- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 18
München. Nicht Johannesburg.
Ein trüber Herbsttag in einem ruhigen Münchner Wohngebiet, ein schwarzer 3er-BMW mit zwei Männern Anfang dreißig steht etwas verloren mitten auf der Kreuzung. Suchen sicher eine Adresse. Ich vergesse den BMW sofort wieder, während ich gedankenverloren den Kinderwagen weiterschiebe.
An der nächsten Kreuzung muss ich kurz warten, von links kommt wieder der schwarze BMW. Er ist wohl vorbeigefahren und abgebogen, hat dann gewendet und kommt nun zur Kreuzung zurück. Immer noch auf der Suche. Etwas komisch kommt es mir nun aber doch vor. Die Männer wirken unruhig, unter Druck.
Von der anderen Seite kommen jetzt drei Männer zu Fuß. Ebenfalls Anfang dreißig, in dunklen Jeans und unauffälliger, sportlicher Kleidung. Sie gehen schweigend und konzentriert, ihre Bewegungen sind ruhig und durchtrainiert. Die Männer im Auto und zu Fuß schauen sich an. Keiner grüßt, aber ich bin mir sicher, dass sie sich kennen.
Der BMW fährt weiter, die Fußgänger teilen sich auf. Sie schauen sich nicht an, verabschieden sich nicht. Zwei verschwinden in die Anliegerstraße; der dritte, mit einer schwarzen Lederjacke bekleidet, wendet sich zu einem Fußweg, den auch ich nehmen will.
Ich überquere die Straße und bleibe stehen. Vor mir läuft der einzelne Mann in Lederjacke, hinter mir irgendwo die beiden anderen dunklen Gestalten. Zum ersten Mal wird mir bewusst, wie einsam dieser Fußweg mitten in München ist, links ein paar Schrebergärten und die S-Bahnlinie, rechts eine große Wiese.
Herbstblätter wehen über den Weg, im Nieselregen ist die Wiese menschenleer. München, sage ich mir, du lebst nicht mehr in Johannesburg. Vor und hinter mir sind Wohngebiete mit Autos und Menschen, es ist mitten am Tag. Trotzdem zögere ich, das verlassene Stück Weg zu betreten.
Eine Gruppe von Fußgängern geht an mir vorbei auf den Fußweg, etwas beruhigt folge ich ihnen. Bald sind sie so langsam, dass ich überholen muss, aber mit anderen Menschen in meiner Nähe fühle ich mich wieder deutlich sicherer.
Der Mann in der schwarzen Lederjacke läuft komisch; er wirft den linken Fuß immer etwas nach außen. Außerdem schaut er sich ständig um und mustert mich mit aufmerksamen Blicken.
Wir erreichen die Kreuzung ins nächste Wohngebiet. Der Lederjackenmann geht weiter, ich wende mich erleichtert die Straße entlang nach rechts.
Wenige Minuten später biege ich in einen kurzen, mit Pollern versehenen Fußweg, links zweigt eine Einbahnstraße ab. Nur noch ein paar Meter bis zu meinem Hauseingang.
Ich bin fast angekommen, da höre ich das Auto. Durch die Einbahnstraße kommt der schwarze BMW. Gegen die Fahrtrichtung, laut und viel zu schnell. Während ich hinter dem Lederjackenmann auf dem Fußweg um die große Wiese gegangen bin, ist der Wagen auf der anderen Seite über die Hauptstraße zu der Einbahnstraße gefahren, die zu meinem Hauseingang führt.
Mein Atem geht schneller, ich spüre, wie sich mein ganzer Körper verkrampft. Was wollen die Männer von mir, meinem Baby? Ohne meine Tür eines Blickes zu würdigen, gehe ich weiter. Ich will nicht, dass sie wissen, wo ich wohne. Im Gehen wähle ich die 110, den Finger über der grünen Wahltaste schaue ich zurück.
Der BMW bremst scharf vor dem Fußweg mit den Pollern ab. Hält an, wendet. Gibt Gas, fährt in hohem Tempo durch die Einbahnstraße, dieses Mal in Fahrtrichtung. Weg von mir, zurück zur Hauptstraße.
Das Ganze hat weniger als zwanzig Sekunden gedauert. Vor mir liegt die enge, herbstliche Anliegerstraße, braune Blätter auf dem Asphalt und Nieselregen in der Luft. Es ist sehr ruhig, kein Mensch ist zu sehen. Mein Herz klopft laut und mein Atem geht immer noch spürbar schneller, aber um mich herum ist es so still, als ob die Stadt den Atem anhielte.
Ich stehe mitten auf der Straße. Mir ist kalt; meine Ohren summen. Ist das alles wirklich gerade passiert?
Langsam gehe ich zurück und ins Haus, lasse die Tür hinter mir ins Schloss fallen. Prüfe noch einmal, ob sie wirklich zu ist, fahre nach oben. Meine Wohnungstür schließe ich von innen ab.
Mein Baby schläft. Ich hebe es aus dem Wagen, ziehe uns die Herbstsachen aus und setze mich, meinen kleinen Sohn an mich gedrückt, auf das Sofa. Hier sind wir in Sicherheit. Aber – was ist morgen, nächste Woche? Jeder Tag, an dem ich hinausgehe? Wir wohnen alleine.
Wieder zieht sich mein Magen zusammen. Ich möchte nicht jedes Mal, wenn ich das Haus verlasse, nach einem Mann mit Hoodie oder schwarzer Lederjacke und komischem Laufstil Ausschau halten. Mir Sorgen machen, wenn gerade keine Menschen in meiner Nähe sind. Wenn ich im Dunkeln nach Hause komme.
In meinen Kopf kommen ungebetene Bilder; ich versuche sie abzuschütteln. Das ist München, nicht Johannesburg. Ein paar Minuten sitze ich bewegungslos da. Halte mein Baby ganz fest, lasse mich von seiner Wärme und Nähe beruhigen.
Soll ich die Polizei anrufen? Eine Geschichte erzählen, die so seltsam ist, dass ich sie selbst nicht mehr so richtig glaube?
Was soll’s. Ich nehme mein Handy, wähle die 110. „Polizeinotruf, bitte legen Sie nicht auf…“ Dann, recht schnell, „Grüß Gott, Polizeinotruf hier.“
„Hallo.“ Einmal durchatmen. „Ich weiß nicht, ob Sie mir helfen können, aber hier ist gerade etwas sehr Komisches passiert.“
Ich erzähle von dem schwarzen BMW mit den zwei Männern, dem zweiten Zusammentreffen und den drei Männern zu Fuß, dem Mann mit der Lederjacke und dem komischen Gang, „ein bisschen wie Charlie Chaplin“, dann demselben BMW vor meiner Tür. Die Kommunikation zwischen den Männern, die ich an nichts festmachen kann, den gefühlten Stress des Fahrers.
Der Polizeibeamte beruhigt mich. Es ist gut, dass ich anrufe, das hört sich in der Tat ungewöhnlich an. „Bleiben Sie doch bitte zu Hause, wir schicken eine Streife vorbei.“ Ich lege auf, fühle mich deutlich besser.
Zwei Minuten später klingelt das Telefon, unbekannter Anrufer. Es ist der Polizist vom Notruf. Ob ich bitte eine Personenbeschreibung geben würde, dann könne die Streife unterwegs schon einmal die Augen offen halten.
Die Situation steht mir bildlich vor Augen, und erstaunlich präzise beschreibe ich die fünf Männer, das Auto, gebe noch einmal das Kennzeichen durch. Dann warte ich auf die Türglocke.
Statt dessen klingelt wieder das Telefon, eine Münchner Nummer. Ob ich bitte das Polizeipräsidium München anrufen könnte, Durchwahl 123.
Warum… Der ohnehin schon surreale Vorfall wird gerade noch ein bisschen surrealer. Kopfschüttelnd suche ich die Nummer heraus und rufe an.
Eine tiefe Stimme mit deutlich bayerischer Einfärbung meldet sich. „Hauptkommissar Huber hier. I wollt Eahna nur schnell B‘scheid geben, machen’s Eahna koa Sorgen. Die Männer, des wor’n Kollegen, die observieren groad in der Gegend.“
Verdeckte Ermittler, die bei einem Einsatz über verschiedene Wege schnell an die S-Bahnlinie heranzukommen versuchten, und denen ich dabei zufällig mehrfach über den Weg gelaufen bin. Die letzte halbe Stunde läuft vor meinem inneren Auge noch einmal ab. Es macht Sinn.
„Und der Charlie Chaplin, do hommer recht g’lacht, der hot groad an Bänderriss hinter sich, deshalb lauft der so komisch.“
Ich stelle mir die Abschlussbesprechung im Revier vor. „Ihr sollt’s observieren, net Mütter mit Kinderwogn derschrecken. Überhaupt wie konn eich a daherg’laufene Passantin enttarnen, do miast’s no a bisserl orbeiten an der Unauffälligkeit …“
Hier ist München, nicht Johannesburg. Ich fange an zu lachen. Mein Baby wacht auf und grinst mich an. Irgendwo im Polizeipräsidium München lacht Hauptkommissar Huber mit.