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Müde Mädchen
Und auf ihrer Jacke, da ist so ein kleines weißes Bild von Che Guevara. Im Grunde ist das ja nicht wichtig. Es ist bloß so, dass er mir ein bisschen ähnlich sieht: wie er da sitzt, unter diesem Baum. Naja.
Nur wieder eines dieser müden Mädchen.
Nachts um halb drei an dieser immergleichen Theke, zwischen fettfleckigen Tabletts und Hamburgergeruch. Und wenn gerade niemand kommt, lege ich mich auf den Boden, zum Träumen oder um den Fünfzig-Watt-Sternenhimmel zu betrachten, der da oben aus tausend kleinen Löchern in der Decke glitzert. Schön ist das, aber eigentlich auch wieder nicht, weil die Sterne leider keine echten sind.
Meist stehe ich ganz dicht an der Theke und denke Sachen wie: Von da drüben sieht man gar nicht, dass ich Beine habe. Ich könnte theoretisch auf so einem Sockel sitzen, auf einem, den man drehen kann. Oder schweben könnte ich, ein Engel sein mit grüngestreiftem Hemd und Namensschildchen an der Brust.
Und irgendwann, da wachsen mir dann wirklich Flügel. Durch eine chemische Reaktion, vielleicht. Unsinnig und kindisch wäre das. Bloß weil sie im Fernsehen und auf den Bildern Flügel haben, diese ganzen Menschenengel.
Manchmal ist es wie im Himmel hier, ein kleines bisschen. Die vielen Lichter, die blankgeputzten Tische und die leeren Stühle. Als würden hier nur Geister essen, durchsichtige Pommes in ihre durchsichtigen Mägen schaufeln, mit durchsichtigem Geld bezahlen und nur ein Frösteln hinterlassen, wenn man ihren Körper streift, aus Versehen, beim Abwischen eines Tisches oder so.
Und diese ganzen Spiegel, die gibt es im Himmel sicher auch. Jede Wand ist hier verspiegelt.
Alle sehen alle ... und die Hässlichen und Krummen trauen sich erst gar nicht rein, nur nachts manchmal, wenn sie sicher sind, dass außer ihnen niemand da ist. Ich versuche dann zu lächeln, und sie lächeln meistens auch, obwohl sie wissen, dass ich eigentlich nur Hamburger verkaufen will und sie gar nicht mal besonders mag, als Individuen.
Und auch die Armen kommen rein und lächeln, aber mit Lächeln kann man nicht bezahlen und irgendwann muss ich sie dann wieder rauswerfen, wegschicken, nach draußen, wo es dunkel ist. Aber egal, ich mache gerne Nachtschicht, gerade wegen dieser ganzen Stille um mich rum.
Und weil da die müden Mädchen sind, natürlich.
Müde Mädchen haben sonderbar zerzauste Haare und abgekaute Fingernägel, müde Mädchen sind zu dick oder zu dünn, haben Augenringe und welche an den Fingern, aber wenige und keine schönen, nichts, was wirklich glänzen würde. Müde Mädchen wollen eigentlich nicht heim, weil da nur ein Bett ist und kein Schlaf, und auch niemand, der Hallo sagt, wenn sie kommen. Höchstens einer, der das viel zu laut sagt.
Und manchmal, während sie auf ihren Burger warten, reden sie vom Abhauen, Weglaufen und neu Anfangen. Aber nicht jetzt gleich und nicht allein. Ganz leise tun sie das, als wäre das eine Art Geheimnis, dass es hier nicht schön ist. Ich sollte dann wohl sagen: Ja, ich komme mit, ich tu das gerne, echt, wann soll´s denn losgehen, morgen schon, na klar, ich bin dabei.
Aber das mache ich natürlich nicht, keiner macht sowas. Stattdessen sage ich Dinge wie: Nummerfünfmitpommesundextragroßercolakommtsofortviereurofünfzigbitte.
Ich spreche in Karambolagen.
Das ist sowieso ja nur in meinem Kopf, diese ganzen Sätze, die ich sagen könnte, diese Bilder und die Formulierungen. Mein ganz privater Untertitel, der die Welt in meine Sprache übersetzt.
Ich sehe diese ganzen Leute und denke mir im Stillen: Einsamkeit, das ist, wenn man immer zu laut lacht, in Gesellschaft anderer. Über Sachen, die eigentlich nicht witzig sind.
Das sind Leute, die mit Anrufbeantwortern oder eingehängten Telefonen über ihre Träume sprechen. Weil ein Besetztzeichen immer noch besser ist als keine Antwort.
Ich bin nicht so, aber ich bin gern umgeben von einsamen Gesichtern, Gesten und Geräuschen. Ich mag das, wenn man Taschentücher knistern hört, über einen ganzen Raum hinweg am besten, oder wenn alle an verschiedene Dinge denken, wenn es aussieht, als würden alle etwas suchen, in der leeren Luft vor den Gesichtern, Sachen, die eigentlich nicht wirklich wichtig sind.
Und wieder habe ich geträumt. Bin aufgewacht und aufgeschreckt. Aus dem Traum geholt von der müden Stimme dieses Mädchens.
"Ich hätte gerne ein Glas Milch. Nur Milch, nur so. Bitte."
Und sie hat da was im Auge, eine Wimper, einen kleinen Schatten, oder, oder auch ein Spiegelbild von mir. Ja genau, das bin ja wirklich ich, in Pupillengröße, Einsteckgröße. Auf einmal muss ich lachen.
Einmal mich selbst, bitte.
Zum Mitnehmen, wenn es geht.
Und wohin?
Irgendwohin, anderswohin. Bitte.
Wieder nur in meinem Kopf, das alles. Filme über Dinge über Menschen über Einsamkeit.
Und ein ganzes Stückchen weiter unten, da klebt Che Guevara, immer noch, mit einem Blick, als hätte er sein ganzes Leben dort verbracht, auf der alten Jacke dieses Mädchens. Und eigentlich sieht er doch nicht ganz so aus wie ich, eigentlich ist er mir ja nichtmal ähnlich.
Mit Revolution habe ich auch nichts am Hut. Ich wollte immer stark sein, und irgendetwas wirklich lieben. Aber jetzt bin ich doch so wie die anderen. Ein Sofarevolutionär. Und Visionen, das schreibt man doch mit V und einem S, das weiß ich noch.
Was die Liebe angeht, die ist hier leider auch nicht echt. Genausowenig wie die Sterne an der Decke. Nichts ist echt, das ist alles wie in einem Film, und wer jetzt noch einzuwenden wagt, dass es nicht nach Popcorn riecht, der wird einfach ausgelacht.
Revolutionen sind nur Werbepausen, willkommene Auflockerungen des gewöhnlichen Programmablaufs. Man braucht nur ein paar Statisten und ein bisschen Geld. Che Guevara würde wahrscheinlich auch nur müde lächeln über sowas heutzutage.
Und das mit der Hoffnung, die zuletzt stirbt, das war am Ende auch nur Lüge, die Hoffnung ist schon lange tot. Abgetragen, weggeworfen, so wie eine alte Jeans.
Was bleibt, das sind die Träume, immerhin. Schlimm ist das, aber eigentlich auch wieder nicht, weil die Träume ziemlich sicher echte sind.
Das Mädchen schaut mich fragend an, ich meine, sie kann sich kaum noch aufrecht halten.
Milch, sage ich, (und das klingt jetzt sicher ungeheuer traurig). Milch haben wir hier leider nicht.