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Magie

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21.12.2015
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Anmerkungen zum Text

Dies ist eine Bearbeitung eines früheren Textes unter demselben Titel.

Magie

Magie

Wenn Doris gefragt wird, wie es ihr geht, sagt sie: “Gut. Sehr gut!“ Sie wird oft gefragt, zu allem Möglichen. Ihre Meinung hat Gewicht. Obwohl sie nur eins sechsundfünfzig groß ist, kehrt sofort Stille ein, sobald sie das Lehrerzimmer betritt. Besonders jüngere Frauen lauschen ihr aufmerksam, wenn sie fortfährt:
„Was wollt ihr, ich hab' ja alles, was ich brauche. Meinen Elfenbeinturm, mein Gehalt, mein Hobby.“
Meistens nimmt sie dann einen Schluck Kaffee, der neuerdings in einem höchst komfortablen Automat aufgebrüht wird.
„Und einen prima Sohn, der sich mindestens zweimal im Jahr nach seiner Mami erkundigt.“
Sie lächelt, wenn die eine oder andere protestiert.
„Ihr könnt mir glauben, erst nach den Wechseljahren beginnt die große Freiheit für uns, nicht vorher!“
Ihre beste Freundin runzelt manchmal die Stirn, zieht sie zur Seite und ermahnt sie:
„Mensch Doris, du übertreibst. Was soll der Sarkasmus? Es ist doch keine Schande zuzugeben, dass man verletzt worden ist. Wir haben schließlich alle unsere Narben.“
„Ja, die haben wir, aber die muss ja nicht jeder sehen. Das Ironische ist nun mal mein Rettungsseil, ich möchte nicht nochmal abstürzen.“ In Gedanken setzte sie ein Basta! dazu.

Doris ist zweiundfünfzig, seit fünf Jahren geschieden. Sie hält sich für eine moderne Frau, selbstbewusst, sachlich, zielstrebig; sie hat alles unter Kontrolle. Gefühle? Da lächelt sie nur.

Doris saß am runden Esszimmertisch. Er stand auf einer Galerie mit freier Sicht auf das tiefer gelegene Wohnzimmer. Dieser Blick gefiel ihr noch immer. Alles schien in schönster Ordnung.
Als vor zehn Jahren die beiden Gehälter endlich den Bau eines Eigenheims erlaubten, investierte sie mit Rolfs sporadischen Beiträgen viel an Kraft und Fantasie in das Projekt. Nächtelang brütere sie darüber, wie sich die vorhandenen Möbel farblich und stilistisch mit den Neuanschaffungen kombinieren ließen. Gemütlich sollte das Haus werden, aber nicht spießig; funktional, mit sparsam gesetzten künstlerischen Akzenten.
Doris brauchte keinen Innenarchitekten. Rolf ließ sie gewähren. Er war mehr oder weniger mit allem einverstanden, Hauptsache, er durfte seine aus der Studentenzeit gerettete Sammlung von Maßkrügen irgendwo aufstellen.
„Mach du nur, du hast den besseren Geschmack als ich. Ach, und dass ich's nicht vergesse, heute Abend ist Volleyball und danach eine Runde Doko. Es kann spät werden.“
Und dann schnappte er wie immer seine Sportklamotten und tauchte fröhlich pfeifend ab.

Doris blickte hinab auf den Kachelofen, ihrem Lieblingsstück. Modernes Design, beileibe keine Attrappe. Dazu gehörte eine Kunscht, eine beheizte Kachelofenbank, ihr Zugeständnis an örtliche Traditionen. Vor allem aber eine Zuflucht für Vater, Mutter, Kind nach eisigen Nachmittagen am Skihang. Sie hatte ein Haus gewollt, das den Namen Heim verdiente.
Doris erinnerte sich daran, wie Rolf überall in den höchsten Tönen davon geschwärmt hatte. Alle wären nur zu gerne einmal ihre Gäste gewesen.
„Lass uns wenigstens deinen Fünfundvierzigsten bei uns feiern. Ich krieg das schon hin. Mara und Elisabeth helfen bestimmt. Du musst dich nur um die Getränke kümmern.“
„Ich weiß aber überhaupt nicht, wen ich einladen soll und wen nicht. Da ist immer einer beleidigt.“
„Mein Gott, das Problem hat jeder! Da muss man halt was riskieren.“
„Keine Lust! Eigentlich will ich überhaupt nicht feiern. Fünfundvierzig! Glaubst du vielleicht, das wäre ein Grund zum Jubeln?“
„Warum nicht, nächstes Jahr bin ich dran. Und du gehst ja auch zu jedem Geburtstag.“
In den ersten Ehejahren waren sie bei solchen Events als gern gesehenes Paar aufgetreten. Später blieb Doris zuhause bei Florian. Es ging durchaus gerecht zu, denn umgekehrt passte Rolf auf sein Söhnchen auf, wenn Doris etwas vorhatte. Als wichtiges Mitglied des schuleigenen Kabaretts durfte sie natürlich bei keiner Probe fehlen. Die Auftritte galten als Highlights des Schuljahres. Rolf lobte ihre Texte überschwänglich. Beinahe wäre er auch einmal mitgekommen.

Doris lehnte sich zurück und zog Bilanz. Zwei Ziele von dreien, die sie sich so um die fünfundzwanzig gesetzt hatte, waren erreicht: Sie hatte ein Kind geboren und ein Haus gebaut. Einen Baum zu pflanzen, hatte sie Rolf überlassen. Das dritte Ziel, nämlich ein Buch zu schreiben, schob sie einstweilen noch vor sich her.
Im Augenblick jedoch stand sie vor einer ganz anderen Herausforderung: Sie musste ihr Leben neu sortieren. Die Scheidung lief bereits. In wenigen Tagen würden alle drei das Haus verlassen und jeder woanders einziehen. Der Vater bei seiner neuen Liebe, der Sohn in ein Studentenapartment, die Mutter in eine kleine Single-Wohnung hoch über den Dächern der Stadt. Hausrat und Möbel waren restlos aufgeteilt, dabei ging es großzügig zu: du die Ledersessel, ich das Sofa. Kein Streit um die silbernen Kaffeelöffel und die Familienkutsche. Seit ihrem Unfall — Florian im Kindersitz auf der Rückbank — fuhr sie sowieso nicht mehr gern.
Die Freunde — unsicher und ängstlich darauf bedacht, ja nicht Partei zu ergreifen — bewunderten das geräuschlose Tempo, mit dem diese Trennung abgewickelt wurde. Verstehen konnten sie rein gar nichts. Sie verbuchten Rolfs Verhalten unter dem bequemen Schlagwort Midlife-Crisis. Rolf sah das aber völlig anders.
„Weißt du“, sagte er zu Doris, „die sind ja bloß neidisch. Die würden doch alle gern mit mir tauschen.“
Zu seiner künftigen Ex hatte er nach wie vor unbegrenztes Vertrauen. Regelmäßig informierte er sie über den aktuellen Stand der Beziehung zu seiner Freundin. Sie hielt ihn anscheinend schwer auf Trab.
„Wenn sie auftritt, dreht sich alles um sie. Sie könnte jeden haben. Gestern hat sie mich zum ersten Mal als ihren neuen Lebenspartner vorgestellt!“
„Du meinst wohl neuen Lebensabschnittspartner.“
„Nee, Edelgard ist was Besonderes, du wirst sehen.“
Rolfs Schwärmerei war nicht zu bremsen. Gegenüber Florian rettete sich Doris in Ironie.
„Ich glaube, dein Vater ist nahtlos von der Pubertät in die Midlife-Crisis übergewechselt.“
„Mama!“ Florian war ehrlich entrüstet. „Du kannst ihn doch unmöglich in Schutz nehmen!“
„Ich möchte nicht, dass du so wütend bist auf ihn. Er ist und bleibt dein Vater.“
„Aber was wird mit dir? Wie kannst du das nur aushalten?“
„Mach dir um mich keine Sorgen. Versprich mir, dass du dich um ihn kümmerst. Weißt du, er kommt einfach nicht damit zurecht, dass die Jahre im Klosterinternat ihm die Jugend verdorben haben.“
Bei diesem Thema ergriff Florian gewöhnlich die Flucht. Doris verstand ganz gut, dass es ihm peinlich war.

Nun also saß Doris an diesem Januarabend am Tisch, vor sich einen Berg Fotoalben. Sie hatte es übernommen, diese Beweisstücke des gemeinsamen Lebens zu sichten und gerecht aufzuteilen. Das Hochzeitsalbum würde sie behalten. Ein einziges Bild, und zwar jenes, auf dem sie böse ist in die Kamera schaute, weil die Eltern auf einem offiziellen Brautfoto bestanden hatten, sollte Rolf bekommen, sozusagen als Morgengabe. Ein kleiner Hieb gegen die Neue, die wahrscheinlich nicht wusste, wie oft Rolf und Doris in schönstem Einvernehmen über die Hintergründe dieses Fotos herumgealbert hatten. Doris amüsierte sich immer noch darüber. Unsere Spießereltern! Wollten die Braut unbedingt in Weiß sehen! Was für Illusionen!
Doris stand auf und ging zum Fenster. Unruhig starrte sie in den wirbelnden Schneeregen. Die Aufgabe war doch schwieriger, als sie sich vorgestellt hatte. Sie fröstelte. Ein Glas Wein wäre jetzt nicht schlecht. Sie legte einen dicken Klotz im Kachelofen nach. Ihr fielen die zwei Flaschen Barolo im Weinkeller ein, Trophäen des letzten gemeinsamen Italienurlaubs. Sie hatten den teuren Tropfen für einen besonderen Moment aufgespart. Wann, wenn nicht jetzt? Sie holte beide Flaschen, entkorkte die eine sorgfältig und stellte die andere in Reichweite. Dann nahm sie einen kräftigen Schluck aus einem geschliffenen Muranoglas und ließ ihn auf der Zunge verweilen. Auch das Weinglas war ein Erinnerungsstück aus Italien.
Sie griff nach dem ersten Kinderalbum. Flori im Kreißsaal, gerade geboren. Flori bei der Taufe, die Fingerchen gespreizt, das Mäulchen verzogen. Flori mit der Stoffpuppe Fratzi. Die hatte Rolf dem Kleinen mitgebracht, um ihn über die schlimmen Tage des Pfeifferschen Drüsenfiebers hinwegzutrösten. Ohne Fratzi durfte viele Jahre keine Reise angetreten werden.
Zum Glück gab es dank Opa die meisten Kinderbilder doppelt, so dass es nicht schwierig war, Florians Vater ein ganzes Album zu überlassen.
Doris goss sich das zweite Glas ein. Nun die Fotos aus dem jährlichen Urlaub in Ligurien. Der Wein weckte schmerzende Erinnerungen an den Geschmack und Geruch jener Sommerabende. Damals konnten sie nicht genug davon kriegen, deutsch-italienische Limericks zu dichten, die sie dann als Urlaubsgrüße an alle möglichen Leute verschickten. Zum Schreien komisch war auch das Foto mit Rolf, wie er vergeblich mit der bombola kämpfte, jener vertrackten Gasflasche, die durchaus nicht zünden wollte.

Allmählich geriet Doris in eine grimmig-heitere Stimmung. Die erste Flasche war schon fast leer, aber sie hatte ja noch die zweite. Jetzt sortierte sie schwungvoll nach dem Strickmuster eins rechts, eins links. Ah ja, das erste Silvester im eigenen Heim! Flori durfte bei seinem Freund übernachten. Rolf und ich sind auf der Kindermatratze durchs ganze Treppenhaus gerutscht, bis vor den Kachelofen. Da brauchten wir gar nicht mehr aufzustehen ... Halt! Vermintes Gelände! Nur nicht daran rühren! Es war so schön gewesen.

Der Stapel hatte sich gelichtet. Doris räumte die schon bearbeiteten Haufen in zwei eigens dafür bereit gestellte Kartons. Die beiden letzten Alben gingen sie eigentlich gar nichts mehr an. Es war spät. Draußen nahm der Schneefall zu, bald würde es wieder mit Skifahren losgehen. Doris schenkte sich nochmals ein und schlug dann das erste auf. Es enthielt Rolfs Fotos von seinen Bergtouren und Skiferien mit den lieben Kollegen und vor allem Kolleginnen. Rolf hatte ihr die Bilder schon früher einmal flüchtig gezeigt. Da hatte sie noch nicht geahnt, dass es sich bei dieser herausfordernd lächelnden, zweifellos attraktiven Person mit dem modischen Afrolook um Rolfs Seitensprung handelte. Er hatte den Arm um Edelgard gelegt. Die Geste sagte der Welt: „Seht her, sie gehört mir!“

Schlagartig packt Doris ungezügelter Zorn auf diese Person, die anderen Frauen ungestraft den Mann wegnehmen darf. Es ist ja nicht das erste Mal, Doris kennt inzwischen noch zwei weitere Opfer. Eine Diebin ist sie, eine Verräterin am für Doris so wichtigen Ideal von weiblicher Solidarität! Erbittert starrt sie auf das triumphierende Gesicht und stellt sich die ebenso alte wie törichte Frage: “Was hat sie, was ich nicht habe?“ Darauf gibt es keine Antwort. Oder doch? In Doris wächst das Gefühl, sie müsse sich wehren. Sie müsse endlich ihren Zorn und Frust und ihre Schuldgefühle herauslassen mit irgendeinen Befreiungsschlag. Gibt es da nicht weibliche Magie, ein Ritual, einen Voodoo-Zauber? Aus einem tief in ihrem Unterbewusstsein verborgenen Ort taucht ein Bild auf.
Sie holt eine Stricknadel und sticht der Frau mit dem lächerlichen Namen Edelgard die Augen aus. Nun sieht die Dame schon nicht mehr so siegessicher aus. Jetzt Stiche in die linke und die rechte Brust. Rolf daneben grinst auf einmal ziemlich dumm. Der merkt ja gar nicht, dass er eine Leiche im Arm hält. Nun fehlt nur noch der rituelle Feuertod. Sie öffnet die Kachelofentür, schaut auf den rot glühenden Scheiterhaufen und wirft Stück für Stück die quälenden Bilder ins Feuer, zuletzt das zerstochene mit Rolf und Edelgard. „Ich verfluche dich“, murmelt sie, zuerst ganz leise, zuletzt schreit sie. Dreimal. Das Foto windet und krümmt sich in den Flammen, Doris lacht, dann schreit sie immer wieder: „Ich hasse dich“ und verfolgt die Aschefetzen, die es hinauf in den Kamin jagt. Als sie schließlich die Ofentür zuklappt, kann sie endlich, endlich weinen.

Einige Wochen später, alle haben sich mit der neuen Situation leidlich arrangiert, hängt ein schluchzender Rolf am Telefon.
„Sie hat Brustkrebs! Und sie dreht fast durch! Was soll ich bloß machen?“
Doris stutzt und fragt, seit wann Edelgard diese Diagnose kennt.
„Erst seit ein paar Tagen, aber die Knoten hat sie schon länger entdeckt. Ich glaube, an dem Tag, wo ich bei ihr eingezogen bin.“
„Nun, da wirst du eine verantwortungsvolle Aufgabe bekommen“, antwortet Doris kühl und wie aus weiter Ferne, „ich wünsche euch beiden Glück.“ Und legt auf.

Später stellt sich zu Doris' Erleichterung heraus, dass Edelgard erstklassige Heilungschancen hat. Die Arme ist jetzt in guten Händen, allerdings nicht in denen Rolfs. Auf der Jagd nach der scheinbar versäumten Jugend ist er weitergezogen. Er lebt derzeit mit einem sehr netten Mädchen zusammen, das etwas jünger ist als sein Sohn Florian.
Doris hat neuerdings einen aufmerksamen, sensiblen Freund. Seit sie ihm in einem Anfall von Vertrauen die Geschichte ihres magischen Racheaktes erzählt hat, verzichtete sie beim Kniffelspielen darauf, auf die Würfel zu spucken. Sie hat nämlich beobachtet, dass Benno immer ganz blass um die Nase wird, wenn ihr nach diesem bisschen Magie die Würfel ganz nach Wunsch fallen. Doris hat ein neues Hobby. Statt selbst zu schreiben, studiert sie wissenschaftliche Literatur über weiße und schwarze Magie. Sie weiß jetzt sehr viel darüber.

 

Moin Wieselmaus,

Zwei Ziele von dreien, die sich Doris so um die fünfundzwanzig gesetzt hatte, waren damit erreicht: Sie hatte ein Kind geboren und ein Haus gebaut.

Ein glückliches Familienleben zählte also nicht dazu? Kein Wunder hat Rolf sie betrogen, vermutlich war er nur auf der Stufe Samenspender und Geld nach Hause bringen. Ob das stimmt erfahren wir aber nie, denn auch in dieser Geschichte wird hauptsächlich über das "wie" und nicht "warum" geschrieben.

Auf der Jagd nach der scheinbar versäumten Jugend ist er weitergezogen.

Hier bin ich hellhörig geworden. Kommt nun doch noch bisschen kritische Selbstreflektion? Innere Spannung? Zwischenmenschliches? Aber nein, Happy End muss in solchen Geschichten immer kommen.

Doris hat neuerdings einen aufmerksamen, sensiblen Freund.

Deine Geschichte ist eine Selbsttherapie für die Dorisse dieser Welt. Vermutlich hab ich mich nun gerade zum Feind Nummer eins aller Dorisse gemacht. Aber hey, ich kann euch genügend sensible Männer verschaffen. Wieselmaus, aus deiner Geschichte erfährt man nichts über die Beziehung. Gut, irgendwie war alles super, und dann auf einmal Betrug. Warum?

Und das mit der Magie ... naja. Ich weiss viele ältere Frauen stehen auf das, aber ... . Man könnte hier viel mehr machen.

Schnellschuss um Mitternacht:

Traurig umklammerte Doris das Foto von Rolf mit ihren Händen. Er blickte lachend in die Kamera und umarmte seine Arbeitskollegin. Nur Kollegin, sagte er jedesmal, und jetzt ist es seine Freundin. War dies ihr Moment? Wann hatte sie mit Rolf zum letzten Mal so gelacht? Sie konnte sich nicht mehr erinnnern. Wie konnte es so weit kommen? Tränen kullerten über ihre Wangen. "Nein!" schrie sie. "Warum nur du verdammter Betrüger! Warum nur?" Schluchzend schaute sie sich das Bild an. Es tat ihr weh, Rolf so glücklich zu sehen. Innig umarmte er diese Edelgard. Sie hatte einen Afro-look und große Brüste. Rolf mochte große Brüste. Gierig starrte er immer auf die Brüste anderer Frauen und dachte, dass Doris es nicht bemerkte. "Du Schwein, bist du nun zufrieden! Bist du glücklich mit Miss Supertitty?" Wutentbrannt schmiss Doris die Weinflasche auf den Boden und stach mit einer Scherbe auf das Foto ein. "Na wie gefällt dir das Miss Titty? Jetzt hast du plötzlich keine mehr, und oh, armer Rolf, kannst du nicht mehr hingucken?" Blut tropfte von ihrer Hand auf Edelgard. Die Scherbe hatte sich in ihr Fleisch geschnitten. Ruhig hielt sie das Foto. "Stirb, verrotte in der Hölle, du Miststück" und schmiss es in den Kachelofen.


und so weiter ...

Wieselmaus, du musst mehr wagen! Mehr Zwischenmenschliches reinbringen, die Persönlichkeit von Doris herausarbeiten, nicht nur Oberflächlich, auch ihr Inneres. Lass den Leser mitfühlen. Nimm ihn mit auf die Achterbahnfahrt von Doris. Kannst auch ruhig zeigen was für ein Abschaum Rolf war.

So, lass dich nicht von mir abschrecken. Meine Kritiken sind offen und nie persönlich zu verstehen. Arbeite am Charakter von Doris und schon wird es spannender.

lg
Kroko

 

Hallo wieselmaus,

leider kann ich mich in diesen Text nicht so gut hineinfühlen wie kürzlich in die "Eheringe". Ob es daran liegt, dass ich ein Mann bin und der Gatte hier so schlecht wegkommt? ;)

Tatsächlich fällt es mir diesmal schwer, die Motive der Personen nachzuvollziehen - egal, ob es der Mann, die Geliebte oder auch die Hauptperson Doris ist. Der erreichte Endzustand nach der Trennung ist sicherlich einer, der prinzipiell nachfühlbar ist, aber Du hast ja durchaus versucht, den Weg dorthin zumindest an kleinen Szenen zu beschreiben. Aber mich hast Du auf diesem Weg verloren, ohne dass ich richtig sagen könnte, warum.

Dabei hast Du ganz viel richtig gemacht. Du gibst der Doris mit kleinen Details Farbe (fährt nicht mehr Auto, mochte kein Hochzeitsfoto machen lassen usw.). Du bringst kleine Schlaglichter aus der Vergangenheit rein. Dafür ist die Erinnerung beim Sortieren der Fotos eigentlich ein perfektes Vehikel, weil man damit einmal quer durch das ganze Eheleben reisen kann. Aber es bringt auch eine Distanz rein, weil es eben so offensichtlich Erinnerungen sind und keine "Live"-Erlebnisse. Dazu kommt, dass die "wörtliche Denke" manchmal eher gestelzt und künstlich klingt. Ein rundes Bild von Doris entsteht da bei mir nicht, von den anderen Personen ganz zu schweigen.

Und Kroko hat Recht, es wird eigentlich nichts über die Beziehung zwischen Doris und Rolf gesagt. Weder, was da früher mal Gutes war, noch, warum er sich irgendwann eine Neue gesucht hat. Okay, Du erwähnst die "Jagd nach der scheinbar versäumten Jugend", aber das alleine ist mir zu wenig. Es sei denn, Du wolltest aussagen, dass Männer eben einfach so seien, aber das glaube ich nicht und würde es auch nicht akzeptieren wollen.

Noch ein paar Details:

Doris ist zweiundfünfzig, seit fünf Jahren geschieden.
(...)
Doris saß am runden Esszimmertisch.

Da ist offenbar ein Zeitsprung drin, zurück zur Zeit (kurz vor) der Trennung. Das hast Du auch mit den grammatischen Zeiten richtig umgesetzt, trotzdem hattest Du mich da kurzzeitig abgehängt. Kann aber auch an mir gelegen haben.

Nächtelang hatte sie darüber gebrütet, wie sich die vorhandenen Möbel farblich und stilmäßig mit den Neuanschaffungen kombinieren ließen.

Wörter mit "-mäßig" sind meistens auch mäßig. Was hältst Du von "stilistisch"?

Dazu eine Kunscht, eine Kachelofenbank, Zuflucht für Vater, Mutter, Kind nach eisigen Nachmittagen am Skihang.

Das Wort hat mich rausgebracht. Ist "Kunscht" irgendwas anderes als Schwäbisch (oder Hessisch) für "Kunst"? Oder ist Kunscht = Kachelofenbank?

Sie hatte ein Haus gewollte

Ihr fielen die zwei Flaschen Barolo im Weinkeller ein, Trophäen des letzten gemeinsamen Italienurlaubs, die sie sich für einen besonderen Moment aufgespart hatten. 'Wann, wenn nicht jetzt?' dachte sie und nahm einen kräftigen Schluck aus dem geschliffenen Muranoglas; auch dies ein Erinnerungsstück aus Italien.

Zwischen diesen beiden Sätzen ist auch ein kleiner Zeitsprung, denn sie muss ja erst mal die Flaschen aus dem Keller holen. Den hast Du jetzt aber gar nicht gekennzeichnet. Ein Absatz (mit Leerzeile) würde schon reichen.

Mit einem Mal packt Doris ungezügelter Zorn auf dieser Frau, die anderen Frauen ungestraft den Mann wegnehmen darf.

Besser: "durfte"? Ist ja immerhin keine zeitlose Tatsache, sondern eher Doris' damaliger Gedanke, wenngleich indirekt wiedergegeben.

Woodoo-Zauber
"Voodoo"

Kniffel Spielen
In einem Wort oder mit Bindestrich.

Grüße vom Holg ...

 

Hallo Wieselmaus!

Das ist echt ein guter Text: Er liest sich flüssig, ist sauber geschrieben und sprachlich gut.

Deine Doris ist ein echter Kontrollfreak: Sie organisiert ihr Leben und misst ihren Status und Erfolg an materiellen Dingen - ein unangenehmer Charakter. Das kommt gut rüber!

Was mir nicht so gefällt ist, dass du zu viel beschreibst und zu wenig zeigst ("Show, don't tell!").
Hier zum Beispiel:

Doris ist zweiundfünfzig, seit fünf Jahren geschieden. Eine moderne Frau, selbstbewusst, sachlich, zielstrebig; sie hat alles unter Kontrolle. Gefühle? Da lächelt sie nur.
Du schreibst, dass sie das ist, und ich glaube dir das auch, aaaber es wäre glaubwürdiger, wenn der Leser es durch ihre Handlungen sehen würde. Das mit den Gefühlen zum Beispiel, da könnte man leicht ein paar soziopathische Tendenzen einbauen, indem sie es nie schaffte, eine emotionale Verbindung zu einem Menschen in ihrem Leben aufzubauen. Als ihr Sohn von einem Baum gefallen war und sich den Arm gebrochen hatte, da war sie nur aufgebracht gewesen, weil das halt so von ihr erwartet wurde. Naja, du weisst, was ich meine.

Schließlich fragte ich mich, wohin die Geschichte führt, denn leider passiert ja garnichts. Das bisschen Magie am Ende rechtfertigt meiner Meinung nach auch nicht das Horror-Tag, da erwarte ich mehr Grusel.

Fazit: Ordentlich geschrieben, aber zu dünne Handlung und zu beschreibend. Dennoch gelungene Fingerübung.

 

Hallo Kroko, Holg und Bab Rabbit,
ich habe mich richtig gefreut über eure Kommentare. Ich dachte, das ist eine Geschichte für Frauen, und nun haben drei (?) Männer gepostet. Da verstehe ich, dass sie meine Protagonistin gräßlich finden. Es steht halt meiner Meinung nach viel zwischen den Zeilen oder versteckt. Aber klar ist: Wenn ich den Leser erreichen möchte, muss ich etwas dafür tun.
Ich möchte noch eine Anmerkung machen, bevor ich an die Schärfung des Charakterprofils von Doris gehe:
Ist der Zusammenhang zwischen dem Voodoo-Zauber und Edelgards Krebserkrankung so undeutlich? Wenn nein, halte ich diese Verknüpfung nicht gerade für belanglos. Eher für schaurig. Und deshalb wird Benno weiß um die Nase, weil er glaubt, es könnte ja doch was dran sein.
Doris betrügt ja auch nicht beim Würfeln, sondern sie hat halt dauernd Glück, oder ist es doch Magie?

Nochmals vielen Dank für alle Hinweise

Für Holg: Kunscht heißt die beheizte Kachelofenbank in den Schwarzwaldbauernhäusern, eine wichtige Schlafstätte fürs Gesinde, alemannisch!

Für Kroko:
Deine Ersatz-Prota ist ein temperamentvolles Frauenzimmer, mindestens 15 Jahre jünger, was man auch an ihrer Wortwahl merkt. Meine Prot verliert nie die Haltung - das ist ja ihr Problem. Aber klar, das muss ich ausarbeiten. Da hast du recht.

Gruß wieselmaus

Gruß wieselmaus


.

 

Hallo wieselmaus,

Ist der Zusammenhang zwischen dem Voodoo-Zauber und Edelgards Krebserkrankung so undeutlich?

Diesen Zusammenhang hatte ich zwar wahr-, aber nicht ernstgenommen. Liegt wohl daran, dass ich den Horror-Tag glatt übersehen habe. Dadurch war ich mehr so im Realismus-Modus und habe das Ganze als Zufall abgetan, den man mit einem Schmunzeln zur Kenntnis nimmt - so, wie ich es im wirklichen Leben auch tun würde. Denn Edelgard ist ja schnell wieder geheilt, und mit ihren Augen ist nichts, obwohl Doris die ja auch zerstochen hatte. Und beim Würfeln hat Doris halt Glück, Benno hat eben einen Hang zum Aberglauben, und Doris zieht ihn damit auf. So meine Lesart bisher.

Wenn man es ernstnimmt - ja, dann ist es natürlich gruselig. Aber so weit kommt es bei mir nicht, auch jetzt nicht, wo ich den Tag gesehen habe. Ich denke, das liegt zum einen an den genannten Abschwächungen von Edelgards Erkrankung, zum anderen an der Beiläufigkeit, mit der das in die Geschichte eingebaut ist - das bekommt einfach keinen hohen Stellenwert, sondern bleibt eine kleine Schlusspointe. Vielleicht müsstest Du es dafür wirklich ausbauen, Edelgards Kampf gegen den Krebs schildern, ihre Heilung erklären (nimmt Doris vielleicht den Zauber irgendwie zurück?). Aber das würde die Geschichte natürlich grundlegend verändern, deshalb weiß ich nicht, ob Du das machen willst.

Grüße vom Holg ...

 

Hallo nochmal :-)

Ist der Zusammenhang zwischen dem Voodoo-Zauber und Edelgards Krebserkrankung so undeutlich?

Der Zusammenhang ist sogar überdeutlich, aber es ist trotzdem nicht gruselig. Doris stochert in einem Foto rum und dann bekommt Edelgard halt Krebs. Das hast du knapp abgehandelt und nichts weiter damit gemacht, es ist also mehr ein leichtes Mystery-Element, aber zumindest für mich absolut nicht Horror.

LG
Tim

 

Bad Rabitt,
bitte bitte etwas Geduld! Ich sitze gerade an der Überarbeitung und die wird umfangreicher als angenommen. Auch der Schluss.

Gruß wieselmaus

 

Hi wieselmaus,

ich stimme Holg und Rabitt zu. So wie der Voodoo eingebaut wurde ist es nichts weiter als eine kleine Schlusspointe. Doris hat nie irgendwelche Magie gemacht, sprich erst am ganz am Schluss gehst du darauf ein bisschen ein. Das müsste am Anfang stehen. Das Spucken auf die Würfel würde ich aber noch nicht als Magie bezeichnen ;).

Deine Ersatz-Prota ist ein temperamentvolles Frauenzimmer, mindestens 15 Jahre jünger, was man auch an ihrer Wortwahl merkt. Meine Prot verliert nie die Haltung - das ist ja ihr Problem. Aber klar, das muss ich ausarbeiten. Da hast du recht.

Sie verliert nie die Haltung in einem kontrollierten und geordnetem Leben, und wenn niemand zuschaut. Vor dem Kachelofen ist es aber nichts so. Sie ist alleine und ihr ganzes Leben entgleitet ihr. Hier wird sie nicht mehr Doris, sondern menschlich. Zeige es!

lg
Kroko

 

Hallo Kroko, Holg und Bad Rabitt,

hier ist die neue Version von "Magie". Ich würde gerne den tag "Horror" löschen. Mir geht es mehr um den alltäglichen, banalen Horror. Wie löscht man einen tag??
Bin gespannt auf eure Reaktion und sage schon mal danke.

Gruß wieselmaus

 

Hallo Holg,

in der überarbeiteten Fassung habe ich mich bemüht, den armen Ehemann etwas sympathischer rüberkommen zu lassen. Ich bin nämlich keine Männerfeindin;) und die Prota auch nicht, im Gegenteil: Tief in ihrem Innern ist sie eine hochromantische Person. Aber das soll ja niemand merken. Wird das jetzt deutlicher?
Mein anderes Problem: zeigen statt erzählen. Es geht mir so, dass ich teilweise sehr an meinen Formulierungen hänge, weil ich mächtig viel Gehirnschmalz und Herzblut auf sie verwendet habe. Alles Eitelkeiten. Wie kriegt man die los?

Dankbar für Ratschläge und viele Grüße
wieselmaus

 

Hallo wieselmaus,

der Ehemann hat jetzt auf jeden Fall mehr Farbe als vorher. Viel sympathischer wird er mir nicht, aber da hat er es auch schwer, weil ich so eine unmotivierte Midlife-Crisis einfach schlecht nachfühlen kann. Obwohl ich auch im Alter dafür bin, würde ich mich einfach nicht so verhalten, Klosterinternat hin oder her. Das ist aber keine Eigenschaft Deines Textes.

Der Magie-Anteil der Geschichte ist jetzt auch wesentlich klarer für mich. Es bleibt zwar immer noch offen, ob es Magie wirklich gibt (finde ich auch gut so), aber dass Deine Prota sich nun näher mit dem Thema befasst, ergibt Sinn.

Ein paar Kleinigkeiten habe ich noch gefunden:

Doris blickte hinab auf den Kachelofen, ihr Lieblingsstück.

Rolf lobte ihre Texte überschwänglich. Beinahe wäre er auch einmal mitgekommen.
Sehr vielsagend, ein schönes Detail!

das geräuschlose Tempo, mit dem diese Trennung abgewickelt wurde.

Sie verbuchten Rolfs Verhalten unter dem bequemen Schlagwort midlife crisis.
Ich würde das englische Wort entweder typographisch absetzen (kursiv oder in Anführungsstrichen) oder eindeutschen zu "Midlife-Crisis". Kommt noch mal vor und gilt auch weiter unten für die "bombola".

Ohne Fratzi durfte bis heute keine Reise angetreten werden.
Wie alt ist der Sohn jetzt? Ich denke, der zieht in eine Studentenbude?

'Ah ja, das erste Silvester im eigenen Heim! Flori hat ja bei seinem Freund übernachtet, und Rolf und ich sind auf der Kindermatratze durchs ganze Treppenhaus gerutscht, bis vor den Kachelofen. Da brauchten wir gar nicht mehr aufzustehen... Halt! Vermintes Gelände! Nur nicht daran rühren! Es war so schön gewesen, ihr schönstes Silvester.
Da fehlt der schließende Anführungsstrich. Man weiß nicht, wo die wörtliche Denke endet. (Vor "Halt!", nehme ich an?)

Mit einem Mal packt Doris ungezügelter Zorn auf diese Frau, die anderen Frauen ungestraft den Mann wegnehmen darf.
Besser: "durfte"? Hatte ich in einem früheren Kommentar schon mal angeregt, aber vielleicht hast Du's ja auch bewusst anders entschieden.

Aus einem tief in ihrem Unterbewusstsein verborgenen Ort taucht ein Bild auf.

Und dann noch:
Mein anderes Problem: zeigen statt erzählen. Es geht mir so, dass ich teilweise sehr an meinen Formulierungen hänge, weil ich mächtig viel Gehirnschmalz und Herzblut auf sie verwendet habe. Alles Eitelkeiten. Wie kriegt man die los?

Da rede ich jetzt wie der Blinde von der Farbe, aber ich versuch's mal ... Es gibt ja die Maxime "Kill your darlings". Such doch einfach (haha) mal die Formulierungen raus, die Du am meisten liebst und hinterfrage sie: Zeigen oder erzählen sie? Tragen sie etwas zu Story und Charakteren bei oder sind sie Selbstzweck? Und wenn Du zum Schluss kommst, dass sie nur schön, aber nicht nützlich sind, schmeiß sie raus - auch wenn's wehtut. :crying:

Grüße vom Holg ...

 

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