Männerherz
Männerherz
"Schön dich zu sehen", sagt er.
Ich sehe ihm tief in die Augen.
Höfflichkeit, denke ich. Ich kenne ihn zu gut.
Ich freue mich, ihn zu sehen, aber ich sage es nicht.
Wir haben uns schon eine Woche nicht mehr gesehen – besser: er mied mich, ich mied ihn.
Früher verbrachten wir jeden Tag zusammen. Wir waren Nachbarn, spielten Verstecken, kletterten auf Bäume.
Wir waren zusammen auf einer Schule, in der selben Klasse bis zum Abitur.
Und dann, auf der Abschlussfeier, wir tanzten, lachten, hatten den größten Spaß, den man haben kann.
Dann hat er mich geküsst.
Das war letzte Woche. Seit dieser Nacht haben wir uns nicht mehr gesehen.
"Hör mal, Alex", höre ich mich sagen. "Dieser Kuss, es ist okay. Er hat mir nichts bedeutet und der Freundschaft zwischen uns doch eigentlich nicht geschadet...es war doch nur ein Kuss, es ist völlig okay. Wir sind doch Freunde, die küssen sich doch manchmal. Außerdem, du warst ja auch betrunken... ."
"Es war mein erster Kuss.", sagt er und blickt auf seine Füße. "Da kannst du sagen was du willst."
Ohne noch etwas zu sagen, geht er.
Mit jedem Schritt ein bisschen schneller, mit jedem Schritt entfernt er sich von mir.
Dort geht er über die Hauptstraße.
Er schaut noch mal zurück. Seine Tränen laufen schneller als die Füße, die seinen Körper tragen.