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Luisas Traum
„Hi Manu, Footballtraining beendet?“
Der Bus fuhr gerade durch ein entstehendes Neubaugebiet und Manuel hatte interessiert die einzelnen Baustellen betrachtet. Jetzt schaute er auf.
„Luisa? Lange nicht gesehen. Keinen Bock mehr auf Schule, oder machst du dein Abi woanders?“
Er hatte seine frühere Mitschülerin fast nicht erkannt. Ihre früher langen, kastanienbraunen Haare waren kupferrot gefärbt und sie trug jetzt einen gelockten Kurzhaarschnitt. Ihr schmales Gesicht wurde fast erdrückt von der üppigen Frisur. Sie war blass und die Haut schien transparent.
„Ach, Schule ist mir nicht so wichtig. Ich chille ein bisschen in der Gegend herum.“
„Wie, und deine Eltern erlauben das, oder erzählst du denen, dass du weiterhin aufs Gymnasium gehst?“
Ihr Mund lächelte, aber ihre Augen blieben ernst. Dann fragte sie:
„Hast du Lust mit mir noch in den Park zu gehen? Wir könnten uns am Kiosk ein paar Burger und Cola für ein Picknick holen. Ich lade dich ein.“
„Wow, du hast wohl im Lotto gewonnen, bist Millionärin und gehst deshalb nicht mehr zur Schule, stimmt's?“
Luisa lächelte wieder und fragte: „Was ist? Ja oder ja?“
„Überredet“, meinte Manuel und die beiden stiegen am Südpark aus. Obwohl die Sonne schien, zeigten sich nur wenige Besucher. Die beiden schlenderten vorbei an Holunderbüschen, Brombeersträuchern, Rosenbeeten, einem kleinen Ententeich und fanden am Rand einer großen Wiese ein ruhiges, sonniges Plätzchen. Luisa hatte sogar eine Picknickdecke dabei. Als sie das Essen auspackte, fragte Manuel:
„Wie komme ich eigentlich zu der Ehre von dir eingeladen zu werden? Hast du Geburtstag?“
„Ich wollte dich schon letztes Jahr einladen, als wir noch zusammen zur Schule gingen, aber dann hatte ich erfahren, dass du mit Natascha zusammen warst.“ Sie reichte ihm einen Burger und eine Colaflasche. „Wie man hört, ist das ja nun vorbei“, fügte sie mit einem auffordernden Blick hinzu.
Was sollte das nun werden? Wollte sie etwas von ihm? Manu fühlte sich unwohl. Er mochte Luisa, ja, aber als Kumpel.
„Spielst du eigentlich noch Tennis?“, wechselte er das Thema und sah sie nicht an, weil er fürchtete zu erröten, denn sie begann ihre Jeans auszuziehen.
„Nein, ist mir zu stressig.“ Jetzt zog sie ihren Pulli aus. Mein Gott, war sie mager!
„Wie findest du meinen neuen Bikini?“ Sie stolzierte vor ihm auf und ab.
Jetzt musste er sie anschauen und das Blut schoss ihm ins Gesicht.
„Ggganz nett,“ log er. Hoffentlich kam sie nicht näher. Doch da kniete sie schon vor ihm. Sie nahm seine Hand, mit der er den Burger hielt und führte sie zu ihrem Mund, biss ein kleines Stück ab und führte die Hand zu seinem Mund, so dass er abbeissen musste. Dabei schaute sie ihm immer in die Augen. Er wusste nicht wohin mit seinem Blick. Als sie den Burger aufgegessen hatten, folgte das gleiche Spiel mit der Colaflasche. Dabei rückte sie immer näher. Anfangs versuchte Manu ihr auszuweichen, in dem er auch weiter nach hinten rutschte, aber dann waren sie fast am Weg.
Manu stand auf, gerade als Luisa ihn küssen wollte.
„Ich, ich glaube, ich gehe besser ...“
„Quatsch, brauchst du nicht, ich habe schon kapiert, dass ich nicht dein Typ bin. Schade, aber deswegen brauchst du nicht zu gehen. Komm setz‘ dich wieder. Wir labern noch ein bisschen. Ich lass dich in Ruhe, bestimmt, bitte. Ich bin immer so allein, nur labern, komm.“
Sie setzte sich auf den anderen Teil der Decke und schaute ihn flehend an. Sie sah so hilflos, so zerbrechlich aus. Zögernd setzte Manuel sich wieder. Luisa reichte ihm noch einen Burger, den er hastig verschlang. Sein Blick fiel auf ihre Arme. Waren das Spuren von Einstichen? Vielleicht setzte sie sich regelmäßig einen Schuss, vielleicht hatte sie Aids?
„Tut mir leid, wenn ich dich eben erschreckt habe. Ich, ich wollte mir einen Traum erfüllen. Du gefällst mir halt und ich dachte ... Ach egal. Wie ist es denn eigentlich in der Oberstufe mit den ganzen Kursen. Habt ihr gute Lehrer?“
Er konnte nicht antworten, denn in diesem Moment kamen zwei grölende Jugendliche auf die Wiese.
„Was haben wir denn da für ein geiles Flittchen, kein Arsch und kein Tittchen, sieht aus, wie Schneewittchen ...“ Sie lachten laut und rülpsten. Der Größere der beiden schwankte auf Luisa zu, der Kleinere nahm ihre Jeans und ihren Pulli und warf sie auf einen Baum. Beide waren offensichtlich betrunken.
Manuel packte den Größeren am Kragen und verpasste ihm einen Fausthieb in den Magen, gerade als er sich auf Luisa stürzen wollte. Der Kleinere kam von hinten auf Manu zu, doch dieser drehte sich blitzschnell um und holte aus zu einen kräftigen Schlag. Da der Kleinere versuchte den Schlag abzuwehren, dabei aber torkelte, wurde er am Hals getroffen und sackte zu Boden, wo er liegen blieb. Der Größere wollte sich nun auf Manu stürzen, doch dieser trat ihn zwischen die Beine. Dann holte er schnell Luisas Kleidung vom Baum, nahm sie an die Hand, und die beiden rannten quer durch den Park. Luisa keuchte, wurde bald langsamer und konnte nicht folgen.
„Bitte, ich, ich kann ... nicht mehr ...“ Sie blieb stehen und schnappte nach Luft. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie ihn ängstlich an.
„Was ist mit dir? Da drüben ist der Parkplatz, komm die paar Meter, da sind wir sicherer, da sind Leute. Da werden sie uns nichts tun, komm doch!“
„Nein, ... es geht nicht ...“ Sie ließ sich ins Gras fallen. Manu schaute sie fragend an. Dann reichte er ihr ihre Kleidung. Sie rührte sich nicht. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen. Sie schien jetzt noch blasser. Ob sie wirklich Drogen nahm? Er schaute sich um, aber von den beiden Angreifern war nichts zu sehen. Also hockte er sich zu ihr. Er nahm ihre beiden Hände in seine rechte Hand. Mit der Linken strich er ihr über das Haar. Erst jetzt merkte er, dass es eine Perücke war. Mit dem Zeigefinger strich er ihr über das kleine Gesichtchen,
„Es ist die Chemo, weisst du ...“ Die Tränen erstickten ihre Stimme.