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Luckys Abenteuer
Lucky war ein bunter Drache, den Lisa und Tom liebevoll gebastelt hatten. Er wurde beklebt mit feinen, bunten Papierstreifen und bemalt mit roten und grünen Wachsmalstiften. Er bekam lustige blaue Augen und einen langen Schwanz aus Buntpapier und rotweißen Wollfäden. Lisa und Tom waren mächtig stolz und freuten sich schon darauf, ihn mit all den anderen Drachen beim Herbstfest vom Kindergarten steigen zu lassen.
Lucky konnte gar nicht abwarten, endlich nach draußen zu kommen und frei im Wind zu schweben. Mit einigen anderen Drachen lag er im Gruppenraum des Kindergartens und träumte von der großen weiten Welt.
„Schau mal, das Fenster ist auf!“, sagte der kleine gelbe Drache am Abend zu Lucky. „Komm, wir machen schon mal einen kleinen Ausflug!“
Lucky zögerte etwas. Sollte er nicht besser auf die Kinder warten?
„Wenn wir uns aber verfliegen und nicht mehr zurückfinden ...", gab er zu bedenken.
„Ach komm, sei nicht feige! Wir sind doch nicht dumm!“
Nein, feige wollte Lucky nicht sein und dumm schon gar nicht. Der kleine gelbe Drache flog schon zum Fenster. Da folgte Lucky ihm, denn die Versuchung war doch sehr groß.
Es wehte ein leichter, lauer Septemberwind und die beiden Drachen schwebten langsam davon. Lucky konnte es gar nicht fassen. Das Fliegen war so leicht und angenehm. Der Wind trug ihn immer höher und er schwebte über die Bäume und Häuser hinweg. Ein paar Kinder schauten ihm nach. Sie wurden immer kleiner. Da bemerkte er, dass der kleine gelbe Drache gar nicht mehr neben ihm flog. Suchend schaute er sich um, doch der kleine gelbe Drache war nicht zu entdecken. Lucky war etwas unheimlich zumute, so ganz allein. Aber er wollte nicht feige sein, sondern ein mutiger Drache, und so ließ er sich vom Wind höher und weiter treiben. Er genoss die Freiheit und es gefiel ihm, dass unter ihm alles winzig klein war und eine unendliche Weite vor ihm lag.
Langsam aber sicher wurde es immer dunkler. Unter ihm gingen die Lichter an, viele klitzekleine Lichter. Lucky beschloss, nun umzukehren. Er hatte sich genau gemerkt, wo er langgeflogen war. Doch es war alles andere als einfach, denn jetzt blies der Wind ihm entgegen. Daran hatte er nicht gedacht. Er kam kaum vorwärts und bald war er so erschöpft, dass er sich dazu entschloss, auf einer Baumspitze Rast zu machen. Entkräftet lies er sich nieder. Da kamen drei Krähen angeflogen und schimpften.
„Raus aus unserem Baum! Du seltsames Ungetüm, verschwinde, das ist unser Baum!“ Angriffslustig wollten sie sich gerade auf ihn stürzen, da rief Lucky:
„Lasst mich doch nur kurz ausruhen, ich fliege gleich weiter!“
Die spitzen Schnäbel der Krähen klapperten bedrohlich, und Lucky bekam es mit der Angst zu tun. Er zog es vor, sofort weiter zu fliegen.
Das war nicht so einfach, denn sein Schwanz hatte sich im Geäst des Baumes verfangen und bei dem Versuch sich zu befreien, büßte er einige Wollfäden ein. Aber er war froh, den Krähen entkommen zu sein und kämpfte weiter gegen den Wind an.
Bald hatte er keine Kraft mehr und lies sich langsam nach unten gleiten. Unter ihm war eine Wiese. Hier landete er weich und konnte hoffentlich etwas ausruhen. Doch kaum hatte er sich niedergelassen, kam eine streunende Katze angeschlichen.
„Was bist du denn für ein komischer Vogel? Ich fresse ja gerne Vögel. Aber so etwas wie dich, habe ich noch nicht gesehen. Ich hoffe du bist essbar, ich habe nämlich Hunger!“
Jetzt sah Lucky ihre bernsteinfarbenen Augen gefährlich aufblitzen und die langen Krallen streckten sich nach ihm aus.
„Nein, nein ..., ich bin ein Drache, ich b..b..b..bin nicht essbar. Ich bin auf dem H...H...Heimweg und ruhe mich nur ein wenig aus ...“ stotterte Lucky, denn zum Wegfliegen war er zu erschöpft. Die Katze beschnüffelte ihn. „Iii, du stinkst nach Klebstoff und Papier. Ba pfui!“ Sie schüttelte sich und schlich davon.
Lucky war erleichtert. Er war so müde, dass er gleich einschlief.
Als er etwas geschlafen hatte, wurde er von Hundegebell geweckt. Vor ihm stand ein schwarzbrauner Schäferhund und fletschte bedrohlich seine Zähne. „Verschwinde hier, das ist meine Wiese, du hast hier nichts zu suchen. Los hau ab!“ knurrte der Hund böse. Da war Lucky hellwach und flog rasch davon. Er fühlte sich jetzt kräftiger und der Wind war nicht mehr so stark. Bald sah er den Kindergarten und das offene Fenster, durch das er hineinschlüpfte. Hier war er sicher. Glücklich legte er sich auf seinen Platz.
Die anderen Drachen schliefen fest und bemerkten ihn nicht. Nur der kleine gelbe Drache war wach und sagte:
„Da bist du ja endlich wieder. Hast du dich etwa doch verflogen?“
„Natürlich nicht, aber wo bist du eigentlich abgeblieben? Hast wohl Muffe bekommen?“
„Nein, nein,“ druckste der kleine gelbe Drache und wurde etwas rot.
„Es machte nur keinen Spaß ohne die Kinder, da bin ich umgekehrt. Aber wie war es denn so weit da draußen?“
„Na ja, es war auch ganz schön gefährlich ...“ Lucky erzählte seine Abenteuer, und am nächsten Tag beim Herbstfest wunderten sich Lisa und Tom, dass ihr Drache etwas zerzaust aussah und einige Wollfäden am Schwanz fehlten.