blättern, die über ihren Köpfen tanzten. "Ich muß gehen", sagte er wehmütig.
"Ich weiß", antwortete Klara, erhob sich mühsam von der niedrigen dunkelgrünen Bank und atmete tief die klare Frühlingsluft ein. "Du fehlst mir so", flüsterte sie, ohne sich noch einmal umzudrehen. Der Kies knirschte unter ihren Schuhen, als sie den Friedhofsweg hinabging.

Ein sanfter Wind kam auf und spielte mit dem jungen Laub der alten Pappeln. Mit sich trug er zarten Blütenduft und die Hoffnung auf Ewigkeit und Wiedersehen.

 

Einfach wunderschön zu lesen!

- Nur den Schluß, den muß ich jetzt noch verdauen. Der kam etwas überraschend!

* :thumbsup: * :thumbsup: * :thumbsup: * :thumbsup: * :thumbsup:

Alles liebe
Susi

 

Was soll ich sagen? Selbst so eine alte, unromantische Schachtel wie ich bekommt dabei eine Gänsehaut.
Arsch super erzählt ;)

Gruß, Pan

 

..wahnsinn, bin ganz hin und weg *soifz* erst eine wunderschöne liebesgeschichte und dann bodenlos traurig..und doch wieder schön weil die liebe der beiden bis über den tod hinausgeht..

 

Hallo Raven,

also durch den ersten Absatz wirst du viele er- und verschrecken, da dieser Teil vor blumigen, kitschigen Sätzen geradezu vollgepackt ist.

Nun gut, für mich beginnt die Geschichte mit dem Hauptteil! (Vergessen wir den ersten Absatz einfach...) Zu 75 Prozent gelungene Dialoge, welche die traurige Stimmung gut rüberbringen. Glaubhafte Handlungsweisen auch während des Gesprächs. Hier und dort mogelt sich der Kitsch etwas durch, aber... nun ja. Sollte wohl so sein. ;)

Das Ende kam für mich überraschend, hatte nie den Eindruck, daß sich Klara auf dem Friedhof befindet.

Alles in allem gute Geschichte! Aber dieser erste Absatz... :eek:

Ponch

Und es heißt nicht Kopmponist! :p

 

Also ich hasse kitschige Geschichten! :mad:


Aber diese hier war schön. Schön geschrieben, schöner Schluss.
Kann mich den Anderen nur anschließen, Raven. Gut! :thumbsup:

 

Da ich eine sentimentale Idiotin bin, kamen mir sogar fast die Tränen. Well done, aber so erstaunlich fand ich das Ende nicht. Ich denke, es gibt viele Menschen, die sich auf einem Friedhof aufhalten und solche Konversationen halten, sie und die Erinnerungen sind schliesslich das einzige, was bleibt.

[Beitrag editiert von: Roswitha am 17.01.2002 um 23:42]

 

Danke für die Kritiken. *ganzgerührtis*

@Ponch
Jo, die Geschichte ist bewußt sentimental. Den Tippfehler hab ich natürlich sofort editiert, zusammen mit dem anderen, den Du übersehen hast ;)
Welche 25% der Dialoge findest Du nicht gelungen?

 

Die Sentimentalität in deiner Geschichte gefällt mir sehr gut.

Aber ich muß gestehen, dass sie für mich erst in der Nachschau, also als ich das Ende las an Bedeutung gewonnen hat.

 

Ein großes Lob für so viel Gefühl! Du hast eine wunderbare Geschichte geschrieben, die Glück und Schmerz und ewige Liebe vereint ohne nach Kitsch zu miefen. Ich war beeindruckt. Außerdem – und mal gan abgesehen vom Inhalt – bin ich immer sehr froh und erleichtert, wenn ich auf Menschen treffe, die auch mit imaginären Personen „reden" oder versuchen die Realität dadurch aufzubessern, dass sie sich eine Traumwelt schaffen, in der sie glücklicher sein können. Danke. Ich dachte immer, ich sei verrückt deswegen.

Was hältst Du von einem anderen Titel? Mai ist Frühling und Frühling ist Aufbruch – Klara bricht aber nicht nach vorne auf, sondern versinkt in der Erinnerung. Einzige Hoffnung ist das Wiedersehen nach ihrem Tod. Ach, vergiss es, ich habe auch keinen besseren Vorschlag, war auch nur so ein dämlicher Blitzgedanke. Viele Grüße und nochmal: Kompliment! Sandra

 

Hab die Geschichte nochmal editiert, ich hoffe, sie läßt sich jetzt besser lesen.

@Sandra
Es ist ein Tag im Mai, deswegen der Titel. Ist der wirklich so unpassend? Ich hab am Anfang gesagt, daß er nur vorübergehend ist, bis mir was besseres einfällt, da ich ihn etwas beliebig fand. Aber inzwischen mag ich ihn, vielleicht hab ich mich auch nur dran gewöhnt. ;)

Sav

 

Hallo Raven.

Nun, es haben schon einige etwas zu deiner Story gesagt, aber ich muß noch eben kundtun, wie wunderschön ich sie finde! Mußte sie direkt ausdrucken und meinem Freund zeigen.
Raffiniert und unglaublich traurig.

Lieben Gruß
Maya

 

!!!!Ohne Worte!!!
Ich bin neu hier auf der Seite und von allen Geschichten,die ich bis jetzt gelesen habe,was leider noch nicht so viele waren,war deine die einzige,die mir richtig tief unter die Haut gegangen ist.Ein großes Lob an, Dich :eek: !!!
Ich werde bald auch eine Geschichte veröffentlichen und hoff,dass du sie lesen und bewerten wirst!?! Würde mich echt freun Tips von dir zu bekommen.Bin Anfänger!(soll aber keine Entschuldigung dafür sein,wenn die Geschichte scheiße wird! :( )
Gruß Nelly

 

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