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Mädchenschwärmerei
Durch das offen stehende Fenster strömt kalte Luft in das Klassenzimmer. Mandy, mit der ich seit Kindertagen befreundet bin und die ein Faible für Colabonbons hat, sitzt gelangweilt neben mir und lackiert sich die Fingernägel in einem zarten Rosé. Durch das Fehlen von Lehrkräften ist unsere 10er Stufe unbeaufsichtigt. Dementsprechend herrscht im Klassenraum Unruhe und Chaos. Eigentlich ein Tag wie jeder andere. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem der neue Referendar unser Klassenzimmer betritt, gefolgt von unserem Rektor, auch bekannt als ‚Fuchsgesicht‘. Abrupt wird es still und alle starren wie gebannt nach vorne an die Tafel, an die der junge Referendar gerade seinen Namen schreibt. ,Alex Heilbrecht‘ steht dort in krakeliger Schrift. Der Rektor verabschiedet sich lautlos und überlässt dem Neuen unsere Klasse. Es beginnt wildes Getuschel unter den Schülern und Herrn Heilbrecht hat Mühe, uns zum Schweigen zu bringen.
„Guten Morgen. Ich bin 24, heiße Alex Heilbrecht und bin ab heute eure neue Lehrkraft für das bevorstehende 10. Schuljahr. Ihr könnt ruhig Alex zu mir sagen.“
Der Klang seiner rauen Stimme hallt in meinem Kopf wieder. Absolut entrüstet rufe ich mich zur Vernunft. Wow, wir hatten noch nie einen Lehrer, den wir duzen durften. Umso entspannter geht Alex an die Sache ran, und ich muss zugeben, dass er äußert gut aussehend und attraktiv ist.
„Habt ihr sonst noch irgendwelche Fragen?“
Tricia, die perfekt gestylte Oberzicke aus unserer Klasse ergreift das Wort.
„Hast du eine Freundin?“ gekonnt wickelt sie eine Haarsträhne ihrer blonden Lockenpracht um den Finger.
Ihre Clique, bestehend aus drei weiteren Zicken, schaut sie beneidenswert an.
Lachend antwortet Alex alias Herrn Heilbrecht auf Tricias, für meinen Geschmack zu persönliche Frage:
„Nein, zur Zeit bin ich leider Single.“
Tricia wirft den anderen einen triumphierenden Blick zu. Mandy, die inzwischen das Nagellackfläschchen zur Seite gestellt hat und die Szenerie mit verfolgt, kramt eine Bonbondose aus ihrer Schultasche und bietet mir eines ihrer Colabonbons an. Dankend lehne ich ab und warte, bis die nächsten Fragen gestellt werden. Doch zu meinem Erstaunen war Tricias Frage die Einzige. Alex, der bis eben noch vor der Tafel gestanden hat, geht mit einer eleganten Bewegung um das Pult herum und nimmt auf dem Lehrerstuhl Platz.
„Nun, zuerst einmal möchte ich ein wenig mehr von euch erfahren. Wie wär’s, wenn ihr euch mit eurem Namen vorstellt. Es ist hoffentlich okay, wenn ich euch auch duzen darf?“
Nach der Reihe stellt sich jeder einzelne Schüler vor. Mandy und ich sind die letzten, die sich vorstellen müssen.
„Ich heiße Mandy Sydow und bin 16 Jahre alt.“
Jetzt bin ich an der Reihe. Ich werde nervös und kratze mich an einem imaginären Mückenstich um meine Verlegenheit zu überspielen. Ich will etwas sagen, doch ich bekomme nichts außer einem peinlichen Krächzen heraus. Mandy runzelt die Stirn und stößt mich unauffällig mit dem Ellbogen an. Ich starte einen erneuten Versuch.
„Ehm… Ich ...“ Mein Herz pocht wild und meine Stimme verschwindet erneut.
Ist es denn so schwer, meinen Namen zu sagen?
Da ergreift Mandy für mich das Wort.
„Das ist meine Freundin Lisa Herm.“ Damit ist die Sache für sie geklärt.
Anscheinend auch für Alex, da er beschließt, jetzt mit dem normalen Unterricht anzufangen. Ich sinke tiefer in meinen Stuhl und lasse den Rest der Stunde über mich ergehen. Nach Stundenende zieht mich Mandy zur Mädchentoilette und sieht mich fragend an. Und schon sprudelt sie los.
„Was war denn eben mit dir los? So habe ich dich ja noch nie erlebt!“
„Ich konnte einfach nicht. Meine Stimme war auf einmal weg.“
„Es hat was mit Alex zu tun, stimmt’s? Ich hab doch gesehen wie du rot geworden bist.“
Abstreiten macht jetzt eh keinen Sinn. Also bin ich entschlossen, ihr die Wahrheit zu sagen.
„Er sieht einfach so unglaublich gut aus. Und seine Stimme erst.“
„Dir ist aber schon klar, dass es Lehrern verboten ist mit seinen Schülern etwas anzufangen?“
Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Aber es war von vorneherein klar, dass es einen Haken gibt. Mein Problem: Ich glaube immer noch an die wahre Liebe. Was daran liegen könnte, dass ich bis jetzt noch keinen einzigen Freund hatte. Mein erster und letzter Kuss war in der 7. Klasse. Einer meiner Mitschüler gab eine Geburtstagsparty. Beim Flaschendrehen kam es dann zu einem Kuss mit Nico, der mittlerweile mit Doro, einem eher schüchternen Mädchen aus meiner Klasse zusammen ist. Ich rede mir ein, Alex aus meinem Kopf zu streichen. Mandy und ich verlassen die Mädchentoilette und gehen Richtung Mensa. Sie hat nichts mehr gesagt, nachdem sie mich gewarnt hat vor möglichen Konsequenzen über eine Schüler-Lehrer Beziehung. Ich kann mir ohnehin nicht vorstellen, dass Alex auf Durchschnittsmädchen wie mich steht. Ich beneide Tricia um ihre langen blonden Locken. Meine Haare sind schwarz und aalglatt. Ich habe es mal mit Lockenwicklern versucht, aber nach nicht mal zwanzig Minuten hingen die wieder wie immer lang und glatt bis zum Po hinunter.
In der Mensa gehen wir an einigen Mitschülern vorbei. Darunter auch an der Zickenclique, die sich angeregt über mein Verhalten eben im Unterricht äußert. Na super, jetzt bin ich schon Gesprächsthema Nummer 1. Ist denen etwa der Gesprächsstoff ausgegangen?
Die restlichen Stunden Unterricht vergehen wie im Flug. Kein Alex. Keine peinlichen Situationen, in die ich mich begeben könnte. Auf dem Nachhauseweg überquere ich eine Kreuzung. An der Ampel halte ich an. Neben mir hält ein roter Mini. Eigentlich nichts Ungewöhnliches. Wenn ich nicht genau wüsste, wer drin sitzt. Alex. Eine dunkle Sonnenbrille tief ins Gesicht geschoben. Sein Blick schweift umher und bleibt bei mir hängen. Ein Lächeln umspielt seine Lippen. Er hebt seine Sonnenbrille an und bringt damit einen Gruß zum Ausdruck. Ich werde rot. In der Scheibe des Autos vergewissere ich mich, dass mein Gesicht nicht wirklich Röte angenommen hat. Ich versuche zu lächeln. Da springt die Ampel auf Grün und ich nutze die Gelegenheit um mich aus dem Staub zu machen. Kurze Zeit später sehe ich ihn an mir vorbei fahren. Ich schaue dem roten Mini hinterher, bis er nicht mehr zu sehen ist.
Am Nachmittag schleppt mich Mandy ins ‚Monte Carlo‘, eine Eisdiele in der Stadtmitte. Ich merke, dass sie versucht, mich abzulenken und um mich auf andere Gedanken zu bringen. Ein sympathischer Kellner um die 20 kommt auf uns zu. Er lächelt uns an und nimmt unsere Bestellung auf. Nachdem wir unser Eis verspeist haben und wir gerade gehen wollen, kommt der Kellner, der auch unsere Bestellung aufgenommen hat, und verwickelt uns in ein nettes Gespräch. Er erzählt ein wenig über sich. Es stellt sich heraus, dass er Lars heißt, neu in der Stadt ist und neue Leute kennen lernen möchte. Mir kommt es so vor, als ob der Funken bei mir und ihm übergesprungen ist. Wir verabschieden uns, aber nicht ohne vorher die Nummern zu tauschen. Draußen vor dem ‚Monte Carlo‘ nimmt Mandy wieder das Gespräch unter Mädchen auf.
„Ich glaube, er mag dich.“
„Kann schon sein…“ bringe ich verlegen hervor.
„Ruf ihn einfach mal an, oder warte bis er anruft. Aber vergiss auf jeden Fall Alex. Der ist verbotene Zone.“
Ich nehme mir ihre Ratschläge zu Herzen. Nach wenigen Tagen habe ich meine erste Verabredung mit Lars. Wer weiß? Vielleicht entwickelt sich was draus?