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Macht scheibchenweise
Seit sie die Nahrungsmittelsteuer eingeführt hatten, ging es mir ziemlich beschissen. Klar mussten alle dankbar sein, dass überhaupt Nahrungsmittel erhältlich waren. Ich konnte sie mir aber vorher schon kaum leisten. Aber das ging vielen so. Der Nahrungsmittelkonsum war in der letzten Zeit drastisch gesunken. Manche klauten einfach ab und zu ein paar Feldfrüchte oder machten sich auch mal einen Brennesselsalat. Ganz krass fand ich die, die sich von der Müll- und Abwasserhalde Tomaten und anderes Zeug holten, was dort wuchs. Da konnte ich mich dann doch beherrschen.
Einige große Lebensmittelkonzerne waren sogar pleite gegangen, weil keiner mehr ihr Zeug kaufte. Man ernährte sich fast nur noch von den importierten billigen Produkten, die wohl ausschließlich aus Mais gemacht waren und immer irgendwie nach ihrer Verpackung schmeckten.
So war ich angenehm überrascht, dass mich Fuzzi zu einer Vernissage mitnehmen wollte. Das bedeutete kostenloses Essen, und nicht nur Grundnahrungsmittel. Ich dachte schon, er hätte mit Lissy, seiner neuen Freundin Schluss gemacht, aber die musste wohl an diesem Abend irgendwo putzen. Vielleicht sogar in der Villa von Donnies Vater. Donnie hatte ihm die Einladungen verschafft.
Ich war nicht wirklich erstaunt, dass ich in meinen Anzug wieder hinein passte.
Gegen Acht holte mich Fuzzi mit dem Auto ab. Er hatte sich mächtig in Schale geschmissen und trug sogar ein Seidentuch. Eine große Tasche lag auf dem Rücksitz.
"Willst du eines der Bilder klauen, oder was?" fragte ich ihn.
"Was? Ach, nein, das ist nichts." brubbelte er. Er stellte das Radio lauter, als Nachrichten kamen.
"Nun hör dir das an!" wetterte er. "Dieses Kapitalistenpack macht doch vor nichts Halt!"
"Ich hab gerade nicht zugehört ..."
"Die wollen Stimulanzien in den Lebensmitteln gesetzlich zulassen. Du wirst süchtig und kaufst nichts anderes mehr. Wie damals in Japan, das mit dem Katzenfutter. Diese Ärsche!"
"Hmm ..."
"Zum Glück ist der Krappmann ja dagegen."
"Hä?"
"Der Verbraucherschutzminister. Du weißt ja gar nichts!"
"Na und ..." Ich hatte schon mächtigen Hunger. "Hoffentlich gibt es was Anständiges. Nicht nur diese Häppchen mit komischem Fisch."
"Hmm." brummte Fuzzi kopfschüttelnd, dass ich mir wie ein Idiot vorkam. Toll für ihn, dass er sich mit Politik auskannte, gebracht hatte es ihm bis jetzt auch nichts.
Nach einer schweigsamen Fahrt kamen wir in eine noblere Gegend von Berlin.
"Da ist es ..." Er hielt kurz vor einem Eingang mit rotem Teppich. Neben der Tür leuchtete ein Schild: Maler und Aktionskünstler Bastian Ö. Stappensalm: "Leben und Zeit verging".
Letzteres stimmte. Es war gar nicht so einfach, einen Parkplatz zu finden. Da waren zwar ein paar reservierte, aber so nah am Eingang zu parken, war Fuzzi mit seinem alten Schlorren zu peinlich.
Endlich schritten wir über den roten Teppich.
"Hier, nimm ein Tic-Tac!" sagte Fuzzi und hielt mir die Packung hin. Ich sah ihn verwundert an.
"Nun nimm schon, hier begrüßt man sich mit einem Kuss!"
Die Party war schon in vollem Gange. Seltsame Leute hauchten Küsschen neben anderer seltsamer Leute Wangen. Während wir ein paar eigenartige Gestalten umkurvten, hielt ich Ausschau nach dem Buffet.
Es sah gut aus, anscheinend hatte kaum einer Hunger, oder die Brötchen waren ihnen zu billig belegt. Selbst die reicheren Leute sparten anscheinend bei den Lebensmitteln.
Mit einem voll beladenen Teller begab ich mich zu Fuzzi, der gerade mit Donnie an einem Stehtisch ein Gläschen Sekt einnahm.
"Ciao, Süßer", Donald IV klopfte mir zart auf die Schulter. "Und, wie gefällt dir die Ausstellung?"
Ich hatte gerade ein halbes Brötchen im Mund, deshalb gab er sich die Antwort selbst.
"Man muss diese Kunst einfach mögen." Ich nickte kauend.
"Sieh dir nur das Werk dort hinten an", fuhr Donnie mit andächtiger Stimme fort. "Dieser metaphröse Expressionismus, der den Betrachter zu divergentem Denken zwingt, um die Transzendenz des Seins zu erfahren." Er nippte an seinem Sekt und schüttelte sein Haar.
"Ach, ich seh' da gerade den Bastel. Soll ich ihn euch nachher vorstellen? Er ist so ein fulminantes Talent!"
Mit tänzerischen Bewegungen entschwebte Donnie von unserem Tisch. Fuzzi schob angewidert sein Glas ein Stück von sich und klaute sich ein Brötchen von meinem Teller. Ein Mann mit flusigen roten Haaren und Federboa schneite an unserem Tisch vorbei und blickte mir tief in die Augen. Ich vergaß das Kauen. Er zwinkerte mir über die Schulter zu und verschwand in Richtung Damentoilette. Entgeistert starrte ich ihm hinterher.
"Müssen wir lange bleiben?" fragte ich Fuzzi.
"Wir können hier nicht gleich wieder abhauen. Lass uns mal ein bisschen rumgucken!" sagte er und steuerte auf eines von Bastels Gemälden zu. Ich griff mir meine restlichen Brötchenhälften und folgte Fuzzi.
Unter jedem Bild stand "Ohne Titel", und genauso sahen sie auch aus. Die Preise waren lächerlich. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand sowas kaufte, wenn er sich von dem Geld ein ganzes Jahr lang gut ernähren konnte.
Der Künstler räusperte sich.
"Liebste Kunstfreunde. Ich will nicht viel parlieren. Meine Werke sprechen für sich, sind Paraxialen unserer Gesellschaft und brauchen keine Worte. Aber ich möchte euer besonderes Augenmerk auf die Fritillaria meines Schaffens richten. Mein großer Dank geht an Priscilla-Katrin. Ihr haben wir es zu verdanken, dass ich den großen Mut aufbrachte, meine innere Zerrissenheit über die Dekadenz unserer Existenz in innovativer und nonkonformistischer Kunstform für die ganze Welt sichtbar zu machen. Liebste Freunde, mein Höhepunkt: Tagebuch einer Krankheit. Auswurf in sechs Stadien."
Die Kunstfreunde drängten sich dichter zu einer Vitrine.
Mir wurde schlecht. Ich stopfte die Brötchenhälften in meine Anzugtaschen und stolperte schnell nach draußen in die kühle Abendluft. Fuzzi kam hinterher. Er reichte mir noch ein Tic-Tac.
"Sei froh, dass er keine Darmgrippe hatte." lachte er und sah auf die Uhr.
"Na los, gehen wir einen trinken. Ich geb' einen aus."
Mann, war der spendabel drauf heute. Aber er hatte ja auch eine arbeitende Freundin.
Kurz darauf betraten wir seine Stammkneipe. "Zwei Margaritas", schrie Fuzzi schon an der Tür dem Wirt entgegen. Mir ging es glücklicherweise schon etwas besser. Passierte nicht oft, dass ich eingeladen wurde, schon gar nicht auf teure Drinks.
"Na, alles klar?" fragte Fuzzi.
"Ja, geht schon."
"Hast ja ordentlich reingehauen!"
"Hab ja auch schon lange kein Brötchen mehr gegessen, jedenfalls nicht frisch und in Kombination mit Butter und Belag."
"Na, war doch gut, dass ich dich mitgenommen habe, was?"
"Hmm." Die Drinks kamen.
"Das ist was ganz Feines." sagte Fuzzi und glotzte dem Hintern der Kellnerin hinterher.
Ich nahm einen Schluck. Das war wirklich was Exquisites. Schon nach dem ersten Schluck, der mir warm die Kehle herunterging, war mir leicht zumute. Das kam, weil ich mir pro Woche gerade mal zwei Bier leisten konnte. Da wurde man schon von einer Weinbrandbohne besoffen, sofern man eine hatte.
Fuzzi musste seinen Blick lösen, als die Kellnerin in der Küche verschwand.
"Und? Gut, was?"
"Echt edel."
Er sah zu, wie ich trank.
"Sag mal ...", begann er und rieb an seinem Glas.
"Ja?"
"Kannst du mir nachher einen kleinen Gefallen tun?"
"Ja, klar." Das war also der Grund für seine spendable Ader heute.
"Okay", er sah wieder auf die Uhr. "Ein bisschen Zeit haben wir noch." Dann trank er das Glas mit einem Zug leer.
"Was ist es denn?"
"Sag ich dir dann. Hast du schon gehört, es gab gestern eine Klopperei von ein paar Weibern im 'Brokat'. Um Wurzelgemüse."
"Ich geh da nicht einkaufen." Im "Brokat" kostete ein Brot meine halbe Monatsmiete.
"Hätt' ja sein können, dass du von gehört hast."
"Um Wurzelgemüse?"
"Die waren wie irre Furien, diese reichen Schlampen. Innerhalb von einer halben Stunde war das Zeug ausverkauft."
"Hmm. Versteh einer die Frauen. Ich denke, alle sparen?"
Er lachte und guckte, ob der Hintern der Kellnerin schon wieder zu sehen war.
"Lissy arbeitet jetzt bei Van Haakendrop."
"Wer?"
"Van Haakendrop. Der Guru. Frisst nur exotisches Zeug, Kokosnuss und Algen und so, hat zig Jahre im Busch gelebt, in Südamerika oder Südafrika oder Australien. Der Dicke-Marie-Skandal."
"Hä?"
"Sag bloß, du weißt das auch nicht! Das lief doch dauernd in den Nachrichten!"
"Wie du vielleicht weißt, habe ich keinen Fernseher."
"Ach ja. Aber ein Radio! Naja, egal. Jedenfalls war doch damals der Skandal mit diesem Hixorbitax, dieses teure Magenmittel, was gar nicht wirklich wirkte. Und es kam heraus, dass die dicke Marie Meiering bei Van Haakendrop irgendwie mit dem Chef von HiX bekanntgemacht wurde."
"Marie Meiering?"
"Die damalige Gesundheitsministerin. Die Meiering war bei Van Haakendrop auf einem Dinner."
"Und?"
"Peilst du das nicht? Es kam raus, dass sie das Magenmittel nicht auf die Liste hat setzen lassen, weil sie bei der Party den HiX-Chef kennengelernt haben soll. Alle haben behauptet, der HiX-Chef hätte ihr über Van Haakendrop als Bezahlung dafür Hunderttausend geschenkt."
"Na, das ist ja ..."
"Die dicke Marie hat immer bestritten, die dicke Marie bekommen zu haben. Und dann haben sie sie abgesägt. Richtig so."
"Hmm." Es war mir meist nicht mal möglich, mir die Namen der Leute zu merken, und Skandale gab es jede Woche. Genüsslich schlürfte ich die letzten Reste des köstlichen Gesöffs.
Fuzzi beugte sich über den Tisch.
"Egal. Jedenfalls steigen wir nachher in Van Haakendrops Haus ein."
"Was?" Entsetzt blickte ich in Fuzzis verschwörerische Miene.
"Das ist kein großes Ding."
"In ein Haus einsteigen?! Was ist das denn für eine bescheuerte Idee?"
"Sei leise! Das ist keine große Sache, ehrlich. Ich will nur, dass du mir eine Luke aufhältst. Mehr musst du nicht machen."
"Ich breche doch nirgendwo ein!" raunte ich mit Seitenblick auf den Wirt. "Außerdem habe ich nicht die richtigen Klamotten an für solche Scherze."
"Das habe ich alles in der Tasche im Auto. Ich dachte, du hilfst mir auch mal."
"Ja ..." Ein Gewissensbiss zwickte mich.
"Das ist echt kein Hit, glaub mir. Du kriegst von mir einen Overall und Handschuhe."
"Warum willst du in sein Haus einsteigen?"
Fuzzi sah mich an, als hätte ich sie nicht alle. "Um ihn zu beklauen?"
"Was denn?"
"Na, Geld oder Diamanten. Der hat einen Safe, und ich kenne die Kombination."
"Woher ..."
"Das musst du nicht wissen."
"Ich hab aber sowas noch nie gemacht. Ich hab gar keine Erfahrung."
"Ich doch auch nicht. Aber ich werde nie wieder die Gelegenheit haben, so schnell und einfach an Kohle zu kommen. Das ist sowieso ein reicher Arsch, dem fällt das sicher nicht mal auf, wenn ihm hunderttausend fehlen. Hat wahrscheinlich die armen Eingeborenen in Afrika ausgebeutet, der Kapitalistensack. Also was ist? Hilfst du einem guten Kumpel? Kriegst natürlich einen Riesenanteil!"
Wir hielten in einem Waldstück. Fuzzi holte eine Taschenlampe aus seiner Tasche und zog eine Art Mülltüte hervor. "Hier, zieh das an!"
Gott, war ich nervös.
"Ich krieg' Dünnschiss."
"Quatsch! Los, mach hin!" Nochmal tief durchatmen. Dann begann ich, meinen Anzug auszuziehen. Es dauerte ein wenig, bis ich frierend in Unterhose und Hemd in den Büschen stand.
Ich faltete das Tüten-Ding auseinander. Man konnte gänzlich hinein steigen. Ich zog die Kapuze zusammen. War das lächerlich, und pervers sah es auch aus: Zwei Müllsäcke wandeln durch die Heide, um sich vielleicht in Ekstase gegenseitig zu zerknittern.
Ein paar spurlose Schritte durch die Nacht, ein gewagter Sprung über einen Zaun, ein unelegantes Hingleiten auf einem englischen Rasen, und wir waren im Garten des Algen-Gurus. Vorsichtig schlichen wir zum Haus. Ein Kellerfenster war nur angelehnt. Ich betete, dass die Alarmanlage ausgeschaltet sein möge.
"Scheiße!" zischte Fuzzi.
"Was ist denn?" fragte ich erschrocken.
"Ich hab nur ein Paar Handschuhe mit!"
"Dann lass uns lieber umkehren."
"Du spinnst wohl. Los, hast du ein Taschentuch?" Er warf mir einen Handschuh zu.
"Das ist in meiner Hose im Auto."
Er stöhnte. Dann öffnete er den Overall und riss ein Stück von seinem Hemd ab.
"Mach nicht so einen Lärm!" flüsterte ich panisch.
"Nun los, mach dir einen Lappen! Und immer gleich abwischen, wenn du irgendwo angefasst hast!"
Es tat mir weh, mein schönes Hemd zu zerreißen. Was für ein Frevel. Ich zerrte, bis ich einen Fetzen hatte.
"Hast du noch alle Knöpfe dran?!" zischte Fuzzi.
"Wieso, was ist denn nun schon wieder?"
Er stöhnte wieder. "Fehlen Knöpfe an deinem Hemd? Ich will nicht wegen so einem Scheißteil in den Knast."
"Achso, äh ... nein."
"Na dann los!"
Vorsichtig kletterten wir in den Keller. Wir zogen uns noch ein Zusatzpaar Tütenschuhe über die Füße wegen dem Dreck.
Fuzzi durchleuchtete den Raum. Überall stand komisches Zeug herum, gespenstische Holzmasken, geschnitzte Stöcke, irgendwelche Kisten mit Stroh.
"Hat der ein Zeug." flüsterte ich. "Was ist denn das für ein Vogel?"
"Der war wie gesagt x Jahre irgendwo bei einem Urwaldstamm. Lissy sagt, er hat eine Vitrine mit Schrumpfköpfen im Esszimmer."
Ich schluckte. "Schrumpfköpfe?"
"Ja, und Schädel. Da hinten ist die Luke."
Ein Irrer. Wir waren gerade im Haus eines Irren.
"Wo ist der Kerl jetzt eigentlich?" wisperte ich.
"Irgendwo. Frisst gerade in einem teuren Restaurant mit irgendeinem Blödmann."
Ich stieg zaghaft knisternd über ein paar Holzgeräte. "Du leuchtest ja nur auf deinem Weg! ... Was ist, wenn er früher zurückkommt?"
"Warum sollte er früher zurückkommen?" Fuzzi leuchtete mir ins Gesicht.
"Nimm die Lampe weg. Vielleicht schmeckt es ihm nicht? Er könnte sich mit seinem Blödmann streiten." Bunte Punkte wurden langsam transparent.
"Hör auf mit dem Scheiß, und komm endlich rüber." zischte er.
Ich wankte und stieß gegen ein hässliches Holzmonster. "Leuchte doch mal hierher. Mein Lappen ist weg!"
"Oh, Mann!" Fuzzi kam widerwillig ein paar Schritte zurück. Es raschelte aufdringlich, als ich in die Hocke ging.
"Hast du ihn?"
"Nein. Er muss irgendwo hier unten sein ..." Ich tastete vorsichtig auf dem Boden herum. Und fand etwas Grässliches.
"Oh Gott, ich hab einen Schrumpfkopf angefasst!" keuchte ich.
"Was?"
"Leuchte doch mal hierher, verdammt! Ein Schrumpfkopf oder eine behaarte Schädeldecke!"
"So ein Quatsch!" Fuzzi schnaufte genervt und kam den Boden ableuchtend zu mir rüber. Der Lichtkegel fiel auf etwas Struppiges, Braunes.
"Das ist ein Stück Kokosnuss-Schale!" stöhnte er.
"Ach ..." Ich war unglaublich erleichtert. "Da ist ja auch der Lappen ..."
"Idioten beim Training ..."
"Was?"
"Nichts. Da oben ist die Luke. Bist du jetzt so weit? Hast du den Lappen fest in der Hand? Können wir jetzt?" leierte er.
"Ja, ja, ja ..."
Die Luke war ganz schön schwer. Ich stand auf einem wackligen Stuhl und hielt sie hoch. Mühsam stützte Fuzzi sich bei mir ab, stieg auf die Lehne und zog sich nach oben. Endlich kroch er durch das Loch.
"Warte hier. Ich bin in einer Minute wieder da!" sagte er und tappte leise raschelnd von dannen.
Was war das für eine blöde Idee, hier einzubrechen. Hoffentlich lohnte sich der ganze Stress wenigstens. Van Haakendrop. Ein Typ, der für Politbonzen Abendessen gab. Der vermutlich im "Brokat" einkaufte und sich von Kokosnüssen und Algen ernährte. Der musste doch bestimmt ein paar Hunderttausend in seinem Safe haben. Vielleicht sogar fast eine Million. Oder Gold und Diamanten. Aber die konnte man schlecht anbieten irgendwo, große Steine waren auffällig, das wusste ich aus Filmen, damals, als ich noch den Fernseher hatte.
Es raschelte.
"Hier, nimm das." befahl Fuzzi und schob mir mit Schwung einen kleinen Koffer ins Gesicht. Da waren sie also drin, die Millionen. War schön schwer, das Teil. Irgend etwas fiel drinnen hin und her.
Der Rückweg war viel einfacher. Ich konnte es kaum erwarten, die Beute zu besichtigen.
"Wie teilen wir eigentlich?" fragte ich und versuchte, mein kaputtes Hemd in die Hose zu stecken.
"Hmm ... was?" Fuzzi rollte seinen Overall zusammen.
"Den Anteil. Wieviel kriege ich denn?"
"Achso ... sagen wir achtzig zwanzig?"
"Äh ..."
"Nicht?"
"Naja ..."
"Nagut, bist du mit siebzig dreißig einverstanden?"
"Ja, also ..."
"Gut. Du fährst. Ich brauch Werkzeug."
"Kennst du die Kombination vom Koffer nicht?"
"Offensichtlich ..." Er kramte hinten im Auto.
Während der ganzen Fahrt schabte, kratzte, stocherte und drückte Fuzzi erfolglos an dem Koffer herum. "Dieses Scheiß-Schloss!" Wütend schüttelte er das Teil.
"Was, meinst du, ist da drin?" fragte ich zaghaft.
"Was weiß ich? Schwer, das Ding. Vielleicht ein Goldbarren."
"Wieviel wiegt ein Goldbarren?"
"Keine Ahnung." sagte er und lauschte am Koffer. "Oder Banknoten."
"Wieviel Banknoten könnten es denn bei diesem Gewicht sein? Der Koffer ist doch so schwer?"
Genervt ließ er den Koffer auf den Boden fallen.
"Vielleicht ist es auch was anderes. Eine Schmuckschatulle."
Bei mir zu Hause hatte ich noch anderes Werkzeug. In der Küche rückten wir dem widerspenstigen Ding zu Leibe. Das Äußere war völlig zerfetzt, als wir schließlich mit einem Brecheisen Erfolg hatten und die Schlösser zu bersten drohten. Der große Moment. Gleich würden die zerschundenen Hälften auseinanderfallen. Fuzzi stemmte mit aller Kraft. Jetzt würde die Zukunft Gestalt annehmen, eine großartige, vielleicht sogar ein bisschen luxuriöse Zukunft. Eine Zukunft mit "Brokat"-Waren, mit teuren Drinks und ...
"Was ist das?!" Fuzzi starrte entgeistert in die derangierten Kofferhälften. Ich traute meinen Augen nicht.
"Sieht aus wie eine Salami ..."
Fuzzi griff zu und hielt sie sich unter die Nase. "Scheiße! Das ist auch eine Salami!" Ratlos standen wir eine Weile herum und starrten auf die Wurst. Schließlich brach ich das Schweigen.
"Aber warum packt denn jemand eine Salami in einen Safe?"
"Keine Ahnung ... " Fuzzi setzte sich auf den Küchenschrank. "Da muss aber was hinterstecken ... Eine Salami, eine Salami ... "
"Vielleicht war sie teuer ..."
"Unsinn ... " Fuzzi stieß sich vom Schrank ab und ging bedächtig um den Tisch. Er blieb stehen und kratzte sich nachdenklich am Kopf. "Ha!"
Ich schreckte auf.
"Ich weiß es jetzt! Die Diamanten sind da drin."
"Wieso ..."
"Das ist doch sonnenklar! Um sie zu schmuggeln!"
"Um sie zu schmuggeln?"
"Ja klar! Über irgendeine Grenze. Damit keiner was findet, tut er sie in Salamiwurstteig und presst eine Rolle daraus. Die nimmt er dann mit nach Amsterdam oder so. Da sind todsicher heiße Steine drin."
"Geht das überhaupt? Wurstteig? ... Das ist doch ein blödes Versteck, die durchleuchten doch das Gepäck mit irgendwas ..."
"Hast du mal ein großes Messer? Ich schneide sie jetzt in Scheiben." Hektisch zog er ein paar Schubladen auf.
Wortlos überreichte ich ihm mein größtes Küchenmesser. Vorsichtig schnitt er Scheibe um Scheibe ab. Es roch widerlich nach Knoblauch. Die Wurst wurde kürzer und kürzer, bis schließlich das andere Ende erreicht war.
"Also keine Diamanten ...", stellte ich resigniert fest.
"Aber es muss irgendwas da sein! Man packt doch nicht aus Jux eine Salami in den Safe."
"Vielleicht ... ist das eine sehr wertvolle Salami", schlug ich vor.
"Was? So ein Quatsch!"
"Doch, kann doch sein. Wie bei altem Wein oder so. Es gibt in der Schweiz einen Käsesammler, der hat einen Käse, der schon über hundert Jahre alt ist. Der ist bestimmt zehntausend wert."
"Hmm ...", Fuzzi kniff die Augen zusammen. "Du könntest recht haben. Hast du eine alte Zeitung?"
"Was willst du denn mit einer Zeitung?"
"Eine Lösegeldforderung ausschneiden. Wenn die Wurst so wertvoll ist, wird er ja einen schönen Preis dafür zahlen."
"Ich hab keine Zeitung."
"Nicht mal eine Fernsehzeitung?"
"Nein, gar nichts."
"Unten in der Schublade an deinem Bett ..."
"Nein, nicht den 'Playboy'!" Das war der einzige, den ich damals nicht verkauft hatte, als meine Sammlung für einen lächerlichen Preis an den Hausmeister in meinem früheren Wohnblock ging.
"Der wär ideal, der ist uralt, da kommt nie einer drauf, dass die Buchstaben da ausgeschnitten wurden!"
"Da ist aber Pamela Anderson drin!"
"Ich brauch doch nur ein paar Buchstaben!" Als ich mich nicht rührte, sah er mich an. "Willst du leben oder rumvegetieren? Willst du nicht auch mal diesen Nehm-ich-heut-den-Ferrari-oder-lieber-den-Rolls-Leuten in den Arsch treten? Diesen eingebildeten Kapitalistensäcken, die nichts können, als andere auszubeuten? Wir können Pamela ja ganz lassen. Nun los!"
Widerwillig setzte ich mich in Bewegung und holte das Heft und eine Schere.
"Was ist mit meinen ... Fingerabdrücken? Ich hab das Heft doch tausendmal durchgeblättert!"
"Die wisch ich ab. Gib mir mal einen feuchten Lappen und Klebstoff."
"Geht das überhaupt?"
"Und ich brauche die Handschuhe aus dem Auto."
Nach zwei Stunden hatten wir, beziehungsweise Fuzzi, das Pamphlet fast fertig: "VAn hAaKENDrOP WenN SiE IhRE WUrst wiedErhaBeN WOllen ZahLeN SIe"
"Was mag so eine Salami wert sein?" fragte Fuzzi.
"Keine Ahnung ..."
"Was war dieser Käse nochmal wert?"
"Zehntausend. Aber der war nicht zerschnitten ..."
Es folgte eine bleierne Schweigesekunde.
"Scheiße!" stieß Fuzzi hervor. "Scheiße, Scheiße, Scheiße!"
Betreten sah ich auf meinen zerfledderten "Playboy". Fuzzi tigerte um den Tisch. Ich konnte es mir nicht verkneifen.
"Ich hatte ja gleich gesagt, dass man darin nichts schmuggeln kann. Es war völlig sinnlos, sie zu zerschneiden!"
"Konstruktive Vorschläge, bitte!" schrie er gereizt. "Rumjammern kann ich selber."
Ich sah auf den Berg Wurstscheiben. Ganz normale Salami. "Hmm ... weißt du noch, wie die Wurst genau aussah?"
"Was ist das denn für eine bescheuerte Frage?! Natürlich weiß ich das!" blaffte er mich an. Aber ich ließ mich durch den Ton nicht beirren.
"Na, dann könnten wir doch eine neue kaufen. Das heißt, du müsstest sie kaufen, ich hab nicht so viel Geld. Wir machen die Übergabe irgendwie im Dunkeln oder so, und er merkt den Schwindel erstmal nicht. Und wenn er herausfindet, dass seine Salami nicht seine Salami ist, sind wir mit der Kohle längst über alle Berge!"
Seine Miene hellte sich langsam auf. "Das ist mal ein konstruktiver Vorschlag. Gute Idee! Dann klebe ich jetzt den Brief fertig, und wir werfen ihn ein. Und morgen machen wir uns auf die Suche. Gib mir einen Zollstock für den Durchmesser."
Die Geldübergabe sollte in einem Waldstück erfolgen. Er hatte das Geld in einen hohlen Baum zu legen und sollte dann warten, bis ihm die Post einen Schlüssel für ein Schließfach mit der Wurst schickte. Und es war wohl klar: Keine Polizei.
Wir warfen den Brief in Van Haakendrops Briefkasten.
Ich lag noch angezogen auf dem Bett und grübelte. Es war schon halb sechs, und ich hatte noch immer kein Auge zugetan. Was würde nun werden? Lag ich bald mit einem Margarita auf einer Liege am Südsee-Strand oder einfach neben einem behaarten Kerl im Knast? Überhaupt - was, wenn er die Wurst versichern lassen hatte? Dann kassierte er einfach die Summe und fertig. Ich wälzte mich hin und her. Van Haakendrop hatte doch bestimmt auch Verbindungen zur Polizei ...
Um halb sieben sprang ich auf mein klappriges Rad und fuhr zu Van Haakendrops Haus. Ich versteckte mich in dem kleinen Wäldchen nahe seiner Villa und spähte durch das Grünzeug. Noch war alles ruhig. Vermutlich schlummerte er ahnungslos in seinen Samtkissen. Oder er frühstückte bereits ein paar Algen. Ich bekam Hunger. In meiner Jacke fand ich die Vernissage-Brötchen. Sie hatten zwar nicht mehr ganz ihre ursprüngliche Form, schmeckten aber trotzdem immer noch besser als das Zeug, was ich sonst zum Frühstück hatte. Ich atmete tief durch. Die Sonne schickte ein paar Strahlen durchs Blätterdach. Den Briefkasten fest im Blick schmauste ich zu lieblichem Vogelgezwitscher auf einem Baumstumpf.
Komischerweise kann man immer dann schlafen, wenn man nicht darf. Obwohl meine Sitzgelegenheit alles andere als bequem war, fielen mir dauernd die Augen zu. So war ich froh, als sich endlich was rührte.
Ein grauhaariger älterer Mann im grauen Anzug kam zum Tor, um die Post herauszunehmen. Das musste ja dann Van Haakendrop sein. Er sah sich kurz den Stapel Zeitungen an und verschwand wieder hinter seinen frisierten Koniferen.
Was tat er wohl gerade? Unser Mosaik lesen, hysterisch zum Safe rennen, die Polizei rufen? Ich rechnete aus, wann die dann hier sein müssten. Spuren hatten wir ja keine hinterlassen. Hoffte ich.
Eine Tür knallte. Verwundert sprang ich hoch und lief ein paar Schritte, um den Hauseingang im Blick zu haben. Ich zog ein paar Zweige zurück. Van Haakendrop, fahl wie sein Anzug, stürzte zur Mülltonne. In der Hand hielt er ein Blatt, es sah aus wie unser Brief ... Er zückte ein Feuerzeug, und mir klappte die Kinnlade herunter. Er wurde erpresst und vernichtete Beweismaterial? Vielleicht hatte ich mich auch getäuscht ... Hastig warf er den verkohlten Rest in die Tonne und rannte zurück ins Haus.
Schockiert von der Aktion setzte ich mich ins feuchte Gras. Hatte er eben tatsächlich den Brief verbrannt, oder hatte ich von den alten Brötchen Halluzinationen?
Ein Wagen heulte auf, das schnörkelig geschmiedete Tor öffnete sich. Mit quietschenden Reifen brauste Van Haakendrop vom Hof und heizte davon. Mein Kopf war völlig leer, und meine Hose war langsam durchgeweicht. Ich stand auf und klopfte geistesabwesend den Dreck ab. Wenn Van Haakendrop tatsächlich den Brief verbrannt hatte, kriegten wir ja wohl kein Geld. Vielleicht war das auch nur eine Rechnung, über die er sich aufgeregt hatte. Oder er war wütend über einen Zeitungsartikel. Oder es war unser Brief ...
Zwei Minuten später schlich ich mich an den Waldrand. Reiche Leute schliefen anscheinend lange, die ganze Straße war ruhig. Ich spähte noch einmal in die Runde, um dann einen Sprint auf Van Haakendrops Grundstück zu wagen.
In der Mülltonne vergammelten Lebensmittel, von denen ich eine ganze Woche hätte satt werden können. Oben drauf lag der verkohlte Fetzen. Es war tatsächlich unser Brief, "WenN Si" konnte ich noch erkennen. Ich starrte auf die schwarzen Reste meiner rosigen Zukunft. Kein Geld, keine Südsee. Fuzzi mit seinen Plänen. Ich konnte mich nicht erinnern, dass wir jemals irgendwas auf die Reihe gekriegt hätten. Als wir, das heißt, er damals die Revolutionäre Innovationspartei, RIP, gegründet hatte, wollte nicht mal einer unser Programm geschenkt haben. Dabei war es gar nicht schlecht. Ein paar Steuern runter, ein paar Steuern rauf, mehr Kindergartenplätze, mehr Geld für Schulen und so. Es gab uns zwei Wochen, dann hatte seine damalige Freundin den Geldhahn für neue Kopien zugedreht.
Reifen quietschten. Panisch sah ich mich um. Zum Tor zu rennen, war es bereits zu spät. Blieb nur noch die halbvolle Mülltonne oder irgendwas im Garten. Ich entschied mich für eine Hecke. Van Haakendrop kam auf sein Grundstück geschossen und machte eine Vollbremsung vor der Garage. Mit einer Tüte in der Hand sprang er aus dem Auto und verschwand im Haus.
Mein Gebüsch war nicht wirklich bequem. Ein paar feuchte Zweige bohrten sich mir in den Nacken, und vor meiner Nase spann gerade eine dicke Kreuzspinne eine Fliege ein. Bis zum Tor waren es bestimmt dreißig Meter, und vielleicht kam Van Haakendrop gleich wieder aus dem Haus gerannt. Ich linste durch die Zweige. In einem Zimmer ging das Licht an, aber Van Haakendrop war nicht zu sehen. Meine Berechnungen für die Zeit, die er bis zur Haustür brauchen würde, brachten mich nicht weiter.
Nun ging auch das Licht im Keller an. Überraschenderweise war das Kellerfenster immer noch angelehnt. Komisch, ich dachte Fuzzi hätte es wenigstens richtig zugedrückt. Jedenfalls war es die Gelegenheit, aus meinem Strauch zu schlüpfen.
Ich war schon auf dem Rasen hinter den Koniferen, als ein Kleinbus mit der Aufschrift "Security Müller" in der Einfahrt hielt. Geschickt schlug ich einen scharfen Haken und presste mich an einen Baum. Der Versuch, den Stamm nachzuahmen, ging fehl, ich war einfach zu breit.
Van Haakendrop erschien auf dem Hof, und aus dem Auto stiegen vier Männer. Sie folgten ihm zum Hauseingang. Ich hörte, wie er ihnen befahl, das Grundstück abzusuchen nach Löchern im Zaun.
Das war mein Zeichen. Jetzt oder nie. Todesmutig wagte ich die paar Schritte zum Kellerfenster und drang abermals in Van Haakendrops gruseliges Untergeschoss ein. Dort ein Versteck zu finden, war nicht allzu schwer. Ich kauerte zwischen Kokosnuss-Schalen im Schatten einer seltsamen Statue mit einem enormen Penis.
Es dauerte nicht lange, da hörte ich Schritte auf der Treppe. Ich hielt den Atem an. Hoffentlich bemerkte er mich nicht. Aber Van Haakendrop war ganz mit etwas beschäftigt, das mir sehr eigenartig vorkam. Er zog eine riesige Spritze auf mit einem Serum. Aus der Tüte, die er vorhin mit aus dem Auto genommen hatte, zog er eine Salami. Er setzte die Spritze an und impfte tatsächlich die Wurst an mehreren Stellen. Immer, wenn er eine Injektion vollendet hatte, rieb er auf der Stelle des Einstichs herum. Ich war mir nicht sicher, was für ein Ritual das sein sollte. Es hatte irgendwie etwas Perverses, wie er die Salami so streichelte. Mir war sowieso schon sehr unbehaglich, aber das jetzt ...
Das Handy unterbrach ihn bei seinen Handlungen. Am Telefon war er wieder ganz der Geschäftsmann. Er blaffte seinen Gesprächspartner an, dass er ihn nicht dauernd anrufen solle und dass alles klar ginge, heute Abend wär ja das Essen mit Krappmann. Mit der Wurst im Arm verschwand er aus dem Keller.
Der Tag in Van Haakendrops Gewölbe war lang. Ich untersuchte die Spritze, aß ein paar Reste aus einer Kokosnuss-Schale und erleichterte mich in eine vermutlich kostbare Vase. Draußen krochen die Typen vom Sicherheitsdienst durch das Gesträuch, und ich versuchte, mich an die Person Krappmann zu erinnern.
Es war schon dunkel draußen, als Van Haakendrop wieder in den Keller kam. Ich hatte inzwischen eine bequeme Haltung hinter dem wurmstichigen Fruchtbarkeitsgott gefunden und beobachtete relativ entspannt, wie der Guru ein Gerät aus einem Schrank entnahm. Er öffnete die Klappe, die Fuzzi damals den Einstieg in Van Haakendrops Reich ermöglichte. Bald schon stand das Ding, in dem ich eine Kamera erkannte, auf einem Stativ. Van Haakendrop hatte eine Art dunkles Fliegengitter installiert. Er drückte noch ein paar Knöpfe, dann piepte die Kamera und filmte leise surrend durch das Gitter. Der Meister verschwand wieder, und ich kam vorsichtig hinter meiner Statue hervor. Ich schlich mich zu der Apparatur und spähte durch die Gaze.
Van Haakendrop hatte das Zimmer mit Kerzen ausstaffiert, die ein weiches Licht in einen eigenartigen Raum zauberten. In der Mitte stand eine dekorativ mit Knochen und Blumen geschmückte Bahre. Ein unscheinbarer Kerl kam ins Zimmer. Der Guru wies ihm einen Platz an einem Tisch zu.
"Wo sind denn die anderen?" fragte der mausgraue Typ und sah sich unsicher um.
"Die kommen noch, Herr Krappmann. Sie wissen doch, wie Frauen sind." meinte Van Haakendrop.
Krappmann nickte wie ein Kenner und lachte nervös. Sein Blick fiel auf die Bahre.
"Sie sind schon ein Exzentriker, Herr Van Haakendrop."
Der grinste und bot ihm eine Platte mit Häppchen an. "Nehmen Sie ruhig schon von den Hors d'Oeuvres." Er schenkte ihm Sekt ein.
"Ist das Knoblauch-Salami?" fragte Krappmann und schob sich etwas in den Mund.
Van Haakendrop nickte, während er den anderen zufrieden beim Essen beobachtete. "Jemand hat mir verraten, dass Sie die besonders mögen."
Dann stellte er die Häppchen weg und sah gespannt auf seinen Gast. Der Typ rollte mit den Augen und hing plötzlich schlaff in seinem Stuhl. Van Haakendrops Ginsen wurde breiter.
"Stehen Sie auf!" befahl er Krappmann. Der bekam wieder Spannung in seinen Körper und erhob sich. Van Haakendrop fasste ihm unter den Arm und geleitete ihn zu der Bahre. Dort legte Krappmann sich zwischen die Knochen.
Inzwischen war mir auch wieder eingefallen, wer Krappmann war: Der Verbraucherschutzminister.
Der Guru stimmte einen tiefen, fremdartigen Gesang an und tanzte um den Minister herum. Dabei schüttelte er eine Rassel und bewarf ihn mit Kräutern. Schließlich hielt er inne.
"Erhebe dich!" tönte er.
Der Minister richtete sich langsam auf. Sein Blick ging starr in die Leere. Van Haakendrop begann wieder, Krappmann tänzerisch zu umrunden. Nachdem er unter Verrenkungen ein paar seltsame Verse gemurmelt hatte, baute er sich vor dem Minister auf.
"Höre!" befahl Van Haakendrop. "Du wirst leben wie bisher. Wenn jedoch das Wort 'Smorgasbor' ertöne, so sollst du dem Sprecher jeden Wunsch erfüllen! Es gibt für dich keine anderen Prioritäten. Wer 'Smorgasbor' sagt, sei dein Herr! Frage nicht nach dem Sinn, höre nur auf: 'Smor-gas-bor'!"
Der Minister machte ein dämliches Gesicht, sah aber aus, als hätte er jedes Wort in sein studiertes Gehirn aufgenommen. Van Haakendrop half ihm von der Bahre zurück zum Stuhl. Er klatschte in die Hände. Wie ein Schleier fiel der Trancezustand vom Minister ab.
"Heiß hier drin." Er trank einen Schluck. "Wo sind denn nun die Damen?"
Van Haakendrop griff sich das Tablett mit den Salami-Häppchen. "Die kommen noch. Bitte entschuldigen Sie mich einen Augenblick. Trinken Sie doch noch etwas Champagner."
Sicherheitshalber versteckte ich mich wieder in den Kokosnuss-Schalen. Und richtig, Van Haakendrop kam in den Keller geeilt. Er stellte das Tablett ab und nahm die Kamera vom Stativ. Vorsichtig öffnete er eine Klappe und fummelte einen Chip heraus. Dann begab er sich zu dem Schrank und verstaute das Gerät wieder. Den Chip und die Spritze versteckte er in einer Skulptur.
Irgendwann kamen auch die versprochenen Damen, und der Minister amüsierte sich im Rahmen seiner Möglichkeiten.
Als die bunte Gesellschaft sich aufgelöst hatte und Van Haakendrop begann, seine Knochen wieder in eine Vitrine zu sortieren, läutete es an der Tür.
"Ich hab Ihnen doch gesagt, dass wir uns erst morgen sehen können!" blaffte er ärgerlich. Ein Mann in feinem Anzug kam mit ihm ins Zimmer.
"Ja, ich weiß, entschuldigen Sie. Aber ich dachte, ich bringe Ihnen das Geld heute noch, damit Sie die Dringlichkeit meines Anliegens verstehen." schleimte der Typ. "Hier, vierhunderttausend!" Er öffnete einen Koffer. Mir wurde warm.
"Und ich habe Ihnen auch einen Whisky mitgebracht, der ist achtzig Jahre alt." Er zog eine Flasche hervor.
"Sehr nett, vielen Dank."
"Ich dachte, wir stoßen auf unser gelungenes Geschäft an." Der Mann zerrte die Verpackung vom Hals der Flasche und öffnete sie. Van Haakendrop zog die Augenbrauen hoch und holte notgedrungen zwei Gläser.
"Und morgen bin ich meine Sorgen los? Wie machen Sie das bloß?" fragte der Gast und schenkte ein. "Wir reden nicht über Interna, lieber Freund." sagte Van Haakendrop und roch in sein Glas.
"Natürlich nicht. Aber es ist schon erstaunlich, wie einfach die Welt sein kann, wenn man die richtigen Leute kennt. Prost."
"Nicht wahr?"
"Ich muss Ihnen unbedingt etwas erzählen."
"Es ist schon spät ..."
"Ja, aber das müssen Sie erfahren. Der Chef des 'Brokats' hatte mir gestattet, schon einmal im Vorfeld einen Versuch mit Pheremonen zu starten."
"Aha." seufzte Van Haakendrop.
"Und stellen Sie sich vor, statt auf die Pralinen stäubten die Dödel das Zeug auf das Gemüse!" Der Mann lachte schallend. "Innerhalb von zehn Minuten prügelten sich ein Dutzend Weiber um die Möhren."
Van Haakendrop lächelte höflich.
"Wenn ich Sie jetzt bitten dürfte ... Wir telefonieren morgen."
"Jaja, natürlich. Gute Nacht."
Van Haakendrop geleitete den Gast höflich aber bestimmt hinaus.
Mein Problem, aus dem Keller zu kommen, ließ sich zu fortgeschrittener Stunde recht einfach lösen. Die Typen von "Security Müller" hatten irgendwann Wachablösung. Während der Neue die sicherheitsschwachen Punkte des Grundstücks erklärt bekam, konnte ich mit meinem Urin in der Vase fliehen. Ich vergaß natürlich nicht, einen Blick in die geheime Statue zu werfen. In einem Kalender standen fein säuberlich die Codeworte für sämtliche Minister, Funktionäre, Anwälte und Richter, mit denen Van Haakendrop jemals Kontakt gehabt hatte. Einige hundert Chips waren in ein Album sortiert und mit Namen versehen. Ich versuchte, mir wenigstens ein paar Codes von Leuten, deren Namen mir bekannt vorkamen, zu merken.
Es war gar nicht so einfach, mein Rad im dunklen Wald wieder zu finden. Die Vase versenkte ich in einem Graben.
Völlig erschöpft strampelte ich nach Hause. Es brannte Licht, Fuzzi war also schon da. Ich konnte es nicht erwarten, ihm von meinen Erlebnissen zu erzählen und rannte aufgeregt ins Zimmer.
Es bot sich mir ein Bild des Grauens: Fuzzi hing mit verdrehten Augen im Sessel. Neben ihm auf dem Boden lag eine neue Salami, in der Hand hielt er ein paar Scheiben von der aus Van Haakendrops Safe.
Ich konnte ein paar Tränen nicht unterdrücken. Der arme Fuzzi. Nachdem ich mich beruhigt hatte, sagte ich: "Steh auf!"
In Fuzzis schlaffen Körper kam Leben, er erhob sich. Ich geleitete ihn vorsichtig in die Mitte des Zimmers und befahl ihm, sich auf den Teppich zu legen. Fuzzi gehorchte. Daraufhin begann ich, um ihn herum zu hüpfen und ein paar Melodien zu summen. Eine Rassel hatte ich nicht, statt dessen nahm ich mir aus Fuzzis Jacke die Tic-Tacs.
"Erhebe dich!" sagte ich irgendwann mit fester Stimme. Ich tanzte weiter um ihn herum und murmelte ein paar Strophen von Schulgedichten.
"Höre!" sprach ich dann. "Du lebst wie immer. Aber wenn ich ... 'Erlknoblauch' sage, so sollst du mir jeden Wunsch erfüllen. Vergiss nicht: Erl-kno-blauch!"
Fuzzi blickte ein bisschen dümmlich, hatte mich aber verstanden. Ich klatschte in die Hände und blickte gespannt zu ihm hinunter.
"Wieso sitze ich denn hier unten?" fragte er barsch.
"Äh ... entschuldige ... Du bist ohnmächtig geworden ..."
"Was?"
"Erlknoblauch!"
Fuzzi bekam wieder einen starren Blick. Es funktionierte tatsächlich: Ich sagte ihm, er solle sich wieder in den Sessel setzen, und er tat es. Ich klatschte, und er war wie immer.
Die Zulassung für die innere und äußere Behandlung von Lebensmitteln mit Stimulanzien trat einen Monat später in Kraft. Ich interessiere mich jetzt doch für Politik. Nach und nach begreife ich auch die Strukturen der Macht. Nächste Woche sind Fuzzi und ich erst einmal beim Bürgermeister von Berlin eingeladen, dessen Codewort zufällig unter denen war, die ich mir gemerkt hatte.
Wenn Van Haakendrop sich wieder sicher fühlt und "Security Müller" abbestellt, werden wir noch einmal bei ihm einsteigen. Ich will die anderen Codes auch, damit zum Beispiel diese blöde Lebensmittelsteuer wieder eingestellt wird.
Fuzzi hat schon Geld gespart für ein paar Algen, die wir dann präparieren werden, und bald, denke ich, werden wir auch unser altes Programm noch einmal hervorholen. Dann wird sich alles ändern.