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Maha+Synnove

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12.07.2003
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Maha+Synnove

Aran wohnt in der Victoria Strasse. Maha ist die Tochter seiner Hausmeisterin. Zwischen ihnen liegen 14 dicke Jahre. Als er in die Victoria Strasse einzog, war sie vielleicht 8 oder 9. Außer einem 'Hallo' im Treppenhaus haben sie mit einander absolut nichts zu tun.

Synnove ist Arans Chat-Freundin. Durch Zufall lernt er sie im Chat kennen. „Es war an einem Sonntag nach Silvester, als er sie zum ersten mal im Chat gefragt hat; "Und was möchtest du trinken?"
"Was hast du zu bieten?"
"Bacardi mit Wodka."
"Ich kotze."

Ab dem Moment wusste er, dass es sich hier um eine nette junge Dame handelt. Wie jung konnte sie wohl sein? Er traut sich nicht sie zu fragen, weil sie sich virtuell sehr gemocht haben. Sie fragt ihn auch nicht. Sie waren so alt, wie sie waren und sahen so aus, wie sie aussahen.

Maha ist inzwischen 14 oder 16. Im Hof, beim Müllabwurf, konnten sie ein paar Worte mehr wechseln als sonst. Sie ist auf dem Gymnasium und will nach dem Abitur woanders Medizin studieren.

Aran schätzt Synnove zwischen 20 und 22. Sie hat ihm nicht erzählen wollen, wo sie wohnt, was sie macht usw. Sie wollte immer geheim bleiben. Das hat ihm aber nichts ausgemacht. „Ich mochte ihre Gedichte oder die Art ihres Erzählens sehr. Der Inhalt an sich klang sehr mysteriös, teilweise unwahr. Aber das war mir, ehrlich gesagt, egal. Ich möchte ihre positive und liebevolle Energie, die sie mir über Mails sendete.“

Sie kennen sich durch das Internet seit über zwei Jahren.

Maha, die Tochter der Hausmeisterin ist inzwischen 18 geworden. Beim letzten Ausgang hat er sie gefragt, ob sie Lust hat mit ihm etwas trinken zu gehen. Sie freute sich. „Es war sehr nett mit ihr.“ Erzählte er mir später. Seitdem treffen sie sich in der Woche zwei bis drei Mal. Von seiner Chat-Freundin hat er ihr nie etwas erzählt.

Synnove schreibt ihm, dass sie wegziehen würde. Die Schule sei bald fertig und sie würde gerne woanders studieren.

Maha ist seit zwei Wochen in einer anderen Stadt. Sie sei lieb und nett, sagt Aran, aber mehr auch nicht.

Synnove hat er nie zu sehen bekommen und er weiß auch nicht, wie alt sie wirklich ist. Aber er glaubt, dass sie sich virtuell sehr lieben. Seit zwei Jahren mailen sie sich jeden Tag. Sie kennen fast alles voneinander außer Alter, richtige Namen, Wohnort und das Aussehen.

Ganz am Anfang hat Aran ein Bild von sich gesendet. Er hat bislang von ihr keines erhalten.

Aran schrieb gestern Synnove, dass sie sich endlich treffen sollten.

Heute sendete sie ihm ein Bild von sich. Seitdem weiß Aran nicht mehr, was er ihr schreiben soll. Auf dem Bild sieht man das schöne Lächeln von Maha mit ihren großen Augen.

Es hat ihm viel Überwindung gekostet ihr zu antworten. Sie meinte, ihr sei alles egal, aber die Mutter sollte es nicht mitbekommen auf Grund seines Alters. Er versuchte ihr klar zu machen, dass die Mutter vielleicht recht hat, allein schon wegen ihrem Studium, da er nicht zu ihr ziehen könnte. Sie sagte im Chat: „Dann liebst du mich also doch nicht?“
„Doch! Doch! Aber du bist viel zu Jung und...“
„...Viel zu weit weg willst du sagen?“
„Na, ja... „
„Was? Na, ja... Ich will den Kontakt zu dir nicht abbrechen... „
„Das müssen wir auch nicht.“
„Versprichst du es mir?“
„Na, klar! Warum sollten wir es? Wir können doch Freunde bleiben.“
„Freunde? Was willst du damit sagen?“
„Du verstehst es schon...“
„Sag mir bitte! Liebst du mich?“
„Was glaubst du?“
„Du liebst mich, so wie ich dich liebe. Right?
„Okay!“ sagte er und sie gehen aus dem Chat raus.

Das Chatten und Mailen ging noch einige Monate als Aran zufällig die Mutter von Maha im Treppenhaus trifft. Er fragt sofort nach Maha. Sie meint: „Ach! Maha geht es gut. Sie war mit ihrem Freund letzte Woche hier. Sie blieben eine Woche, waren aber viel unterwegs, vielleicht hast du sie deshalb nicht gesehen... „

„Ja. Vielleicht!“ sagt er, verabschiedet sich nett und geht dann weiter.

Am Abend erzählt er Alles Synnove. Sie geht plötzlich aus dem Chat raus und meldet sich nicht mehr. Daraufhin macht Aran sofort die Nummer von Maha ausfindig und ruft sie gleich an. Das war sein erstes Telefonat mit ihr nach zwei Jahren Mailen und Chatten. Maha hat sich sehr gefreut und war sehr überrascht. Nach ca. einer Stunde hat sie ihn davon überzeugt, dass sie nicht Synnove ist. Sie hatte nicht mal einen PC. Das wird von ihrer Mutter, die im Haus wohnt, bestätigt.

Aber wer sendet Aran nach zwei Jahren Mailen und Chatten das Bild von Maha? Warum? Weshalb?

Aran konnte absolut nichts machen. Außer eine Mailadresse hatte er von Synnove absolut nichts. Alle Mails, die er in den letzten Wochen gesendet hat, kamen zurück. Sie hat ihre Mailadresse sofort gesperrt und den Kontakt völlig abgebrochen.

Es vergingen Monate bis irgendwann Synnove sich mit dem folgenden Mail überraschend meldete:

„Mein Liebster,

die Zufälle des Lebens sollte man für nichtig nehmen.

Ich kenne dich und weiß, wer du bist. Aber leider kennst du mich nicht. Leider? Das ist eigentlich gut so. Denn ich bin viel zu Alt für dich. Ich hatte Angst dir die Wahrheit zu sagen, weil ich dich nicht verlieren wollte ...

Deine dich liebende Synnove.“

 
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Kritikerkreis

Hi

Das Thema der Geschichte ist so aktuell, dass es ironischerweise selbst hier im Internet noch ziemlich selten aufgegriffen wird. Dem Text gelingt es, in wenigen Worten die Problematik einer "Chatbeziehung" aufzuzeigen. Besonders der Aufbau hat mir ausgesprochen gut gefallen.

Abwechselnd wird hier von Synnove, der Chatbekanntschaft des Prots, und Maha, der Tochter seiner Hausmeisterin, erzählt. Zwischendurch schaltet sich auch immer wieder ein Ich-Erzähler ein, der oder die Aran zu kennen scheint. Sehr schlau gemacht, denn wäre Aran der Erzähler, könnte man die Pointe wohl abschreiben.

Jetzt wird man regelrecht auf die falsche Fährte geschubst, da die Verbindung der beiden Namen mehr als offensichtlich scheint. Man muss praktisch nur 1+1 zusammenzählen, geschickt gewählter Titel übrigens :)

Gut gefallen hat mir auch die feine Ironie in den Teilen, wo von Synnove berichtet wird. Da zum Beispiel: >> "Ich kotze."
Ab dem Moment wusste er, dass es sich hier um eine nette junge Dame handelt

oder hier: Aber er glaubt, dass sie sich virtuell sehr lieben

Als Aran dann das Foto von Maha erhält, geht ein wohliges "Ahh, hab ichs doch gleich gewusst" durch die Reihe der Leserschaft, aber spätestens bei dem wunderbar trockenen Satz: "Nach ca. einer Stunde hat sie ihn davon überzeugt, dass sie nicht Synnove ist" wird klar, dass der Knüller erst noch kommt.

Die Auflösung ist keine klassische Pointe, sondern man muss erst ein bisschen scrollen, um die Vermutung bestätigt zu bekommen, was mir auch gefallen hat.
Erst der Satz "Das wird von ihrer Mutter, die im Haus wohnt, bestätigt", den man vorhin einfach überlesen hat, bringt die Auflösung. Denn außer Maha wusste ja nur die Mutter, dass das mit dem Foto aufgeflogen war. Und eine Unbeteiligte hätte die Mailaddresse ja nicht so schnell gesperrt. Außerdem deutet natürlich das "viel zu alt" in Synnoves letzter Mail auch auf die Mutter hin.

Insgesamt also eine sehr intelligente Geschichte, die den Leser in die Sackgasse laufen und ihn dann die Lösung selber finden lässt.

Gerade durch die leichte Ironie wird zudem gezeigt, wie wenig hilfreich auch 2 Jahre miteinander Chatten für ein richtiges Einschätzen des anderen sein können.
Der Satz bringts auf den Punkt:"Sie kennen fast alles voneinander außer Alter, richtige Namen, Wohnort und das Aussehen."

Zum Stil gibt es nicht viel zu sagen, der Text verzichtet fast völlig auf Beschreibungen, liest sich auf den ersten Blick nüchtern wie ein Bericht mit teilweise flapsigen Ausdrücken, offenbart dann aber doch überaus geschickte Formulierungen. An einer Stelle stößt man sogar auf eine Art Interview-Ausschnitt, als Aran dem Ich-Erzähler buchstäblich "von Synnoves Vorzügen berichtet".
Der ein oder andere mag die Sprache zu sachlich finden, ich halte aber gerade das Verzichten auf jedes überflüssige Wort für kurzgeschichten-typisch.

Fazit: Wer wissen will, wie eine perfekte Kurzgeschichte aussieht, soll die hier lesen :)

Gruß
Christoph

 

Kritikerkreis

Du lockst wirklich den Leser geschickt auf die falsche Fährte. Maha taucht scheinbar nur in der Geschichte auf, um sich als Synnove zu entpuppen. Da dachte ich schon: Das ist aber eine platte Pointe. Zum Glück kommt erfreulicherweise noch eine Wendung. Vom logischen Standpunkt her frage ich mich nur, woher Synnove Mahas Bild hat, bzw. warum sie ausgerechnet dieses schickt. Ein unwahrscheinlicher Zufall, kaum mit Absicht zu erklären.

Bei der Sprache bin ich mir nicht so sicher. Ist sie bewusst einfach, oder ist sie unbeholfen? Letzteres finde ich wahrscheinlicher, weil es unheimlich viele Tempusfehler gibt. Bei Rückblenden scheint die Zeitform manchmal zu stimmen, aber an ein paar Stellen ist sie innerhalb eines Satzes verkehrt, z.B. "Maha hat sich sehr gefreut und war sehr überrascht"

Christophs Einstiegsbemerkung kann ich nur begrenzt vertreten. Bis auf eine Kleinigkeit würde diese Geschichte auf mit einer Brieffreundschaft und Telefonieren funktionieren. Bloß hätte der Held dann die Adresse seiner Brieffreundin (was aber wiederum auch ein Postfach sein könnte). Jedenfalls würde ich nicht behaupten, dass hier die Kommunikationsform des Chattens speziell thematisiert wird. Ich finde den wiedergegebenen Chat sogar nicht einmal besonders authentisch. Da unterhält man sich in einem speziellen Stil, in einer eigenen Sprache, mit Abkürzungen und Smileys.

Das Attribut "perfekt", das Christoph dieser Geschichte anheftet, halte ich jedenfalls nicht für zutreffend, höchstens auf die Idee und die Handlung würde ich es beziehen, die ist dank ihrer zwei Wendungen wirklich gut - aber mehr hat diese Story einfach nicht zu bieten: Keinen authentischen Plot, keine mehrdimensionalen Figuren, keinen Sprachwitz (außer "ich kotze").

Fazit: sprachlich unbeholfen oder absichtlich sehr einfach, inhaltlich gute Geschichte dank ihrer Wendungen.

für den Kritikerkreis

Uwe
:cool:

 

Hallo!

Diese wenig beachtete Geschichte wurde im Kritikerkreis besprochen.
Vielleicht gibt es noch weitere Anmerkungen zu diesem Text.

 
Zuletzt bearbeitet:

Kritikerkreis

Hm, vielleicht kann ich die Diskussion ja mal anheizen, indem ich Uwe heftig widerspreche :)

Auf den ersten Blick wirkt die Sprache sicher unbeholfen, naiv, teilweise wirken die Sätze lieblos "hingeworfen". Ich denke aber, das ist durchaus legitim in einer Zeit, in der Jeans nachträglich ein schäbiges Aussehen verpasst bekommen, in der Produzenten aufwendig "Störgeräusche" in die Musik mischen, um den Schein von Authenzität aufrechtzuerhalten.
Gerade diese gewollte sprachliche Naivität halte ich für orginell und sprachwitzig.

Dasselbe beim Tempus. Sicher ist es nicht gerade klassisch, einfach zwischen Perfekt, Imperfekt und Präsens hin und herzuspringen. Aber modern ist das allemal, gerade bei der anglo-amerikanischen Gegenwartsliteratur rümpft da längst keiner mehr die Nase. Schon Caesar hat ja gerne mal einen unangekündigten Abstecher ins historische Präsens gemacht...

Ich bin mir nicht sicher, ob ganz klar ist, dass es sich bei Synnove wohl um die Hausmeisterin, also Mahas Mutter handeln soll. Ich wollte das in meiner Kritik lediglich andeuten, um die Spannung nicht gleich rauszulassen ;)
Und die Mutter hat natürlich auch das Foto ihrer Tochter...

Ich denke auch nicht, dass die Story mit einer Telefonbeziehung funktionieren würde. Die Stimme einer 40-50 Jährigen Frau dürfte kaum zu verwechseln sein mit der einer 17-Jährigen.
Und Briefe schreiben kann man nicht in einen Topf mit Chatten werfen, bei Brief- oder Emailschreiben ist wesentlich mehr (menschliche) Distanz zwischen den "Dialogpartnern".
Vielleicht kommen ja noch mehr Stellungnahmen, würde mich freuen.

Gruß
Christoph

 

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