M e l a n c h o l i a
Der alte Seefahrer stand an den Klippen. Seine Augen auf das Meer gerichtet. Seine wenigen weißen Haare flogen im Wind umher. Sie synchronisierten sich mit der Gischt des Wassers, dass gegen die Steine schlug. Der Rauch seiner Pfeife stieg zum Himmel hinauf und wurde zu Wolken.
Als er jung war kam er oft an diesem Ort. Wenn man das einsame Meer von oben sieht, begreift man erst, dass die Welt auf der wir leben unendlich sein muss. Er träumte immer davon diese Unendlichkeit zu sehen. Manchmal konnte er einsame Schiffe am Horizont sehen. Wie kleine Streichhölzer schwammen sie ziellos dahin. Ziellos in diesem unendlichen Blau. Wenn die Sonne hoch stand, konnte man keinen Unterschied zwischen Himmel und Meer erkennen.
Nachdem der Seefahrer die Schule beendete ging er zur Marine. Zuhause konnte ihn nichts halten. Seine Mutter starb im Kindbett. Er und sein Vater hatten nie eine gute Beziehung. Wie er war auch sein Vater ein Träumer. Doch nicht alle Träume sind dazu gemacht in Erfüllung zu gehen. Der Traum seines Vaters war es Musiker zu werden, in den großen Philharmonien zu spielen. Spielen konnte er. Die einzigen Male, die der junge Seefahrer seinen Vater glücklich gesehen hatte war wenn er mit seiner Trompete spielte. Wenn er spielte zerfloss die Welt um ihn. Es gab nur noch ihn und seine Trompete. Doch ihm war Fortuna nie zugetan. Sein Traum würde nie in Erfüllung gehen. Immer seltener spielte er die Trompete. Immer seltene konnte der junge Seefahrer seinen Vater lachen sehen. Das war auch der Grund wieso er so oft zu den Klippen ging. Hier verstand er seinen Vater. Hier wusste er genau wie er sich fühlte, wenn er die Trompete spielte.
Doch so schön diese Momente waren, umso fürchterlicher war das nach Hause kommen. Der junge Seefahrer konnte die Trauer seines Vaters spüren. Umso älter er wurde, um so mehr traurig war er. Er musste weg. Er konnte diese Trauer nicht mehr ertragen. Auch wenn es das Herz seines Vaters brechen würde. Er wollte nicht mehr zurückschauen. Nie mehr. Das schwor er sich an seinem ersten Tag bei der Marine.
Und so blickte er nach vorne. Und dort warteten auf ihn anstrengende Jahre. Die Grundausbildung war schwer. Doch er blickte nicht zurück. Immer nach vorne. Und sie vergingen auch diese harten Jahre. Er war gut. Nach der Ausbildung wurde er auf einem Schiff übernommen. Sein Traum war wahr geworden. Er bereiste die Meere. Und es war noch viel schöner als er es sich jemals zu Träumen gewagt hätte. Das was er damals gesehen hatte, diese wunderschöne Unendlichkeit war Nichts im Gegensatz zu dem, was er auf seinen Reisen sah. Er stand Nachts gerne auf dem Schiff und sah sich die Sterne an. Sie waren nicht nur über ihm. Auch unter ihm war diese Unendlichkeit zu sehen. Er fühlte sich nie einsam. Er war nicht mehr traurig. Und er blickte nicht mehr Zurück.
Er sah die verschiedensten Länder. Lernte die verschiedensten Menschen kennen. Doch immer wenn er mit dem Boot an einem Hafen ankamen ging der Seefahrer immer auf den höchsten Punkt am Meer. Dort war sie dann wieder. Diese wunderschöne Unendlichkeit. Egal wo er war. Es war immer die gleiche Aussicht. Doch sie war immer anders. Er dachte nicht mehr an Zuhause. Und doch hatte er immer, egal wo er war, dieses Gefühl in seinem Magen. Doch er wollte nicht daran denken.
Mit seinem alter stieg er in der Marine immer weiter auf. Er verdiente viel Geld und hätte sich zur Ruhe setzen können. Doch er hatte immer noch dieses Gefühl. Dieses Gefühl tief in seinem Magen. Es hatte sich eingebrannt. Wie ein Geschwür drückte es ihm manchmal die Luft ab. Tag für Tag wurde es schlimmer.
Bis er Melancholia kennen lernte. Sie arbeitete an einem Hafen, den die Marine oft abfuhr. Nach nur wenigen Tagen war es so, als würden sie und der Seemann sich schon ewig kennen. Es war schön. Und plötzlich erkannte der Seemann, dass er doch alleine gewesen war. Das ihm die Unendlichkeit immer etwas vorgespielt hatte. Und so nahm der Seemann Melancholia zu den Klippen. Diese Unendlichkeit wurde plötzlich noch viel größer. Sie musste schließlich Platz für zwei Personen machen. Am liebsten saßen die beiden auf den Klippen wenn die Sonne sich im Rot im Wasser spiegelte. Auch die Sonne war dann nämlich nicht mehr allein. Die Zeit die sie verbrachten war für den Seemann wie eine ganze Ewigkeit.
Doch Ewigkeit bedeutet nicht Endlosigkeit. Und so kam für den Seemann der Tag, an dem er abschied nehmen musste. Sein Schiff musste abreisen und er wusste nicht wann er wieder kommen würde. Natürlich hätte er bleiben können. Er hätte ein schönes Leben mit Melancholia führen können. Ein Haus in der Nähe der Klippe bauen können. Doch auch Melancholia, die so dachte wie der Seemann, wusste, dass somit die Traurigkeit auch in ihr Haus einziehen würde. Sie konnte nicht der Anker sein, an dem der Seefahrer heruntergezogen werden würde. Und auch der Seemann wollte nicht, dass Melancholia ein Leben voller Einsamkeit führen sollte. Ein Leben, in dem sie jeden Tag auf seine Ankunft warten würde.
Doch das mussten beide nicht sagen. Sie wussten es. Und so verabschiedeten sie sich und gingen verschieden Wege.
So traurig diese Situation auch war. Der Seefahrer blickte nicht zurück. Niemals. Er war lange auf dem Meer. Sah viel. Lernte Menschen kennen. Doch er war alleine. Dieses Gefühl in seinem Magen kam wieder zurück. Schlimmer als als je zuvor.
Die Jahre gingen ins Land. Seine Haare wurden grau und dann weiß. Er hatte nun die ganze Welt gesehen. Doch immer wenn er auf den Klippen stand war er glücklich. Immer noch sah er die Unendlichkeit. Doch sie war viel zu groß für eine Person. Das Gefühl in seinem Magen wurde dann immer am stärksten.
Er war nun zu alt um auf dem Schiff zu arbeiten. Seine Knochen waren gebrechlich und er wurde immer müder. Eines Tages kam sein Schiff an seinem Heimathafen an. Er wusste das seine Reise zu einem Ende gekommen war. Er stieg aus dem Boot aus und ging zu seinem alten Haus.
Es stand nicht mehr dort. Sein Vater war schon lange tot. Das Gefühl in seinem Magen wurde schlimmer. Er ging auf die Klippen und sah sein Boot, das Boot das ihn so lange begleitet hatte. Es verließ langsam den Hafen
Und nun brach er sein Versprechen. Er blickte zurück. Dachte über sein Leben nach. Über seinen Vater. Über seine Reisen. Über das Leben in der Marine. Über Melancholia. All diese Bilder in seinem Kopf, die er sich nie ansehen wollte, rasten nun vor seinen Augen. Das Gefühl in seinem Magen wurde schlimmer. All das war vergangen. Nichts konnte es jemals zurückholen.
Zum ersten Mal seit einer langen Zeit fing der alte Seemann an zu weinen. Die Tränen liefen in seinen weißen Bart. Seine Pfeife fiel ihm aus dem Mund und flog in das Meer. Der Seefahrer sah ihr nach. Als er wieder auf sah, sah er den Horizont.
Doch zum ersten Mal war da nicht diese schöne Unendlichkeit.