Was ist neu

Magier

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09.02.2017
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Magier

In meiner Erinnerung an hier ist es immer Sommer. Ich erinnere mich in einer zusammenhanglosen Sammlung von Standbildern. An blaue Himmel, an den Geruch des heißen Asphalts, an flirrende Luft am Ende des Blicks. Daran, wie ich morgens aufwache, alles schläft noch, und mich aus dem Haus schleiche. An lange Ritte auf meinem alten Fahrrad, ein altrosa Ackergaul, der draußen auf mich wartete, und an meine ausgestreckten Arme im Wind. Und an den einen Sommer, in dem ich jeden Tag rannte, über die Felder, bis in den Wald hinein, und dann noch ein Stück weiter, wenn ich konnte. Ich rannte, bis meine Lungen sich wund anfühlten. Bis meine Spucke nach Blut schmeckte. Bis ich meinen Herzschlag nicht mehr spüren konnte, weil mein ganzer Körper pochte und summte. Manchmal rannte ich, bis mir schwarz vor Augen wurde. Dann habe ich mich auf dem Boden ausgestreckt, und es hat sich angefühlt, als würde ich langsam einsinken, den Geruch von sterbendem Holz und Pilzen in der Nase, oder von Gras und Kräutern und Sonne.
Jetzt ist es Winter und das passt besser zum Anlass. Kein heimlicher, nebliger Tag, sondern einer mit blauem Himmel, ein kaltes Blau, und erbarmungslos hellem Licht. Es schickt Blitze durch die Frontscheibe und ich kneife die Augen zusammen. Mir gefällt der Gedanke, dass ich den Weg auch blind finden würde, auch wenn das schon lange nicht mehr stimmt. Das wäre irgendwie hübsch, wenn mich immer noch etwas zu dir ziehen würde, eine unsichtbare Macht, diese Macht, die nur du über mich hast.
Alles hat sich verändert. Wo früher Felder waren, ist seit ein paar Jahren ein Neubaugebiet. Ich wusste das, aber es zu sehen ist unangenehm. Die Bilder krachen mit denen aus meiner Erinnerung zusammen; das Ergebnis sind Scherben. Ist es das, was Altwerden ausmacht?
Ich parke das Auto direkt vorm Haus. Es sieht ganz anders aus, aber sein Gerippe ist das Gleiche. Vertraut genug. Diesen Moment habe ich mir so oft vorgestellt. Ich würde eine Weile sitzen bleiben, dachte ich, und aus dem Fenster sehen. Ich würde mich sammeln, würde sicher gehen müssen, dass ich nicht wie in Trance aussteige und an der Tür klingele. Dass ich es nicht nur irgendwie hinter mich bringe, sondern klar bin, klar, solide, hart. Ich gehöre nicht mehr hierher und meine Rückkehr würde erschütternd sein.
Sie ist antiklimatisch.
Ich steige einfach aus. Gehe die paar Schritte zur Haustür. Warte darauf, dass irgendetwas aus dem ungepflegten Gestrüpp im Vorgarten mich anspringt. Angst oder Traurigkeit. Oder das Gefühl, in der Zeit zurück gereist zu sein. Warte auf Magie, an die ich nicht mehr glaube. Aber der Vorgarten ist nur ein Vorgarten. Ich bin eine andere als die, die davon träumte, zurückzukommen. Eine andere als die, die es nie getan hat.
Erst vor der Haustür meldet sich eine kleine Unsicherheit. Ich hatte mir immer vorgestellt, dich wiederzusehen, wenn du grau geworden bist. Du würdest mir die Tür öffnen. Du wärst überrascht. Ich hätte Tränen in den Augen und du würdest die Oberhand gewinnen und mich umarmen und -
Und auch dieses Bild wird falsch sein.
Grau bist du schon seit vielen Jahren, und ich weiß, dass du mir die Tür nicht öffnen wirst. Ob ich dich wiedererkennen kann? Oder bist du jetzt ein Fremder in einem fremden Körper? Vielleicht sind deine blauen Augen keine Fenster mehr. Ich habe mir immer eingebildet, dich dahinter zu entdecken, deine Essenz, einen tanzenden, quirligen Funken in einem schwerfälligen Körper mit viel zu dicker Haut. Ich habe Herzklopfen und das Lied im Ohr, das du mir immer vorgespielt hast. Drive, von den Cars - damals dachte ich noch, du willst mir sagen, dass du immer für mich da sein wirst. Inzwischen verstehe ich es besser.
Ich klingele. Es dauert einen langen Moment, dann öffnet Martin mir die Tür. Mein Bruder.
“Hi. Komm rein.”
Er sieht müder aus als sonst. Wahrscheinlich die Psychopharmaka, von denen er jetzt noch mehr schluckt. Ich bin mir des Augenblicks bewusst, als er die Tür hinter mir schließt.
“Was machen die Stimmen?”, frage ich ohne echten Humor.
Er zuckt die Schultern, schaut weg. Fragt sich, was ich hier will. Fragt sich, ob es eine gute Idee ist, mich reinzulassen. Fragt sich, ob ich ihn mit einem Blick durchschaue. Natürlich tue ich das. Auch ohne seine Gedanken lesen zu können, oder was auch immer er sich einbildet.
“Er ist im Wohnzimmer, nehme ich an?”
“Woher weißt du das?”
Hast du ihm erzählt, ich wäre eine Hexe? Vielleicht musste ich eine werden. Und vielleicht müsst ihr mich fürchten, ihr Sünder.
“Du hast sicher keinen Bock, ihn die Treppe rauf und runter zu tragen, und in der Küche wirst du ihn kaum geparkt haben.”
“Geparkt.”
Jetzt zucke ich die Schultern. Aber ich weiche seinem Blick nicht aus. Das Wohnzimmer liegt direkt hinter der Tür, neben der wir stehen. Es überrascht mich, dass er sie nicht ausgehängt hat, aber wahrscheinlich braucht ihr beide wenigstens die Illusion von Privatsphäre.
“Ich will allein mit ihm sein. Geh hoch. Geh in dein Zimmer. Setz dich an die Playstation oder bekiff dich. Lunger nicht hier unten herum.”
“Du willst ihn doch nicht -” Er lacht unsicher.
“Umbringen?”, schlage ich vor.
“Willst du doch nicht?”
“Schmeiß mich doch raus.”
Er weicht wieder meinem Blick aus. Dann geht er nach oben.
Ich warte, bis er verschwunden ist, dann betrete ich das Wohnzimmer ohne anzuklopfen. Es riecht nach Nikotin und Desinfektionsspray. Das Bett steht hinten, vor der doppelflügligen Balkontür und der obere Teil ist schräg aufgerichtet, damit du hinaussehen kannst.
Du. Die bleiche Masse mit den vergilbten Haaren.
Meine Absätze knallen auf den Holzdielen und das ist gut so. Du drehst nicht den Kopf, also gehe ich um das Bett herum. Mit der kleinen Fernbedienung fahre ich es weit genug herunter, damit ich mich auf die Kante setzen kann.
“Hallo, Magier.”
Ich habe keine Ahnung, wie das für dich klingt. Oder was du glaubst, was jetzt als nächstes passieren wird. Die eine Hälfte deines Gesichts hängt schlaff herunter. Aus deinem Mundwinkel läuft Speichel in deinen Bart. Ich betrachte mir das einen Moment, deine Augen anzusehen schaffe ich noch nicht. Dann ziehe ich ein Tempo aus der Manteltasche und rutsche näher an dich heran. Lächele.
“Du sabberst.”
Ich tupfe, obwohl ich weiß, dass in wenigen Minuten alles wieder nass sein wird. Ich tupfe langsam. Sanft.
“Bin ich die erste, die das tut?”
Wahrscheinlich nicht. Ich bedauere, dass ich es mir nicht einreden kann.
Ich streiche mit dem feuchten Tempo über deine Unterlippe.
“‘Und das?”
Jetzt sehe ich dir in die Augen. Sie sind genauso hellblau, wie ich sie in Erinnerung habe, die gleichen Augen in einem verfremdeten Gesicht, aber der Funke hat Angst. Angst vor der Begrenzung seines hilflosen Körpers.
“Kannst dich nicht bewegen, hm?”
Mein Plauderton ist unangemessen, ich weiß das. Ich weiß das. Ich will das. Ich hoffe, du hörst mir die Aufregung nicht an. Das wäre mir peinlich.
“Sieht nicht gut für dich aus. Dein Sohn wird das nicht hinkriegen. Er hat zu wenig Rückgrat.”
Für einen Moment denke ich, du willst etwas sagen. Nuscheln, vielmehr. Ich habe gehört, du hättest dir vor Jahren schon alle Zähne ziehen lassen, statt dich weiter mit den endlosen Sanierungen herumzuärgern. Als sie mir das erzählt haben, fragte ich mich, ob du dich damit bestrafen willst, mit dieser Selbstaufgabe, oder ob das nur eine weitere Lüge ist, eine weitere Illusion. Du trägst kein Gebiss, Martin ekelt sich bestimmt davor, es dir in deinen faltigen, nackten Mund zu schieben. Ich weiß, dass du die Fähigkeit, Laute zu formen, nicht verloren hast. Schade, dass ich nicht herausfinden kann, ob du aus Scham schweigst oder aus einer verdrehten Form von Respekt. Vielleicht keins von beidem, selbst die gesunde Hälfte deines Körpers liegt da wie tot.
“Trägt er dich eigentlich auf’s Klo? Oder hast du Windeln?”
Eine Wange zuckt.
“Ehrlich? Darf ich mal anfassen?”
Ich greife unter die Bettdecke und lege meine Hand auf dein Bein. Ich lege sie auf die Stelle direkt oberhalb des Knies, dann schiebe ich sie langsam höher, auf der Innenseite deines Oberschenkels entlang. Ich beuge mich zu dir vor und senke meine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern.
“Ist ja nichts dabei.”
Deine Schlafanzughose schlägt Falten, sie stauen sich unter meinen Fingern, bis ich an deine Leiste stoße. Unter dem Stoff spüre ich Plastik knistern.
“Ich hoffe, du kriegst keinen Ständer.”
Abrupt ziehe ich meine Hand zurück und lege dir einen Finger auf die Lippen.
“Sag jetzt nichts Falsches. Sag lieber meinen Namen.”
Du hattest keinen Spitznamen für mich. Kein Kosewort, nicht einmal eine Abkürzung. Und meinen Namen hast du mit einer Vertraulichkeit ausgesprochen, die ihn aus dem Mund jedes anderen klingen lässt wie irgendein Wort von tausenden.
“Ein Mal nur. Für mich?”
Ich habe dir nie Gelegenheit gegeben, dir deine Schuld von der Seele zu reden. Ich komme erst jetzt, wo du es nicht mehr kannst.
Ich drücke dein Kinn nach unten, um deinen Mund zu öffnen, als würde mein Name schon irgendwo da drin warten und könnte nur den Weg nicht finden. Meine Fingerspitzen liegen noch auf deiner Unterlippe, und ich bin versucht, in deinen Mund hinein zu greifen. Vielleicht finde ich die richtigen Laute, wenn ich nur lange genug wühle.
Dann sehe ich auf, und du hast Tränen in den Augen. Der Moment ist vorbei.
“Ich bin nicht hier, um dir weh zu tun. Das weißt du doch, oder? Dass ich dir nicht weh tun will?”
Ich sage es mechanisch und wir wissen beide, warum.
Du versuchst, hektisch zu schlucken, aber es misslingt dir, und ein Schwall Speichel ergießt sich über deinen Bart und versickert irgendwo an deinem Hals.
“Ja. Kann schon sein, dass du es verdient hättest.”
Jetzt machst du Laute. Ungeschliffen, abgehackt. Mit etwas Phantasie könnte ich darin bestimmt meinen Namen erkennen.
“Weißt du, du hast Magie in meine Welt gebracht. Deinetwegen sehe ich hinter die Schleier.”
Ich suche in deinen Augen nach Anzeichen dafür, dass du mich verstehst, das ist mir wichtig, aber ich glaube, du hältst mich nur für irre.
“Deinetwegen sehe ich die Monster”, versuche ich zu erklären.
Meine Stimme klingt bedauernd, und das bedeutet, es wird Zeit, zu gehen.
Ich wische dir noch einmal den Speichel weg, mit einem frischen Taschentuch.
“Du kannst jetzt nicht mehr vor dir davonlaufen.”
Ich lasse mich vom Bett rutschen.
“Bye.”

 

Hallo,

an den Geruch des heißen Asphalts - das ist kein Standbild, sondern olfaktorisch, das würde ich ändern, da es unpräzise ist.

Bis meine Spucke nach Blut schmeckte. Interessanterweise soll es wohl die Leber sein, die man da schmeckt, also dieser organische, bittere Geschmack, ich weiß nicht, ob es genau stimmt, es gibt hier im Forum Mediziner, die das klären könnten.

Ich schreibe so mit beim Lesen, aber der erste Absatz ist einfach etwas too much. Da hagelt es an Sensorik und Eindrücken, und mir kommt das so vor, als ob du hier dem Leser zeigen möchtest, wie gut du schreiben kannst, und das ist auch alles gut und liest sich flüssig, dennoch frage ich mich, wofür du das benötigst? Bringst es die Story irgendwie weiter? Atmo schaffst du, finde ich, sogar eindrücklicher, wenn du dich auf einige gute Details beschränkst.

Jetzt ist es Winter und das passt besser zum Anlass. Ich persönlich finde diese Vorgriffe dramaturgisch nicht so geschickt, weil ich jetzt weiß, etwas wird passieren, ein Anlass, und dann lese ich den Text gleich anders, ich überprüfe ihn auf hints und wie er gearbeitet ist. Das würde ich überdenken.

Kein heimlicher, nebliger Tag, sondern einer mit blauem Himmel, ein kaltes Blau, und erbarmungslos hellem Licht. Zuerst liest sich das gut, aber wenn man diesen Satz noch einmal liest, dann wirft er Fragen auf, vor allem von der Logik: Du stellst hier den heimlich nebligen Tag einem anderen gegenüber, einem mit blauem Himmel, aber warum? Wenn es eine besondere Bewandtnis hat, mit diesem heimlich nebligen Tag (der vorher auch nicht auftaucht), warum wird er dann erwähnt? Das liest sich gut, aber es ist ein Gimmick, der nichts beiträgt, der sich einfach nur gut anhört, und das erweckt eine Illusion von etwas, das nicht da ist (und auch nicht da sein muss), nämlich einer zweiten Ebene in der Erzählung selbst. Dann - zweimal blauer Himmel, einmal im ersten Absatz, Sommer, in der Erinnerung, dann im Jetzt, wo das erbarmungslos Licht Blitze durch die Scheibe sendet. Mich verwirrt das, weil du mit Wetter ja sehr gute Zeitmarker setzen kannst, die innerhalb der Dramaturgie wichtig werden können, und zweimal blauer Himmel, das ist nicht so stringent.

Überhaupt: Erbarmungsloses Licht. Was ist das? Wie sehe ich das? Was macht das mit mir? Wie soll ich mir das vorstellen, als physische Erfahrung? Ich würde das zeigen. Und dann: es. Es schickt Blitze. Kann Licht Blitze schicken? Ich weiß nicht?

Mir gefällt der Gedanke, dass ich den Weg auch blind finden würde, auch wenn das schon lange nicht mehr stimmt.
Das finde ich stark. Das wäre mein Anfang. Den aktuellen ersten Absatz kannst du hinterher gliedern, danach, nach diesem Einstieg. Ich finde das auch logischer, zuerst ist da dieser Gedanke, und dann erinnert sie sich, das hätte mehr Kongruenz, meine ich.


Ich würde eine Weile sitzen bleiben, dachte ich, und aus dem Fenster sehen
Das "dachte ich" musst du nicht mehr erwähnen, da es klar ist, es ist in ihrer Vorstellung, es liest sich flüssiger.

Ich würde mich sammeln, würde sicher gehen müssen, dass ich nicht wie in Trance aussteige und an der Tür klingele. Wie macht man das? Wie geht man sicher, dass man nicht in Trance ist? Kneift sie sich? Hier brauche ich eine Lösung, etwas, dass mir ihre Reaktion zeigt, wie sie das macht. Sonst steht der Satz nur da und tut nichts, er klingt höchstens irgendwie geheimnisvoll.

Ich gehöre nicht mehr hierher und meine Rückkehr würde erschütternd sein. Sie ist antiklimatisch. Warum würde sie erschütternd sein? Das willst du doch mit der Geschichte zeigen, das einfach zu erwähnen, erscheint mir recht einfach, du kürzt das ab, diese Empfindung musst du doch durch den Text beim Leser erwirken. Und dann: antiklimatisch. Das passt null zu dem Vokabular des restlichen Textes, es wirkt wie ein Fremdkörper.

Ich steige einfach aus. Gehe die paar Schritte zur Haustür. Warte darauf, dass irgendetwas aus dem ungepflegten Gestrüpp im Vorgarten mich anspringt. Angst oder Traurigkeit. Oder das Gefühl, in der Zeit zurück gereist zu sein. Warte auf Magie, an die ich nicht mehr glaube. Aber der Vorgarten ist nur ein Vorgarten. Ich bin eine andere als die, die davon träumte, zurückzukommen. Eine andere als die, die es nie getan hat
Dieser ganze Absatz verwirrt mich. Angst und Traurigkeit, die dich aus einem Gestrüpp anspringen, ich halte das für ein schiefes Bild. Und: Sie reist bereits in der Zeit zurück, sie beschäftigt sich die ganze Zeit mit diesem Gefühl, sie muss es nicht erst erwarten. Und auf welche Magie wartet sie, was soll diese anrichten, bewirken? Das hängt in der Luft. Auch der letzte Satz: Sie tut es doch gerade. Ihr Gedanke wird von der Realität eingeholt.

Erst vor der Haustür meldet sich eine kleine Unsicherheit. Moment? Die ganze Zeit denkt sie zögerlich darüber nach, über diese Rückkehr, reflektiert ohne Ende, ist unentschlossen, stellt sich vor, wie sie da im Auto sitzt und aufpassen muss, dass sie es nicht wie in Trance erledigt, und dann ist sie total sicher, und spürt nur eine kleine Unsicherheit?

Grau bist du schon seit vielen Jahren, und ich weiß, dass du mir die Tür nicht öffnen wirst. Ob ich dich wiedererkennen kann? Woher weiß sie, dass er grau geworden ist? Und wenn er ihr sowieso nicht die Tür öffnet, warum fragt sie sich, ob sie ihn wiedererkennt?

Vielleicht sind deine blauen Augen keine Fenster mehr. Ich weiß, die Erklärung, was du damit sagen willst, kommt danach, aber es liest sich unfreiwillig komisch.

Er zuckt die Schultern, schaut weg. Fragt sich, was ich hier will. Fragt sich, ob es eine gute Idee ist, mich reinzulassen. Fragt sich, ob ich ihn mit einem Blick durchschaue. Natürlich tue ich das. Auch ohne seine Gedanken lesen zu können, oder was auch immer er sich einbildet.
“Er ist im Wohnzimmer, nehme ich an?”
“Woher weißt du das?”
Hast du ihm erzählt, ich wäre eine Hexe? Vielleicht musste ich eine werden. Und vielleicht müsst ihr mich fürchten, ihr Sünder.
“Du hast sicher keinen Bock, ihn die Treppe rauf und runter zu tragen, und in der Küche wirst du ihn kaum geparkt haben.”
“Geparkt.”

Der Dialog wirkt gestelzt und künstlich. Das mit den Stimmen auch schon, das muss auch nicht sein, du sagst Psychopharmaka, und das reicht. Ich frage mich auch gleich, wenn ich weiterlese, ob man einen Mann mit einer Psychose, der dann auch Stimmen hört, einfach so mit einem Pflegefall alleine lassen würde. Würde man? Auch dieser Satz mit der Hexe - ich verstehe den nicht. Was macht er da, was sagt er uns, wohin soll er den Leser führen?

Für einen Moment denke ich, du willst etwas sagen. Nuscheln, vielmehr. Ich habe gehört, du hättest dir vor Jahren schon alle Zähne ziehen lassen, statt dich weiter mit den endlosen Sanierungen herumzuärgern. Als sie mir das erzählt haben, fragte ich mich, ob du dich damit bestrafen willst, mit dieser Selbstaufgabe, oder ob das nur eine weitere Lüge ist, eine weitere Illusion. Du trägst kein Gebiss, Martin ekelt sich bestimmt davor, es dir in deinen faltigen, nackten Mund zu schieben. Ich weiß, dass du die Fähigkeit, Laute zu formen, nicht verloren hast. Schade, dass ich nicht herausfinden kann, ob du aus Scham schweigst oder aus einer verdrehten Form von Respekt. Vielleicht keins von beidem, selbst die gesunde Hälfte deines Körpers liegt da wie tot. 100% Autor, den ich da raushöre. Viel zu viel Erklärung, Spekulation, Vermutung.

So, gelesen. Puh, schwierig. Mir ist das insgesamt zu unausgegoren, zu unentschlossen, auch zu erklärend, immer der Erzähler, der da noch was einfügt, noch was wertet, noch was erklärt, vermutet, spekuliert. Mir erscheint der Erzähler nicht konsistent, auch wenn hier mehrere Ebenen sind, das wirkt auf mich in sich oft widersprüchlich. Ich glaube, du willst zu viel, hier sind viele Sätze, die einen Klang haben sollen, aber die bei genauer Betrachtung sich selbst entlarven, und dann wirken sie wie Ballast, wie Worte, die einfach leer sind. Und du hast auch in der Dramaturgie eine etwas seltsame Zentrierung, du benötigst 3/4 des Textes, bis was passiert, und da beschreibst du Reflektionen und Erinnerungen ohne Ende, verwendest darauf Energie und auch die Aufmerksamkeit des Leser, und dann im Haus selbst, beim Magier, da werden die Details spärlicher, und dann endet die Geschichte auf so einer mysteriösen Note, mit Monstern und so. Ich habe selber einen Hang, Geschichten so enden zu lassen, aber es ist nicht richtig, es ist nur eine Vortäuschung, es täuscht eine Tiefe vor, die aber die restliche Geschichte nicht hergibt, diese Tiefe muss sich durch den ganzen Text ziehen, sie muss dem immanent sein, dann würde man es dem Ende auch abnehmen, aber so ist das nur ein Satz, der seine Wirkung vortäuscht, eine Illusion.

Konstruktiv: Die Dialoge wirken auf mich sehr künstlich, ich glaube, niemand spricht so, natürlich ist lebendige Sprache in der Literatur immer eine Komposition, aber: “Ich bin nicht hier, um dir weh zu tun. Das weißt du doch, oder? Dass ich dir nicht weh tun will?", das klingt nicht wie oral gesprochen, und dann: Würde jemand so etwas tatsächlich auch sagen? Oder viel eher nur schweigen und beobachten, betrachten?

Einige Bilder klingen in meinen Ohren schief. Ich versuche, möglichst ohne Bilder und Metaphern auszukommen, also nur zu sagen, was ist, damit sagt man innerhalb der Fiktion die Wahrheit, und die ist dann erstmal nicht so leicht angreifbar.


Gruss, Jimmy

 

Hallo jimmysalaryman

Es freut mich, dass du so genau hingesehen hast, auf genau solche Kritiken habe ich gehofft.
Ich habe diesen Text hier eingestellt, weil er ziemlich dem entspricht, wie ich schreibe, wenn ich einfach schreibe. Er fühlt sich richtig für mich an.
Und das ist genau das Problem. Ich weiß zwar inzwischen um diverse Schwächen, die ich habe, aber leider nehme ich sie selbst nur wahr, wenn man mich hart und deutlich mit der Nase draufstößt.
Einige davon sprichst du an und erklärst auch für mich gut verständlich, warum es hakt.
Anderes verstehe ich nicht, oder noch nicht.
Ich werde das alles mal sacken lassen, und dann habe ich wahrscheinlich noch die eine oder andere Frage dazu.

Danke jedenfalls schonmal.

Grüße,
Gefrierpunkt.

 

Hallo Gefrierpunkt

Nachdem ich zwei, drei Kommentare von dir gelesen hatte, war ich gespannt auf deine erste Geschichte und wurde nicht enttäuscht. Das ist ein guter Text.

Seine Stärke entfaltet er im zweiten Teil, in der Interaktion, in den Gesten.

“Trägt er dich eigentlich auf’s Klo? Oder hast du Windeln?”
Eine Wange zuckt.
“Ehrlich? Darf ich mal anfassen?”

Solche Stellen z.B. haben mir ausgesprochen gut gefallen und haben mich an die "Die Stunde zwischen Frau und Gitarre" erinnert, ich weiss nicht, ob du den Text kennst. Die Erzählerin sagt, dass sie keine Rache nehmen will, und tut es doch, durch ihre Anwesenheit, durch den Blick auf den verfallenden Körper, ja sogar durch die Geste des Speichelwegwischens, so hab ich das zumindest gelesen und ich fand das wirklich sehr gut gemacht. Der jeweilige Wechsel zum "du" wirkt auf mich stimmig.

Vielleicht könntest du die explizite Ankündigung, sie wolle ihm nichts antun, weglassen, dieser Gedanke ist eh schon in den Köpfen der Leser, da musst du nicht darauf eingehen, finde ich. Etwas unsicher bin ich mit der Zeile "Ich hoffe, du kriegst keinen Ständer." Das lenkt den Leser schon sehr stark und ich weiss nicht, ob die Geste, das Vorstossen zur Leiste, das Knistern des Plastiks nicht schon reichen würde, um die Thematik zu etablieren.

Die Dialoge mit dem Bruder könntest du ebenfalls etwas einkürzen, schleifen, zumindest den, auf den Jimmy explizit hingewiesen hat, die Quasi-Dialoge am Ende haben mir aber - wie gesagt - sehr gut gefallen, hier weist der Text seine grösste Intensität auf.

Den Anfang würde ich unbedingt überarbeiten. Du lässt die Figur da sehr und zu lange alleine mit ihren Gedanken, mit Wetterbeschreibung etc. Wenn es nicht so gut geschrieben wäre, hätte ich die Lektüre wohl abgebrochen. Der Satz: "Sie ist antiklimatisch" hat mich gestört, sowohl wegen der Begrifflichkeit als auch wegen der Aussage.

Du siehst, was die kritischen Einwände betrifft, wiederhole ich einiges, was mein Vorredner gesagt hat. Ich wollte mit meinem Kommentar da einfach noch Akzente setzen und vor allem auch hervorheben, wie gut der Text mir insgesamt gefallen hat.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hallo Peeperkorn

Danke auch an dich.
Es stört mich gar nicht, dass er sich in einigen Punkten mit dem überschneidet, was jimmy schon angesprochen hat. Im Gegenteil, ich finde es nochmal anders aussagekräftig, ob einer oder mehrere sich an bestimmten Elementen eines Textes stören.

Zum Teil sprecht ihr an, was mir selbst auch schon aufgefallen ist, über andere Punkte muss ich erst in Ruhe nachdenken. Das erste "Ja aber!" runterschlucken und dann herausfinden, ob da nicht doch was dran ist.

Ich drehe und wende eure Kritiken also noch gedanklich hin und her, und es kann noch etwas dauern, bis ich mich dann dazu äußere. Ich bin da tendenziell langsam.
Aber ich wollte dich schon mal wissen lassen, dass ich dich gelesen habe und mit deinen Anmerkungen auch viel anfangen kann.
Vor allem "Du lässt die Figur da zu lange alleine" hat mir eine kleine Glühbirne beschert.

Grüße,
Gefrierpunkt.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Gefrierpunkt,

Du kennst ja sicher die Empfehlung, dass der erste Satz besonders prägnant sein sollte. Wenn ich nun In meiner Erinnerung an hier ist es immer Sommer lese, gibt es da bereits einen kleinen Bruch, eine kleine Unstimmigkeit, etwas, das mich innehalten lässt. In meiner Erinnerung an hier, das klingt schräg.

Grundsätzlich gefällt mir die Rhythmik des Textes. Du vermeidest über große Strecken Wortwiederholungen, nutzt flexible Satzkonstruktionen (nicht das ewige SPO-Schema), variierst die Länge der Sätze und deren semantische Schwerpunktsetzungen, übertreibst es nicht mit Adjektiven. Wunderbar.

Allerdings dreht sich der Text am Anfang zu lange um Gefühlseindrücke, Erinnerungen und Bewertungen der Erzählerin. Es mag vielleicht ein Publikum dafür geben, mag sein, aber auf mich wirkt es zu ich-konzentriert. Was rechtfertigt, dem Leser nun jeden Sinneseindruck, jede noch so vage Assoziation haarklein auszubreiten? Soll das ein Beleg für die Empfindsamkeit der Erzählerin sein? Okay, aber wie bringt das die Story voran?

Als Leser beziehe ich ja alle Informationen auf den Kerngehalt der Geschichte. Sobald ich den Eindruck gewinne, der Text liefert mir zu viele belanglose Details (rosa Fahrrad, flirrende Luft, Geruch nach Pilzen), beginne ich, das zu über-lesen. Ich verstehe, wenn Du Atmosphäre schaffen willst. Aber erstens kann das knapper geschehen und zweitens sollte es stringenter erfolgen: Der Text beginnt mit Sommererinnerungen, die Du ausführlich atmosphärisch unterlegst und dann erfahre ich, dass gar kein Sommer mehr ist, sondern Winter. (Weil das übrigens, lieber Leser, auch viel besser zum Anlass passt.) Hm, ich finde, das ist dramaturgisch nicht geschickt, es ist überladen.

Die Hauptszene finde ich von der Idee sehr gelungen. Ich stelle mir vor, dass der Sieche ein übler Kerl ist oder zumindest übel gehandelt hat. Vielleicht hat er die Ich-Erzählerin vergewaltigt, physisch und/ oder psychisch, vielleicht war einfach nur ein miserabler Freund. Die Protagonistin kommt nun an das Bett des Gelähmten und obwohl man nicht direkt den Eindruck hat, dass sie sich an seinen Qualen weidet, gibt es da so etwas wie Genugtuung, die sie zu empfinden scheint.

Das finde ich sehr spannend, wie überhaupt das Thema von Schuld, Sühne, Vergeltung, Vergebung usw. hochspannend ist.

Von der Ausführung her gibt es noch Schwächen. Der eine oder andere Satz wirkt zu formal, klingt zu sehr nach Autorenintention, Jimmy und Peeperkorn haben schon darauf hingewiesen.

Insgesamt hat mir das Ganze gut gefallen. Ich freu mich auf Deine Nächste.

Beste Grüße
Achillus

 

Hallo jimmysalaryman.

Ich sage nicht zu jedem einzelnen Punkt was, hauptsächlich zu denen, die Fragen aufgeworfen haben.
Fand deine Kritik insgesamt sehr hilfreich.

an den Geruch des heißen Asphalts - das ist kein Standbild, sondern olfaktorisch, das würde ich ändern, da es unpräzise ist.
Danke, wird geändert.

Ich schreibe so mit beim Lesen, aber der erste Absatz ist einfach etwas too much. Da hagelt es an Sensorik und Eindrücken, und mir kommt das so vor, als ob du hier dem Leser zeigen möchtest, wie gut du schreiben kannst, und das ist auch alles gut und liest sich flüssig, dennoch frage ich mich, wofür du das benötigst? Bringst es die Story irgendwie weiter? Atmo schaffst du, finde ich, sogar eindrücklicher, wenn du dich auf einige gute Details beschränkst.
Keine Ahnung. Ich weiß, man sollte jede Entscheidung begründen können, die man als Autor trifft; ich kanns nicht. Auch vor den Kritiken hier habe ich schon mit dem ausschweifenden Anfang gehadert, wusste aber weder warum, noch was zu ändern wäre.
Bei der Bemerkung, ich wolle dem Leser zeigen, wie gut ich schreiben kann, bin ich kurz zusammengezuckt. Also sollte ich da wohl mal hingucken. Ich denke, ich habe Sorge, meine Texte würden zu kurz, und blase sie deshalb künstlich auf.
Das ist immer so schön produktiv, wenn eine Kritik dahin trifft, wo es weh tut.

Jetzt ist es Winter und das passt besser zum Anlass. Ich persönlich finde diese Vorgriffe dramaturgisch nicht so geschickt, weil ich jetzt weiß, etwas wird passieren, ein Anlass, und dann lese ich den Text gleich anders, ich überprüfe ihn auf hints und wie er gearbeitet ist. Das würde ich überdenken.
Ja, damit kann ich was anfangen. Dafür bin ich auch noch gar nicht sensibilisiert.

Kein heimlicher, nebliger Tag, sondern einer mit blauem Himmel, ein kaltes Blau, und erbarmungslos hellem Licht. Zuerst liest sich das gut, aber wenn man diesen Satz noch einmal liest, dann wirft er Fragen auf, vor allem von der Logik: Du stellst hier den heimlich nebligen Tag einem anderen gegenüber, einem mit blauem Himmel, aber warum? Wenn es eine besondere Bewandtnis hat, mit diesem heimlich nebligen Tag (der vorher auch nicht auftaucht), warum wird er dann erwähnt? Das liest sich gut, aber es ist ein Gimmick, der nichts beiträgt, der sich einfach nur gut anhört, und das erweckt eine Illusion von etwas, das nicht da ist (und auch nicht da sein muss), nämlich einer zweiten Ebene in der Erzählung selbst
.
Das ist so eine Stelle, an der ich - Autor - ein bestimmtes Gefühl mit diesem Bild verbinde, auch mit dem, was 'erbarmungsloses Licht' auslöst, und das ist mir da so reingerutscht, ohne dass ich es anscheinend für den Leser greifbar gemacht habe. Danke für den Hinweis.

Was meinst du mit der Illusion einer zweiten Ebene in der Erzählung selbst?

Und dann: es. Es schickt Blitze. Kann Licht Blitze schicken? Ich weiß nicht?
Ich weiß nicht - kann es? Und ist das wichtig? Das, was ich da beschreibe, sieht für mich so aus. Ich verstehe, dass das immer schwierig ist in Texten, wenn man sehr eigene Bilder verwendet. Aber das ist glaube ich ein ewiges Abwägen zwischen einer eigenen Sprache und einer, die den Leser nicht entfremdet, weil sie leichter verständlich ist.


Mir gefällt der Gedanke, dass ich den Weg auch blind finden würde, auch wenn das schon lange nicht mehr stimmt.
Das finde ich stark. Das wäre mein Anfang. Den aktuellen ersten Absatz kannst du hinterher gliedern, danach, nach diesem Einstieg. Ich finde das auch logischer, zuerst ist da dieser Gedanke, und dann erinnert sie sich, das hätte mehr Kongruenz, meine ich.
Das gefällt mir. Da habe ich auch gleich einen Punkt, an dem ich mit der Überarbeitung des Anfangs ansetzen kann.

Ich würde mich sammeln, würde sicher gehen müssen, dass ich nicht wie in Trance aussteige und an der Tür klingele. Wie macht man das? Wie geht man sicher, dass man nicht in Trance ist? Kneift sie sich? Hier brauche ich eine Lösung, etwas, dass mir ihre Reaktion zeigt, wie sie das macht. Sonst steht der Satz nur da und tut nichts, er klingt höchstens irgendwie geheimnisvoll.
Sie tut gar nichts. Sie ist ja nicht in der Situation. Sie hat sich diesen Moment nur immer anders vorgestellt. Wie sich sich letztendlich versichert hätte, dass sie nicht neben sich steht, oder ob sie es überhaupt hätte bemerken können, wenn sie sich in diesem Zustand befunden hätte, das ist jetzt doch nicht wirklich von Bedeutung.
Ich glaube, hier hast du zu sehr als Kritiker gelesen. Oder würdest du als Leser auch darüber stolpern?
Ernstgemeinte Frage.

Ich gehöre nicht mehr hierher und meine Rückkehr würde erschütternd sein. Sie ist antiklimatisch. Warum würde sie erschütternd sein? Das willst du doch mit der Geschichte zeigen, das einfach zu erwähnen, erscheint mir recht einfach, du kürzt das ab, diese Empfindung musst du doch durch den Text beim Leser erwirken.
Ja, danke.

Und dann: antiklimatisch. Das passt null zu dem Vokabular des restlichen Textes, es wirkt wie ein Fremdkörper.
Das war Absicht. Wurde aber nicht nur von dir bemägelt, also lasse ich es mir nochmal durch den Kopf gehen. Ich wollte an der Stelle schon einen Bruch. Muss ich wohl irgendwie anders machen.


Ich steige einfach aus. Gehe die paar Schritte zur Haustür. Warte darauf, dass irgendetwas aus dem ungepflegten Gestrüpp im Vorgarten mich anspringt. Angst oder Traurigkeit. Oder das Gefühl, in der Zeit zurück gereist zu sein. Warte auf Magie, an die ich nicht mehr glaube. Aber der Vorgarten ist nur ein Vorgarten. Ich bin eine andere als die, die davon träumte, zurückzukommen. Eine andere als die, die es nie getan hat
Dieser ganze Absatz verwirrt mich. Angst und Traurigkeit, die dich aus einem Gestrüpp anspringen, ich halte das für ein schiefes Bild. Und: Sie reist bereits in der Zeit zurück, sie beschäftigt sich die ganze Zeit mit diesem Gefühl, sie muss es nicht erst erwarten. Und auf welche Magie wartet sie, was soll diese anrichten, bewirken? Das hängt in der Luft. Auch der letzte Satz: Sie tut es doch gerade. Ihr Gedanke wird von der Realität eingeholt.
Ich finde das Bild nicht schief, nicht das mit Angst, die einen anspringen kann. Aber vielleicht ist das Bild an der Stelle insgesamt nicht so passend, das kann sein. Da wird zu lange zu viel angedeutet, wo es eigentlich klarer werden sollte.
Der zweite Hinweis ist gut, sie reist bereits in der Zeit zurück. Der ist wichtig. Ich weiß noch nicht genau, was ich mit dem mache, aber er arbeitet in mir.
Über den Rest muss ich noch weiter nachdenken.

Erst vor der Haustür meldet sich eine kleine Unsicherheit. Moment? Die ganze Zeit denkt sie zögerlich darüber nach, über diese Rückkehr, reflektiert ohne Ende, ist unentschlossen, stellt sich vor, wie sie da im Auto sitzt und aufpassen muss, dass sie es nicht wie in Trance erledigt, und dann ist sie total sicher, und spürt nur eine kleine Unsicherheit?
Sie reflektiert ohne Ende, ja. Aber das ist doch nicht gleichzusetzen mit Unsicherheit.
Im Gegenteil, ihr fällt auf, wie anders ihre Reaktionen sind, im Vergleich dazu, was sie sich vorher jahrelang ausgemalt hat. Nämlich: nicht verunsichert, kein großes Gefühlschaos. Aber an der Tür, da schwankt sie dann doch.
Liest sich jetzt wie eine Rechtfertigung. Tatsächlich habe ich aber sehr häufig das Problem, dass mein Text nicht transportiert, was ich sagen will, deshalb nehme ich deine Anmerkung durchaus ernst. Ich vermute, ich schwafele an der Stelle einfach zu viel.

Grau bist du schon seit vielen Jahren, und ich weiß, dass du mir die Tür nicht öffnen wirst. Ob ich dich wiedererkennen kann? Woher weiß sie, dass er grau geworden ist? Und wenn er ihr sowieso nicht die Tür öffnet, warum fragt sie sich, ob sie ihn wiedererkennt?
Musst du als Leser wissen, woher sie das weiß? Sie weiß es. Vielleicht hat sie Fotos gesehen, jemand hat es ihr erzählt oder sie hat nachts heimlich durchs Fenster geschaut.
Und die Frage stellt sie sich wohl, weil sie ihm begegnen wird, ob an der Tür oder nicht. Später sollte dann auch klar werden, dass es dabei weniger um sein Aussehen geht.


Der Dialog wirkt gestelzt und künstlich. Das mit den Stimmen auch schon, das muss auch nicht sein, du sagst Psychopharmaka, und das reicht. Ich frage mich auch gleich, wenn ich weiterlese, ob man einen Mann mit einer Psychose, der dann auch Stimmen hört, einfach so mit einem Pflegefall alleine lassen würde. Würde man? Auch dieser Satz mit der Hexe - ich verstehe den nicht. Was macht er da, was sagt er uns, wohin soll er den Leser führen?
und
Konstruktiv: Die Dialoge wirken auf mich sehr künstlich, ich glaube, niemand spricht so, natürlich ist lebendige Sprache in der Literatur immer eine Komposition, aber: “Ich bin nicht hier, um dir weh zu tun. Das weißt du doch, oder? Dass ich dir nicht weh tun will?", das klingt nicht wie oral gesprochen, und dann: Würde jemand so etwas tatsächlich auch sagen? Oder viel eher nur schweigen und beobachten, betrachten?
Der Dialog ist gestelzt und künstlich. Der ganze Besuch da ist eine Inszenierung. Auch später, der ganze Teil beim Pflegefall.
Und ich hasse es, dass das anscheinend nicht deutlich wird. Das wäre wichtig.
Idee, wo ich ansetzen könnte?

So, gelesen. Puh, schwierig. Mir ist das insgesamt zu unausgegoren, zu unentschlossen, auch zu erklärend, immer der Erzähler, der da noch was einfügt, noch was wertet, noch was erklärt, vermutet, spekuliert.
Die Figur kreist ziemlich stark um sich selbst, zu stark wahrscheinlich. Auch mit dem Rest deiner zusammenfassenden Worte kann ich einiges anfangen.

Einige Bilder klingen in meinen Ohren schief. Ich versuche, möglichst ohne Bilder und Metaphern auszukommen, also nur zu sagen, was ist, damit sagt man innerhalb der Fiktion die Wahrheit, und die ist dann erstmal nicht so leicht angreifbar.
Weiß nicht, ob das mein Weg ist. Ich arbeite gerne mit Bildern, auch mit Bildern, die andere manchmal schief finden. Aber den Hinweis mit der Wahrheit, den finde ich gut. Mal sehen, was der noch mit mir macht.


Grüße
Gefrierpunkt

... wird fortgesetzt ...

 

Hallo Gefrierpunkt,

auch von mir noch einige Anmerkungen. Hoffe, es doppelt sich nicht mit den vorherigen.

In meiner Erinnerung an hier ist es immer Sommer. Ich erinnere mich in einer zusammenhanglosen Sammlung von Standbildern.
Wortwiederholung.

Es schickt Blitze durch die Frontscheibe und ich kneife die Augen zusammen.
Ach, der Erzähler ist im Auto.
Sorry, wenn ich jetzt an deinen Kommentar für meine Geschichte denken muss, wo du die viel zu späte Verortung angesprochen hast. :lol:

Ich würde eine Weile sitzen bleiben, dachte ich, und aus dem Fenster sehen.
Du hat oft ein Komma vor dem „und“, wo ich mir nicht immer sicher bin, ob das korrekt ist, zumindest bei den kurzen Nebensätzen.

Warte darauf, dass irgendetwas aus dem ungepflegten Gestrüpp im Vorgarten mich anspringt. Angst oder Traurigkeit.
Das gefällt mir.

Oder das Gefühl, in der Zeit zurück gereist zu sein.
Ich glaube, es müsste zurückgereist heißen.

Ich bin eine andere als die, die davon träumte, zurückzukommen.
Hier wird erst sehr spät gesagt, dass es eine Sie ist. Ich hatte die ganze Zeit an einen Mann gedacht.

Es überrascht mich, dass er sie nicht ausgehängt hat, aber wahrscheinlich braucht ihr beide wenigstens die Illusion von Privatsphäre
Hier habe ich ein Problem mit der Perspektive.
„er“ / „Ihr beide“
Besser wäre: „er“ / „sie beide“

Okay, sehe später, dass du das immer mit dem "du" hast. Dann passt es.

“Du willst ihn doch nicht -” Er lacht unsicher.
“Du willst ihn doch nicht …” Er lacht unsicher.
Du hast das weiter oben auch nochmal so mit dem Bindestrich.

Das Bett steht hinten, vor der doppelflügligen Balkontür und der obere Teil ist schräg aufgerichtet, damit du hinaussehen kannst.
Hier hast du z.B. kein Komma vor „und“ gesetzt und es wirkt auf mich, als wenn es fehlt.

Puh, echt hart, der Text, bzw. das Thema. Hat mich gepackt.
Ich habe gesehen, dass du den Text noch überarbeiten willst. Ich schaue dann später nochmal rein.

Beste Grüße,
GoMusic

 

Hej Gefrierpunkt,

es ist schon eine mittelmäßige Katastrophe, wenn emotional verfasste Kommentare, die noch nah am Text waren ... verschwunden sind. :( (dem Ordnungsdienst der Seite zum Opfer gefallen)

So lasse ich dich jetzt lediglich wissen, dass dein bildhafter, atmosphärischer Text einen Nerv traf, nicht zuletzt wegen der verschleierten Thematik. Und deswegen irritiert mich am Ende, dass du Monster andeutest und Magier. Für mich spielt das alles keine Rolle und versucht mich jetzt doch in eine Richtung zu lenken, die den Zauber nimmt.

Freundlicher Gruß, Kanji

 

Ich überarbeite inzwischen. Bisher habe ich um etwa fünfhundert Wörter gekürzt und ich glaube, das tut dem Text gut. Jedenfalls fehlen sie nicht, und das spricht eigentlich schon Bände.
Dadurch hängen jetzt ein paar Passagen in der Luft, daran muss ich noch feilen. Auch am Dialog bin ich dran, vielleicht hilft es ja schon, ihn an der einen oder anderen Stelle aufzulockern. Vielleicht stechen dadurch die Sätze, die wirklich gekünstelt klingen sollen, auch mehr heraus.

Sobald ich das geschafft habe, stelle ich die neue Version hier ein und würde mich freuen, wenn ihr noch mal draufschaut.

-----

Hallo Peeperkorn,

den Text, den du erwähnst, kenne ich nicht, aber er klingt sehr interessant.
Ja, meine Erzählerin nimmt Rache, auf eine meinem Empfinden nach sehr brutale Art. Ich würde mir wünschen, dass es sich beim Lesen unangenehm anfühlt. Dass man gerne möchte, dass da weniger steht, weniger Details. Ich würde mir das wünschen, dass der Leser das fast gar nicht so genau wissen will.
Mal sehen, ob ich das noch besser hinkriege.

Vielleicht könntest du die explizite Ankündigung, sie wolle ihm nichts antun, weglassen, dieser Gedanke ist eh schon in den Köpfen der Leser, da musst du nicht darauf eingehen, finde ich. Etwas unsicher bin ich mit der Zeile "Ich hoffe, du kriegst keinen Ständer." Das lenkt den Leser schon sehr stark und ich weiss nicht, ob die Geste, das Vorstossen zur Leiste, das Knistern des Plastiks nicht schon reichen würde, um die Thematik zu etablieren.
Bei diesen beiden Punkten bin ich noch nicht sicher, ob ich das so sehe. Das muss noch weiter in mir arbeiten.
Die Aussage, sie wolle ihm nichts tun, das soll eigentlich etwas sein, das sie wiederholt. Etwas, das er zu ihr gesagt hat. Deshalb die künstlich wirkende Formulierung: Es ist nicht ihre.
Deshalb die komplett unglaubhafte Beiläufigkeit.
An der Stelle wollte ich subtil sein, und fand schon "ich sage es mechanisch, und wir wissen beide, warum" eigentlich zu deutlich.

Das mit dem Ständer lenkt den Leser stark, ja.
Auch da bin ich komplett unschlüssig. Bisher. Es soll Sexualität überdeutlich in den Raum stellen, nicht nur für den Leser, auch für den Mann im Bett.
Mal sehen, was ich damit mache. Vielleicht traue ich dem Leser an der Stelle auch zu wenig zu.

Die Dialoge mit dem Bruder könntest du ebenfalls etwas einkürzen, schleifen, zumindest den, auf den Jimmy explizit hingewiesen hat
Bin dran. Vor allem das Geschwafel zwischen der wörtlichen Rede wird verknappt.


Du siehst, was die kritischen Einwände betrifft, wiederhole ich einiges, was mein Vorredner gesagt hat. Ich wollte mit meinem Kommentar da einfach noch Akzente setzen und vor allem auch hervorheben, wie gut der Text mir insgesamt gefallen hat.
Dazu sagte ich glaube ich schon, dass ich es immer sehr hilfreich finde, wenn mehrere Leser sich in Kritikpunkten einig sind.
Es freut mich, dass der Text dir insgesamt gefällt.


Danke für deine Hilfe.

Grüße
Gefrierpunkt.

-----

Hallo Achillus,

freut mich, dass dir der Klang gefällt und dass die Geschichte die Idee transportiert. Ich mag es, auch Rückmeldungen dazu zu bekommen, was inhaltlich beim Leser angekommen ist.
Am Anfang des Textes bin ich dran. Du hast vollkommen recht, die Erzählerin ist zu ich-konzentriert. Das zieht sich so schwafelig auch durch den gesamten Text, da habe ich schon viel gestrichen. Das muss ich auch noch dringend lernen, einen Text nicht mit Details zu überladen, und diese dem Leser dann auch noch vorzukauen. Das ist leider einer der Punkte, in denen ich komplett betriebsblind bin.
Ich merke schon, ich werde hier einiges mitnehmen.

Danke dir.

Grüße
Gefrierpunkt.

-----

Hallo GoMusic,

auch von mir noch einige Anmerkungen. Hoffe, es doppelt sich nicht mit den vorherigen.
Trifft eine eigene Aussage, wenn sich was doppelt. Ich freu mich da immer drüber.

Ach, der Erzähler ist im Auto.
Sorry, wenn ich jetzt an deinen Kommentar für meine Geschichte denken muss, wo du die viel zu späte Verortung angesprochen hast. :lol:
Hier wird erst sehr spät gesagt, dass es eine Sie ist. Ich hatte die ganze Zeit an einen Mann gedacht.
"Früher war ich im Sommer immer auf meinem altrosa Fahrrad unterwegs, heute sitze ich in meinem Wagen, und ich trage eine Rüschenschürze, so wie sich das für ein ordentliches Mädchen gehört." ;)

Ich überarbeite schon. Beim Anfang wird sehr viel gestrichen. Ich fürchte, man erfährt trotzdem spät, dass der Erzähler weiblich ist. Vielleicht lasse ich das Geschlecht aber auch ganz raus, denn eigentlich spielt es keine Rolle für den Text.

Du hat oft ein Komma vor dem „und“, wo ich mir nicht immer sicher bin, ob das korrekt ist, zumindest bei den kurzen Nebensätzen.
Du hast ja keine Ahnung, wie viel ich in Sachen Kommasetzung im letzten halben jahr gelernt habe. Vorher war die komplett chaotisch. Wirklich ... unangenehm chaotisch. Nicht, weil ich nicht gewüsst hätte, wo eins hingehört, aber weil ich dauernd welche setzte, wo sie nicht sein sollten.
Da bin ich immer froh über Hinweise, wenn eines irgendwo schräg wirkt.

Es überrascht mich, dass er sie nicht ausgehängt hat, aber wahrscheinlich braucht ihr beide wenigstens die Illusion von Privatsphäre
Okay, sehe später, dass du das immer mit dem "du" hast. Dann passt es.
Über die Stelle stolpere ich beim Lesen selbst, wirklich jedes Mal, obwohl ich den Text inzwischen wirklich gut kenne. Habe immer noch keine Idee, wie ich das lösen soll. Bin mir nicht sicher, ob es zwingend nötig ist, aber sauberer wäre es.

“Du willst ihn doch nicht …” Er lacht unsicher.
Du hast das weiter oben auch nochmal so mit dem Bindestrich.
Habe ich so übernommen.

Ich freue mich, dass der Text dich gepackt hat, und auch, wenn du nach der Überarbeitung nochmal reinschaust.
Danke für deine Hilfe.

Grüße
Gefrierpunkt

-----

Hallo Kanji.

Danke für den erneuten Kommentar. Hatte dich schon anschreiben und darum bitten wollen, weil ich den anderen noch gelesen, aber nicht mehr so ganz im Kopf hatte.

Der Magier ist komplett gestrichen. Ursprünglich hatte ich den Text für eine Challenge geschrieben, Themenvorgabe war "Magier". Im Rahmen dieser Challenge stand das also nicht ganz so im leeren Raum, aber losgelöst davon tut es dem Text wirklich nicht gut. Er sollte genau eine Sache nicht zu deutlich aussprechen, und das ist das Thema.

Ich streiche auch viel an Details und schwafeligen Bildern. Es würde mich, wenn ich die überarbeitete Version einstelle, sehr interessieren, ob er deiner Meinung nach daduch verliert.
Das einzuschätzen, damit tue ich mir nämlich sehr schwer.

Grüße
Gefrierpunkt.

 

Hallo Gefrierpunkt,

Du hast einen echt schönen, runden und atmosphärischen Schreibstil, an dem habe ich wirklich nichts auszusetzen: ich hatte alles direkt vor Augen und habe den wirklich geschmeidigen Lesefluss genossen.

Die Handlung ist es, die mir jedoch etwas Kopfzerbrechen bereitet und zunächst mal zwei Stellen, die ich nicht verstanden habe:

Sie ist antiklimatisch.
Ich bin verwirrt: Warum ist die Rückkehr antiklimatisch? Wie kann eine Rückkehr überhaupt antiklimatisch sein?

und du würdest die Oberhand gewinnen
Inwiefern? Würde die Person lang vergessene Gefühle wieder hochholen und deswegen den Hauptcharakter zurück in einen alten Bann holen?

In einem Kommentar erwähnst du, dass viel aus der Geschichte gekürzt wurde; ich kann ja jetzt nicht mehr nachvollziehen, welche Stellen das genau waren, aber ich bin mit sehr vielen Fragen aus der Geschichte gegangen:

1. Anscheinend besucht die Hauptperson ihren Vater, den inzwischen alten, beinahe regungslosen "Magier". Weil diese Bezeichnung den Titel ausmacht und auch in der Geschichte selbst eine Rolle spielt, muss es ja wichtig sein - nur was genau macht ihn denn eigentlich zum Magier? Einfach nur die Tatsache, dass er ihr die Augen geöffnet hat?
Für mich fehlt da einfach eine legitime und konkrete Begründung.

2. Die Beziehung zwischen dem Magier und der Hauptperson wirft für mich Widersprüche auf: einerseits sagt sie, als sie sich das Treffen vorstellt, dass sie gerührt sein wird, sogar weinen wird; andererseits verhöhnt sie ihn beim tatsächlichen Treffen kurze Zeit später, macht ihm Vorwürfe und es scheint durch, dass die beiden zumindest früher ein sehr angespanntes Verhältnis hatten.
Was will sie also mit ihrem Verhalten erreichen? Was hat sie sich vom Treffen erhofft?

Die Geschichte ist nicht sehr aufschlussreich, wenn es um das Wesen und tatsächliche Gemüt der Hauptperson geht. Da ich ihren Hintergrund nicht kannte, also weder warum das Verhältnis zwischen ihr und dem "Magier" so angespannt ist noch den eigentlichen Grund für ihren Besuch mit besagtem, widersprüchlichem Verhalten, ist es schwer für mich, mit ihr mitzufühlen. Ich weiß ja nicht, ob ihre Gründe, ihr Charakter mir sympathisch wäre.
Das würde sich zu ihren Gunsten verändern, wenn man ein gemeinsames "Feindbild" in dem Magier sehen würde. Auch zu ihren Ungunsten könnte ich mir eine Auflösung gut vorstellen: Vielleicht handelt die Heldin unfair und man hat Mitleid mit dem alten Mann.
Aber wie gesagt: zum Fühlen bräuchte ich mehr Informationen, was ich denn fühlen soll. Und als Autor, finde ich, darfst du das gerne mal vorschreiben.

3. Auch der arme Martin ist nach seinem kurzen Auftritt wieder in die Bedeutungslosigkeit verschwunden, aus der er gekommen ist. Zwar weiß man, dass er als Sohn den alten Mann pflegt, aber das kurze Gespräch mit der Hauptperson lässt ja darauf schließen, dass zwischen den beiden etwas Unschönes vorgefallen ist. Da braucht es gar nicht viel - nur einen kurzen, aber konkreten Hinweis.

Generell hat sich über die Jahre bei mir folgende Erkenntnis gebildet:
Details sind nur dann super, wenn sie im richtigen Maß und Kontext eingesetzt werden. Wenn du also meinst, dass du einem Detail nicht die nötige Bedeutung zukommen lassen kannst und willst, dann lass es lieber weg. Den Leser verwirrt das nicht mehr, sondern weniger und so kannst du dich auf wenige ausgewählte Details konzentrieren, denen du dann aber mehr Beachtung schenkst.
So muss sich der Leser auch nicht viel Kleinkram merken, denn was nicht als wichtig genug erachtet wird, fällt am Ende eh hinten runter und das ist dann schade.

Also um das mal zusammenzufassen:
Stil: Top
Idee: Top
Ausführung: Ausbaufähig

Ich hoffe, du kannst meine Kritik nachvollziehen.

Liebe Grüße,
Jana

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe(r) Gefrierpunkt, (hört sich lustig an, angesichts des Namens)

nach einigen Tagen der Abwesenheit spüre ich, dass es Zeit ist, mich wieder mit den Geschichten anderer zu beschäftigen. Deinen Text habe ich kurz nach Veröffentlichung gelesen, musste ihn aber verstehen lernen, um etwas Lohnenswertes darüber zu schreiben. Ich lese ihn als Missbrauchsgeschichte, auch wenn das nur angedeutet ist und es sich auch anders deuten lässt. So vieles passiert ja in unseren Gedanken, unseren ängstlichen Köpfen, gerade wenn man Menschen und Orte lange nicht gesehen hat. Das kann ich gut nachvollziehen.

Die Konfrontation mit dem vertrauten Ort gelingt dir. Ein Ort, der sich mit Vorstellungen füllt, weil man abwesend ist. Das berührt mich. Vielleicht macht sie den Weg zu ihrem Vater (?), dem Magier, um die Erinnerung zu verändern, sie sich nicht verselbständigen zu lassen. Bis dahin finde ich den Text, trotz einiger Längen und einiger Adjektive zu viel, bildhaft und intensiv. Die Begegnung mit dem Magier enttäuscht mich dann. Was folgt ist erwartbar und ich weiß nicht einmal, ob diese Art des Triumphes über die Magie realistisch ist und vielleicht nicht selbst ein Traumbild. Ist mir zu einfach: der Bruder auf Psychopharmaka, der Vater bewegungslos. Und sie geht nach einem Gespräch, das möglicherweise gar nicht verstanden wird. Andererseits: welches alternative Ende hätte es gegeben?

Zum Text:

In meiner Erinnerung an hier ist es immer Sommer. Ich erinnere mich in einer zusammenhanglosen Sammlung von Standbildern. An blaue Himmel, an den Geruch des heißen Asphalts, an flirrende Luft am Ende des Blicks.
den Anfang finde ich unbefriedigend, jedenfalls den ersten Satz, bevor der Text dann Rhythmus aufnimmt. Vielleicht so: In mir ist Sommer, wenn ich an hier denke. dann hast du nicht zweimal erinnern.

an meine ausgestreckten Arme im Wind.
sehr schönes Bild

sterbendem Holz und Pilzen in der Nase,
das Bild ist gut, aber passt das: im Sommer reicht es nach sterbendem Holz?

Die Bilder krachen mit denen aus meiner Erinnerung zusammen; das Ergebnis sind Scherben.
:Pfeif:

Sie ist antiklimatisch.
klingt zu akademisch, das bricht sich die Poesie des vorangegangenen Textes zu rau-

Vielleicht sind deine blauen Augen keine Fenster mehr.
sehr starker Satz :Pfeif:

Dann ziehe ich ein Tempo aus der Manteltasche
mm, mit dem Tempo das passt auch nicht richtig zum Tonfall des Textes

Meine Fingerspitzen liegen noch auf deiner Unterlippe, und ich bin versucht, in deinen Mund hinein zu greifen. Vielleicht finde ich die richtigen Laute, wenn ich nur lange genug wühle.
auch hier: sehr sehr schön fomuliert

“Du kannst jetzt nicht mehr vor dir davonlaufen.”
klngt etwas banal.

Starker Text (mit den oben genannten Einschränkungen), habe ich sehr gerne gelesen. Mehr davon bitte! :thumbsup:

viele Grüße
Isegrims

 

Hallo Jana Retlow, hallo Isegrims.

Habe euch nicht überlesen, danke für euer Auseinandersetzen mit meinem Text.
Ich bin sehr langsam, was Überarbeitungen angeht, gehe aber auf jeden Fall zeitnah noch detaillierter auf eure Anmerkungen ein.

Gruß
Gefrierpunkt.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Gefrierpunkt,

habe keine Vorkommentare gelesen, kriegst also unbeeinflusstes Feedback.

Also, ich finde, du hast da ein paar hübsche Ideen drin, die Sprache ist auch flüssig und ich fand die erste Hälfte gut. Ich mochte die Idee mit dem Magier und habe mich gefragt, was dahinter steckt, wie die Figuren miteinander in Verbindung stehen (Bruder? Vater?) und was die Vorgeschichte ist, wieso deine Prot so starke Emotionen ggü. dem Mann hat.
Leider liegt hier genau der Knackpunkt für mich. Es ist gut, dass du den Vorhang langsam öffnen willst (und das auch tust) und du nicht gleich alles raushauen magst, sondern ein bisschen im Ungewissen lässt ... aber irgendwann musst du mit der Sprache rausrücken. Also, du musst das nicht klipp und klar knallhart direkt sagen, wer die Personen sind und was passiert ist in der Vorgeschichte, aber wenn ich als Leser den Text zu Ende gelesen habe, das letzte Wort praktisch weggelesen habe, und ich, ich sage mal, ein "durchschnittlich" interessierter und aufmerksamer Leser bin (d.h. ich lese nicht unkonzentriert, aber auch nicht extrem fokussiert wie ich die Fragestellung in einem Mathe-Abi lesen würde), dann muss für mich spätestens da klar sein, was die Vorgeschichte ist und wie die Figurenkonstellation ist. So bin ich mir ehrlich gesagt nicht zu 100% sicher, wer der Mann ist? Ihr Vater? Ihr Exmann? Und wenn du deine Leser so lange köderst mit Andeutungen, dass da etwas Schlimmes passiert ist zwischen Prot und Schlaganfallopfer, dann musst du auch im Laufe des Textes liefern - ansonsten enttäuschst du deine Leser, lässt sie mit einem unbefriedigtem Gefühl zurück.
Ich glaube dir, dass du da eine interessante Geschichte im Kopf hast, und ich würde dir empfehlen den Vorhang weiter schön langsam zu öffnen und ruhig auch mal etwas unausgesprochen lassen, was der Leser sich denken/schlussfolgern kann, aber ansonsten mehr Story zeigen.
Also sprachlich liest sich das ganz gut, ich denke, wenn du dranbleibst, wirst du besser.

Hoffe du kannst was mit anfangen und ich konnte dir noch was Neues sagen,

alles Gute,
zigga


edit: Also Kommentare gelesen ... Ja, er ist der Vater, darauf hätte ich auch getippt, aber irgendwie war/ist mir das zu unklar - es wird ja nie wirklich festgestellt. Würde der Bruder oder sie im Dialog z.B. mal anstatt "er" "Vater" o.ä. sagen, wäre alles für den Leser klar. Klar, das geht in Richtung Missbrauch, das hatte ich schon gedacht, aber insgesamt ist mir trotzdem zu vieles unklar und im Nebulösen gelassen. Wie hat er sie missbraucht? Körperlich, psychisch? Mir fehlt da einfach die Vorgeschichte, die ich irgendwie gerne hätte mitbekommen/gezeigt bekommen, so ist vieles vage, zwar atmosphärisch, aber zu wage. Wenn du mehr Vorgeschichte zeigen würdest, könnte der Text echt noch mal gewinnen - mein Eindruck.

 

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