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Mach's gut

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01.06.2012
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Mach's gut

Der Umschlag lag vor ihr auf dem Schreibtisch. Blütenweiß und mit ihrem Namen in Hellens geschwungener Schrift wirkte er so friedlich, aber sie konnte sich nicht überwinden, ihn zu öffnen. Sie hatte Angst, dass ihr die Worte entgegensprangen wie gefräßige Raubtiere. Sie nahm den Umschlag in die Hand und betrachtete ihn von allen Seiten. Keine ruhige Minute würde sie mehr haben, wenn sie ihn jetzt nicht öffnete. Sie wusste nicht, wie lange sie schon in ihrem Zimmer saß und ihn anstarte. Sie war nicht zum Mittagessen in die Küche gegangen, sie war nicht ans Telefon gegangen, als ihre Mutter an die Tür geklopft hatte und ihr sagte, es sei für sie. Sie wollte mit niemandem reden. Sie wollte nicht mehr rausgehen, sie wollte sich keinen Zentimeter mehr bewegen, weil es keinen Sinn mehr hatte. In diesem Umschlag waren die Antworten, auf die Fragen, die in ihrem Kopf dröhnten. Endlich die Fragen loswerden, endlich ein bisschen freier sein. Sie griff nach der Schere und schlitzte den Umschlag auf. Er enthielt zwei dicht beschriebene Seiten Papier.
„Das sind die Antworten, die du haben wolltest, jetzt hör auf zu zögern und lies endlich!“, dachte sie und zwang sich, den Blick auf die kleinen Buchstaben zu richten.


„Liebe Lily,

ich hoffe, dass es dir gut geht und ich hoffe, du vermisst mich nicht allzu sehr. Ich bin mir sicher, dass du das Alles auch ohne mich schaffst, du warst sowieso immer die Stärkere von uns Beiden und ich hatte so oft das Gefühl, dir ein Klotz am Bein zu sein. Ich weiß natürlich, dass du das nie zugegeben hättest und das du mich kleines Mauerblümchen wirklich lieb hattest.
Wenn ich an die vergangenen Jahre zurückdenke, dann sehe ich als erstes dich und was wir zusammen erlebt haben. Zwölf Jahre sind eine lange Zeit und es kann sich viel ändern, deshalb bin ich froh, dass du immer bei mir geblieben bist. Angefangen an dem Tag, als ich mit laut klopfendem Herzen vor meiner neuen Klasse stand und mich nicht traute, in die fremden Augen zu sehen, die mich aus grinsenden Gesichtern heraus anstarten.
Dann sah ich in der hintersten Bankreihe zwei rehbraune Augen und ich fühlte mich, als würde ich von einer langen Reise endlich zurück nach Hause kommen, die Haustür öffnen und spüren, wie mir der vertraute Geruch die Tränen in die Augen treibt.
Du lächeltest mich an. Kein Grinsen, wie bei den Anderen und ich lächelte zurück, weil ich einfach nicht anders konnte.“

Sie spürte, wie sich ihre Mundwinkel kaum merklich hoben, als sie sich an diesen Tag erinnerte. Plötzlich schien sie wieder in dem kleinen, stickigen Klassenraum ihrer früheren Grundschule zu sitzen.
„Kinder, jetzt seit doch endlich mal ruhig!“, rief Frau Neumann, auf deren Haut sich mal wieder hektische, rote Flecken gebildet hatten. Das Mädchen neben ihr stand da, wie eine Puppe, unbeweglich und stumm, das einzige, was sich an ihr rührte, waren ihre Puppillen, die panisch über die Bankreihen glitten, so schnell, als könnten sie gar nicht genug auf einmal sehen.
In der hintersten Bankreihe blieb ihr Blick endlich stehen.
Sie lächelte und hoffte, dass es diesem verängstigten Mädchen dadurch vielleicht wenigstens etwas besser gehen würde und Hellen lächelte zurück.
Plötzlich war Alles andere vergessen: Die lachenden, durcheinanderredenden Kinder, Frau Neumann mit der schrillen Stimme und den roten Flecken am Hals und der kleine, stickige Klassenraum irgendwo mitten in der Vorstadt. Niemand bemerkte, was sich zwischen dem Mädchen aus der hintersten Bankreihe und der Neuen mit dem beunruhigten Blick abspielte.
Lily begann sich auszumalen, was sich von diesem Moment an alles ändern könnte, es war wie ein Feuerwerk in ihrem Kopf. Nie zuvor hatte sie so viele Ideen und Pläne gehabt.
Nie zuvor waren so viele ihrer Wünsche Wirklichkeit geworden.
Sie konnte nicht glauben, dass es schon 12 Jahre her war. Es war doch verrückt, wie langsam und wie schnell Zeit manchmal vergehen konnte.
Trotzdem fühlte sie sich viel besser. Den ersten Teil des Briefes hatte sie schon gelesen und die Buchstaben waren keine gefräßigen Raubtiere, die sie auffressen wollten.
Sie richtete den Blick wieder auf das Papier.

„Seit ich dich an diesem warmen Tag im August kennen gelernt habe wusste ich: Egal wie schnell sich die Welt manchmal zu drehen scheint, egal, wer mich im Laufe meines Lebens auch verlassen würde, da würde immer jemand sein, an dem ich mich festhalten konnte. Ein Stückchen von der komplizierten, verrückten Welt, das gleich bleibt, während sich drum herum Alles ändert.
Das ist eins von den Dingen, für die ich dich so sehr mag.
Wir haben viel zusammen erlebt, gute und schlechte Dinge. In den letzten Jahren mussten wir immer öfter feststellen, dass es nicht einfach ist, erwachsen zu werden und auf eigenen Beinen zu stehen.
Erinnerst du dich an den Jungen aus der U-Bahn, den du in der 9. Klasse viel reifer und interessanter fandest, als die kindischen Jungen aus unserer Klasse?
Den Jungen, der immer mit dem Fuß im Takt der Musik seines I-Pods mitgewippt hat und dessen Haare so perfekt in seine Stirn fielen, dass wir uns fragten, ob der Herbstwind vielleicht nur ihn verschonte , damit er perfekt aussah, während alle Anderen wie Vogelscheuchen herumliefen?“

Der Junge aus der U-Bahn. Er hatte jeden Morgen auf dem selben Platz gesessen und sein Blick war so undurchdringlich und wirkte doch so freundlich, dass wir die Augen nicht von ihm lassen konnten.
Die müden Stimmen der Menschen früh morgens, wenn es noch nicht richtig hell war und man eigentlich nur zurück unter die Bettdecke kriechen wollte, waren plötzlich wieder in ihrem Kopf und vermischten sich mit dem leisen Geräusch der aufgleitenden Türen.
„Was meinst du, hört er wohl für Musik?“, fragte Hellen und beugte sich dabei mit einem verschwörerischen Lächeln zu Lily nach vorne, sodass ihre schwarzen Haare wie ein Schleier die Seite ihres Gesichts verbargen, die der Junge von seinem Platz aus sehen konnte.
„Ich weiß es nicht“, Lily warf einen flüchtigen Blick auf den Jungen, „aber vielleicht können wir es ja herausfinden.“
Bevor Hellen überhaupt begriff, was sie damit sagen wollte, war sie aufgestanden und bewegte sich auf den Jungen zu. Nie zuvor war sie so bemüht gewesen, aufrecht zu gehen und sich ihre Aufregung nicht anmerken zu lassen.
Sie ließ sich möglichst lässig neben ihn auf den freien Sitz fallen, warf ihm einen kurzen Seitenblick zu und sagte: „Hallo“.
Er sah sie an und zog misstrauisch die Augenbrauen zusammen. „Hallo“, murmelte er in den Kragen seiner Jacke hinein.
Zum ersten Mal wippte sein Fuß nicht mehr im Takt der Musik. Hellen saß nur da und konnte sich nicht rühren. Es war, als ob ein Film lief und gerade die Stelle kam, in der die Hauptperson nachts durch einen unheimlichen Wald läuft und man genau weiß, dass hinter jedem Baum der Mörder stehen könnte.
Lily vergrub die zitternden Hände in den Taschen ihrer Jacke. „Was hörst du da?“, machte sie einen weiteren Versuch, ein Gespräch mit dem Jungen anzufangen.
Sie sah seine Mundwinkel zucken, sein Blick glitt an ihr herunter und dann fing er an zu lachen. Sein Lachen schien an den Wänden der U-Bahn wiederzuhallen. Es war das Lachen von jemandem, der glaubte, besser zu sein, als die Anderen.
Als er endlich wieder aufhörte, zu lachen, begann sein Fuß wieder zu wippen.
„Kauf dir erst mal neue Klamotten“, sagte er, den Blick an die vorbeiziehende Mauer vor dem Fenster geheftet.
Wir mussten aussteigen. Die schöne Fassade, die wir uns um den Jungen herumgesponnen hatten, war mit einem Mal zerbrochen und was dahinter zum Vorschein gekommen war, wollten wir beide nicht glauben.

Sie sah einen kurzen Augenblick aus dem Fenster.
Der Junge aus der U-Bahn- sie würde ihn wahrscheinlich nie vergessen und vielleicht war das ja auch gut so.


„Es war das erste Mal, dass uns etwas wirklich erschreckt hat. Der Schock fuhr uns bis in die Knochen und wir trugen den Vorfall noch Wochen später mit uns herum. Es machte mich traurig, dass du mit seinen Worten fertig werden musstest. Als wir an diesem Tag aussteigen, ging ich an ihm vorbei und konnte nicht glauben, dass jemand, der so hübsch und nett aussah, so etwas sagen konnte. Ich wollte ihn zurechtweisen, wollte irgendetwas erwidern, dass auch nur ansatzweise heldenhaft gewirkt hätte, aber mir viel nichts ein. Es war, als hätte sich in diesem Moment eine riesige, schwarze Gewitterwolke vor die Sonne geschoben. Und mein Kopf fühlte sich gleichzeitig unglaublich voll und doch schrecklich leer an.
Es tut mir leid, dich daran erinnert zu haben, aber ich finde, es war ein wichtiger Tag, weil ich seit dem die Welt anders wahrnahm.
In der Schule sah ich die Mädchen, die in der Pause neben uns standen und sich gegenseitig ihre neuen Schuhe vorführten. Sie tüftelten Strategien aus, wie sie den Schulschwarm endlich auf sich aufmerksam machen könnten und liefen mindestens zweimal zum Spiegel um zu überprüfen, ob jedes Haar noch am rechten Fleck saß. Ich sah diese Mädchen an und dachte darüber nach, ob das wirklich Alles war- den Schulschwarm überzeugen und sich über Mode unterhalten, meine ich. Nein, dachte ich, das kann nicht Alles sein, aber ich wusste auch, dass es für diese Mädchen Alles war und ich fragte mich, ob sie glücklich damit waren. Vielleicht hatten sie einfach noch nicht bemerkt, dass es mehr im Leben gab und das man von Allem viel mehr sehen konnte, als nur die Oberfläche, wenn man es wirklich wollte.
Als ich an diesem windigen Tag im Herbst aus der U-Bahn stieg, waren alle meine Vorstellungen von diesem netten Jungen, der immer so in seine Musik versunken zu sein schien, ausgelöscht.
Ich ging durch die Gänge unserer Schule und durch die Fußgängerzone der Stadt und überall sah ich Menschen, die von der Welt nur die Oberfläche kannten.
Ich glaube, für manche Menschen zählt nur, was sie mit den Augen sehen können und sie wissen nicht, dass das nur ein winziger Teil der Welt ist.
Und ich dachte nach, über die Menschen, über das Leben und über mich mittendrin. Manchmal dachte ich so viel, dass ich nicht wusste, wo wir überhaupt gerade dran waren, wenn einer der Lehrer mich aufrief. Ich fand, dass es wichtigere Dinge gab, als Exponentialfunktionen und Adverbialsätze. Einmal hat Herr Rotenbrunn mich gefragt, ob mit mir alles in Ordnung sei. Ich glaube, ich habe genickt. Ich war nicht wirklich traurig oder so, auch wenn ich nicht besonders glücklich war. Ich dachte eben einfach viel nach, offenbar mehr, als die Anderen. Das sagte ich ihm auch, als er mich fragte, warum ich oft so abgelenkt war. Er sah mich an, mit diesem Blick, mit dem Lehrer versuchen, in die Köpfe ihrer Schüler zu schauen und sagte, ich solle mir nicht so viele Gedanken um Alles machen und mich mehr auf „das Wesentliche“ konzentrieren. Ich sei schließlich mittendrin in der Welt, wie alle Anderen auch.
Leider wusste ich nicht genau was er mit „dem Wesentlichen“ meinte und als er „Wie alle Anderen auch“ sagte, klang es, als wären für ihn Alle genau gleich und ich dachte daran, dass wahrscheinlich wirklich alle mehr oder weniger gleich erscheinen, wenn man immer nur die Hülle betrachtet.
Trotzdem nickte ich nur und wand mich zum Gehen. Es war mir egal, ob ich nach Herrn Rotenbrunns Meinung nicht „mittendrin“ war. Menschen, die „mittendrin“ waren, schienen für ihn Menschen wie die Mädchen zu sein, die in der Pause zweimal vor den Spiegel liefen und zu Allem ihren Kommentar abgeben mussten, meistens ohne vorher darüber nachzudenken, was sie da eigentlich sagten. Ich dachte, wenn das „mittendrin“ bedeutet, dann bleibe ich lieber ganz außen stehen.
Es schien so viel falsch zu laufen, in der Welt. All die, die mich nicht mochten, weil ich angeblich so komisch und anders war. All die, die ich nicht mochte, weil sie nicht anders waren, als all die Anderen und die blind durch die Straßen liefen. Die Lehrer, die versuchten, mich zu einer von ihnen zu machen und dieses laute, nicht enden wollende Chaos um mich herum und tief in mir drin.“

Sie ließ die Blätter kurz sinken. Ein Kloß hatte sich in ihrem Hals gebildet, sie fühlte sich schrecklich elend, elender noch als all die Tage zuvor.
Sie hatte Hellen gefragt, ob bei ihr alles in Ordnung sei. In letzter Zeit hatte sie das fast jeden Tag getan und jedes Mal hatte sie als Antwort nur ein Kopfnicken erhalten, mit dem sie sich zufrieden gegeben hatte.
Wie hatte sie so schnell nachgeben können? Es war offensichtlich gewesen, dass bei Hellen rein gar nichts in Ordnung gewesen war und sie hatte es ignoriert.
Natürlich hatte sie sich Gedanken gemacht, abends wenn sie allein im Bett lag und den Tag noch einmal durchging, aber irgendwie hatte sie Angst gehabt, dass sie Hellens Problemen nicht gewachsen sein könnte.
Sie atmete einmal tief ein und begann, weiterzulesen. Wenn sie es vor einigen Tagen nicht geschafft hatte, ihre beste Freundin zu verstehen, dann wollte sie es wenigstens jetzt versuchen.

„Leider kann man vor Problemen nicht einfach weglaufen. Ich habe oft darüber nachgedacht, dass Alles einmal hinter mir zu lassen und irgendwo hin zu gehen, wo mich niemand kennt, aber da würden andere Probleme auf mich zukommen und ich würde wegen anderen Menschen traurig sein. Man kann auf dieser Welt nicht vor Problemen davonlaufen. Es gibt keinen Ort, an dem man sich vor ihnen verstecken kann, irgendwann hohlen sie einen immer ein. Es ist schon ziemlich feige, auf die Art davonzulaufen, wie ich es getan habe. Es gibt im Leben nicht nur gute oder schlechte Tage. Es tut gut, das zu wissen, wenn man gerade eine schlechte Zeit durchmacht, weil man dann immer weiß, dass es wieder besser wird, aber andererseits weiß man an guten Tagen auch, dass wieder schlechtere kommen werden. Und das machte mir Angst.
Die Welt erschien mir immer verrückter. Im Park setzte ich mich auf eine Bank und sah den Leuten zu, die vorbeigingen. Ich fragte mich, ob sie gerade gute oder schlechte Tage durchmachten und ob sie sich darüber überhaupt schon mal Gedanken gemacht hatten, oder ob sie es einfach so hinnahmen, wie es war.
Ich sah Familien mit Kindern und erinnerte mich an uns, als wir noch klein waren. Als wir noch nichts von dem Leben ahnten, das auf uns zukommen würde. Als unsere Welt nur aus der Straße bestand, in der wir wohnten und als wir rundum zufrieden waren, wenn wir im Sommer hinter dem Haus verstecken spielten. Ich habe mir oft gewünscht, wieder acht Jahre alt zu sein, aber ich musste einsehen, dass ich nie wieder damit zufrieden sein würde, verstecken spielen zu können. Das war lange vorbei und vielleicht würde ich mir in Zukunft wünschen, wieder achtzehn zu sein, weil in Zukunft alles noch viel schwerer werden würde und da bekam ich richtig Angst.
Irgendwann habe ich aufgehört, nach einer Antwort auf das Alles zu suchen, denn je mehr man darüber nachdenkt, desto verworrener und komplizierter erscheint es. Es ist, als würde man Alles verschwommen sehen, wie durch einen Nebelschleier und sich sehnlichst wünschen, dass der Nebel wieder verschwindet, aber der Nebel verschwindet niemals.
Ich hoffe, dass du wenigstens ein bisschen verstehen kannst, warum ich mein Leben beendet habe und ich wünsche dir, dass du die guten Tage genießt, ohne an die Schlechten zu denken. Es tut mir leid, dich verlassen zu haben, aber ich habe gemerkt, dass diese Welt und ich einfach nicht zusammenpassen. Ich habe in den letzten Wochen so oft nach einem langen Tag müde am Fenster gestanden, auf die Lichter der Stadt geschaut und gedacht: „Hier kann ich nicht bleiben.“
Ich will mich nicht über die 18 Jahre beschweren, die ich hier verbracht habe. Es waren wunderschöne 18 Jahre, besonders zusammen mit dir, aber ich passte nirgendwo so richtig rein und ich wusste, wenn ich daran etwas ändern wollte, müsste ich mich zuerst selbst verändern und das wollte ich nicht.
Zum Glück schaffst du es, einige schlechte Tage in Gute zu verwandeln und immer du selbst zu bleiben. Du bist nicht blind, weil du weißt, wie schnell dich deine Augen allein täuschen können. Ich bin froh, jemanden wie dich gekannt zu haben. Du warst diejenige, die meine achtzehn Jahre so schön gemacht hat, auch wenn ich mit dieser Welt nicht so gut klarkam.
Ich will, dass du weißt, dass ich dich lieb habe und das meine ich sehr ehrlich.

Mach’s gut,
Deine Hellen“


Sie brachte einige Sekunden, bis sie begriff, dass sie noch immer in ihrem Zimmer am Schreibtisch saß. Die dicht beschriebenen Seiten lagen vor ihr und endlich konnte sie langsam den Kopf heben. Draußen war es dunkel und sie sah ihr Gesicht, dass sich in der Fensterscheibe spiegelte. Es hatte anders ausgesehen, bevor sie den Umschlag geöffnet hatte. Es war nicht der Ausdruck oder der Blick, es war etwas tieferes. Etwas, dass anders zu sein schien, sie wusste nur noch nicht, was es war.
Die zerbrochenen Stücke ihrer Welt setzten sich wieder zusammen. Sie wurde langsam wieder komplett. Es war, als sei sie mit einem Mal gewachsen. Sie saß regungslos da und sah ihr Spiegelbild an. Blass und gespenstisch erschien es vor den Bäumen im Garten, zwischen denen schon die Dunkelheit hervorkroch.
Es war Hellens Entscheidung gewesen. Sie hatte bemerkt, dass sie mit diesem Leben nicht glücklich werden konnte.
Plötzlich war sie nicht mehr enttäuscht von sich selbst und auch die Traurigkeit schien sich etwas gelegt zu haben.
Sie hatte die Antworten bekommen, die sie sich gewünscht hatte und sie spürte, wie Alles langsam wieder besser zu werden schien.
Sie faltete die Blätter vorsichtig wieder zusammen und schob sie zurück in den Umschlag. Sie hatte beschlossen, wieder am Leben teilzunehmen.

 
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Hallo Windrose

Leider ist die zweite Geschichte die ich von dir lese, ebenfalls sehr langatmig und spannungsarm geraten. Die gewählte Form (Protagonistin liest einen Abschiedsbrief) ist bereits hohe Kunst des Schreibens, da dort meistens die dem Empfänger bekannte Gefühlswelt des Absenders beschrieben wird, und da wird es schwierig, den Leser in die Geschichte mit hineinzuziehen. Auch hier bleibt es beim Sinnieren über Gefühle.

Ich will mich nicht über die 18 Jahre beschweren, die ich hier verbracht habe. Es waren wunderschöne 18 Jahre, besonders zusammen mit dir, aber ich passte nirgendwo so richtig rein und ich wusste, wenn ich daran etwas ändern wollte, müsste ich mich zuerst selbst verändern und das wollte ich nicht, weil die meisten Menschen Kopien von irgendjemand Anderem geworden sind, ohne es überhaupt zu bemerken. Ich stellte mir oft vor, wie sie wohl wären, wenn sie nicht darum bemüht wären, jemand anderes zu sein.
Das ist nur für Lily interessant, nicht aber für mich als Leser und deshalb empfinde ich auch nichts gegenüber dem Schlussstrich von Hellen.

und dieses "die meisten Menschen Kopien von irgendjemand Anderem geworden sind" ist so oberflächliches Verallgemeinern, dass ich mir nichts und alles darunter vorstellen kann. Soll heissen, Hellen bleibt mir fremd und Lily hat nur eine Nebenrolle als Brieföffner.

Eine Variante den Text lebendiger zu gestalten: Was wäre, wenn du im Brief nur Andeutungen machst (zum Beispiel erwähnt Hellen den Jungen in der Strassenbahn) und Lily erzählt uns dann aus der Erinnerung, wie das damals ablief.
Nur so als Idee.

Gruss dot

 

Hey Windrose,

also wenn ich geschichten von dir lese, muss ich immer an "scheinwerferlicht" denken, das war wirklich eine gute geschichte, finde ich. leider muss ich dir sagen, dass mich der text jetzt nicht wirklich umgehauen hat. ich finde man sieht, dass du stilistisch schon gut storys erzählen kannst, aber meiner meinung nach fehlt hier einfach der große spannungsbogen. bei "scheinwerferlicht" wollte ich z.b. die ganze zeit wissen, was nun vorgefallen ist in jenen sommertagen, das hat mich bei der stange gehalten und dass das pärchen dann ein einbrecher-duo war hat es umso spannender gemacht. aber gut, ich möchte jetzt nicht lange über eine andere geschichte labern.
deine idee für diese story war ja, die beste freundin der prot. hat sich umgebracht und ihr einen abschiedsbrief geschrieben. gut. aber irgendwie war mir der vorhang zu schnell geöffnet, bereits hier

Es tut mir leid, dich verlassen zu haben, aber ich habe gemerkt, dass diese Welt und ich einfach nicht zusammenpassen. Ich habe in den letzten Wochen so oft nach einem langen Tag müde am Fenster gestanden, auf die Lichter der Stadt geschaut und gedacht: „Hier kann ich nicht bleiben.“
Ich will mich nicht über die 18 Jahre beschweren, die ich hier verbracht habe.
war irgendwie die katze aus dem sack, da wusste man, dass sich das mädchen umgebracht hat und die ganze spannung war weg. und dann soll der text ja eigentlich erst richtig anfangen, aber leider plätschert er wegen des fehlenden spannungsbogens irgendwie so vor sich hin, hatte ich das gefühl.
mhm, ich denke diese briefform macht es auch schwierig die geschichte spannend zu erzählen, zumindest da eigentlich der ganze text nur ein brief, ein monolog ist. wahrscheinlich würde sie kurzweiliger werden, wenn du es als als ausgeschriebene geschichte geschrieben hättest. keine ahnung, nur so als idee.
ich hoffe ich konnte dir bisschen weiterhelfen und nehms bitte nicht persönlich, wie gesagt, ich glaube du bekommst das besser hin ;)

grüße,

zigga

 
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Hallo dot,

Danke für den hilfreichen Kommentar. Ich habe das Problem jetzt erkannt und werde versuchen, es zu beheben. Du hast recht: Die Geschichte ist doch etwas langatmig und Lily, die den Abschiedsbrief ihrer besten Freundin liest, hat nur eine Nebenrolle, was ich auch ändern will.
Deine Idee, im Brief nur Andeutungen zu machen, damit der Leser mehr von Lily erfährt, finde ich gar nicht schlecht. Ich werde mal schauen, was ich aus der Geschichte noch machen kann.

Viele Grüße von Windrose

Hallo zigga,

danke für deinen Kommentar. Ich musste jetzt auch einsehen, dass in der Geschichte leider der Spannungsbogen fehlt und das es den Lesern dadurch vielleicht auch schwerfällt, sie bis zum Ende durchzulesen.
Ich denke wie du, dass das daran liegen könnte, dass ich viel zu früh verrate, dass Hellen Sebstmord begangen hat.
Ich denke das werde ich ändern und auch an der Form der Geschichte werde ich arbeiten.

Viele Grüße von Windrose

 

Hallo Windrose

Schön, dass du den Text etwas umgestaltet hast, die eingeschobenen Rückblenden durchbrechen jetzt die Eintönigkeit des Briefes. Allerdings bleibt die Geschichte zäh, da du beharrlich auf die Pointe mit dem Abschiedsbrief baust. Das funktioniert meiner Meinung nach nicht.
Besser wäre es, das eindeutige "Mach's gut" von Anfang an zu akzeptieren und im weiteren Verlauf, durch die lebendig erzählten, gemeinsamen Erinnerungen, die plötzlich in einem ganz anderen Licht erscheinen, Hellens Bewegründe aufzuzeigen.

Ich weiss, es ist schwierig, ein solch gefühlsbetontes Stimmungsbild in eine spannende Geschichte zu verpacken, aber den Anfang hast du ja bereits gemacht.

Viel Spass noch,
Gruss dot

 

Hallo dot,

freut mich, dass der Text jetzt nicht mehr ganz so eintönig ist.
Ich muss mal schauen, wie ich die Geschichte weiter verändern kann, ohne mich dabei so sehr auf den Abschlussbrief zu konzentrieren.
Wäre natürlich schön es zu schaffen, die Geschichte noch lebendiger zu erzählen.

Viele Grüße von Windrose

 

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