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Madagaskar

Team-Bossy a.D.
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23.02.2005
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Madagaskar

Als ich zum zweiten Mal an diesem Tag zu Petra und ihren Kindern komme, sitzt sie vor Nudeln mit Soße, die kalt sind. Das erste Mal stand der Kombi des Bestattungsunternehmens im Hof und ich zog mich nach einem leisen Gruß Richtung Chauffeur zurück, ohne ins Haus zu gehen.
Sie holten Peter, ihren Mann.

Am Küchentisch sitzen wir uns schräg gegenüber, Petra und ich. Die anderen um den Tisch herum nehme ich erst einmal nicht wahr.
„Sie rannten dem Wagen hinterher, als er aus dem Hof gefahren wurde. Alle Kinder rannten hinter ihm her. Sie schrieen sich fast die Lungen aus dem Leib, besonders Martina und Barbara“, erzählt sie mir leise, “das war der schlimmste Moment bisher.“

Thomas, der Jüngste und wie sein Bruder Jojo noch Grundschüler, legt fünf Päckchen Tempo auf den Küchentisch und sagt: „Mama, die nehm ich mit zu Papas Beerdigung. Alle mit Madagaskar-Tieren. Guck: Das Zebra, der Löwe...“
„Du meinst, wir brauchen so viele Tempos?“, fragt ihn Petra.
„Mama, die reichen doch nicht für alle... für mich, für Jojo und du kannst auch noch welche haben. Die anderen müssen selber mitnehmen.“

Meine Nachbarn Sonja und Rolf sitzen hinten auf der Eckbank. Man besucht sich nach einem Todesfall, hier in diesem kleinen Ort. Man spricht miteinander, bietet Hilfe an und gibt sie gleich durch ein Gespräch oder Zuhören. Rolfs rechter Zeigefinger ist vom Nagel bis zum Mittelknötchen genäht, das Fleisch noch rosarot.
„Mensch Rolf“, frage ich, „was hast du mit deinem Finger angestellt?“
„Mein Sommerunfall, blöd gesägt, Glück gehabt.“
Kurz waren meine Gedanken mit einem blutüberströmten Finger beschäftigt. Ich wundere mich.
Peter ist tot, zehn Kinder haben keinen Vater und Petra keinen Mann mehr und ich interessiere mich für so einen läppischen Kreissägenschnitt, der Rolf höchstens den Zeigefinger hätte kosten können.

„An so viel ist zu denken“, spricht mich Petra an, „und die Kleinen haben nur noch ausgelatschte Schuhe, wann ich die bis zur Beerdigung noch neu ausstaffieren soll, weiß ich auch nicht.“
Martina kommt mit einer Freundin in die Küche. Die älteren Kinder sind alle in Trauerschwarz, das ist auch kein Problem bei der heutigen Mode, denke ich. Die drittälteste Tochter setzt sich auf den Schoß ihrer Freundin und nippt an einer heißen Tasse Kaffee, an der sie sich zitternd festhält.
„Ich nehm die Kleinen mit und gehe Schuhe kaufen“, sage ich bestimmt, „dann kann ich dir wenigstens damit etwas helfen und die Jungs haben vielleicht mal für ein paar Momente was anderes im Kopf.“

Im Schuhladen entpuppt sich mein Angebot als teilweise schwierige Aufgabe, obwohl beide mit Feuereifer bei der Sache sind. Für Thomas ist gleich ausgesucht.
„Mir tun alle Schuhe da in der Mitte weh“, jammert Jojo. Überbreite Füße lassen uns lange suchen. Frau Kern, die von der Kfz-Werkstatt mit ihren grell leuchtend roten Haaren, steht plötzlich vor uns.
„Ah, Frau Meyer, auch am Einkaufen“, begrüßt sich mich einfallslos und deutet auf Thomas und Jojo, “sind das nicht Lapperts Buben?“
„Genau.“
„Ja, wie geht es denn eurer Mama?“, fragt sie und beugt sich leicht nach unten, in Richtung Kinder.
Thomas schaut sie mit offenem Blick an: “Der Mama, der geht es gut, aber der Papa, der ist gestern gestorben.“
Sie schluckt. Einmal. Zweimal. Dann ist sie weg. Kein Wort mehr, kein Blick. Als wäre Feueralarm ausgebrochen, der einem von allem, was mit Höflichkeit zu tun hat, entbindet.
Ich kaufe Jojo Schuhe, die wunderbar passen und entsprechend teuer sind. Das lässt mich entspannen, wenn ich auch sechs Stunden von meinem Nebenjob draufgehen, denn diesen Luxus kann ich Petra nicht antun.

„Zum Abschluss gehen wir noch an die Eisdiele beim Münster.“
„Eine Kugel oder zwei?“, fragt mich Thomas spitzbübisch.
„Wenn du willst, drei.“ Ausnahmesituationen lassen großzügig werden.

Wir sitzen auf der Treppe unterhalb eines wichtigen Menschen, der in Stein gehauen ist.
Links und rechts neben uns Taubenkot; fast akrobatisch suche ich für mein Hinterteil einen freien Platz.
„Dem Papa geht’s jetzt gut, jetzt tut ihm nichts mehr weh“, nuschelt Jojo zwischen zwei Schleckern seines Schokoeis, „aber ich würd’ ihn gerne jetzt schlecken lassen, Schoko ist doch auch seine Lieblingssorte.“
„Der kriegt doch da oben im Himmel soviel Eis, wie er will“, ruft Thomas.
„Meinst du?“, schaut ihn sein Bruder skeptisch an.

Ihr weiterer Lebensweg ohne Papa wird Spuren hinterlassen, denke ich, und stelle mir vor, dass sie vielleicht als Pubertierende oder selbst in der Situation, Vater zu sein, viel zum Nachdenken und Verarbeiten haben werden. Ich wünsche ihnen, dass sie immer Menschen an ihrer Seite haben, die damit umgehen können.

Ich betrachte die beiden, wie sie froh an ihrem Eis schlecken, mit Tränen in den Augen und bin mir nicht sicher, ob es welche der Trauer oder schon der Hoffnung sind.

 

Hallo bernadette,

eine schöne Geschichte.
So ist das Leben. Und das hast du gut wiedergegeben. Inhaltlich und sprachlich.
Beim ersten Absatz - er ist korrekt, ohne Zweifel - bin ich aber beim Lesen wegen der zwei Zeitformen ins Schleudern gekommen. Erst beim zweiten Mal habe ich kapiert worum es da geht.
Wie schon gesagt, es ist alles in Ordnung wie und was du schreibst, aber diese Informationen kommen zu spontan; sie haben mich überrannt.
Ich war gewzungen darüber nachzudenken. Wollte ich aber nicht, ich wollte lesen.
Dafür ist der Rest meiner Ansicht nach meckerlos.

Gruß Charly

 

Hi bernadette

ich find die Geschichte schön echt. so läuft wahrscheinlich jeder alltägliche Todesfall ab, so emotionsgehemt und wortkarg.
was soll man auch machen um die Trauer zu lindern? Dein Prot ist auf jeden fall ein guter mensch und tut in der Situation wohl was er kann.

Gruß

 

Hi bernadette,

der letzte Satz hat mich irgendwie berührt.
Ich werde langsam alt... :D

Deine Geschichte hat mir sehr gefallen. Dadurch, dass du nicht aus der Perspektive der Mutter, sondern aus der einer Freundin erzählst, erstickst du jeden Kitsch im Keim. Sehr gut gelöst.
Die Geschichte ist letztendlich nur ein Eindruck - aber ein guter.

Sprachlich sehr schön erzählt.

Details:

und ich interessiere mich für so einen läppischen Kreissägenschnitt, den Rolf höchstens den Zeigefinger hätte kosten können.
..., der Rolf...

fast akrobatisch suche ich für mein Hinterteil einen freien Platz.
Sehr schön.

„Meinst du?“, schaut ihn sein Bruder skeptisch an.
So was finde ich immer etwas unelegant: Einen gesprochenen Satz kann man nicht schauen - aber das ist Geschmacksache oder ein Stilmittel ;).

In diesem Sinne
c

 

Hallo Bernadette,

zunächst mal Textkram:

Das erste Mal stand der Kombi des Bestattungsunternehmens im Hof,und ich zog mich nach einem leisen Gruß Richtung Chauffeur zurück

Sie schrieen sich fast die Lungen aus dem Leib
schrien

Peter ist tot, zehn Kinder haben keinen Vater und Petra keinen Mann mehr, und ich interessiere mich für so einen läppischen Kreissägenschnitt, den Rolf höchstens den Zeigefinger hätte kosten können.

dann kann ich dir wenigstens damit etwas helfen, und die Jungs haben vielleicht mal für ein paar Momente was anderes im Kopf.

begrüßt sich mich einfallslos
sie


seines Schokoeises

Ihr weiterer Lebensweg ohne Papa wird Spuren hinterlassen, denke ich[,] und stelle mir vor
kein vollständiger Hauptsatz=>kein Komma

Da hast du mich ja ganz schön reingelegt. ;) Ich denke an den Film oder die Insel, und stattdessen muss ich mich mit Trauer auseinandersetzen, mit Hilflosigkeit, mit Verlust eines Menschen ...

Ich finde, das hast du gut eingefangen und dargestellt:

Thomas schaut sie mit offenem Blick an: “Der Mama, der geht es gut, aber der Papa, der ist gestern gestorben.“
Sie schluckt. Einmal. Zweimal. Dann ist sie weg. Kein Wort mehr, kein Blick. Als wäre Feueralarm ausgebrochen, der einem von allem, was mit Höflichkeit zu tun hat, entbindet.
trifft ins Schwarze

Die Kinder scheinen auch die einzigen zu sein, die irgendwie unbefangen damit umgehen:

„Dem Papa geht’s jetzt gut, jetzt tut ihm nichts mehr weh“, nuschelt Jojo zwischen zwei Schleckern seines Schokoeis, „aber ich würd’ ihn gerne jetzt schlecken lassen, Schoko ist doch auch seine Lieblingssorte.“
„Der kriegt doch da oben im Himmel soviel Eis, wie er will“, ruft Thomas.

Insgesamt ist mir der Text etwas zu lang(weilig), besonders im Anfang schleppend. Aber vielleicht war das ja auch deine Absicht.

Gruß, Elisha

 

Hi Bernadette,

eine sehr schöne Geschichte, direkt aus dem Leben gegriffen.
Du erzählst sie so, als wärest du dabei gewesen.
Ohne Schnörkel und triefende Rührseligkeit.
Trotzdem ist man berührt.

Dem Papa geht’s jetzt gut, jetzt tut ihm nichts mehr weh“, nuschelt Jojo zwischen zwei Schleckern seines Schokoeis, „aber ich würd’ ihn gerne jetzt schlecken lassen, Schoko ist doch auch seine Lieblingssorte.“
„Der kriegt doch da oben im Himmel soviel Eis, wie er will“, ruft Thomas.
Auch wenn Elisha diesen Absatz nicht mag, so finde ich ihn sehr wichtig.
Gerade in der ersten Trauerphase brauchen die Hinterbliebenen, vor allem die Kinder, den Trost der Normalität.
Für die Kinder lebt der Vater im Himmel weiter, so wie auf Erden. Sie können ihn nur nicht mehr sehen. Die Vorstellung, dass er dort auch sein Schokoeis essen kann, vermittelt, dass es ihm gut geht.
Der Schrecken eines dunklen Grabes, kommt erst garnicht auf.

Sehr schön, Bernadette:)

lieben Gruß, coleratio

 

@ Charly

Du hattest mit dem ersten Absatz Probleme. Aber du hast ihn verstanden, nachdem du nachgedacht hast. Insofern hat der Absatz seine Berechtigung und du bist als denkender Mensch etabliert ;). Ansonsten meckerlos...liest man gerne.

@ aris

Es ist nicht so, dass in diesem Trauerfall wenig gesprochen wird, nur Frau Kern bringts nicht auf den Punkt. Aber eine gewisse Hilflosigkeit steht im Raum, da hast du recht. Die Nachbarn zeigen Emotionen, die Witwe genauso.
Die Kinder, die sind die, die länger brauchen. Wohl ihr ganzes Leben lang.

@ chazar

der letzte Satz hat mich irgendwie berührt.
Ich werde langsam alt...

Ich habe gerade heute darüber nachgedacht, dass ich keinen Tag jünger sein wollte als ich bin. Was würde mir doch an Erfahrungen fehlen... sei also froh, wenn du ins Alter kommst :)


So was finde ich immer etwas unelegant: Einen gesprochenen Satz kann man nicht schauen - aber das ist Geschmacksache oder ein Stilmittel .

Da es nicht als Stilmittel eingesetzt war, gebe ich dir Recht.

@ elisha

Also mit den Kommas nach und habe ich wohl Krieg - danke für die Friedenspfeife.

Insgesamt ist mir der Text etwas zu lang(weilig), besonders im Anfang schleppend. Aber vielleicht war das ja auch deine Absicht.
Ja, Absicht. Ich wollte die Situation in einer Trauerfamilie darstellen und auch die Notwendigkeit, trotz dieser Ausnahmesituation auf alltägliche Dinge reagieren zu müssen.

@ all

Danke für eure durchweg positive, teilweise sehr lobende Kritik. Das hat mich sehr gefreut. Auch natürlich für die Fehlersuche. Mach mich gleich an das Verbessern.

Liebe Grüße
bernadette

 

hi coleratio,

Ohne Schnörkel und triefende Rührseligkeit.
Trotzdem ist man berührt.

Dann hab ichs ja getroffen.
Auch wenn Elisha diesen Absatz nicht mag, so finde ich ihn sehr wichtig.
Da hast du wohl etwas falsch gelesen. Diesen Absatz fand sie wohl auch passend. (Ihr Kommentar dazu ist über dem Zitat).
Der Schrecken eines dunklen Grabes, kommt erst garnicht auf.
Hoffentlich nicht, auch wenn sie die Beerdigung, die erst noch kommen wird (der Papa ist ja erst einen Tag tot und noch nicht beerdigt), überstehen müssen und sehen, wo sein Körper vergraben wird.

Sehr schön, Bernadette:)

Danke, coleratio :)

 

Hallo Bernadette,

wenn man so spät kommt, gibt es natürlich nicht mehr viel zu sagen. Ich fand deine Geschichte sehr schön, interessant fand ich vor allem die Erzählperspektive - die gab diesem Thema (das ja nicht neu ist) etwas ganz anderes. Ohne kitschig zu werden fühlt man sich doch berührt. Alles ist so lebensecht, als hättest du es selbst miterlebt.
Am Anfang jedoch bin ich auch etwas geschleudert - das liest sich etwas verwirrend, man kennt sich nicht aus, was gerade passiert. Vielleicht schaust du es dir einfach nochmal an.

Mach weiter so!!

LG
Bella

 

Ach @Bella, habe ich dich einfach nicht beachtet, entschuldige. Unserem Bruder Tserk wäre das sicher nicht passiert ;).

Am Anfang jedoch bin ich auch etwas geschleudert - das liest sich etwas verwirrend, man kennt sich nicht aus, was gerade passiert. Vielleicht schaust du es dir einfach nochmal an.

Ich habe den zweiten Satz verändert. (statt: Beim ersten Mal - jetzt: Beim ersten Besuch. Ist es so verständiger zum lesen? Ich denke, dieses erste Mal haben manche auf den Kombi und nicht auf das zweimalige Auftauchen bezogen.

Danke für dein Lob.

Liebe Grüße
bernadette

 

Hallo bernadette,
Hier bin ich beim Lesen gestolpert.

Meine Nachbarn Sonja und Rolf sitzen hinter der Eckbank. Man besucht sich nach einem Todesfall, hier in diesem kleinen Ort. Man spricht miteinander, bietet Hilfe an und gibt sie gleich durch ein Gespräch oder Zuhören.
Ich habe zunächst geglaubt, die Erzählerin wäre zu den Nachbarn gegangen, um über den Todesfall zu berichten...

Vorschlag:
Auch meine Nachbarn Sonja und Rolf sind bei Petra, sitzen hinter der Eckbank. Hier in diesem kleinen Ort besuchen wir uns nach einem Todesfall. Man bietet Hilfe an: durch ein Gespräch miteinander oder man hört einfach nur zu.

Gerne gelesen

Goldene Dame

 

Hallo Goldene Dame,

Ich habe zunächst geglaubt, die Erzählerin wäre zu den Nachbarn gegangen, um über den Todesfall zu berichten...

Stimmt, das kann man so lesen. Ich habe deinen ersten Satz als bessere Variante eingebaut, dann wird es deutlicher.

Danke für deinen Kommentar.

Lieber Gruß
bernadette

 

Hi ber,

war lange nicht mehr hier und kaum zurueck stolpere ich schon ueber eine Geschichte von Dir ;)

Mich persoenlich hat die Geschichte sehr beruehrt, weil ich diese Situation leider selber gut kennengelernen musste, aber das bringt das Alter so mit sich ... Auch weiss ich, dass es die Kinder gut meinen und helfen wollen, irgendwie, auch suchen sie Kontakt mit ihrer Mutter- nur verstehen sie nichts und doch schon alles ... das macht die Geschichte so real und traurig ... :sad:
Ein paar Dinge haben mich ein wenig gestoert: z.B:
* Die Distanziertheit der Kleinen beim Eisessen, es war erst am Vortag.
* Die direkte Antwort des einen, dass sein Vater gestorben sei, als nach der Mutter gefragt wurde. Mit sowas platzen sogar Kinder nicht unbedingt heraus, sie spueren, dass etwas sehr Schlimmes passiert ist, aber sie koennen es nicht richtig einordnen. Ihre Unsicherheit laesst sie nur sprechen, wenn sie danach gefragt werden.
Und noch etwas: Bei 10 Kindern sind einige doch mindestens 15 ... wie veraendert sich der Umgang mit solchen Schicksalsschlaegen im Alter, wann und wie realisiert man das, wenn ueberhaupt. Als Jugendlicher koennte man sich in seinem Schmerz verletzt fuehlen, wenn der kleine Taugenichts von Bruder ploetzlich zu singen anfaengt und fragt: "Papi kommt doch wieder zurueck?" Was passiert in der Familie?
Uebrigens - wie klingt: "die Seele aus dem Leib heulen" anstelle von "schreien"? Trauer ist meist leise. Ich konnte das schreien nicht einordnen. Probleme hatte ich auch mit der differenzierten Sicht: dass war bisher das Schlimmste. In dieser Situation ist es einfach nur schlimm, so schlimm, dass man es nicht einordnen kann. Es ist noch nicht zu fassen.

Sorry, dass ich das jetzt alles so in einem Satz herausgewuergt habe ...

Viele Gruesse und eine kleine Hoffnung, das Du keinen realen Vorfall verarbeitest.

sarpenta

 

Salut sarpenta,

Mich persoenlich hat die Geschichte sehr beruehrt, weil ich diese Situation leider selber gut kennengelernen musste, aber das bringt das Alter so mit sich
auf deinem Profilpic siehst du aber noch nicht sooo alt aus ;)

* Die Distanziertheit der Kleinen beim Eisessen, es war erst am Vortag.
Der Vater starb nicht von heute auf morgen, davor könnte es ein langer Krankheitsverlauf gegeben haben, Kinder sind sehr pragmatisch. Der Tag ist nicht von vorne bis hinten mies, weil der Papa gestorben ist. Wenn es ein Eis zum schlecken gibt, kann man den ganzen Schmerz mal kurz auf die Seite schieben. Genau das war auch der Grund folgender Aussage...:
Ihr weiterer Lebensweg ohne Papa wird Spuren hinterlassen, denke ich und stelle mir vor, dass sie vielleicht als Pubertierende oder selbst in der Situation, Vater zu sein, viel zum Nachdenken und Verarbeiten haben werden.

... weil sie die Konsequenzen im Moment gar nicht übersehen können.
Als Jugendlicher koennte man sich in seinem Schmerz verletzt fuehlen, wenn der kleine Taugenichts von Bruder ploetzlich zu singen anfaengt und fragt: "Papi kommt doch wieder zurueck?" Was passiert in der Familie?

Sicher könnte man die Geschichte ausweiten, von mehreren Personen erzählen. Mir ging es aber hauptsächlich um die Kleinen; die Größeren habe ich dahingehend kurz gestreift, dass ich ihre Hilfl- und Haltlosigkeit gezeigt habe.
Die drittälteste Tochter setzt sich auf den Schoß ihrer Freundin und nippt an einer heißen Tasse Kaffee, an der sie sich zitternd festhält.

Trauer ist meist leise.
Ich kenne sehr exzessive Trauer.


Sorry, dass ich das jetzt alles so in einem Satz herausgewuergt habe ...
Es kann nicht so an.

Lieber Gruß
bernadette

 

hallo bernadette,

diese geschichte ist so wie deine anderen geschichten, die ich von dir kenne. der stil ist unverwechselbar bernadette *smile*.
eine familie mit 10 kindern verliert den ernährer. du hast schön erzählt von der situation und den gefühlen. ich habe einmal eine familie mit 14 kindern gekannt, ich sehe das chaos vor augen, das immer geherrscht hat. es ist ein wirklich interessantes bild und eine literarische herausforderung. das vermisse ich leider in deiner geschichte. 10 kinder. du hast es geschafft, von 2 kindern zu erzählen, dass sie in die grundschule gehen. ansatzweise hast du versucht, ordnung in diese 10 personen zu bekommen, und ich bekomme den eindruck, dass du im versuch erkannt hast, dass das den rahmen bricht. eine familie mit 10 kinder in einer geschichte hat aber den anspruch auf detailierung und auf tiefe, was den umfang deiner geschichte sprengen dürfte. aber alle 11 personen gehen individuell mit dem tod des mannes um UND sie gehen individuell miteinander um. ausserdem darf das chaos in der familie, das sich ja potenziert haben muss, näher beschrieben werde.

im einzelnen habe ich noch folgende gedanken:

Als ich zum zweiten Mal an diesem Tag zu Petra und ihren Kindern komme, sitzt sie vor Nudeln mit Soße, die kalt werden.
wie sehen nudeln aus, die kalt werden. ist das eine metapher dafür, dass die nudeln nicht gegessen werden?
es klingt nicht so schön. was spricht denn dagegen, zu schreiben, dass die nudeln mittlerweile schon kalt sein dürften?

Sie rannten dem Kombi hinterher, als er aus dem Hof gefahren wurde.

"Kombi" fiel schon im ersten absatz. er passt auch nicht als ausdruck in der wörtlichen rede von petra. wie wäre es schlicht mit "Wagen"?

Links und rechts neben uns Taubenscheiße

"scheiße" ist zu stark behaftet und passt nicht im ruhigen und angenehmen erzählstil, der bis jetzt geherrscht hat. wie wäre es mit "kot"?

fazit: wie immer ein guter erzählstil, den ich gerne lese. wie immer nörgel ich an dem inhalt in deiner geschichten *smile*!

bis dann

barde

 

Hi Barde,

ich habe einmal eine familie mit 14 kindern gekannt, ich sehe das chaos vor augen, das immer geherrscht hat. es ist ein wirklich interessantes bild und eine literarische herausforderung. das vermisse ich leider in deiner geschichte.

Es gibt auch große Familien ohne äußeres Chaos.

10 kinder. du hast es geschafft, von 2 kindern zu erzählen, dass sie in die grundschule gehen. ansatzweise hast du versucht, ordnung in diese 10 personen zu bekommen, und ich bekomme den eindruck, dass du im versuch erkannt hast, dass das den rahmen bricht.

Erzählen wollte ich u.a., wie der Prot pragmatisch helfen kann: Indem er der Witwe eine Besorgung abnimmt. Diese gestaltet sich natürlich nicht alltäglich, wenn der Papa gestorben ist.

wie sehen nudeln aus, die kalt werden. ist das eine metapher dafür, dass die nudeln nicht gegessen werden?
Dadurch, dass die anderen noch beim Essen sind und Petra nichts von ihren Nudeln nimmt, werden sie kalt. Ist das so ungeschickt ausgedrückt? Ich sag doch auch immer zu meinen Kindern: Komm iss, bevor sie kalt werden...

"scheiße" ist zu stark behaftet und passt nicht im ruhigen und angenehmen erzählstil, der bis jetzt geherrscht hat. wie wäre es mit "kot"?
Gute Idee!

Danke für deine Kritik und auch Verbesserungsvorschläge :).

Lieber Gruß
bernadette

 

Das ist toll, dass diese Geschichte wieder hoch und damit in meine Erinnerung kam, weil ich mich jetzt sofort erinnerte: dazu wollte ich doch immer noch etwas schreiben, und irgendwie kam ich immer davon ab.

Eine wirklich beeindruckende Geschichte, die sich traut, einfach nur zu erzählen, und damit ist die große Stärke auch schon benannt. Da wird etwas erzählt, und das auf solch eine ergreifende Weise, dass man sich dem Geschehen ganz nahe fühlt, fast so nahe, die Trauer spüren zu können, das Unglück und doch gleichzeitig den erstaunlich unbefangeneren und selbstverständlich Umgang, den Kinder und Heranwachsende mit Trauer haben.

Es hat mich auch beeindruckt, wie du die Gespräche wiedergibst, die in einer solchen Situation wohl genau so wären, wie du es darstellst.

Ein wirklich starker Text.

Grüße von Rick

 

Rick: Psst, du hetzt noch bernadette die Show-don't-tellisten auf den Hals ;). Obwohl, soviel getellt hat sie doch nicht, sie hat auch viel geshowt.

Hallo bernadette,

eine Geschichte, die, wie ich finde, die starken Emotionen dem Leser nicht wie viele andere nur so vor den Latz knallt, sondern sie ihm Schluck für Schluck einzuflößen versteht. Wie schon von jemand anderem angemerkt, auch ich finde die Wahl der Perspektive sehr passend. Was soll man aus der Sicht der sicherlich am meisten leidenden Mutter groß bringen außer Traurigkeit, die bestimmt noch unter dem dichten, dunklen Schaum des Nichtfassenkönnens verborgen liegt.

Detailanmerkungen:

Madagaskar
  • Ein Titel reicht ;).

Sie schrieen sich fast die Lungen aus dem Leib
  • Diese Formulierung finde ich ein kleines Bisschen deplaciert, muss aber gestehen, dass weder mir noch meinem Synonymwörterbuch etwas besseres einfällt. Das Wort "heulen" würde es von seiner Bedeutung her am ehesten treffen, ist aber wiederum stilistisch nicht zu empfehlen. Vielleicht habe ich auch nur das falsche Bild im Kopf.

“das war der schlimmste Moment bisher.“
  • "bisher" würde ich streichen, dass kommt so als wüsste die Autorin, dass es noch viel härter kommt und sie das zwecks Spannungsaufbau absichtlich durchblicken lässt. Stattdessen würde ich es die Mutter so darstellen lassen, dass sie sich kaum Schlimmeres vorstellen kann.

Thomas, der Jüngste und wie sein Bruder Jojo noch Grundschüler, legt
  • Einige Stellen gibt es in dem Text, die etwas zu sachlich auf mich wirken, diese hier zum Beispiel. Diese Form der Altersangabe könnte fast aus einem Zeitungsartikel stammen. Mir ist klar, dass du den Kontrast zwischen ihrem Alter und ihrer scheinbaren persönlichen Stärke betonen wolltest, aber vielleicht fällt dir ja noch ein, wie du das etwas lebendiger gestalten kannst. Kommt er vielleicht gerade aus der Schule und kann die Packungen aus seinem bunten Schulranzen auspacken? Oder sowas eben ...

Die älteren Kinder sind alle in Trauerschwarz, das ist auch kein Problem bei der heutigen Mode, denke ich.
  • Ich weiß nicht, ob man die Trauerkleidung nach den Maßstäben heutiger Mode aussuchen würde. Aber gut, ich war noch nie auf einer Beerdigung.

Überbreite Füße lassen uns lange suchen.
  • Hm, diese Formulierung finde ich ein bisschen stilistisch merkwürdig. Was ist so falsch an >> Wegen seiner überbreiten Füße suchen wir lange.

Thomas schaut sie mit offenem Blick an: “Der Mama, der geht es gut, aber der Papa, der ist gestern gestorben.“
  • Da fühlt sich FLoH herausgefordert seine Selbstkenntnis zu befragen, ob er in diesem Alter so reagiert hätte. Aber das muss wohl scheitern aus Mangel an Erfahrung. Ich denke aber, auf keinen Fall würde ich das so sagen, so wie ein Schulterzucken.

Das lässt mich entspannen, wenn ich auch sechs Stunden von meinem Nebenjob draufgehen,
  • das "ich" ist zuviel.

Wir sitzen auf der Treppe unterhalb eines wichtigen Menschen, der in Stein gehauen ist.
  • Für mich klingt das an dieser Stelle ironisch, so als ob dieser wichtige Mensch eigentlich gar nicht so wichtig ist. Warum nicht einfach Denkmal, und gut ist? ;)

mit Tränen in den Augen
  • Hm ... Dies kann ich kaum im Zusammenhang mit dem bisherigen Behaben der Jungen annehmen. Tränen in den Augen machte mich mindestens wortkarg.

So, genug der Meckerei. Ich wünschte, ich hätte bessere Vorschläge zu den bemängelten Stellen parat, sorry.


FLoH.

 

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