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Loyalität unter Kollegen
„Niemand wird je erfahren, wer das getan hat“, dachte die düstere Gestalt, als sie den prallgefüllten blauen Sack in den Fluss schob.
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„Sandra, wir haben schon wieder eine Leiche am Fluss!“, schrie Nils durch das Kommissariat seiner neuen Kollegin zu.
„Ich komme!“, antwortete sie, während sie bereits ihre Jacke anzog.
„Heute bin ich dran mit Fahren, gib mir den Schlüssel“, sagte Sandra grinsend zu Nils. Doch ohne eine Miene zu verziehen, stieg er auf der Fahrerseite ein und startete den Motor.
Als sie am Fluss ankamen, war der Gerichtsmediziner Tim Bähr bereits da.
„Schön, dass ihr den Weg auch gefunden habt“, begrüßte Tim die Beiden.
„Gib nicht so an, nur weil du einmal vor uns da warst!“ Sandra grinste. „Was haben wir?“
„Die gleiche tödliche Kopfwunde wie die Anderen. Erschlagen mit einer Axt.“ Tim zog seine Handschuhe aus.
„Das ist nun schon die dritte Leiche, die wir so in einem Fluss gefunden haben. Und das innerhalb der letzten zwei Wochen. Ich hoffe, wir finden das Schwein endlich!“, sagte Nils, der zu Sandra und Tim kam.
„Leute, ich muss mich verabschieden. Den Bericht bekommt ihr morgen.“ Tim nahm seine Tasche.
„Ja, bis dann. Danke!“, sagte Sandra und wendete sich dann Nils zu. „Was sagt die Spurensicherung? Haben sie dieses Mal etwas gefunden?“
„Nein. Scheinbar haben wir es mit einem Profi zu tun. Der Kerl weiß genau, was er tut. Außerdem hat der Regen der vergangenen Nacht sein Übriges getan.“ Nils klang niedergeschlagen.
„Der Kerl? Du meinst, dass es ein Mann war?“, fragte Sandra verwundert.
„Ja. Es muss ein Mann gewesen sein. Mit nur einem einzigen Schlag wurden die Männer getötet und dann in den Fluss geworfen. Das kann keine Frau gewesen sein.“
„Stimmt, Nils. Das klingt einleuchtend. Gibt es Zeugen?“
„Nein. Wieder hat keiner etwas gesehen.“
„Naja, wer geht denn auch am Fluss spazieren, wenn es regnet?“, fragte Sandra.
„Lass uns fahren, hier können wir nichts mehr tun. Außerdem ist es viel zu kalt.“ Nils lief zum Wagen.
Zurück im Büro angekommen schenkte sich Nils eine Tasse Kaffee ein und lief zu der Wand, an der alle Infos zu den bisherigen Leichen hingen.
„Wir haben irgendetwas übersehen“, sagte Nils und nahm einen großen Schluck Kaffee. Dabei verschluckte er sich so heftig, dass er den Kaffee verschüttete. Er holte ein Tuch und begann die Lache aufzuwischen. Hierbei sah er ein Stück Papier, was unter dem Mülleimer für sensible Daten lag. Es war vom Kaffee total durchdrängt.
"Das gibt es doch nicht! Nun werde ich endgültig dafür sorgen, dass die Putzfrau ihren Job verliert. Bereits zum dritten Mal hat sie den Müll mit hochsensiblen Daten nicht ordentlich geschreddert!" Nils war sehr wütend, als er diese Worte mit lauter Stimme aussprach.
Aus beruflicher Neugier ließ er seinen Blick über das Papier schweifen, bevor er es erneut in den Mülleimer werfen wollte. Doch plötzlich hielt er inne und konnte seinen Augen nicht trauen. Es war ein Teil eines Blattes aus der Kriminalakte des zweiten Opfers. Darauf stand, dass er einige Jahre im Gefängnis saß, weil er eine junge Frau vergewaltigt hatte.
„Sandra, du sagtest doch, dass du diesen Mann überprüft hast und du nichts gefunden …“, erst jetzt sah Nils, dass Sandra nicht an ihrem Platz saß. Nils ging zu seinem Computer und überprüfte selbst alle Opfer. Er fand heraus, dass alle drei wegen Vergewaltigungen im Gefängnis saßen.
Sandra kam ins Büro und hielt eine Akte in der Hand. „Sieh mal. Das dritte Opfer hat eine Akte bei uns.“ Sandra öffnete die Akte. „Er saß mehrmals wegen Diebstahls im Gefängnis.“ Sie legte die Akte auf Nils‘ Schreibtisch.
„Das ist interessant. Viel interessanter finde ich allerdings, dass alle drei Opfer wegen Vergewaltigung einsaßen.“ Nils musterte Sandra. „Warum hast du mir das nicht gesagt? Es war deine Aufgabe das zu recherchieren. Das könnte die Verbindung sein, die uns zum Mörder führt!“ Er war sichtlich genervt, aber er versuchte ruhig zu bleiben.
„Was? Aber … Ich …“, begann Sandra zu stottern.
„Setz dich hin, Sandra! Ich will wissen, warum du das getan hast!“ Nils zeigte Sandra einen Stuhl. Er setzte sich ihr gegenüber hin und sagte: „Bitte erklär mir, warum du die Ermittlungen behindert hast. Wir hätten den Täter vermutlich bereits gefunden.“ Er machte eine kleine Pause. „Wen deckst du? Und vor allem warum tust …“
„Nils, halt deinen Mund! Die haben das verdient! Tot können sie keiner Frau mehr etwas antun! Ich habe nur die Frauen vor diesen Monstern beschützt.“ Sandra hatte einen starren Blick, als sie diese Worte schrie.
„Moment. Willst du sagen, dass du das warst?“ Nils war geschockt. „Warum?“
„Das verstehst du nicht.“
„Wieso, Sandra?“, fragte er mit Nachdruck.
„Ich wurde vergewaltigt! Das Schwein wurde nie gefasst! Ich musste etwas tun. Ich wollte nicht, dass andere Frauen auch durch diese Hölle gehen müssen.“ Sandra schaute zu Nils, ihre Augen funkelten vor Wut. „Ich habe nichts Schlimmes getan!“ Sie war völlig außer sich.
Nils schaute Sandra traurig hinterher, als sie von Kollegen abgeführt wurde. Er mochte sie, aber erst jetzt verstand er, warum sie sich ihm gegenüber immer so zurückhaltend verhalten hat.
Schon als Sandra ihren ersten Tag als seine Partnerin hatte, war ihm klar, dass sie etwas ganz Besonderes sein muss. Er spürte, dass sie auch so dachte, doch sie wollte es nicht zulassen. Nun wusste er, warum. Nils hatte immer die Hoffnung gehabt, dass sie eines Tages mehr als nur Kollegen sein könnten. Jetzt hatte er sie jedoch ganz verloren. Das würde er nicht akzeptieren; er wollte nun Rache für seinen Verlust...
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„Sandra hatte Recht: diese Monster haben es nicht anders verdient. Tod können sie keiner Frau mehr etwas antun“, dachte Nils jeden Monat, als er einen neuen Plastiksack in den Fluss warf.