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Lsf 2000
Lichtschutzfaktor 2000
23.04.2019 - Observatorium Kanzelhöhe
Ernst Neumann kam gerade von der Kaffeemaschine zurück und blickte auf den Statusbericht der automatischen Bilderkennung auf seinem Bildschirm. Mehr aus Routine als Interesse sah er sich die Daten zum neu gemeldeten Sonnenfleck genauer an. Ernst nippte an seiner Tasse und lies sie dann auf den Bildschirm vertieft auf den Schreibtisch sinken. Plötzlich hellwach holte er das aktuellste Bild der Sonne auf den Schirm.
„Jens?“, rief er nach seinem Kollegen.
„Was gibt’s?“
„Sieh dir das mal an!“
„Gleich. Was hast du?“
„Ein, äh, Sonnenfleck.“
„Witzbold!“
„Nein, ernsthaft. Sieh dir das Ding mal an!“
Jens Gruber erhob sich von seinem Arbeitsplatz und schlurfte in Ernsts Richtung. „Was denn? Sieht er vielleicht aus wie Mickey Maus?“
„Hör auf damit! Ich meine es ernst. Hier, sieh!“
Beide studierten gemeinsam die Daten und das Bild.
Ernst fuhr fort: „Wir sind am Anfang eine Zyklus, neue Flecken sollten zwischen dem dreißigsten und vierzigsten Breitengrad auftauchen. Der hier ist exakt auf dem Äquator und alleine.“
„Stimmt. Außerdem sehen die Konturen ungewöhnlich weich aus. Und von uns aus gesehen liegt er genau im Zentrum der Sonnenscheibe. Sehr seltsam!“
„Was hältst du davon, Jens?“
„Kein Ahnung. Warum sieht der Fleck so komisch aus? Das erinnert mich an irgendwas ...“
Jens holte eilig seinen Stuhl und setzte sich neben Ernst.
Er begann zu murmeln: „Staub auf der Linse.“ Dann lauter: „Das Ding ist unscharf! Hol mal den Fokus ran!“
„Was soll ich?“
„Mann, Ernst! Das Ding ist nicht auf der Sonne, es ist davor!“ Ein freudige Erregung schwang in Jens’ Stimme unüberhörbar mit.
Ernst konnte Jens’ Überschwang nicht im Geringsten nachvollziehen. „Scheiße, was? Ich hoffe du irrst dich.“
Ernst begann auf seiner Tastatur zu tippen. Schließlich hatte er das Kontrollprogramm für das Hα-Teleskop vor sich. Er blickte zu Jens, der mit leuchtenden Augen neben ihm saß. „Ich lege das Bild auf den großen Schirm, vergrößere den Bildausschnitt um den Fleck und ziehe den Fokus ran. - Bete lieber, dass du nicht Recht behältst!“
Beide blickten gebannt auf das sich in kurzen Intervallen neu aufbauende Bild der Sonne. Während Jens auf seiner Armlehne zu trommeln begann, stellte sich bei Ernst ein äußerst ungutes Gefühlt in der Magengegend ein. Die Sonnenscheibe wurde unschärfer, gleichzeitig mutierte der unscharfe Fleck langsam zu einen scharf umrissenen Sechseck. Schließlich veränderte sich das Bild nicht mehr.
„Heiliger Helios! Ernst, Abstandsmessung?“
Ernst hackte auf seiner Tastatur. Seine Gesichtsfarbe wechselte in ein fahles Grau. Mit zittriger, dünner Stimme gab er die gewünschte Antwort: „Zwei Millionen Kilometer. Das Ding ist direkt vor unserer Haustür!“
24.04.2019 - ESTEC, Noordwijk
Gert de Drols war keineswegs über die hochkarätige Teilnehmerschaft der Videokonferenz überrascht, da er über die innerhalb der ESA gesammelten Fakten umfassend informiert war. Die wichtigsten Köpfe der Space Mission Planning Advisory Group waren zugeschaltet. Alle Gesichter sahen ernst und angespannt aus, sie lauschten momentan John Lindsey von der NASA.
„Das Objekt befindet sich etwa zwei Millionen Kilometer von der Erde entfernt auf der direkten Verbindungslinie zwischen Sonne und Erde. Es filtert sichtbares Licht, Infrarot und UV zu etwa 80% aus. Es hat eine hexagonale Form mit einem aktuellen Umkreisradius von zirka 600 km. Das Objekt wird größer, da kleinere Hexagone mit etwa zwei Kilometer Radius mit einer Rate von zehn Stück pro Minute andocken. Bleibt das Wachstum konstant, liegt die Erde in knapp vier Monaten komplett im Schatten des Objekts. Was halten Sie davon?“
Harry Albers vom DLR meldete sich als erstes zu Wort. „Wir können wohl davon ausgehen, dass das Objekt von einer außerirdischen Intelligenz gefertigt wurde, beziehungsweise gerade wird. Dies ist ein aggressiver Akt, der die Vernichtung der Menschheit zum Ziel hat. Ich denke wir sind uns alle einig, dass dieses Objekt zerstört werden muss. Weitere Maßnahmen zur Erforschung der Hintergründe sind zwingend erforderlich, da wir nach der Zerstörung des Objekts mit weiteren Maßnahmen gegen die Erde rechnen müssen.“
Bei den letzten Worten fing Jean Capo an, seinen Kopf zu schütteln. Als Vertreter des UN Committee on the Peaceful Uses of Outer Space war er hier etwas zurückhaltender. „Ich denke wir sollten zuerst Ursprung und mögliche Hintergründe erforschen. Ich vermute ja auch, dass das Ding eine Gefahr darstellt, und wir es los werden müssen. Aber die Motivation der, ähm, - es ist doch außerirdisch, oder? Die Motivation dahinter müssen wir erkennen. Nur dann kann die Bedrohung durch die, äh, Außerirdischen wirksam bekämpft werden. John?“
„Ob es außerirdisch ist, Jean?“, fragte John Lindsey etwas verwundert. „Was soll es denn sonst sein? Alle Raumfahrtnationen der Erde zusammen können so etwas nicht herstellen, geschweige denn im Raum so reibungslos und schnell zusammenbauen.“
„Sie haben vergessen, das Magnetfeld zu erwähnen.“ Die Stimme gehörte zu Claudio Russo vom Istituto Nazionale di Astrofisica. „Das Dipolmoment nimmt linear mit dem Flächenwachstum zu. Wenn das Schild wirklich den Erddurchmesser erreicht, dürfte es ein etwa zwanzig Mal stärkeres Magnetfeld als die Erde haben.“
„Welche Schlüsse ziehen Sie daraus, Claudio?“
„Ich bin mir nicht ganz sicher, Harry. Ich denke aber, wir sollten in Erwägung ziehen, dass wir einen Schutzschild vor ungewöhnlichen Sonnenaktivitäten vor uns haben.“
Gert de Drols schlug mit der flachen Hand auf seinen Schreibtisch. „Aber das ist doch absurd! Warum sollten Aliens so etwas bauen, um UNS zu schützen? Was hätten die davon? Und außerdem, das Ding wird in absehbarer Zeit die Erde in einen ziemlich dunklen und kalten Ort verwandeln. Alles Leben wird in wenigen Jahren komplett von der Erde verschwunden sein, wenn wir nichts dagegen tun. Was sollte es da noch zu schützen geben?“
„Gert, sie übersehen die Möglichkeit, dass das Schild, wenn es denn eines ist, in mindestens der gleichen Zeit, in der es errichtet wurde, wieder demontiert werden kann. Masse, Geschwindigkeit und Bahn sind außerdem auch nicht so, dass es von alleine zwischen uns und der Sonne bleibt. Es muss zumindest einen leichten Antrieb zum Halten der Relativposition haben. Wird dieser abgestellt, ist es nach einiger Zeit von alleine wieder weg.“
John Lindsey übernahm wieder das Wort. „Claudio, Ihre Theorie erscheint mir persönlich etwas zu gewagt. Ich schlage vor, zunächst alle Anstrengungen auf die Neutralisation des Objekts zu konzentrieren. Die einzelnen Raumfahrtagenturen sollten Abwehrmaßnahmen erarbeiten, die wir dann gemeinsam bewerten und koordinieren. Bei der Dringlichkeit des Problems sollte es kein Problem sein, die entsprechende Ressourcen zu mobilisieren. - Ich brauche hoffentlich nicht zu erwähnen, dass alles, was mit dem Ding zu tun hat, der höchsten Geheimhaltungsstufe entspricht. Wir müssen unter allen Umständen Panik unter der Bevölkerung vermeiden.“
26.04.2019 - Marshall Space Flight Center, Huntsville (Alabama)
„AIDA?“
„DART wiegt gerade mal 300kg. Wenn wir den statt auf Diddymoon auf den Schirm schießen, hat das wenig bis gar keinen Effekt, selbst wenn wir eine Stelle treffen, durch die er nicht einfach durchschlägt. Und falls wir einen kleinen Impuls übertragen, dürfte das Positionierungssystem das wieder ausgleichen.“
„Die nuklearen Sprengköpfe, die wir zur Seite gelegt haben?“
„Da sieht’s ähnlich aus. Mehr als ein paar Nadelstiche sind das nicht, selbst wenn wir ausreichend Transportmittel für die Dinger hätten.“
John Lindsey erwartete jeden Augenblick einen Kurzschluss in seinem Hirn. „Scheiße, Frank! Was haben wir denn sonst zu bieten?“
Frank Huff war selbst nur äußerlich ruhig, innerlich aber der Verzweiflung nahe. „John, ich habe mir alles angesehen, was es im Moment an Konzepten für die Asteroidenabwehr gibt. Die Maßnahmen, die wir in absehbarer Zeit einsetzen könnten, sind hier nicht geeignet.“
„Nein, John. Das kann ich nicht akzeptieren. Dann riegeln wir eben das Gelände ab und lassen die ganze Mannschaft erst wieder raus, wenn wir ein tragfähiges Konzept haben. Ich will eine Lösung präsentieren, wenn wir uns in drei Tagen mit ESA und Roskosmos treffen.“
„Solar-pumped Laser!“
John und Frank wandte ihr Köpfe Thomas Newport zu und sahen ihn mit großen, fragenden Augen an.
„Der Schlüssel ist nicht die Zerstörung des Schirms, sondern das Ausschalten der Antriebe, die es in Position halten. Ich vermute die Technik hierzu im Zentrum der Einzelteile. Dort ist ein Bereich, der noch nicht mal einen Rest des Lichts durchlässt. Wir schicken einen solarbetriebenen Laser nach oben und schmelzen die Antriebe der Reihe nach weg. Dann wandert das Teil langsam aber sicher aus unserem Sichtfeld.“
Wäre die Lage nicht so ernst gewesen, hätte Thomas die erstaunten Blicke seiner Kollegen genossen. Doch für Eitelkeiten gab es gerade keinen Platz.
Frank Huff fand als erster wieder Worte. „Haben wir so ein Ding?“
„Das MIT forscht an so solchen Lasern und hat mittlerweile ein recht kompaktes Gerät mit ordentlich Leistung.“
„Und wie bekommen wir das ins All?“
Thomas Newport bewegte seinen Kopf ruckartig in Richtung des benachbarten Space and Rocket Centers. „Die olle Saturn V da drüben dürfte reichen!“
29.04.2019 - Roskosmos Hauptsitz, Swjosdny Gorodok
Sämtliche Teilnehmer der Sitzung hingen an John Lindseys Lippen. Kein Räuspern war zu hören, während er den geplanten Missionsverlauf erläuterte.
„Die Vorbereitungen dauern noch etwa sechs Wochen bis die Saturn starten kann. Der Laser wird in der Zwischenzeit mit Brems- und Steuerdüsen ausgestattet, sowie einem Schild, dass den Durchschlag durch das Objekt ermöglichen wird. Die Flugdauer wird sechzehn Tage betragen. Unmittelbar nach dem Durchdringen des Schirms beginnt das Bremsmanöver und die Aktivierung des Lasers um die Positionierungssysteme auszuschalten. Sämtliche Teams arbeiten in drei Schichten rund um die Uhr.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Wir sind natürlich für jede Unterstützung durch Fachleute Ihrer Behörden dankbar.“
Der Plan der NASA erwies sich im Laufe der Konferenz als der erfolgversprechendste Ansatz. Die Russische Föderation wollte trotz der geringen Aussichten einen Versuch mit Atomsprengköpfen starten. Hierbei sollte eine von Kourou aus startende Sojus-2b mehrere modifizierte SS-21 in einen Orbit tragen. Die Kurzstreckenraketen konnten von dort aus ihren etwa zwanzig Tage dauernden Weg zum Hexagon antreten. Der Start sollte in vierzehn Tagen erfolgen, die Vorbereitungen liefen bereits.
„Frank, was denken sich die Russen? Das ist doch Blödsinn! Die müssen doch selbst sehen, dass das vergeudete Mühe ist. Die sollen lieber uns unterstützen, das wäre doch deutlich sinnvoller!“
„Wo lebst du denn, John. Natürlich müssen die etwas tun. Schon alleine um Dimis Ego Willen. Seit er Präsident ist, wird die Beziehung zwischen uns und den Russen doch immer kälter. Er kann uns nicht alleine machen lassen.“
„Stimmt schon. Und die Europäer machen da mit, damit sie wenigstens irgend etwas tun können. Eigene Ideen habe ich jedenfalls keine gehört.“
„Das wird sich aber auf die Arbeit in Kourou beschränken. An der Sojus oder den SS-21 werden sicherlich keine Europäer rumschrauben. Lass uns mal sehen, ob wir qualifizierte Leute von der ESA abgreifen können. Wir brauchen wirklich jede helfende Hand, die wir bekommen können.“
„Frank, wenn wir das überleben, sorge ich dafür, dass du meinen Job bekommst. Ich werde zu alt für sowas!“
04.05.2019 - Ein Schlafzimmer in Athens, Alabama
„Verdammt, du sagst mir jetzt endlich, was los ist! John, seit Tagen bist du kaum noch zu Hause. Und wenn, sprichst du kaum ein Wort mit mir.“
John Lindsey war gerade todmüde nach Hause gekommen und wollte eigentlich nur noch schlafen. Er sah seiner Frau stumm in die Augen. Heute würde sie nicht locker lassen, das war ihm klar. Er kannte diesen Gesichtsausdruck und die wütend funkelnden Augen. Das letzte Mal dermaßen erregt was sie vor einigen Jahren, woraufhin er ihr seine damalige Affaire beichten musste.
„Hat dich dieses Flittchen wieder rumgekriegt? Und lüg mich nicht an!“
„Liz, es ist keine andere Frau. Wir haben ein, hm, wie soll ich es ausdrücken, ein Problem in der Agentur.“
„Ach! Und du darfst mir natürlich nichts davon erzählen? Geheim? Für wie blöd hältst du mich? - Also. Erzähl oder du brauchst gar nicht mehr nach Hause zu kommen.“
John setzte sich auf die Bettkante und blickte zur Tür. Ein Streit mit seiner Frau würde ihn endgültig aus der Bahn werfen. Das Sonnenschild alleine zehrte schon genug, wenigstens zu Hause musste er einen letzten Rest Sicherheit und Geborgenheit erfahren. Er dreht sich zu Elisabeth um. Ihre Blicke trafen sich. Angst überfiel sie. Es war etwas in seinen Augen, dass sie noch nie gesehen hatte.
„Liz, es ist wirklich geheim, und ich darf es dir an sich wirklich nicht sagen. In ein paar Tagen werden die Nachrichten aber sowieso voll davon sein. Es lässt sich nicht mehr viel länger verheimlichen.“
Besorgt rutschte Elisabeth näher an ihren Mann und nahm seine linke Hand.
John fuhr fort: „Es gibt Außerirdische. Und im Moment bauen sie gerade etwas, dass uns das Sonnenlicht nehmen wird. Wir haben das vor zwei Wochen entdeckt und arbeiten seitdem an einem Plan, das Ding unschädlich zu machen. Wenn uns das nicht gelingt, wird die Menschheit untergehen.“
Elisabeth richtete sich etwas auf und inspizierte das Gesicht ihres Mannes mit leicht zugekniffenen Augen. Nur ein Irrer würde eine solche Geschichte erfinden, um eine Liebschaft zu verheimlichen. Nein, das waren nicht die Augen eines Verrückten. Es waren die Augen eines Menschen am Rande der Verzweiflung. Sie liebte John, doch fast wäre es ihr lieber gewesen, er wäre tatsächlich verrückt geworden.
„Wie stehen unsere Chancen?“
„Keine Ahnung. Fifty-fifty wäre sicherlich übertrieben.“
„Wenn ihr“, Elisabeth schluckte einen dicken Klos hinunter. „Wenn ihr das Ding nicht von dort runterholt, was passiert dann?“
John Lindsey schloss die Augen und drehte seinen Kopf etwas zu Seite. Sollte er das wirklich seiner Frau erzählen? Ihr die Hoffnung nehmen? Es gab keinen anderen Weg, sie musste es erfahren.
„Wenn das Sonnenlicht wegbleibt, werden zuerst die Pflanzen sterben, dann folgen die Lebewesen, die sich ausschließlich vegetarisch ernähren. Schließlich wird auch für Fleischfresser nichts mehr übrig bleiben, von dem sie sich ernähren könnten. Alles Leben auf der Erde stirbt.“
„Auch die Menschheit?“
„Die Menschen werden sterben, ja.“
„Verhungern?“
John zögerte. „Ich befürchte, dass die Wenigsten verhungern werden. Und das werden die sein, die das Plündern und Morden überstehen.“
Liz legte einen Arm um ihren Mann und zog ihn zu sich aufs Bett. Sie umklammerte ihn und wollte ihm so nahe sein, wie sie nur konnte.
„John. Wenn es so weit kommt, wirst du bei mir sein?“
„Ja, Liz. Das verspreche ich dir.“
13.05.2019 - Weltraumzentrum Guayana, Kourou
Die Sojus hob ab und gewann langsam an Höhe. Dutzenden Augenpaare im Kontrollzentrum beobachteten die zugewiesenen Kontrollmonitore. Alle Messdaten waren im grünen Bereich.
„Nach zehn Sekunden bis Ende der ersten Stufe. - 5 - 4 - 3 - 2 - 1 - Abtrennung der ersten Stufe. - Jetzt! - Zündung Stufe Zwei.“
Luc Moullin beugte sich zu seinem Kollegen am benachbarten Kontrollpult. „Wenigsten fliegt uns der Scheiß nicht hier unten um die Ohren. Der Effekt auf das Ding wäre zwar der Gleiche, aber ich hätte gerne noch ein paar Tage länger...“
„Halt die Schnauze, Luc. In unserer momentanen Situation müssen wir uns an jeden Strohhalm klammern. Und selbst wenn das hier nichts bringt, dann haben wir es wenigstens versucht.“
„Uuhh. Sind wir gereizt?“
Der Lautsprecher unterbrach die Liebenswürdigkeiten für einen Augenblick. „Ende der zweiten Stufe. Zündung Oberstufe.“
Natürlich konnte Luc Moullin nicht an sich halten. „Du, Paul. Wollen wir auf den Ausgang der Mission wetten? Zehn Euro, dass das Ding nicht mehr als einen Kratzer abbekommt.“
Keine Reaktion. Paul hatte sich dazu entschlossen, seinen Nachbarn zu ignorieren.
Die Oberstufe neigte sich ebenfalls ihrem Ende zu. Als nächstes sollten sich die Mittelstreckenraketen lösen und den Orbit in Richtung des Hexagons verlassen. Plötzlich blinkten an mehreren Kontrollschirmen Warnmeldungen auf.
„Wir verlieren sie! Die SS-21 explodieren bei ihrer Raketenzündung!“
„Wie viele sind betroffen?“
„Noch zwei sind übrig! - Eine noch.“
Mit offenen Mündern und großen Augen verfolgten die Anwesenden die letzte verbliebene Atomrakete. Unbeirrt folgte sie ihrem Kurs. Sie hatte es also geschafft, doch sie alleine würde nicht viel erreichen können. Das war jedem in Kourou, in Huntsville und erst recht in Swjosdny Gorodok klar.
„OK, das war’s. Den Rest übernehmen die Russen.“
03.06.2019 - Zwei Millionen Kilometer vor der Erde entfernt
Eine einsame SS-21 explodierte unmittelbar vor einer Wand aus Metall und Solarzellen und riss ein etwa 100 Meter durchmessendes Loch ein klein wenig Abseits der Mitte des Körpers. Auf die riesige Fläche bezogen, zu der das Hexagon mittlerweile angewachsen war, war das noch unbedeutender als ein Nadelstich in der Haut eines Elefanten.
Der Impuls der Explosion wurde vom Positionierungssystem noch nicht mal festgestellt. Er war zu winzig, um auch nur aus der Messtoleranz herauszustechen.
Auf der Erde selbst nahm man kaum Notiz von dem Vorgang. Die Existenz des Hexagons und die Gegenmaßnahmen wurden so lange wie möglich geheim gehalten. Vom Fehlschlag der Sojus-Mission erfuhren außerhalb der Kontrollstationen nur wenige, eingeweihte Regierungsmitglieder und Angehörige der nationalen und internationalen Verteidigungsräte.
Und so wurde die Explosion nur mit wenig mehr Interesse als ein Routinemanöver verfolgt. John Lindsey und Frank Huff waren allerdings sehr gespannt, was die Rakete ausrichten würde. Vielleicht ließen sich wichtige Schlüsse für die eigene Mission ziehen.
„John, anscheinend hat die Explosion ein Loch in den Schirm gerissen.“
„Ja, sehe ich auch so. Aber nichts, was das Ding gefährden würden.“
„Schon, aber wo ein Loch ist, kann man durchschlüpfen!“
„Frank, du Teufelskerl! Unsere Chancen sind gerade beträchtlich gestiegen!“
05.07.2019 - Lyndon B. Johnson Space Center, Houston (Texas)
„Durchstoß! Funkbestätigung in 6 Sekunden erwartet.“
John Lindsey konnte sich diesen Moment natürlich nicht entgehen lassen und stand neben dem Flugdirektor der Mission, Gene Zenaki.
Die Luft knisterte vor Spannung. Alle Augen erwarteten sehnlichst die Bestätigung auf dem Hauptbildschirm. Die Sekunden vergingen. Sechs Sekunden. Zehn Sekunden. Fünfzehn Sekunden.
„Gene, sind wir durch oder aufgeprallt?“
„Der Bahn nach müssten wir ziemlich genau durch das Loch durch sein, John. Einen Aufprall hätten wir registriert.“
„Dann muss es das Magnetfeld sein. Es stört den Funk. Scheiße! Dann sind uns sämtliche Kommunikationswege versperrt. Wir haben keine Sensorik und können auch nichts an der Intensität des Laser-Beschusses korrigieren. Jetzt sind wir auf Gedeih und Verderb der Automatik ausgeliefert!“
„Wann haben wir Gewissheit, ob der Laser Erfolg hat?“
„Wir sind uns nicht ganz sicher, Gene. Wenn wir die Antriebe wirklich ausschalten, dann hängt es davon ab, wie viel Reserve die Aliens eingebaut haben. Aber so in schätzungsweise drei Tagen sollten wir eine Abdrift feststellen können.“
„Also weitere drei Nächte mit beschissenem Schlaf.“
08.07.2019 - Weißes Haus, Washington D.C.
„Ja, Dimitri. Unsere Messungen zeigen, dass sich das Ding langsam von der Sonne weg bewegt. Unsere Experten schätzen, dass bis in drei Wochen wieder die Hälfte des Sonnenlichts bei uns ankommt. Weitere zwei Wochen und wir sind das Ding los.“
Vom anderen Ende der Telefonverbindung machte sich eine Stimme mit russischem Akzent auf den Weg um den halben Globus. „Jeff, das bestätigen die Berechnungen unsere Astrophysiker. Was für ein Glück, dass unsere Sojus-Mission erfolgreich ein Loch in das Ding gesprengt hat. Sonst müssten wir wohl bald alle jämmerlich erfrieren und verhungern.“
„Sicher, Dimitri.“ Jeff Jensen, der Präsident der USA, schluckte einen Vergleich mit Sibirien herunter. Im Augenblick gab es Wichtigeres, als die Russen zu verärgern.
„Gut. Wir halten uns also auf dem Laufenden.“
Der Präsident drückte unwirsch auf die rote Taste am Telefon. „Klar doch, arroganter Arsch!“
28.08.2019 - Observatorium Kanzelhöhe
Ernst Neumann war gerade an der Kaffeemaschine und drückte die Taste für einen großen Kaffee. Seit das Objekt vor zehn Tagen die Sicht auf die Sonne komplett frei gegeben hatte, war wieder so etwas wie Normalität im Observatorium eingekehrt. Es galt sich wieder auf die normalen Phänomene der Sonnenaktivität zu konzentrieren.
Die erregte Stimme Jens Grubers rief ihn zu sich. „Ernst! Jetzt sitzen wir echt in der Scheiße!“
Jens’ ungewohnte Aufgeregtheit alarmierte Ernst sofort, und er beeilte sich, zum Kontrollpult seines Kollegen zu kommen. Beide starrten einige Sekunden stumm auf die Anzeige.
„Defekt?“ Hier sprach ein Rest Hoffnung aus Ernst.
„Das Backup-System meldet das Gleiche. Ernst, wir sind voll im Arsch.“
Ernst versuchte sich an die Werte der letzten größeren Sonneneruption zu erinnern. Aber das, was er auf den Anzeigen las, überstieg sie locker um zwei Zehnerpotenzen. Und den Daten nach würde die Eruption die Erde voll erwischen.
„Wir schicken die Messdaten nach Noordwijk und Darmstadt, dann machen wir Feierabend.“
Zehn Minuten später standen Jens und Ernst vor dem Observatorium und blickten hinauf zu Sonne. Jens fischte eine Lucky aus der Packung und steckte sie sich an. „Willst du auch eine?“
„Du weißt doch, ich rauche nicht.“
„Ist jetzt auch egal. Der Tabak wird weder dich noch mich umbringen.“
„Nö. Hab’s mal probiert und fand’s scheiße.“
„Meinst du, das Sechseck hätte sie aufgehalten?“
„Die Eruption? Könnte ich mir gut vorstellen. Es hatte ein ziemlich starkes Magnetfeld, das hätte schon als Schild reichen können.“
„Das Plasma braucht etwa zwei Tage, bis es hier ist. Das Mindeste ist dann, dass sämtliche Elektronik ausfällt, und sich das Magnetfeld umpolt.“
„Das wird die Menschheit in ein Chaos stürzen, von dem sie sich nicht mehr erholen wird.“
„Zumindest nicht die nächsten tausend Jahre, oder so. Aber wenn wir Glück haben, pustet es unsere Atmosphäre weg, dann hätten wir es relativ schnell hinter uns. Aber so oder so sieht’s richtig übel aus.“
„Ja, hört sich beides extrem verlockend an. Bin mir nicht sicher, ob ich das live erleben will. Was wirst du bis dahin machen?“
Jens zuckte mit den Achseln. Kurz darauf antwortete er doch. „Wird sicherlich vor dem Schauspiel auch schon nicht sehr angenehm in der Stadt. Könnte mit vorstellen, dass ein Mob eine ziemliche Sauerei veranstaltet, wenn die Leute das erfahren. Mal sehen, vielleicht fahren meine Frau und ich irgendwo hin, wo wir alleine und ungestört sind.“
„Hört sich nach einem Plan an.“
„Und du?“
„Keine Ahnung. Ich muss jedenfalls auf niemanden Rücksicht nehmen, der mir nahe stünde. Die sind schon alle tot.“
Jens schnippte seine Zigarette weg und drehte sich zu Ernst. Beide sahen sich einige Sekunden in die Augen und reichten sich dann die Hand.
„Ernst, mach es gut!“
„Adieu, Jens!“