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Lupine lernt creative writing
„Seid gegrüßt, Freunde des creative writings! Mein Name ist Jannes Drei.“ Um den Lehrer des Schreibkurses flatterte ein schwarzer Umhang, als wenn er aus der Matrix heraus gestürmt wäre. Darunter ein saloppes Hemd, Hugo Boss, und um ihn wehte der Geruch eines sportlichen Aftershaves. Lupine spürte einen Satz heran nahen. Er stürzte mit umwerfender Dynamik in den Klassenraum und ein Hauch von Perfektion schwang unter allem Esprit mit. Lupine zückte ihren Block und den neuen Glücksfüllfederhalter mit Pelzgriff, wollte den Satz schnell aufschreiben, doch die Angst, die ersten Worte des Kurses zu verpassen, hielt sie ab.
„Ihr habt im Vorfeld eine kleine Story für diesen Kurs erarbeitet und gemeinsam zaubern wir daraus ein wahres Meisterwerk. Ich verspreche euch das Rüstzeug, mit dem jeder ein genialer Schreiber wird. Bedenkt bei allem: Schreiben ist in allererster Linie Handwerk. Lasst euch nichts erzählen von Schreibblockade, Kreativität und Talent. Ein Fliesenleger kann lernen, Fliesen zu legen, ein Autor kann lernen, zu schreiben. Er benötigt dazu nur einige Regeln.“
Sie rückte unruhig auf dem Stuhl herum. Das war der Kurs, den sie gesucht hatte! Der Lehrer würde ihr die Angst nehmen, die Selbstzweifel und all die Hemmungen. Nur ein paar Regeln. Ein schneller Blick auf den ersten Absatz ihres Textes ließ ihr Augenlid zucken.
Das Ei, aus dem der Schlüssel zur Liebe schlüpfte
Mirko war mit der zweiten Klasse beim üblichen Museumsausflug. Doch dieser sollte sein Leben verändern. Lena hatte ihm das Nutellabrötchen abgeschwatzt. Deshalb kaute er lustlos auf ihrem Vollkorn-Leberwurstbrot und betrachtete ein fußballgroßes Ei in der Vitrine. Auf cremegelbem Grund hatte es kleine grüne Flecken. Er war neugierig. Neben der Vitrine hing das Bild eines Vogels mit langem, leuchtend rotem Horn auf dem Kopf. Darunter stand Pteranodon, aber so gut konnte Mirko noch nicht lesen. Je länger er auf das Ei starrte, desto mehr schien es, dass es sich bewegte. Jetzt war er sich sicher: das Ei wackelte. „Mirko, komm weiter bitte!“ Diese Lehrerin war wirklich eine Qual.
Der Text war doch schlecht. Verflixt, schon jetzt spürte sie die fehlende Eloquenz, und flüssigere Sätze schossen ihr in den Kopf.
Jannes Drei begann mit den Vorbereitungen, die zum Schreiben nötig wären. All das schien Lupine völlig fremd. Sie hatte erwartet, eines Tages setzt sich die Muse auf ihre Schulter und diktiert. Jannes sprach über den Unterschied zwischen Thema und Prämisse. Lupine biss ihre Lippen blutig und notierte so schnell sie konnte. Schon jetzt war ihr die eigene naive Haltung peinlich. Das Thema sei irgendwas mit Dinosauriern und eine Prämisse hatte sie noch nie für ihre Geschichten überlegt. Es ging weiter mit dem Titel, ihrer war zu lang und gewöhnlich. Lupines Schreiberhirn arbeitete auf Hochtouren, aber das laute Pochen in ihrer Kehle lenkte sie ab. Panisch kritzelte sie alles mit, der Glücksstift fühlte sich großartig an.
„Das letzte Kapitel der preparations betrifft die Recherche. Lupine, was weißt du denn über dein Thema?“ Sie schluckte. „Also ich habe mir im Internet den größten Flugsaurier gesucht und fand den beeindruckend genug, die siebenjährige Lena zu bezirzen.“ „Das ist viel zu wenig. Du musst über dein Thema und deine Figuren alles wissen! Du musst wissen, was er frisst, wo und wie er lebt, welche Feinde er hatte, wie er sich paart, wie er seine Nachzucht aufzieht. Verstehst du? Wenn du etwas nicht weißt, dann spürt der Leser das an deinem Text. Das wäre schlimm. Wenn ein Paläontologe sich mit Sauriern auskennt, dann spürt er: du hast dir Gedanken gemacht. Nur so wird die Geschichte plausibel!“ Lupine war fassungslos. Es sollte nur eine Dinosauriergeschichte sein! „Ihr habt nun eine Stunde Zeit. Recherchiert, informiert euch. Überrascht mich mit Fachwissen, das eure Story zu etwas Herausragendem macht!“
Lupine rannte zu dem Internetplatz und lernte alles über Kurzschwanzflugsaurier. Sie überflog Interviews mit einem Archäologen aus South Dakota, dessen Forschung herausragende Erkenntnisse über diese Tiere ermöglicht hatte. Sie sah Videos vom Flug eines Albatrosses, weil der Dinosaurier vermutlich so ähnlich flog. Schließlich forschte sie an Prämaxillaren und Maxillaren und den Körperbau der Wirbelsäule. Es waren nur noch fünf Minuten, aber sie hatte den Artikel von Christopher Benett noch nicht zu Ende gelesen. Er hieß: Sexual dimorphism of Pteranodon and other pterosaurs, with comments on cranial crests. Die Recherche würde ihr Untergang. Ein Schauer lief ihr über den Rücken: Es wird herausragend, wenn du gut recherchierst!
„Ich hoffe ihr hattet Spaß bei eurer Arbeit. Spaß ist neben Regeln auch wichtig.“ Lupine ballte die Hände zu Fäusten und legte zitternd ihr Schreibzeug zurecht.
Nach der Recherchepause kam ein langes komplexes Kapitel über den Plot. Sie hatte gedacht, man bräuchte nur eine Handlung, aber in Wahrheit brauchte man Hooks, Pinches, Midpoints und Resolutions. Die Aufteilung des Textes in diese Abschnitte wurden mit einem Tafelbild veranschaulicht, das in seiner Komplexität einem Plan aller Truppenbewegungen des zweiten Weltkriegs in nichts nachstand. Während Jannes es erläuterte, sprang ein Mädchen vom Stuhl auf. Sie schrie und brach in Tränen aus, bevor sie aus dem Raum stürzte. Jannes wirkte nicht irritiert. „Der Sieben-Punkte-Plot ist nicht einfach. Manche packen das nie!“
Lupine verstand nur Teile, irgendwie musste genau in der Hälfte der Geschichte der Midpoint sein. Der Moment, in dem der Held von der Reaktion zur Aktion wechselte. Und rundherum gab es Kniffe und Wendungen, schließlich die Auflösung. Immer wenn sie begann, einen Teil dieses Konstrukts zu verstehen, versuchte sie unwillkürlich die Dinosauriergeschichte in das Raster zu pressen. Ohne Erfolg.
Zögernd meldete sie sich: „In meiner Geschichte scheint das nicht zu passen.“ Herr Drei sah auf ihren Block. Dort standen Aufhänger und Auflösung. Dazwischen war nichts mehr zu lesen, denn Lupine hatte jedes geschriebene Wort durchgestrichen, woanders notiert, wieder durchgestrichen - bis die gesamte Papierfläche mit blauer Tinte bekleckst war.
„Ich verstehe. Wenn deine Story nicht passt, war sie entweder langweilig oder hatte die falschen Charaktere.“ „Aber es gibt so viele gute Geschichten, die nicht in diesen Aufbau passen!“ Herr Drei stampfte auf sie zu, baute sich vor ihr auf, stemmte die Hände in die Flanken und sagte scharf: „Das ist die Geschichte, in der das Kücken klüger als die Henne sein möchte, oder?“ Seine Stimme dröhnte durch ihr Ohr in den Körper und brachte ihn in eine gefährliche Schwingung. Sie sah von unten zu ihm hoch, das Aftershave biss scharf in der trockenen Kehle und sie murmelte: „Verzeihung.“ Mit roher Gewalt quetschte sie ihre Handlung in das vorgegebene Raster.
Es ging in der Folge noch um die Kunst, seine Charaktere kennenzulernen. Man sollte Interviews mit den Fantasiefiguren führen. Der Mann neben ihr fing daraufhin an, sich leise mit sich selbst zu unterhalten.
Jannes Drei überhörte ihn gekonnt und sprach über Perspektive. Auktorial war altmodischer Murks. Sie sah auf ihre Geschichte und übermalte die Stellen, in denen sie von außen berichtete. Die pelzige Schicht des Glücksstifts war schweißgetränkt. Ich-Form war modern und weniger fehleranfällig. Lupine war bleich wie Käse und betrachtete ihre bisherigen Notizen.
Vorbereitung preparation
Thema: Dinosaurier
Prämisse: Nur ein Mensch mit Außergewöhnlichkeit, kann seine wahre Liebe finden
Titel: Love, Pteranodon
Sieben-Punkte-Plot.
Aufhänger: Mirko ist verliebt in Lena
Plot Turn 1: Mirko nimmt auf einem Museumsbesuch ein Dinosaurierbaby mit
Pinch 1 Der Dinosaurier frisst statt Fisch nur Leberwurstbrote.
Midpoint Mirko zeigt Lena sein geheimes Haustier, damit er von ihr Futter bekommt.
Pinch 2 Mirko und Lena sind mit der Pflege hoffnungslos überfordert.
Plot Turn 2 Lena findet heraus, dass der Dinosaurier lebende Fische frisst.
Resolution: Sie lassen den Dinosaurier im Steinhuder Meer frei; Mirko küsst Lena.
„Jetzt wird es ein Bestseller. Wir kommen zum Line-Editing.“ Er sah mitleidig in die irritierten Gesichter seiner Kursteilnehmer. „Das ist die finale Überarbeitung.“
Herr Jannes verlangte, dass die Geschichte in den Präsens kam, damit sie den Leser mehr mitriss, er wollte alle Adjektive gelöscht haben und Füllwörter!
Gehorsam schrieb sie den Text um. Ein Knallen ließ sie zusammenzucken. Sie drehte sich um, ein Mittvierziger hinter ihr war ohnmächtig vom Stuhl gekippt. Jannes kommentierte „Die Überarbeitung ist anstrengend. Sie dauert regelmäßig um ein Vielfaches länger als die Schreiberei. Manche sind damit überfordert.“ Lupine las ihren Text und legte den Kopf schief. Das klang nicht toll. Aber Herr Drei wusste, was er tat. Sicher war das eine Übergangsphase. Es war geradezu lächerlich an seiner Kompetenz zu zweifeln, nur weil sie die schlechteste Autorin aller Zeiten war.
Sie las auf seine Aufforderung ihren Absatz vor und er nickte. „Was fällt auf? Du hast das Adjektiv neugierig nicht weg bekommen. Warum ist das so? Du hast hier die goldenste und wichtigste aller Regeln gebrochen. Show, don‘t tell.“ Er erklärte diese Regel und sprach auch noch über gute Metaphern und Bilder. Lupine überarbeitete den ersten Absatz erneut. Das Mädchen in der ersten Reihe übergab sich in den Papierkorb.
„Bitte geht jetzt noch ein letztes Mal über euren Text. Löscht alles, was nicht für das Fortkommen der Story nötig ist. Vertraut eurem Leser. Lasst ihm Platz. Habt keine Angst alles weg zu kürzen, was euch lieb geworden ist. Die Story wird besser mit jedem Wort, das ihr löscht. Vertraut den Regeln, vertraut mir. Löschen!“
Ich bin beim Museumsjahresausflug. Lena hatte mir das Nutellabrot abgeschwatzt. Aus diesem Grund schmatze ich auf ihrem Vollkorn-Leberwurstbrot und betrachte ein Ei in der Vitrine. Ich neige den Kopf und runzle die Stirn. Neben dem Glaskasten hängt das Bild eines Vogels mit Horn. Darunter steht Pteranodon, das hatte die Lehrerin mir vorgelesen. Je länger ich auf den Stein aus der Urzeit starre, desto mehr scheint es mir, dass er sich bewegt. Ja, das Ei wackelt! „Jan, komm bitte!“. Ich schnappe mir das Ei und stecke es in die Tasche. Auf dem Weg nach Hause schlüpft ein Dinosaurier in der Größe eines Heinzelmännchens, der dem auf dem Bild gleicht. Bis zum Sommer wächst er heran und wird mein bester Freund. Ich lege die Stirn in Falten. Mein Dino frisst nur Leberwustbrote, obwohl ich ihm regelmäßig Fisch mitbringe. Ich zeige Lena das Tier, weil sie nicht versteht, warum ich meine Nutellabrötchen gern hergebe. Der Pteranodon will jeden Tag mehr Leberwurst. Ich habe keine Zeit zum Lernen, weil ich immer Brote schmiere und falle durch den Abschlusstest im Rechnen. Bei einem Besuch schnappt der Dinosaurier Lenas Goldfisch aus ihrem Aquarium. Wir schauen uns glücklich an, lassen ihn im Steinhuder Meer schwimmen. Ich schwöre Lena, dass ich sie heiraten werde. Ihr Kuss schmeckt leicht wie eine Feder.
Lupine hatte überlebt, sie hatte nicht mal viele Tränen vergossen. Sie würde den Wettbewerb gewinnen! Leider zerbrach beim Einpacken ihr Glückskugelschreiber und so würde sie ihre Schreiberkarriere mit dem alten Kuli fortsetzen müssen.