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Mückenstiche und eine Narbe im Schuh

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26.08.2024
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Mückenstiche und eine Narbe im Schuh

Flixbus, Freitag Abend, Brüssel – Paris.
Flixbus, Sonntag Abend, Paris – Brüssel.

Dazwischen eine Umarmung, ein schneller Kuss auf die Wange, ein Imbiss. Für den Imbiss nehmen wir uns Zeit; Moussaka in der Nähe von La Fourche. La Fourche, die Gabelung; wie die Gabel, mit der wir essen.
Spaziergang nach Hause, Händchen halten, eine Drehung im Mondlicht. Benzinroller, die Essen liefern und laut stinken.

Dazwischen zwölf Quadratmeter zu Hause.
Es ist zu heiß, Sommerhitze und staubige Luft, ich ziehe mir das Kleid über den Kopf, du trittst die Schuhe ab und knöpfst dein Hemd auf.
Verschwitzte Haut auf verschwitzter Haut, ein feuchtes Laken.

Dazwischen fragst du: Hast du Lust auf Wein?
Ich nicke und strecke mich.
Ich hole die Gläser und den Wein.
Sancerre, sage ich. Danke schön.
Du nickst.
Wir trinken schweigend.

Dazwischen sagst du: Es ist so warm.
Ich öffne das Fenster, ein warmer Luftzug auf meiner Haut. Ich lehne mich an den Fensterrahmen, das Weinglas in der Hand. Von draußen drückt die nächtliche Stadthitze in das Zimmer. Die Fassaden glimmern gelb im Straßenlaternenlicht.
Ich sehe dich an, während du mich betrachtest.
Wie war die Fahrt?, fragst du.
Wieso fragst du das jetzt?
Ich blicke dich an.
Schön siehst du aus, antworte ich. Du hast mir gefehlt.

Dazwischen schwitzen wir. Pariser canicule, Hitzewelle, schwere Luft, die Nacht zu heiß für kalten Schlaf. Wir leeren die Gläser und gehen spazieren. Halten Händchen und drehen uns im Mondlicht, und ein Benzinroller stinkt laut.

Dazwischen zählen wir die Mückenstiche und trinken Kaffee am Morgen, croissant für dich, pain suisse für mich, wir machen den Wochenendeinkauf. Ich suche Dinge, die es in Belgien nicht gibt, du suchst Dinge, die es im Kühlschrank nicht gibt. Dazu eine Flasche Wein.
Heute rot?
Lieber Bier.

Dazwischen ein Spaziergang im Park, Stadttauben und Teichrallen. Poules d’eau. Wasserhühner. Eine Ringeltaube landet auf einem Strauch, so schwer, dass der Ast sich biegt. Die Taube fällt und der Ast schnellt hoch. Wir lachen.

Dazwischen kochen wir gemeinsam Abendessen, trinken das Bier schon beim Zubereiten, holen Wein. Doch rot. Danach ein Spaziergang zum Park, eine laute Trillerpfeife.
Der Park schließt in fünfzehn Minuten!
Wir sehen uns an. Ich zwinkere dir zu, du nickst. Zwei Runden um den Park, eine Runde durch das Viertel, Klettern über den Zaun. Du bleibst hängen, ein tiefer Kratzer im Lederschuh.
Eine Erinnerungsnarbe, sage ich.
An den Sommer, sagst du.
Und an dich.

Dazwischen liegen wir im Gras, es ist Nacht, der Himmel unendlich. Die Hitze ist noch unerträglicher durch warme Feuchte. Wir gehen zu einer Mauer, betrachten die leuchtende Stadt in der Ferne, reden über alles und nichts.

Dazwischen die Mückenstiche nach nächtlichen Runden, wir trinken Kaffee – heute kein Gebäck – und ich packe meine Sachen.
Ich möchte dich hierbehalten, sagst du, während ich packe.
Und ich möchte dich mitnehmen, antworte ich, während ich den Rucksack schließe.

Dazwischen kochen wir Mittagessen; es gibt einen verbrannten Topf, und viel Kaffee. Dann Unruhe, wir hetzen zur Métro, betrachten die Tauben in Bercy. Der Geruch von Vernachlässigung verschlingt den Bahnhof. Eine Umarmung und ein Kuss, ich spüre deine Wärme. Ein Winken und eine Abfahrt. Die Klimaanlage im Bus ist kalt.

Flixbus, Sonntag Abend, Paris – Brüssel.
Flixbus, Freitag Abend, Brüssel – Paris.

Dazwischen eine Narbe im Schuh und Mückenstiche.

 

Liebe Wortkriegerinnen und Wortkrieger,

ich dachte, ich stelle mich mit einem ersten kurzen Text vor, bevor ich selbst in medias res springe und andere Texte kommentiere.
Nur zur Info: Dieser Text ist für ein Schreibwerkstatt-Treffen vor einigen Monaten verfasst worden; ich gehe aber immer wieder mal ran und versuche ihn zu verbessern.

Falls es Fragen gibt, immer her damit, und ansonsten freue ich mich auf einen anregenden Austausch in meinen und euren Texten :)

Tilda

 

Flixbus, Freitag Abend, Brüssel – Paris.

Hallo,

wäre interessant zu lesen, wenn der Flixbus von Recklinghausen nach Brandenburg fahren würde.

Moussaka in der Nähe von La Fourche. La Fourche, die Gabelung; wie die Gabel, mit der wir essen.
Davon lebt der Text, Pariiiis!, und überhaupt, savoir vivre.
Verschwitzte Haut auf verschwitzter Haut, ein feuchtes Laken.
Dazwischen leider auch immer wieder schwülstigster Kitsch, mit Formulierungen aus der Mottenkiste.

Eine Erinnerungsnarbe, sage ich.
An den Sommer, sagst du.
Und an dich.
So was hier ... puh, schwierig.

Ich frage mich immer, was wird mir hier erzählt? Eine Geschichte über eine Fernbeziehung. Warum, wieso, weshalb? Ist das ein Problem für sie? Nee, oder? Die scheinen doch glücklich, trotz der Entfernung, scheint alles paletti und bueno. Where is the drama? Mir wirkt das alles zu glatt, zu beliebig, ich denke an Paris als Kulisse, da passiert das schöne Leben, aber in Brüssel nicht? Da gibt es keinen Bruch, nichts. Nur Oberfläche. Keiner deiner Charaktere wirkt echt, authentisch, wird lebendig. Das liegt auch an der Perspektive. Das ist nicht an einen Leser geschrieben, eher an eine andere Person, wie ein poetischer Brief. Da fehlt aber die Intersubjektivität, ich kenne nicht die Details, ich weiß nicht, um was es da geht; es wird gekocht, Wein getrunken, Bier getrunken, sich geliebt, spazieren gegangen ... und dann? Ist das schon eine Geschichte?

Das ist ja alles Ansichtssache und Geschmack. Mir fehlt hier eine Geschichte. Was treibt diese beiden Menschen an, warum tun sie, was sie tun? Warum wurden sie so? Was steht auf dem Spiel? Wie sprechen die miteinander, was vereint sie, warum lieben sie sich? Das fehlt mir.

Gruss, Jimmy

 

Hallo Tilda,
leichte Sommergeschichte, die in Paris spielt. Du wandelst auf den Spuren von Hemingway: Paris, ein Fest fürs Leben und Henry Millers Wendekreis des Steinbocks. Ist natürlich ein bisschen hochgegriffen. Du lebst ja dort nicht, sondern stattest der Stadt nur einen Besuch ab. Weil angesprochen wurde, dass die Geschichte zu banal ist: Hemingway hat in seine Parisgeschichte ja auch keine Tragik reingebracht. Es geht um Wein-bzw. Pastistrinken und Muschelessen und überhaupt andauernd um Essen, wie bei Dir auch. Aber vielleicht muss man länger in der Stadt leben, um das richtige Feeling rüberzubringen an den Leser.
Ich persönlich kann von mir behaupten, auch schon einmal dort gewesen zu sein. Bei einer Tramptour haben wir zwei Nächte unter dem Eifelturm verbracht und sind am Tage durch die Stadt gelaufen. Die einzigen, die bezahlbares Essen hatten, waren McDonalds, kann ich mich noch erinnern. Ob mich das nun zur Pariskennerin macht?
Gruß Frieda

 

Hallo Jimmy, hallo Frieda,

zuerst einmal herzlichen Dank, dass ihr euch die Zeit genommen habt, den Text durchzugehen und einen Kommentar dazulassen.

wäre interessant zu lesen, wenn der Flixbus von Recklinghausen nach Brandenburg fahren würde
Die Gegend kenne ich leider gar nicht. Mir persönlich fällt es zum einen schwer, über Dinge zu schreiben, die ich nicht kenne - zum anderen würde das aber auch am gewünschten Ziel des Textes vorbeischrammen.

Paris. Die Stadt der Liebe, der ständige Kitsch, pâtisserie, Wein, Käse, savoir vivre etc. pp. - kurzum, eine Kulisse.

Ich habe Paris einerseits deshalb gewählt, weil die Stadt in den Köpfen bereits eine Kulisse ist - andererseits gehen meine Figuren eben nicht an der Seine spazieren, laufen die Champs Elysée entlang, halten Händchen am funkelnden Eiffelturm.

Stattdessen war das Ziel, das Bild von zwei jungen (verhältnismässig armen) Menschen zu zeichnen, die sich in dieser Kulisse befinden, aber nicht daran teilhaben können. Sie fahren Flixbus statt Eurostar, essen an einer Metrostation (ist ehrlich um einiges günstiger als McDo :sad:) und verbringen die Zeit zu zweit auf 12 m2.

Ist das ein Problem für sie? Nee, oder?
Doch, irgendwie schon. Die Figuren zelebrieren Sex, Wein, Spaziergang und den Wochenendeinkauf als sei es das höchste. Die Ich-Erzählerin romantisiert einen zerstörten Schuh und Mückenstiche, weil es sonst nichts anderes von der Beziehung zu zelebrieren gibt. Alltägliches wird zum Besonderen, aber das eigentliche Leben, der wahre Alltag unter der Woche findet getrennt statt.

Ziel des Text war es, dieses "Sich-die-Umstände-Schönreden" aus dem Kopf der Ich-Erzählerin heraus zu zeigen. Mit einer anderen Perspektive hätte ich die Sorge gehabt, zu sehr auf die Umstände zu zeigen statt sie zu beschreiben. Show, don't tell war da mein Anspruch. Hat wohl nicht geklappt.

So oder so. "Ziel war es, Ziel war es, Ziel war es". Ziel war es, einen guten Text zu schreiben, und gute Texte muss man nicht erklären.

Ich ziehe das Fazit: Das nächste Mal weniger Kurz, mehr Geschichte, und raus mit dem Kitsch. Und wohl viel mehr mehr Figurenzeichnung.

Herzlichen Dank nochmal für die Rückmeldungen!

Tilda

 

Stattdessen war das Ziel, das Bild von zwei jungen (verhältnismässig armen) Menschen zu zeichnen, die sich in dieser Kulisse befinden, aber nicht daran teilhaben können.

Hallo,

verstehe ich. Im Text kommt es allerdings so rüber, als ob das Menschen aus der mal mindestens gut betuchten Mittelschicht sind. Die müssten doch durch halb Paris zu Fuß laufen, um die günstigsten Muscheln oder den besten "unbekannten" Wein für einen 5er die Pulle zu ergattern; hier im Text wird denen mehr oder weniger alles serviert. Finanzielle Probleme oder Klasse lese ich da nicht heraus.

Die Figuren zelebrieren Sex, Wein, Spaziergang und den Wochenendeinkauf als sei es das höchste.
Da lese ich ehrlich gesagt nichts von. Die wirken wie ein vollkommen normales Paar, eben nur Fernbeziehung.
Ziel des Text war es, dieses "Sich-die-Umstände-Schönreden" aus dem Kopf der Ich-Erzählerin heraus zu zeigen.
Das wäre ja dramatisch. Sie redet sich das schön, weil warum? Das ist doch trotzdem ein tolles Leben, oder nicht? Oder will sie gar nicht da sein? Oder will sie eigentlich etwas anderes? Wenn der Konflikt sein sollte, er will Paris nicht verlassen, weil warum auch immer ... das müsstest du vertiefen, Dialog, Charakter.

Für mich ist, denke ich, das Hauptproblem, dass du hier keine echten Charaktere hast, die wirken ausgedacht. Das alles vor dieser bekannten Kulisse, da wirkt selbst ein Clochard noch elegisch und romantisch. Das passiert einfach, weil man die Stadt und was man damit verbindent, sehr gut kennt. Sagen wir, würde das in Gent passieren, sähe das anders aus. Da müsstest du auch mehr zeigen, die haben keine Kohle, also müssen sie improvisieren, sich vielleicht etwas ergaunern sogar, ich denke sofort an Godard und Truffaut, und sie würde auch keinen Flixbus nehmen sondern trampen. Weißt du, was ich meine?

Gruss, Jimmy

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Tilda,


ich hab die Geschichte insgesamt ganz gern gelesen. Sie liest sich flüssig, auch wenn der Tiefgang zu vermissen ist oder für einen leichten Sommer-Text vielleicht auch nicht.

Moussaka in der Nähe von La Fourche. La Fourche, die Gabelung; wie die Gabel, mit der wir essen.
Die leichtfüßigen Aufzählungen sind nicht per se schlecht, aber sie wirken bei mehrmaligem Lesen etwas beliebig.
Dazwischen sagst du: Es ist so warm.
Ich öffne das Fenster, ein warmer Luftzug auf meiner Haut. Ich lehne mich an den Fensterrahmen, das Weinglas in der Hand. Von draußen drückt die nächtliche Stadthitze in das Zimmer. Die Fassaden glimmern gelb im Straßenlaternenlicht.
Ich sehe dich an, während du mich betrachtest.
Wie war die Fahrt?, fragst du.
Wieso fragst du das jetzt?
Ich blicke dich an.
Schön siehst du aus, antworte ich. Du hast mir gefehlt.
Der Absatz gefällt mir am besten, vor allem beider Blicke, die sich ja nicht begegnen und keine Verbindung ergeben, obwohl beide einander ja ansehen.
Ganz witzig finde ich, dass mir das stetig wiederholte "dazwischen" bei den ersten Malen Lesen gar nicht aufgefallen ist, geht also wohl in einem Rutsch runter.
Dazwischen ein Spaziergang im Park, Stadttauben und Teichrallen. Poules d’eau. Wasserhühner.
Ich kriege nicht ganz unter, warum den Wasservögeln so viel Platz eingeräumt wird. Das finde ich für diesen Text "sehr ausführlich".
Eine Erinnerungsnarbe, sage ich.
An den Sommer, sagst du.
Und an dich.
Sind die beiden denn überhaupt ein Paar? :confused: Wenn er oder sie sagt "Und an dich" klingt es für mich, als bestünde die Romanze nur für einen Sommer und als wäre das auch klar. Edit: Wenn ich jetzt nochmal drüber nachdenke, könnte es aber auch eine Erinnerung im Alltag sein, den die beiden ja nicht miteinander verbringen. Aber die großen Worte haben den erstgenannten Eindruck in mir erzeugt.
Dazwischen liegen wir im Gras, es ist Nacht, der Himmel unendlich. Die Hitze ist noch unerträglicher durch warme Feuchte. Wir gehen zu einer Mauer, betrachten die leuchtende Stadt in der Ferne, reden über alles und nichts.
Plötzlich scheinen sie ganz weit aus Paris draußen zu sein?
Der Geruch von Vernachlässigung verschlingt den Bahnhof.
Hier finde ich den Sinnesmix spannend.

Du erzählst ein wenig wie ein Schlittschuh auf dem Eis - er fügt der Oberfläche kleine, markante Kratzer zu, die dafür aber galant geschwungen.

Stattdessen war das Ziel, das Bild von zwei jungen (verhältnismässig armen) Menschen zu zeichnen, die sich in dieser Kulisse befinden, aber nicht daran teilhaben können. Sie fahren Flixbus statt Eurostar, essen an einer Metrostation (ist ehrlich um einiges günstiger als McDo :sad:) und verbringen die Zeit zu zweit auf 12 m2.
Das ist z.B. aus dem Text selber nicht klar für mich geworden. Die 12 m² sind krass, stimmt, auch der Flixbus ist günstig, aber da ist vielleicht deine Intention in der Knappheit untergegangen.

Viele Grüße,
Helen

 

La Fourche, die Gabelung; wie die Gabel, mit der wir essen.
Spaziergang nach Hause, Händchen halten, eine Drehung im Mondlicht.

Gefällt mir gut,

liebe @Tilda,

den nicht nur literarischen, subjektlosen „Brandbeschleuniger“ Ellipse zu verwenden, der erst mit einem „wir“ – einem „Du“ und dem erzählenden „Ich“ - durchbrochen wird, um – mutmaßlich – Kräfte zu sammeln

Für den Imbiss nehmen wir uns Zeit; …
und dann ein neues Hobby (oder doch zu statistischen Zwecken?)
Dazwischen zählen wir die Mückenstiche und …
und ich schließe mit einem Zitat aus meinen Anfängen und der mir eigenen Gerüch[...]eküche des Titels „...ela“

Beide schau’n sich an.
Werden weich.
Warm ist es eh.
Ertrinken fast in den Augen des andern.
Sie in einem niederrheinischen Dackelblick.
Er in einem cochemden Blick.
So tief, dass selbst der steilste Weinhang der Welt mitsamt der Resteifel darin ersöffe und nimmer herausfände.

& damit herzlich willkommen hierorts!,

Friedel

 

Hallo Tilda, habe ich sehr gern gelesen. Sehr lyrisch, sehr atmosphärisch. Hat mich sofort wieder zurück in meine Studienzeit in Paris gebeamt. 12m2 Wohnungen sind dort sehr häufig anzufinden, und sogar noch kleinere :). Jede Menge Bilder vor meinem inneren Auge auferstanden. Danke

 

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