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love, life, freedom - eine Liebe in New York
New York
Es ist Sommer. Ich stehe an einer U-Bahn Haltestelle in der 8ten, New York und warte auf die nächste Subway nach Bronx. Ich bin mit Eric verabredet, wir wollen einkaufen gehen, weil wir heute Abend mit Freunden kochen. Ich steige in die überfüllte Bahn, ergattere sogar einen angenehmen Stehplatz und denke über das Gespräch nach, dass ich gerade mit einem Redakteur der Tageszeitung der New York News hatte. Ich habe mich dort mit einem Artikel für den Kulturteil vorgestellt. Mein Wissen in diesem Bereich ist sehr punktuell obwohl ich schon seit 6 Monaten in dieser hy-peraktiven Stadt lebe. Noch immer wache ich morgens auf, und kann einfach nicht glauben, dass ich in New York lebe und die ISJ, die International School of Journalism besuche.
Diese Tatsache habe ich vor allem meiner Spontanität zu verdanken. Ich war gerade 17 geworden, als ich meinen Onkel in Kanada besuchte. Zusammen mit seiner Frau und den Zwillingen lebt er in einem Vorort Quebec Cities. Das ist jetzt ein Jahr her. Oft schlenderte ich auf den breiten Gehwegen an den Häusern und Geschäften entlang und erhaschte hier und da einen Blick auf den Fluss. Eines Tages wurde ich buchstäblich über den Haufen gerannt. Eine Gruppe von Typen, ungefähr in meinem Alter sprintete, als ginge es um ihr Leben. Es stellte sich heraus, dass an diesem Tag ein Schwimmwettkampf stattfand. Die potenziellen Teilnehmer hatten aber nur 15 Minuten um zum Freibad am anderen Ende der Kleinstadt zu kommen und ich stand ihnen blöderweise im Weg. Hat ihnen aber nicht sonderlich viel ausge-macht, sie erkannten mich einfach nicht als Hindernis an und versuchten nur, sich mit einem seitlichen Dreher an mir vorbeizuschieben. Hat nicht geklappt und ich knut-schte den Asphalt. Na ja, fast, denn ein gutaussehender Typ namens Jake fing mich auf, entschuldigte sich für seine Freunde und fragte, ob er mir als Entschuldigung ei-nen Smoothie ausgeben dürfe, er nehme ohnehin nicht am Wettbewerb teil. Klar, der schleppt immer so ne sporttaschenförmige Regentonne mit sich rum. Trotzdem stim-mte ich zu, froh endlich mal jemanden in meinem Alter kennenzulernen und neugierig auf diesen kanadischen Gentleman.
Wir verstanden uns auf Anhieb und stellten viele Gemeinsamkeiten fest. Doch nachdem ich ihm erklärte, dass ich nur für einige Wochen hier war, waren seine Flirt-versuche nicht mehr ganz so überzeugend. Wir uns von da an öfter, eigentlich täglich. Vor allem hatten wir beide eine Faszination fürs Schreiben und wollten gerne in der journalistischen Branche arbeiten. Doch während für mich Freiheit das allerwich-tigste Gut in meinem Leben ist, hatte er sich Gerechtigkeit und Verantwortung auf die Fahnen geschrieben. Dann erzählte er mir von einer international anerkannten Schule in New York, die Journalisten und Fotografen ausbildet. Jetzt hatte er mich, ich wollte mich unbedingt bewerben. Die Sache hatte nur einen Haken, man musste persönlich nach New York, innerhalb von 10 Minuten wird dann entschieden, ob du in ein anderes Zimmer oder nach Hause darfst. Die Anmeldung lief einige Wochen lang, Jake schlug vor, nach New York zu fahren, meine erste Reaktion: „Hast du sie noch alle?!“.Doch mehr und mehr freundete ich mich mit der Idee an.
Was jetzt folgte war wie in einer Soap, wir verabredeten uns für den Abend. Ich ging schon um 9Uhr auf mein Gästezimmer wo eine kleine, gemopste Reiseta-sche, mit meinen Ausweisen auf mich wartete. Eigentlich hat das Haus eine Alarmanlage, aber bei meinem Fenster im 2 Stock reagierte sie nie, keine Ahnung wieso. Vier Meter vor dem Fenster stand ein Baum. Grins. Ich bin in der Eifel aufgewachsen und hab schon in Bäumen übernachtet, da runterzukommen ohne Lärm zu veranstal-ten war für mich kein Problem. Jakes Eltern waren übers Wochenende zu Freunden gefahren, sodass in der Garage ein Auto auf uns wartete. Beim Fahren wechselten wir uns ab, einen Führerschein hatten wir offiziell beide nicht, aber was sagt so ein Streifen Papier schon über unsere Fahrkünste aus? Jake hatte vor einem Jahr im Streit den Führerschein seines Bruders geklaut und sich nie getraut ihn zurückzu-geben. Er war also auf einmal 22 und wir auf dem Weg nach New York.
An der Grenze kamen mir erste Bedenken: Was tat ich hier? Ich war in einem fremden Land, 8 Flugstunden von zu Hause entfernt und saß mitten in der Nacht ne-ben einem 17-jährigen den ich kaum kannte und mit dem ich auf dem Weg nach New York zu einer Journalistenschule an der ich ohnehin keine Chance hatte. War ich ei-gentlich komplett bescheuert? Wir fuhren beide die ganze Nacht abwechselnd und den nächsten Morgen, dann waren wir vollkommen fertig und fuhren mit der Straßenbahn in die Stadt rein. Ich mach`s kurz: Ich hätte nie gedacht, dass mein Onkel so laut brüllen kann. Ich hatte einen Zettel hingelegt und auf dem Rückweg angerufen, ich glaube Jake war danach auch leicht taub.
Fast ein Jahr später steige ich jetzt an einer Station an der Bronx aus der Subway, ja ich bin genommen worden. Die Schule stellte sich als ein Uralt – Bau heraus, ungefähr 40er Jahre. Es scheint, als sei die Zeit stehen geblieben inmitten museumsreifer Heizkörper und antiker Tische. Doch der Eindruck täuscht, haben einige Räume sogar einen Beamer und wir Schüler Internetzugang und einen neuen Computerraum. Die Mensa teilen wir uns mit den Schülern der School of Arts (SA), die direkt nebenan liegt. Diese Zusammenarbeit hat eigentlich für beide Seiten Vorteile, kommt es doch nicht gerade selten vor, dass wir in der Mittagspause eine bühnenreife Vorstellung bekommen. Das kann von Schauspielmonologen bis hin zu Stepptanzvor-führungen mit Operngesangseinlagen gehen – komische Mischung ich weiß, aber das interessiert die meist weniger. Ein paar nette Freaks, aber das denken die bestimmt auch über uns. Trotzdem kommen wir irgendwie miteinander aus, wir haben ja auch nicht wirkich eine Wahl, schließlich gibt unsere Schule wöchentlich eine Zeitung heraus, mit den Künstlern im Feuilleton, die innerhalb von New York erscheint.
Beide, Künstler und Journalisten oder Fotografen werden durch diese Zeitung entdeckt. Die Verantwortung liegt bei uns Schülern, es gibt eine feste Redaktion mit einem Chefredakteur und freie Redakteure, das ganze läuft in der Mittagspause und nach der Schule. Es ist wie überall, du musst dich hocharbeiten und immer wieder gute Leistung erbringen, um genau da zu bleiben.
Ich steige aus der Bahn und nehme die Abkürzung durch den Park. Meine Sinne sind in Alarmbereitschaft, hat man doch hier schon mehrmals versucht mir meine Tasche wegzunehmen- vergeblich. Ich bin in der Eifel inmitten von Jungs auf-gewachsen und hab mich zwischen 12 und 15 oft genug geprügelt. Das musste auch schon ein Typ aus diesem Viertel merken.
Ich stehe vor einem riesigen Betonklotz mit winzigen Schießschartenfenstern aus denen bunte Wäscheleinen mit den Klamotten der Bewohner hängen. Ich fange die Tür auf, die ins Schloss zu fallen droht. Ich versuche nicht, an die vielen Treppen zu denken, die ich ohne Aufzug zurücklegen muss. Warum musste ich mir auch einen Freund suchen, der im zehnten Stock wohnt?
Meine Gedanken driften ab und ich denke an unsere erste Begegnung zurück. Ich war damals in der zweiten Woche hier in New York. Mein Vater, der mir nach meinem heimlichen Abgang hinterhergereist war, hatte am Morgen den Flieger nach Hause genommen, jetzt war ich endgültig allein. Ich war auf dem Weg nach Hause, bin in die falsche Bahn gestiegen, habe mich total verlaufen und bin in einem riesigen Park in der Bronx gelandet. Auf der anderen Seite leuchtet mir ein bespraytes Schild entgegen, das eine Subway- Haltestelle anzeigt. Dazwischen liegen u.a. ein Basketballkäfig: Ein geteertes Viereck mit Drahtzaun umrandet, in dem eine Gruppe riesiger Typen Basketball spielen. In diesem Moment schießt mir der Gedanke durch den Kopf, dass ich da einmal dabei sein will, endlich wieder mit lauter Typen Ball spielen, auch wenn es nicht Fußball ist, wie zu Hause. Doch jetzt muss ich zurück in meine Zwergenwohnung. Außerdem war ich nicht gerade für Sport angezogen.
Gerade als ich beschließe, den Ball rund sein zu lassen und in die nächste Sub Richtung Hauptbahnhof zu steigen ,merke ich, wie ich von hinten angerempelt werde. „´tschuldigung“, nuschelt ein ungefähr 15-jähriger und will weiterlaufen. Nicht mit mir! denke ich und packe entschlossen sein Handgelenk. Der Typ dreht sich blitz-schnell um und fuchtelt mit einem Messer vor meinem Gesicht herum. Von da setzt mein Verstand aus und ich reagiere nur noch: Ich lasse ihn los und mache einen zu-rück, um besser ausholen zu können, mit voller Wucht trete ich ihm gegen das Hand-gelenk und er lässt mit einem Schmerzensschrei das Messer fallen. Er geht zum Angriff über, doch ich bin schneller. Mein Griff um seine Nase ist hart und mit einer schnellen Bewegung drehe ich, so fest ich kann, wie der Knopf an einer Mikrowelle, nur mit mehr Widerstand. Sofort antwortet seine Nase mit einem starken Bluten, ich setze nach, packe seinen Kopf und ziehe seinen gesamten Oberkörper nach unten, während mein Knie nach oben schnellt, dass ich ihm mit voller Wucht in den Brustkorb ramme.
Das sollte reichen, ich packe meinen Geldbeutel, drehe mich um und will flüchten. Doch ich werde von einem verdammt harten Sixpack abgebremst. Vor mir haben sich die Käfigjungs aufgebaut. Verdammt, denke ich, die sind bestimmt mit diesem Kartoffelschädel befreundet, außerdem bin ich wie eine Tussi gekleidet, schließlich konnte ich nicht wissen, dass ich mich in der Bronx mit einem Taschendieb prügeln muss.
Ich sehe mich um, so ein Mist, alle Fluchtwege sind versperrt. Während ich noch darüber nachdenke, ob ich mich mit dem Schmächtigsten von ihnen anlegen soll, denn der ist nur einen halben Kopf größer als ich, spricht mich die gutausseh-ende, lebende Mauer an: „Bist du okay?“ , „Äh, alles super, danke, ich muss jetzt aber auch weg, tschüss!“ Mit diesen Worten quetsche ich mich an ihm vorbei und laufe so schnell ich kann zur Bahnstation. Als ich mich an der Treppe noch einmal umdrehe, sehe ich, wie sie mir hinterherstarren, hindert den Rempler an der Verfolgung zu hindern. Mir egal, denke ich und springe in die nächste Bahn nach irgendwo, Hauptsache weg.
Ich finde, nachdem ich mich durch das halbe Abteil gequetscht habe endlich eine Anzeigentafel: Endhaltestelle, Bronx Whitestone Bridge. Hä? Was das denn schon wieder? Verwirrt sehe ich mich um, aber irgendwo ist eine Karte zu entdecken, also beginne ich, in meiner Umhängetasche zu wühlen. Ich ziehe meinen 3$ Sonder-preisstadtplan heraus. Na toll. Das ist eine Auto Brücke. Aber auf der anderen Seite ist Queens, also ´mein borough`. Gut dann lauf ich da eben drüber. Als ich aus den Tiefen der New Yorker Unterwelt hervortrete, merke ich, dass das gar nicht so einfach ist, denn erst mal muss man zu dieser blöden Brücke hinkommen… Welcher Depp kam bitte auf die Idee, da eine riesige Kreuzung hinzubauen?! Na gut, Augen auf und rennen. Drüben angekommen merke ich, dass ich alternativ zu dieser lebensmüden Aktion auch die Unterführung hätte benutzen können. Toll. 2 Stunden nach meiner filmreifen Flucht vor dem Kartoffelkopf komme ich ziemlich durchgefroren in meinen renovierten 12m² an.
Hier erwartete mich dann der nächste Schock: lauter unausgepackte Umzugkartons und meine Ikea Einkäufe, Schränke und ähnliches hatten wir schon aufgebaut. Ja, auch hier ist man dem schwedischen Möbelhaus verfallen. Mein Vater, der mir nach meiner heimlichen Abreise hinterhergeflogen war hatte einen Mietwagen organisiert mit dem wir mir ein Bett und viiiele Regale besorgt haben und natürlich ein paar Küchenteile: Kühlschrank, Mikrowelle, Geschirr und alles was man zur ungesunden Ernährungsförderung so braucht. Drei Herdplatten waren im Mobiliar enthalten, theoretisch war der Rest auch noch existent, doch unserer gemeinsamen Meinung nach nicht mehr zu gebrauchen. Das Zimmer, dass sie mir zugeteilt haben hatte die letzten 2 Jahre sturmfrei, eine nasse Decke und der damit einhergehende Schimmel hatte jegliche Wohnnutzung undenkbar gemacht, jedenfalls hat mir das Aleysha von gegenüber aus dem zweiten Jahr erzählt.
Das Dach wurde neu gemacht und ein Eigentumsprojekt eingeführt, dass den Schülern ermöglichte, die Sachen ohne lästigen Papierkram zu erneuern. Jetzt gibt es die Möglichkeit, einige wenige Wohnungen zu kaufen, aber nur Schüler der ISJ oder der School of Arts sind zum Eigentümer berechtigt, bei Abbruch oder Abschluss muss verkauft werden. Der Kaufpreis bleibt immer ähnlich uns wird vom Wohnheim festgelegt, um zu gewährleisten, dass die Preise nicht zu hoch werden. Klar, 3000$ ist immer noch ne Menge Geld, aber wer kein Stipendium , wie ich, bekommen hat muss monatlich Miete zahlen. Trotzdem sind die allermeisten dankbar für die Möglichkeit, billig unterzukommen, denn wir leben hier in New York und die Mietpreise sind selbst für die schäbigsten Räume ein Horror, egal, wie das Bad aussieht.
Bei mir: Eine Abfließvorrichtung im Boden der ein wenig nach innen abfällt. Als ich hier hereingekommen bin, war das Ding, dass sich Bad schimpft nur halb mit undefinierbaren rosa Dingern gefliest, das Klo ekelhaft und ich total überfordert und in der Realität angekommen. Ich hatte die Reise nach New York heimlich organisiert, weil meine Eltern dagegen waren. Mir war das zu riskant, ich hatte das Stipendium für jetzt und konnte ohnehin kaum glauben, dass ich einen Platz und die Möglichkeit mein Abitur fertig zu machen haben sollte. Zwei Ausbildungen gleichzeitig ist an dieser Schule nicht außergewöhnlich, ist Journalismus doch mit die populärste Branche.
Mein Vater ist mir dann hinterher geflogen, offiziell um mich zurückzuholen, inoffiziell um mir wenigstens bei der Renovierung zu helfen. Er kennt mich gut genug, um zu wissen, dass ich meinen eigenen Kopf habe. Er ist Handwerker und hat mir sehr geholfen, doch natürlich konnte er mir nicht ewig helfen, er hatte zwei Wochen Urlaub raushauen können, ich hatte also 14 Tage, um erwachsen zu werden. Theoretisch kam ich ganz gut klar. In meinem Zimmer mit Bad waren schon nach 5 Tagen Boden und Wände so weit ok, das ich einziehen und aus meinem unschönen Hostel rauskonnte. Die ersten Nächte waren die Schlimmsten meines Lebens, obwohl ich wusste dass mein Vater nicht weit entfernt war, fühlte ich mich unglaublich allein. Klar, ich vermisste meine Freunde, aber das größte Problem war, dass ich für mich selbst verantwortlich war, allein. Wenn ich Probleme hatte, würde es niemanden geben, den ich fragen konnte, ich musste es allein schaffen. Ich war sozusagen ohne Schwimmflügel in die Mosel gesprungen, um schwimmen zu lernen.
In dieser ersten Nacht klopfte Jake an meine Tür, er wohnt direkt nebenan, sonst ist unser Stockwerk noch ziemlich leer, vor allem Ältere hier wohnen vor allem Ältere. Außer uns gab es also nur noch Aleysha, die Tänzerin aus Illionis und Juan aus Texas. Jake und ich hielten uns einfach nur fest, bis er meine Gänsehaut bemerkte, weil es saukalt war. Also wechselten wir vom Gang auf die Matratze, wo wir wie kleine Kinder nebeneinander lagen, Jake wusste genau, dass er bei mir keine Chance hatte. Diese Geborgenheit erinnerte mich so sehr an meine Kindheit, als ich mit meiner kleinen Schwester gemeinsam im Bett lag, dass ich unkontrolliert zu schluchzen anfing. Jake sah ziemlich hilflos aus und wir sind irgendwann eingeschlafen. Am nächsten Morgen waren wir beide ein wenig verlegen, aber im Nachhinein war das der Anfang von dem Vertrauen das die Basis für unsere Freundschaft stellt. Als ich mich dann am Flughafen von meinem Vater verabschiedete, wusste ich dass ich allein war, aber dass es wenigstens jemanden gab, der mich bei Bedarf mal in den Arm nehmen würde, Jake ist für mich der große Bruder, den ich nie hatte.
Ich bin oben, im zehnten Stock angekommen und stehe in Gedanken versunken vor Erics Tür, als diese plötzlich aufgeht und eine seiner kleineren Schwestern mich anlächelt , bevor sie sich umdreht, laut „Eric! Es ist deine tesoro!“ , in die Wohnung brüllt und mit einem Springseil bewaffnet das Treppenhaus herunterstürmt. Schmunzelnd trete ich in die enge, dunkle Wohnung und mache die Tür hinter mir zu. Jakes kleine Geschwister nennen mich immer tesoro, seit seine Mutter mich einmal so benannt hat, es bedeutet so viel wie „Schatz“. Ich mache die Tür zu dem kleinen Zimmer auf, dass Eric sich mit seinen beiden jüngeren Brüdern teilt.
Ich werde der mit Beschwerde dass ich viel zu früh sei und einem langen Kuss begrüßt. Mhhm, Melonenzahnpasta… „Bin ich gar nicht!“ , wehre ich mich „drei Uhr war ausgemacht, oder freust du dich etwa nicht, mich zu sehen?“. Die Frage war natürlich ironisch gemeint, doch Eric nimmt meine scheinbare Enttäuschung zum Anlass, mich mit Liebesgeständnissen zu überhäufen. Immer wenn er das macht kriege ich ein schlechtes Gewissen, wir sind seit drei Monaten ein paar, aber obwohl wir in derselben Stadt leben, habe ich manchmal das Gefühl eine Fernbeziehung zu führen, und das Schlimmste ist, dass es meine Schuld ist. Ich kann ihm nicht die Zeit und Aufmerksamkeit geben, die er verdient hat, ich hab´s versucht und bin gescheitert.
Wir verbrachten so viel Zeit miteinander wie wir nur konnten, Eric zog schon fast bei mir ein, oder fuhr erst spät abends wieder heim. Was mein Zeitmanagement anging, wurde es also schwierig, ich besuche neben der ISJ ja noch eine deutsche Schule und muss meine heimischen Klausuren schreiben, außerdem gebe ich Schülern der deutschen Schule Nachhilfe, das ist der Deal, sonst könnten meine Eltern sich die Schule niemals leisten, aber ich krieg da ja nur Hauptfach- Unterricht. Ich reizte wegen Eric meine Leistungsfähigkeit komplett aus:Wir trafen uns nach der Schule und unternahmen was zusam-men, ich putzte nachts, wenn ich nicht mehr konzentrieren konnte und meine Ernäh-rung beschränkte sich auf Butterbrote, wenn ich nicht mit ihm was aß ( in der Mittags-pause war ich meistens unterwegs) . Meine Hausaufgaben machte ich nachts, wenn Eric bei mir übernachtete auf dem Klo, um ihn nicht zu stören, meinen Schlaf reduzierte ich auf vier Stunden, am Wochenende ein bisschen mehr.
Das hielt ich zweieinhalb Wochen durch, bis ich umkippte – dankenswerterweise in der Schule und nicht in einer Sub- Haltestelle oder so. Während ich im Krankenhaus erst einmal 36 Stunden durchschlief, sie behaupten, sie hätten mir keine Schlafmittel gegeben, aber das glaube ich nicht- kümmerte Jake sich echt lieb um mich. Er hat einen Schlüssel und hat mir ein paar Sachen gebracht, dann schrie er allerdings Eric zusammen, den er dafür verantwortlich machte. Okay, Jake hatte mich gewarnt, dass ich das nicht lange durchhalte – mein großer Bruder eben. Außerdem weigerte er sich, Eric zu verraten, wo ich war, woraufhin dieser anfing systematisch alle Krankenhäuser in Queens abzuklappern, davon gibt mindestens sieben . Ich hätte Jake ja gestoppt, aber ich hab geschlafen.
Ich wachte genau dann auf, als die beiden auf dem Gang einen riesigen Brüll- Wettbewerb veranstalteten – wie die kleinen Kinder. Scheinbar brachte ein Pfleger die beiden auseinander und bestrafte sie mit Besuchsverbot. Zuerst einmal musste ich meine Eltern beruhigen, die kurz davor waren, einen Flug nach New York zu nehmen, weil mein Direktor sie angerufen hatte. Ich brauchte zwei Stunden, um sie davon zu überzeugen, dass ich meine Lektion gelernt hatte und sie mich hier lassen sollten, weil ich ab jetzt besser auf mich aufpassen würde. Das waren keine leeren Versprechungen, denn mein Körper hatte mir klargemacht, dass ich so nicht weitermachen konnte, und so riss mich die Realität ziemlich schmerzhaft von meiner rosaroten Wolke herunter. Als ich mittwochs aus dem Krankenhaus kam, saß Eric abends vor meiner Tür. Ich schickte ihm heim und sagte ihm, dass wir was ändern mussten. Den Schmerz und seine Enttäuschung in seinen Augen zu sehen, hat verdammt weh getan, aber ich wollte es hier schaffen, ich hatte zu viel für meinen Traum Journalistin zu werden aufgegeben, als dass ich ihn jetzt riskieren würde. Ich brauchte meinen Schlaf einfach und der Klinikaufhalt hat mir meinen gesunden Realismus zurückgebracht. Natürlich hatte ich ein schlechtes Gewissen, beschimpfte mich selbst als egoistisch und kaltherzig, aber auch Eric kann einen weiteren Zusammenbruch nicht verhindern.
Nachdem ich also meinen eigenen Freund rausgeschmissen hatte (autsch!) knöpfte ich mir Jake vor, und machte ihm klar, dass ich ihm unglaublich dankbar war, dass er sich um mich gekümmert hatte, dass ich meine Beziehung aber lieber alleine bzw. mit Eric klären würde und dass ich die Einzige bin, die an meinem Kollaps schuld war, weil ich schon groß und der Sprache mächtig bin und somit auch nein! hätte sagen können. Jake meinte ganz gelassen, dass er das alles verstehe, aber dass er Eric trotzdem für mitschuldig hielte, weil ich bei ihm keine Grenze kenne und das man mich manchmal vor mir selbst schützen müsse – STURKOPF!!!!
Am Samstag erklärte ich Eric dann, dass ich aufgrund meines vollgestopften Lebens nicht viel Zeit mit ihm verbringen könne, aber er wollte es trotzdem versuchen, seine Augen verrieten mir, dass ich ihn verletzt hatte. Nicht gerade ein super Start, ich kam mir vor, als würde ich einen Vertrag aushandeln, ich hätte nie gedacht, dass ich in der Lage sein würde, Gefühle so rational zu betrachten, New York hatte aus mir ein egoistisches Arschloch gemacht. Trotzdem haben wir es hingekriegt, sogar gut. Wir nutzten die wenige Zeit die wir miteinander allein hatten, intensiv und ich achtete darauf, dass mein Basketball Boy meinetwegen keines seiner Spiele verpasste, sondern kam einfach mit und feuerte ihn an. Ich traf mich öfter als vorher mit ihm und den Basketball Boys im Asphaltkäfig und passte mit ihm auf seine kleinen Geschwister auf – wenn man sich nicht oft sieht, macht man nahezu alles mit.
Er ist total süß und aufopferungsvoll, trotzdem ist das nur ein Kompromiss, das für uns beide ziemlich schmerzhaft ist. Für ihn, weil sein Leben ziemlich problematisch ist und die meisten seiner Freunde in einer ähnlichen Situation sind, und für mich, weil das Zusammensein mit ihm ziemlich anstrengend sein kann und er ohne es zu merken immer wieder Seitenhiebe austeilt, weil ich kaum Zeit, dafür aber eine intakte Familie und ein super Leben hatte, das ich für New York aufgegeben habe. Es tut weh, zu wissen dass er meinetwegen leidet und ich das nicht ändern werde. Manchmal wünschte ich, ich könnte einfach aus seinem Leben verschwinden und das Leiden beenden. Aber das geht nicht und eigentlich will ich das auch nicht, denn der Mensch ist egoistisch und ich bin gerne mit ihm zusammen. Richtig drüber reden kann man aber auch nicht mit ihm, weil er mich dann sofort unterbricht.
„Du hast schon wieder diesen Blick!“, beklagt Eric sich. „Sorry, ich versuch einfach nur, rauszufinden, ob es nicht besser wä“, weiter komme ich nicht, denn meine Bedenken werden in einem langen Kuss erstickt. „Du machst mich glücklich, und das Einzige, was mich wirklich fertig macht, sind deine ständigen Zweifel an uns! Genieß doch einfach den Moment! In deiner Gegenwart vergesse ich, dass ich nahezu in den Drogensumpf abgerutscht wäre, dass ich keine Zukunftschancen habe und“, jetzt ist es an, mir ihn in seinem Redeschwall zu stoppen. „Eric Pierro! Du bist jung, intelligent, sozial, siehst verboten gut aus und die Tatsache, dass du eine eigene Persönlichkeit entwickelt hast, obwohl du hier aufgewachsen bist, sprechen für dich. Also hör gefälligst mit den Selbstzweifeln auf! Und was die Zweifel meinerseits an-geht: Ich muss so denken, ich bin nämlich keine Norm- Freundin.“ „Eben!“, kontert Eric „du bist nicht normal, du bist etwas Besonderes, Einzigartiges, meine principessa , und dafür liebe ich dich. Ja, du bist viel unterwegs und machst viel, aber das ist es, was dich so besonders macht. Wenn du mehr Zeit für mich hättest, würde das weniger Miri bedeuten und das wäre eher ein Grund, mir eine neue Freundin zu suchen!“
Ich greife nach seinem linken Handgelenk um auf die Uhr zu sehen, das Ergebnis ist frustrierend: „Wenn wir heute noch was ordentliches bekommen wollen, müssen wir jetzt echt los!“, drängle ich. Eric zieht mich aufs Bett „Schade“, murmelt er „ich dachte wir bleiben noch ein bisschen hier…“Wie kann man bei einem so schmutzigen Gedanken nur so ein unschuldiges, engelsgleiches Gesicht machen? Ich springe vom Bett und greife nach einem T- Shirt, das ich besonders an ihm mag. „Du kannst ja bei mir übernachten“, biete ich als Gegenvorschlag an, weil die Idee eigentlich gar nicht so schlecht ist. Eric gibt sich geschlagen.
Gemeinsam zu Kochen war meine Idee. In den ersten Wochen auf der Schule habe ich gemerkt, dass wir uns alle ziemlich beschissen ernähren, weil wir zu faul sind, für uns alleine zu Kochen. Also hab ich angefangen, mehrmals die Woche mit Jake zu Kochen. Damit wir abwechslungsreich essen und uns das Zeig nicht wegschimmelt, hab ich angefangen in meiner Nachbarschaft nachzufragen, mit positiven
Aussagen.
„Wer kommt denn so, heute Abend?“, fragt mich Jake, er ist es nicht gewohnt, allein unter meinen Freunden zu sein, weil wir auch viele gemeinsame Freunde haben. „Jake, Aleysha, Jason“ „der aus Boston, der dich immer wieder ins Kino einladen will?“. Neeiin, Eric ist überhaupt nicht eifersüchtig. „Ja, und er hat ziemliches Heimweh, also sei nett zu ihm!“, weise ich ihn ein wenig pampig an. Ich kann es nicht haben, wenn er meine Freunde immer so kritisch betrachtet. Was das angeht trifft er bei mir einen wunden Punkt und das weiß er eigentlich auch. Er merkt sofort, dass er ins Fettnäpfchen getreten ist „Deine Mum?“, fragt er verlegen. „Meine Mam“, bestätige ich.
Zu Hause hatte ich immer sehr viel mit der Jugend aus dem Nachbardorf zu tun. Das waren überwiegend Kerle, was uns paar Mädels abgehärtet hat.Meine Mam hat sich immer beschwert, ich solle mir doch Freunde aus unserem Dorf suchen. Das Problem war weniger die Entfernung bis ins nächste Dorf, sondern, dass ich es vor allem im Alter zwischen zehn und fünfzehn geschafft habe, auszusehen, als käme ich aus dem Krieg heim. Meine Mutter war der Meinung, dass die vielen Jungs ein schlechter Umgang für mich seien. Ich kann das – natürlich – nicht nachvollziehen, denn obwohl ich praktisch im Wald wohnte, war ich ein Mädchen, dass es genoss, schöne Kleider anzuziehen und was mit seinen langen Haaren anzustellen, nur dass ich eher selten Schminktipps austauschte – mit wem denn auch? Für meine Mutter war das ziemlich komisch, und ich musste meine Freunde immer verteidigen.
„Kommt diese Japanerin auch?“, fragte er ohne Missgunst in der Stimme. Eric und seine Freunde haben diesen Ton drauf, der einen richtig runterziehen kann. Bei mir hat er sich das eigentlich abgewöhnt, für mich der absolute Vertrauensbeweis, weil er sich mir gegenüber nicht verstellt. „Wenn du Akiko meinst, ja die kommt auch. Ich dachte du magst sie?“, wundere ich mich. Akiko ist eine sehr gute und eine der ersten Freundinnen, die ich hier in New York gefunden habe. Sie besucht wie ich die deutsche Schule, weil ihre Eltern die deutsche Ausbildung sehr schätzen. Eric verteidigt sich: „Ich mag sie auch, ich finds nur komisch, dass sie in Manhattan lebt und gleichzeitig so normal ist. Ich meine, wir reden hier über Manhattan, da wo die Geld zum Sch**** haben!“ Ah ja.
Ihr Vater hohes Tier bei irgendeiner Bank. Er hat ihr Leben schon genau geplant: Nach ihrem Abitur soll sie in Harvard Jura studieren und dann in die Rechtsabteilung der Bank einsteigen- es gibt bei diesem Plan nur ein klitzekleines Problem: Kiko hat anderes vor, sie liebt es zu tanzen. Nach dem Abi will sie SA um als Tänze-in ausgebildet zu werden. Sie hat schon jetzt eine exzellente Ballettausbildung und trainiert fünfmal die Woche und ihre Trainerin glaubt, dass sie die Anlagen dazu hat.
Wir brauchen nicht viel, weil die anderen auch noch etwas mitbringen und sind schon um sechs wieder in der ´Wohnung`. Komischerweise habe ich mich hier zu einem Ordnungstier entwickelt, meine 12m² sind immer total aufgeräumt. Ich schiebe es darauf, dass ich das Bett nicht aufbauen kann, wenn ich nicht aufgeräumt hab. Eric streckt sich auf dem Sofa aus: „Und was machen wir jetzt?“, neckt er mich. Wir haben nicht viel Zeit, die Gäste kommen um halb sieben. Mein Blick ist nachdenklich und er bemerkt es sofort. Er kennt mein Gesicht zu gut, deutet jede Regung darauf.
„Süße, was ist los?“, fragt er mich. „Nichts!“, fauche ich. Upps. „Miriam Peters!“Er nennt mich nicht oft bei meinem Namen, also rücke ich mit der Sprache raus, „Ich hab schon seit vier Tagen nicht mehr mit meinen Eltern geredet“, normalerweise drehen sie durch, wenn ich nicht melde, aber ich hab gestern eine Mail geschrieben, weil es zu spät war, um noch anzurufen. Auch jetzt ist es schon halb zwölf aber meine Schwester macht Mädelsabend, das könnte also hinhauen. Ich habe Glück, mein Vater war ohnehin noch wach. Er und Eric verstehen sich super (aus der Distanz) und mein Papa kann an Eric sein Englisch üben – immer wieder gut!
Das Gespräch dauert nur eine Viertelstunde, also machen Eric und ich es uns auf dem Sofa bequem, in seinen Armen habe ich oft die Illusion, dass er mich vor der Welt da draußen beschützen kann, sie einfach ausschaltet, es fühlt sich gut an und – ist viel zu kurz. Denn es klingelt an der Tür. Akiko. Japanerin mit deutscher Pünktlichkeit. Wir machen deutsche Reibekuchen (mmmhh!) mit Apfelmus und Salat. Das ist der Vorteil an der Kulturvielfalt in meinem Freundeskreis: Wir essen oft ´ausländisch`.
Als ich den Nachtisch präsentiere wird die Stimmung immer ausgelassener und es wird viel gelacht, fast wie zu Hause. Ich glaub`s nicht. Jason macht Akiko an. Ich unterdrücke ein breites Grinsen, wohlwissend, dass Kiko ihn süß findet und will mich einem anderen Gespräch zuwenden, aber es gibt keins. Kiko erzählt von Japan, dem Land ihrer Eltern, wohin sie einmal jährlich zum Verwandtenbesuch fliegen muss, morgen zum Beispiel. Das hat Jason jetzt auch rausgefunden, weil er sie sonst ins Kino – wohin auch sonst- eingeladen hätte.
Ich erfahre, dass morgen ein buddhistisches Fest stattfindet. Man gedenkt den Toten mit Tanz, Musik und dem Opfern von Essen. „Dem Glauben nach“, erklärt Kiko „kehren die Toten aus der Unterwelt zurück und man versucht, ihr Leiden zu lindern. Die Menschen besuchen die Familie, die Städte sind dann ziemlich leer, weil das Fest in ganz Japan begangen wird!“ Jetzt bitte kein Gespräch über Religion. „Dieses Totengedenkfest gibt es glaube ich bei allen Religionen, oder?“ Jason!! Ich bring ihn um!! Nicht über Religion reden!! „Will noch jemand was Trinken?“, frage ich verzweifelt und will noch eine Flasche Wasser organisieren, aber Eric war schneller. Ob ich mich jetzt aufs Klo verkrümeln kann? Meine Fluchtgedanken werden von Jason unterbrochen „Bei den Christen heißt es ´Allerheiligen`.“ „Alle, außer Miri!“, ruft Jake dazwischen. Ich erstarre, bringe aber noch ein „die muss dieses Jahr nämlich arbeiten!“, heraus und sehe Jake giftig an, der wohl zu viel getrunken hat aber seinen Fehler schon erkannt hat. Ich schiele zu Eric herüber, hoffentlich hat der den Kommentar auch als Ironie abgetan.
Er hat ihn auf jeden Fall genutzt, um über die christliche Gemeinde zu erzählen, in der sich seine Mutter engagiert und die er manchmal besucht. Irgendwann muss ich ihm mein kleines Geheimnis erzählen, dass ich noch immer erfolgreich vor meiner Verwandtschaft geheim halte: Dass ich mit sechzehn Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten und zum Atheisten geworden bin. Ich werde von einer lauten Lachsalve aus meinen Gedanken gerissen. Um zwölf Uhr verabschieden sich die ersten, Akiko´s Vater hat ein Taxi geschickt und Jason will sie noch ´nach unten bringen`, was von uns anderen mit einem Grinsen quittiert wird. Bald bin ich mit Eric und dem schmutzigen Geschirr allein und wir machen uns ans Aufräumen.
Es liegt eine Spannung in der Luft und bevor ich ihn in darauf ansprechen kann, fragt er scheinbar ganz nebenbei „Was hat Jake eigentlich vorhin damit gemeint, dass du kein Allerheiligen feierst? Er hat´s also doch gemerkt, blödes Pokerface. Jetzt kann ich ausweichen, lügen oder ihm die Wahrheit sagen. Lügen oder Ausweichen würde bedeuten, dass ich ihm nicht vertraue, aber das tue ich doch, oder? Also gehe ich auf Konfrontation: „Das ist eine längere Geschichte. Wäre es okay, wenn ich das noch schnell fertig mache?“. Warum zittert meine Stimme? Wovor habe ich Angst? „Hey!“ Eric nimmt mir die Pfanne, die ich schon seit drei Minuten bearbeite weg und mein Gesicht in seine vom Spülwasser weichen Hände, er sieht mich ernst an, „du kannst mir vertrauen! Das weißt du.“ „Klar, erwidere ich und gebe ihm einen schnellen Kuss „deswegen will ich´s dir ja auch erzählen!“. Eric wendet sich zufrieden wieder seinem Küchenhandtuch zu.
Wir beschließen einen Spaziergang zu machen, wenden uns nach links in Richtung einer größeren Subwayhaltestelle, denn ich habe keinen Park in der Nähe. Es ist mitten in der Nacht und der Corona Park ist wie ausgestorben, es nieselt leicht. „Also, dann leg mal los!“, fordert mich Eric auf und ich beginne zu erzählen:
„Ich war damals gerade sechzehn geworden und mit Freunden mal wieder im Wald unterwegs. Wir hatten angeboten, mit der Dorfjugend die Kirmes zu veranstalten und waren auf der Suche nach einem schönen Kirmesbaum. Ungefähr zweihundert Meter weiter rechts verlief eine enge, kurvige Straße. Wir berieten gerade über eine kranke Birke, als wir einen lauten Knall von der Straße hörten. Später würden wir erfahren, dass eine junge Frau einem Wagen auf dessen Spur entgegenkam. Der andere Wagen versuchte vermutlich auszuweichen, wurde seitlich geprallt und die Böschung hinuntergeschleudert. Wir liefen sofort hin und zogen den Fahrer aus dem Fenster, das Gott sei Dank offen war. Während David versuchte Erste Hilfe zu leisten und Chris unsere Eltern anrief, denn ein Wagen kam hier nicht hin, versuchte ich, weitere Personen zu bergen. Von außen bekamen wir die Türen nicht auf, also lehnte ich mich durchs Fenster ins Innere, um den Sitz zu verstellen.
Ich wusste genau, wer in diesem Wagen saß, war Philip der Fahrer heute Morgen doch noch an mir vorbeigefahren.“ Philip. Den Namen laut auszusprechen reicht, um mir die Tränen in die Augen zu treiben. Obwohl er zwei Jahre älter war als ich verband uns eine enge Freundschaft. Es hat inzwischen angefangen stärker zu regnen, doch das nehme ich kaum wahr, ebenso wenig, wie Erics Versuch mich zu umarmen. „Ich hatte gerade beschlossen, in den Wagen zu kriechen, um Lisa und die anderen loszumachen, sie verloren so viel Blut. In diesem Moment spüre ich, wie mich etwas nach hinten reißt und mich auf den Waldboden wirft. Bevor ich noch ir-gendetwas sagen kann, wirft Chris sich schützend auf mich und hält seine Jacke über unsere Köpfe. Im selben Moment explodiert der Wagen und alles fliegt in die Luft. Lisa. Christian. Anna. Philip kämpft auf dem Waldboden um sein Leben, doch das wusste ich in diesem Moment nicht.
Ich habe nur noch funktioniert, bin zu Philip ins Krankenhaus gefahren und hab gewartet das er wieder aufwacht. Aber er ist nicht mehr aufgewacht.“ Ich stocke, die Erinnerung tut unglaublich weh. „Er lag nach einer Notoperation im Koma und irgendwann hat sein Herz aufgehört zu schlagen. Seine Eltern wollten, dass die lebenserhaltenden Maßnahmen abgestellt werden, sagten er solle ´mit ihnen gehen`. Es gab einen Gedenkgottesdienst, Lisa Christian und Anna`s Leichen waren nur noch Staub. Schließlich hat man die Asche vom Unfallort aufgesammelt und in Urnen gesteckt.
Der Pastor redete davon, dass es ihnen jetzt gut ginge. Ich hätte ihn am liebsten angeschrien, er soll die Klappe halten. Ich hatte die Verletzungen gesehen. Christians leere Augen. Ich fragte mich immer wieder, warum Gott so etwas zulassen könnte. Alle hatten kleine Geschwister, Eltern, Freunde, Familie. Verdammt, ich war zu jung, um meine Freunde beerdigen zu müssen! An diesem Tag hörte ich auf, an Gott zu glauben. Lieber wollte ich den Zufall akzeptieren als an jemanden zu glauben, der meine Freunde sterben ließ.Eine Woche nach der Beerdigung bin ich offiziell aus der Kirche ausgetreten. Das hat Jake vorhin gemeint.“
Hatte ich bisher Mitleid in Erics Blick gesehen, zeigten sie mir jetzt Enttäuschung. Auch wenn sein Gesicht keine Regung zeigte, seine Augen verrieten ihn. Und alles, was er dazu zu sagen hat ist: „Dein Glaube war also nicht stark genug, um den Verlust auszuhalten?“ Autsch. Ich war so sicher gewesen, dass er mich akzeptieren würde. „Ein Verlust? Vier Menschen sind auf grausame Weise ums Leben gekommen, Lisas Vater hat sich aufgeknüpft und“, nein. Ich will mich nicht rechtfertigen müssen. Nicht vor ihm. Meine Wut wird durch Enttäuschung ersetzt, Enttäuschung über mich selbst, dass ich ihn falsch eingeschätzt habe.„Weißt du was?“, feuere ich ihm entgegen. „Ich muss mich vor dir nicht rechtfertigen. Es war meine Entscheidung. Akzeptier es, oder lass es!“Mit diesen Worten springe ich auf und haste auf die Sub zu. Er läuft mir hinterher und versucht, mich zu beschwich-tigen „Ich wollte dich nicht verletzen!“ „Hast du aber!“ Ich weiß, dass ich ihm damit auch weh tue, aber das ist mir im Moment egal und ich will hier weg.
Ich fühle mich verraten und angreifbar, meine Mauer aus Selbstbewusstsein ist in sich zusammengebrochen. Heiße Tränen laufen mir über die Wangen und vermischen sich mit kaltem Regen. Ich stoße Eric von mir und nehme die Beine in die Hand. Klitschnass erreiche ich mein Zimmer, noch immer rinnen mir Tränen übers Gesicht. Ich ziehe mich um und falle ins Bett. Zum ersten Mal seit Monaten weine ich mich wieder in den Schlaf. Zum ersten Mal seit Langem habe ich wieder diesen Albtraum: Ich renne und renne und muss hilflos zusehen, wie der Wagen in die Luft fliegt. Philip. Anna. Christian. Lisa.
Am nächsten Tag mache ich mich wie gewohnt zum Sport mit den Jungs an. Egal, was zwischen mir und Eric ist, ich werde nicht kneifen. Außerdem habe ich mich inzwischen davon überzeugen können, dass er es wahrscheinlich nicht so gemeint hat, trotzdem hätte er meine Eröffnungen nicht als vergangene, willensschwache Entscheidung abtun sollen. Ich liebe ihn. Da bin ich mir mittlerweile ziemlich sicher. Aber vertrauen kann ich ihm so richtig nicht mehr. Nicht jetzt. Wie heißt es bei Avril Lavigne? Nicht heute. Morgen ist es vielleicht anders. (Tomorrow) .
Wieder einmal setze ich mich in die Sub Richtung Bronx. Ab in den Asphaltkäfig. Schon von Weitem brüllen mir die Basketball Boys entgegen. „Hey Sunny!“ „Hey!“, antworte ich grinsend. Angeblich würde ich unglaublich viel Lachen und sei eine Optimistin, worüber ich nur herzlich lachen kann, deswegen haben sie mir die-sen Spitznamen verpasst. „Hey , Sunny! Wo ist Eric? Hast du´s heut Nacht zu wild mit ihm getrieben?“ Lautes Gelächter. Da fühlt man sich doch gleich wie zu Hause. Nur, dass die noch direkter sind, als meine Jungs. Da gibt´s nur eins: Kontra geben. „Hätt ich ja gern, aber er war nach dem Mal schon total fertig!“ Erneutes Gelächter. Meine kleine Basketball Familie. Ich kriege die Tür zum Basketballplatz nie auf, deshalb klettere ich meistens über den Zaun, wie heute und springe an Matt vorbei.
Nachdem wir ein paar Körbe geworfen haben und eine Pause machen, kommt Eric auf uns zu. Ich laufe ihm entgegen, ich will nicht, dass die anderen das hier mitbekommen. „Hast du kurz Zeit?“, fragt er mich schüchtern. Wortlos folge ich ihm zu ein paar Bäumen. „Es tut mir leid. Wirklich. Ich“, ich bremse ihn. „Eric, es tut mir auch leid, ich war gestern ziemlich unfair. Aber ich hab dir vertraut!“, setzte ich trotzig hinzu. „Ich weiß, ich mach´s wieder gut. Versprochen. Ich“ Ich will ihn wieder unterbrechen doch „Nein! Lass mich ausreden! ICH LIEBE DICH!“.Whouw. Das ist unerwartet heftig.
„Gib mir einfach Zeit, okay?“ „Okay“, flüstert er mir ins Ohr, bevor er mich lange küsst. Mmmhm. Diesmal Erdbeergeschmack. Hat der Typ einen Zahnpastaobstsalat in seinem Badezimmerschränkchen? Egal. Wir kriegen das wieder hin. Nicht heute. Aber Morgen ist es vielleicht schon anders.