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- 26.06.2009
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Lou Norman - Mary´s Blues
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Von kalten Pistolen, heißen Winden und anderen Temperaturen
1. Ein Fall von Grauheit
Mein Name ist Norman. Lou Norman. Einige von Ihnen kennen mich vielleicht bereits von meinem letzten Fall. Und wie sich manche von Ihnen schon gedacht haben mögen, hat mich Mandy Cooper dazu gebracht, meinen Job an den Nagel zu hängen; deshalb habe ich jetzt genug Zeit, um meine Fälle zu Papier zu bringen. Mein Verleger versorgt mich mit Mister Man´s Friends (er meint, wir könnten eventuell einen Sponsoring-Vertrag bekommen, das würde meine Spesenkosten doch erheblich senken), so daß meiner Arbeit nichts mehr im We-ge steht. Irgendwie muß ein Mann sich schließlich seinen Lebensunterhalt verdienen.
Als ich vor kurzem zum wahrscheinlich letzten mal meine Smith&Weston putzte, mußte ich wieder an Mary denken. Die kalte Mary, in der eine Leidenschaft brannte, der noch viele Männer zum Opfer hätten fallen können. Nur einem blieb sie Zeit ihres Lebens treu: Stuart Miller.
Mr. Miller war das, was man einen typischen Buchhalter nennt. Sein asch-graues Jacket passte genau zu seiner asch-grauen Hose und seinem ebenso asch-grauen Gesicht. Kein Gramm Fett oder auch nur etwas Fleisch schien sich zwischen seiner Haut und seinen Schädelknochen zu befinden, so daß er mich ein wenig an eine abgemagerte Version von Graf Drakula erinnerte. Nur daß ihm die gewisse Aura von Verruchtheit völlig abging. Genau wie der alte Graf hatte er aber wohl auch schon seit Jahrzehnten keinen Sonnenstrahl mehr gesehen. Sein grau-bläuliches, schütteres Haar klebte in dünnen Strähnen an seinen Schläfen, die von den Bügeln einer milchig-weissen Hornbrille geziert wurden. Ich glaube mich erinnern zu können, daß sogar die Brillengläser leicht asch-grau eingefärbt waren. Aber da kann ich mich auch täu-schen. Zahlen, Konten und Kennziffern waren Mr. Millers Welt; Frauen, Alkohol und andere Drogen waren Mr. Miller ebenso fremd wie der Gedanke an Steuerbetrug. Er arbeitete für Smith&Smith, eine lokale Steuerberatungsfirma. Die Gebrüder Smith verbrachten ihre Zeit schon seit langem damit, sich an diversen Strandbars in Key Less mit den lokalen Schönheiten zu vergnügen. Währenddessen konnten sie sich sicher sein, daß Mr. Miller alles tun würde, um den Profit ihrer Firma von einem Hoch zum anderen zu treiben.
Es war einer dieser stickig-heissen Augusttage, die man nur mit diversen Scotch on the Rocks ertragen konnte. Mein Hemd war schon seit zehn Uhr morgens durchgeschwitzt, und ich ver-brachte die Zeit damit, mir unablässig den Schweiß mit meinem alten, verblaßten Taschentuch von der Stirn zu wischen. Der alte Ventilator an der Decke meines Büros schien den Wind des Indischen Monsuns in mein verrauchtes Büro zu treiben, und ich wartete jede Sekunde darauf, daß ein Tropensturm unter der vertäfelten Holzdecke losbrechen würde. Ich überlegte mir gerade, ob ich die nächste Stunde nicht besser im Kühlschrank gleich neben den Sixpacks mit Mudwaiser Bier und der Tiefkühlpizza verbringen sollte, als ein asch-grauer Schatten hinter der Milchglasscheibe meiner Eingangstür erschien. Die Figur blieb stehen und schien die ver-blaßte Schrift auf der Scheibe zu entziffern; stand dort zu lesen. Nach einiger Zeit vernahm ich ein zaghaftes Klopfen an der Tür.
„ Nun kommen Sie schon rein, das ist hier doch nicht das Büro des Amerikanischen Präsiden-ten !“
Die Türe öffnete sich langsam, und ich sah eine Figur hereinkommen, die das Gewicht der gesamten Welt auf ihren schmächtigen Schultern zu tragen schien. Das aschgraue Jackett und die aschgraue Hose sahen so aus, als ob sie darum wetteifern würden, wer es als erster schaf-fen würde, sämtliche Falten des bekannten Universums auf sich zu vereinen.
„ Sind sie Mr. Norman ? “
„ Gerade so, wie es auf der Tür steht. Womit kann ich Ihnen helfen ? Betrügt sie ihre Frau, oder sucht sie die Polizei wegen Steuerhinterziehung ?“
Ein Schreck schien die Figur zu durchfahren wie ein Stromstoß durch einen Froschschenkel. Das Gesicht verlor den Rest an Farbe (sofern das überhaupt noch möglich war), und der Mann setzte zu einer Erklärung an, die mir akustisch jedoch vollkommen unverständlich blieb. Erst später erfuhr ich, daß Steuerbetrug für Mr. Miller so etwas wie Gotteslästerung war.
„ Nur keine Aufregung guter Mann, das sollte doch nur ein Witz sein. Sie verstehen schon, um das Eis zu brechen ? Apropos Eis - wollen Sie auch einen Scotch on the Rocks ?“
„ N-nein danke, ich trinke nicht. Aber um etwas Wasser wäre ich Ihnen sehr verbunden.“
„ Wasser. Na schön, die Geschmäcker sind eben verschieden.“
Ich holte mir also einen Scotch aus dem Kühlschrank (das Eis war schon wieder fast leer, da-bei hatte ich es erst heute morgen aufgefüllt; ich füllte es für alle Fälle noch mal nach), und brachte dieser grauen Gestalt ihr Wasser. Wahrscheinlich hatte er Angst, daß ihm der Whiskey etwas gesunde Farbe ins blasse Gesicht treiben könnte.
„ Hier bitte - Ihr Wasser. Nun, womit kann ich Ihnen helfen, Herr ---- ? “
„ Oh verzeihen Sie, wo bleiben meine Manieren. Miller ist mein Name - Stuart Miller. “
„ Gut, gut, kommen wir zur Sache.“
„ Richtig. Ahem, nun ja, wissen Sie, die Sache ist die – ahhm - ich ging also vorgestern abend vom Büro nach hause. Es wird meistens recht spät, wissen Sie. Zur Zeit ist zwar etwas weni-ger zu tun, schließlich sind die Jahresabschlüsse alle längst gemacht. Aber man kann seinen Mitarbeitern eben einfach nicht trauen, deshalb überprüfe ich zur Zeit die Arbeit unserer wich-tigsten Mitarbeiter. Das Steuerrecht ist heutzutage eben sehr kompliziert. Erst kürzlich hat das Oberste Finanzgericht eine neue Regelung über die Konsolidierung in internatio --- „
Es folgte ein nicht enden wollender Vortrag über Paragraphen, Bestimmungen und Vorschrif-ten die mir alsbald den Verstand zu rauben drohten, weshalb ich beschloß, mich meinem Scotch zu widmen und den Redeschwall über mich ergehen zu lassen. Ich nippte also an mei-nem Whiskey, träumte vom kühlen Grönland und von netten Eskimo-Girls. Was die wohl unter ihren Pelzmänteln trugen ? Reizwäsche aus Eisbärfell ? Oder doch eher Tangas aus Robbenleder ?
„ --orman ? Mr. Norman ? Hören Sie mich ?“
„ Wie ? Oh ja, sie sprachen über die Konvalenzierung in –„
„ Konsolidierung, Konsolidierung, Mr. Norman !“
„ Ja, genau, Konsolidierung. Nun ja, ich denke nicht, daß ich Ihnen bei Konsolatierungsprob-lemen weiterhelfen kann. Meine Lateinischkenntnisse sind doch sehr eingerostet, müssen Sie wissen.“
„ Nun ja, deswegen bin ich ja eigentlich auch nicht bei Ihnen.“
„ Nicht? Oh, gut !“
„ Ja - eigentlich geht es mehr um --- Mord.“
„ MORD ? --- Sie meinen, Sie erzählen mir erst für eine Stunde etwas über Steuerpraktiken, um mir danach zu sagen, Sie hätten jemanden umgebracht ?“
„ Aahh - ja, so könnte man sagen.“
Zum ersten Mal in meiner Karriere verschlug es mir den Atem. Diese kleine, graue Witzfigur wollte jemanden umgebracht haben ? Hatte er etwa während eines Vortrages seine Zuhörer zu Tode gelangweilt ? Oder war gar jemand von seiner Büchersammlung über Steuerfragen er-schlagen worden ? Ich konnte mir keinen Reim darauf machen.
„ Wie bitte ?“
„ Ich habe vorgestern einen Mann erschossen.“
„ Erschossen ?“
„ Richtig, erschossen. Er hatte mir im Dunklen kurz vor meiner Wohnung aufgelauert. Ich weiß nicht, was er wollte, aber er fing an, mich mit einer Pistole zu bedrohen, und wollte, daß ich in sein Auto steige.“
„ Und da haben Sie ihn erschossen.“
„ Richtig. Da habe ich ihn erschossen. Aber das ist ja das Seltsame. Ich habe meine Pistole nie aus der Tasche genommen. Ich hatte doch viel zu große Angst. Ich kann es mir auch nicht erklären, aber ich hatte die Pistole in die Innentasche meines Jacketts gesteckt ---„
„ Das Jackett, das Sie jetzt tragen ?“
„ Nein, heute trage ich das Bleigraue, vorgestern war es das schwarzgraue Jackett.“
„ Oh. Das Schwarzgraue.“
„ Richtig. Jedenfalls kann ich schwören, daß ich keinen Finger an meine Pistole gelegt habe, als diese losging.“
„ Sie meinen, die Pistole hat von alleine geschossen ?“
„ Richtig.“
„ Und hat von alleine den Typen erschossen, der sie bedroht hat ?“
„ Richtig.“
„ Und sie erwarten, daß ich Ihnen das glaube.“
„ Ich hoffe es.“
„ Und weshalb kommen sie jetzt erst zu mir? Ich meine, die Polizei sucht Sie doch wohl schon seit vorgestern, da wäre es schon angebracht gewesen, sich etwas früher bei mir zu melden.“
„ Aber nein, die Polizei sucht mich nicht. Ich habe natürlich sofort die Polizei und einen Krankenwagen gerufen. Leider konnten die Sanitäter den Mann nicht mehr retten. Er war wohl auf der Stelle tot.“
„ Und die Cops ließen Sie einfach so wieder gehen?“
„ Nicht einfach so. Erst nachdem sie mich vierundzwanzig Stunden pausenlos verhört hatten, und ich fünfhunderttausend Dollar Kaution hinterlegt hatte.“
„ Fünfhunderttau ---- ??
„ Fünfhunderttausend, richtig; gegen Quittung, selbstverständlich. Der Betrag war wohl nur deshalb so gering, weil ich selbstverständlich über einen ausgezeichneten Leumund verfüge.“
„ Oh ja, deshalb so wenig, selbstverständlich.“
Es war mir ganz und gar nicht klar, wie um alles in der Welt dieser kleine graue Kerl so schnell fünfhunderttausend Dollar hatte auftreiben können. Ich hatte noch nie so viel Geld auf einem Haufen gesehen, und hatte auch kaum Hoffnung, jemals in die Verlegenheit zu kommen.
„ Deshalb, richtig.“
„ Und der Mann war auf der Stelle tot?“
„ Das sagte ich, richtig.“
„ Und können Sie mir irgendwie erklären, wie um alles in der Welt eine offensichtlich aus Versehen abgegebene Kugel aus einer Jackentasche heraus einen Mann so mir nichts dir nichts ins Jenseits befördern kann ?“
„ Um das herauszufinden, bin ich bei Ihnen. Und es soll nicht zu Ihrem Schaden sein.“
Er griff in die Innentasche seines schwarzgr -- nein -- bleigrauen Jacketts und zog einen Bün-del grüner Dollarscheine heraus.
„ Dies sind fünfhundert Dollar - als Vorschuß. Spesen gehen extra. Gegen Beleg versteht sich.“
„ Das versteht sich, natürlich.“
2. Ein Fall von Unehrlichkeit
Ich hatte zwar keine Ahnung, wie ich diesen Fall lösen sollte, aber fünfhundert Dollar als Vorschuß waren ein gutes Argument. Aus Mr. Miller war leider nicht viel mehr herauszube-kommen. Er schien wirklich keine Ahnung zu haben, wer der Typ gewesen sein könnte, den er da umgenietet hatte. Feinde ? Nein, Feinde hatte er keine, da war er sich sicher. Er tat nur seinen Job, und den tat er stets nach besten Wissen und Gewissen. Als er mir noch nicht mal erzählen wollte, für wen er seine Firma gerade arbeitete, mußte ich ihm erst drohen, den Fall hinzuschmeißen, bis er ein Einsehen hatte. Daraufhin gab er mir eine Liste von Unternehmen, unter denen einem geschulten Auge eines sofort auffiel: Receiver&Pilferer. Vordergründig eine grundehrliche Firma im Häuserreinigungsgeschäft, hinter den sauberen Putzlappen ver-barg sich jedoch eine Geldwäscheinstitution, was natürlich nur Insidern bekannt war.
„Ist Ihnen bei Receiver&Pilferer irgend etwas Besonderes aufgefallen ?“
Mr. Miller schien zu stutzen.
„Das ist seltsam, daß Sie das ansprechen. Ich hatte vor kurzem mit Mr. Strawman von Recei-ver&Pilferer ein längeres Gespräch. Mir war aufgefallen, daß seine Firma über ein überra-schend hohes Anlagevermögen verfügt. Vor allem der Immobilienbesitz ist doch recht beach-tlich.“
„Im Klartext ?“
„Viele Häuser und Grundstücke.“
„Ah. Und das ist für eine Gebäudereinigungsfirma nicht gerade üblich?“
„Nicht unbedingt. Ich wollte deshalb mit Mr. Strawman besprechen, ob seine Unternehmung noch andere Geschäfte führt. Sie müssen wissen, daß standhafte Ehrlichkeit einer der eisernen Grundsätze unserer Unternehmung ist. Die Finanzbehörden wissen dies, und verschonen un-sere Kunden deshalb meist vor zeit- und kostenintensiven Betriebsprüfungen.“
„Und bei Receiver&Pilferer waren Sie sich nicht mehr so sicher?“
„Nun ja, ich wollte eben absolut sicher stellen, daß alles absolut mit rechten Dingen zugeht. Wir haben schließlich einen Ruf zu verlieren. Aber Mr. Strawman schien nicht sehr erbaut von meinen Nachfragen.“
„Nicht erbaut, kann ich mir vorstellen.“
Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn.
„Und zuvor gab es mit Receiver&Pilferer noch nie Probleme ?“
„Sehen Sie, ich bearbeite selbstverständlich nicht alle Fälle selbst. Als mir vor kurzem jedoch durch Zufall auffiel, daß sich Mr. Undecent, unser Vice-President, persönlich mit ...“
„Vice-President ? Er steht dann direkt unter Ihnen ?“
„Er ist mein direkter Untergebener, richtig.“
„Und er würde, falls Sie, aus welchem Grunde auch immer, die Firma nicht mehr leiten könn-ten, dann würde er Ihnen nachfolgen.“
„Nun ... im Prinzip ja, richtig. Aber was wollen Sie damit sagen?“
„Oh, nichts, nichts. Ich trage nur alle Fakten zusammen. Das ist wie wenn man all die kleinen Quittungen und Rechnungen zusammenaddieren muß, damit man einen ... wie heißt das noch gleich ... Jahresabschluß bekommt.“
„Nun ja, wohl so ähnlich.“
„Also, wie war das jetzt mit Mr. Undecent?“
Es stellte sich heraus, daß Mr. Undecent jahrelang selbst die Unterlagen von Recei-ver&Pilferer
bearbeitet hatte, was in seiner Position bei einer so unbedeutenden Firma doch sehr unge-wöhnlich war. Dies war unserem grauen Mr. Miller nun vor einiger Zeit aufgefallen, und so hatte er den Fall an sich genommen.
Der Fall war klar: Mr. Undecent hatte jahrelang die dunklen Geschäfte von Receiver&Pilferer gedeckt, die durch den guten Ruf von Smith&Smith keine Steuer- oder sonstigen Prüfungen fürchten brauchten. Ein kleines Abkommen zum beiderseitigen Nutzen. Und dann war Mr. Miller dazwischen gekommen. Wegen seiner grundehrlichen Art war den Männern hinter Mr. Strawman klar, daß sie ihn nicht durch Geld ködern konnten. Also mußte man ihn aus dem Weg schaffen. Ich beschloß, Inspector Gunman vom Polizeipräsidium anzurufen, schließlich schuldete er mir noch den ein oder anderen Gefallen.
„Hallo ? Ist dort das Polizeipräsidium ? --- Ja, Inspector Gunman, bitte --- Sagen Sie ihm, Norman ist dran --- Lou Norman, aber Norman genügt --- Ja, er weiß dann schon Bescheid.“
Ich mußte eine ganze Zeit warten; Gunman war wahrscheinlich wieder mal beim Kaffeetrin-ken. Schlimm war nur, daß man von der Telefonanlage des Polizeipräsidiums seit neuestem während den Verbindungspausen mit Musik verwöhnt wurde. Also mußte ich mir gleich dreimal eine digitale Version von „Für Elise“ anhören. Beethoven oder Bach oder wer auch immer der Typ war, der das geschrieben hat, hat sich mit Sicherheit mindestens zehnmal im Grabe umgedreht. Stehe ja persönlich mehr auf Blues. Paßt so schön zu Scotch.
Schließlich ging Gunman doch noch ran.
„Gunman.“
„Mensch Gunman, alter Revolverheld, wie geht´s denn so ? Kürzlich ein paar Banditen um-gepustet?“
„Norman, Mann, alter Suffkopf, nett, daß Du wieder mal was Dir hören läßt. Habe nur die Befürchtung, daß Du wieder mal was anderes im Sinn hast, als mir zu erzählen, daß Du mich zu ein paar Drinks einladen möchtest.“
„Gunman, Du hast hellseherische Fähigkeiten. Aber das gehört wohl zu unserem Beruf, was ? Tja, Du hast vielleicht schon von der Sache gehört; da wurde doch vor kurzem so ein Typ um-gebracht, der vorher einen nichtsahnenden Passanten mit einer Knarre bedroht h... “
„Mann, Du meinst Joe Killer.“
„Wen ?“
„Joe Killer. Professioneller Kaltmacher. Absoluter Scheißkerl. Mannomann, den Typen, der den umgelegt hat, muß ich mal dringend kennenlernen, um ihm die Hand zu schütteln. Frage mich nur, wie er das angestellt hat.“
„Der Typ heißt nicht zufällig Miller und arbeitet für Smith&Smith ?“
„Scheisse, Mann; stimmt genau. Du kennst ihn ?“
„Und Du bist Dir sicher, daß der andere JOE KILLER war ?“
„Absolut sicher, Mann. Deshalb haben wir ja auch vorgestern abend erstmal eine Party steigen lassen.“
„Ohne mich einzuladen ? Nicht gerade sehr nett von Euch.“
„Mann, kannst Du Dich noch an die letzte Party erinnern, zu der wir Dich eingeladen haben ? Du hast damals unseren kompletten Alkoholvorrat weggesoffen, und bist danach noch nach hause gefahren.“
„Ach, komm schon, das ist doch nun schon Monate her, längst vergessen und vergeben.“
„Ach ja ? Ich bin den Kollegen von der Streife heute noch ein paar Gefallen schuldig, um Dich aus der Sache rauszubringen, Mann“
„Jaja, gut, gut, hab mich halt ein wenig dumm angestellt. Aber vergiß nicht die Sache mit Gorgio Melone, daran würdet Ihr Euch heute noch die Zähne ausbeißen, wenn ich nicht gewe-sen wäre. Nicht zu vergessen der Fall Hannibal Scepter, der würde heute noch seine Opfer auffressen.“
„Okay Mann, ist ja schon gut. Paß auf, ich lade Dich morgen abend zu einem Bier ein, was sagst Du dazu ?“
„Na schön. Halb neun im Blue Moon ?“
„Gebongt.“
„Gut, bis dann.“
Nachdem ich das geklärt hatte, konnte ich mich jetzt wieder um Mr. Miller kümmern, der schon ganz unruhig auf meinem alten, abgewetzten Bürostuhl hin- und herrutschte.
„Tja, sieht so aus, als ob Sie da in ein Wespennest gestochen hätten.“
3. Ein Fall von Absonderlichkeit
Also erzählte ich ihm die Geschichte von Joe Killer und von den dubiosen Geschäften von Receiver&Pilferer, und daß sein netter Mr. Undecent mit Sicherheit in die Sache verwickelt gewesen war. Blieb nur ein Problem: wie hatte es passieren können, daß Mr. Miller Joe Killer erschießen konnte. Der Kerl war knallhart und mit allen Wassern gewaschen. Der beste Killer, den die Mafia und der Rest der Unterwelt je gesehen hatte. Und Mr. Miller hatte ihn einfach so erschossen. Aus Versehen, quasi. Komische Sache, das.
„Also, dann kommen wir zu der Sache an sich. Ich nehme an, daß die Bullen ihre Kanone ha-ben.“
„Die hat die Polizei einbehalten, richtig. Fiel mir richtig schwer, Abschied von ihr zu nehmen.“
„Wie meinen Sie das ? Besitzen sie das Ding schon länger ? Ein Erbstück von Ihrem Großva-ter, Marke Vorderlader, oder so ?“
„Nein, nein, kein Erbstück, aber sie ist mir irgendwie doch sehr ans Herz gewachsen.“
„Verstehen Sie mich nicht falsch, aber ich hätte es von einem Mann wie Ihnen nicht unbedingt erwartet, daß er eine besondere Beziehung zu einer Waffe hat. Das ist in meinem Metier schon eher üblich. Sehen Sie hier, meine Smith&Weston, die hab ich schon seit fast zehn Jahren. Habe sie immer gepflegt. Eine gute Waffe ist wie eine schöne Frau, müssen Sie wissen. Man muß sich stets um sie kümmern, sie nie vernachlässigen, sonst läßt sie einen eines Tages im Stich oder geht gar nach hinten los. Das hier ist übrigens Helen. Eigentlich kindisch, einer Waffe einen Namen zu geben, nicht ?“
„Aber nein, ganz und gar nicht. Meine heißt Mary.“
„Mary !?“
„Mary, richtig.“
„Also, jetzt Moment mal, damit ich das richtig verstehe; ein Buchhalter, der eine Kano ---„
„Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, nicht einfach Buchhalter.“
„Gut, gut. Ein Wirtschaftsprüfer und Steuerberater wie Sie besitzt also eine Kanone, an der er so sehr hängt, daß er ihr sogar einen Namen gibt ?“
„Nicht ganz richtig, ich habe ihr den Namen nicht gegeben.“
„Aber es ist doch Ihre Kanone ?“
„Das schon, richtig.“
„Aber wer sonst als Sie sollte denn Ihrer Kanone einen Namen geben ?“
„Das sollte einem scharfen Denker wie Ihnen eigentlich klar sein: der Mann, von dem ich die Waffe gekauft habe.“
„Moment, moment, jetzt mal ganz langsam. Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand seine Kanone verkauft, die er so sehr liebt, daß er ihr einen Namen gibt, und dem Käufer dann auch noch den Namen sagt. Wahrscheinlich weil es die Knarre in Zukunft genauso gut haben soll wie bei ihm oder so. Also, Sie erzählen mir jetzt haarklein die Geschichte von Ihrer Kanone, und zwar von Anfang an. Warum Sie überhaupt eine Waffe tragen, wie Sie gerade zu dieser Waffe gekommen sind, wer der Typ ist, von dem Sie die Knarre haben, um was für eine Ka-none es sich überhaupt handelt, und so weiter, und so weiter.“
Und so begann er zu erzählen. Gekauft hatte er sich die Kanone schon vor einigen Jahren, kurz nachdem er zum Geschäftsführer von Smith&Smith bestellt wurde. Weil es nach der Arbeit oft spät wurde und die Straßen der Stadt nicht gerade zu den Sichersten im Lande zählen (ehrlich gesagt würde ich es niemandem raten, gewisse Gebiete nach Sonnenuntergang zu betreten; aber abgesehen davon ist es auch besser, diese vor Sonnenuntergang zu meiden). Ich bin zwar stark der Meinung, daß eine Kanone in der Hand eines Laien mehr schadet als nützt; aber die Leute scheinen sich mit so einem Schießeisen einfach irgendwie sicherer zu fühlen. Und Mr. Miller hatte Kontakte. Kontakte zu einer Gruppe, die für ein sicheres Land sorgen wollte. Und sie waren der Meinung, daß man für diese Sicherheit schon selber sorgen mußte. Mr. Miller fragte also diese Leute, wie er sich denn am besten schützen könne. Von Waffen verstand er nämlich so viel wie ein Thunfisch vom Topflappenhäkeln, und war deshalb ziemlich hilflos. Aber die Leute von Securologie hatten natürlich eine Lösung parat. Sie nannten ihm die Adresse eines Mannes in einem Gottverlassenen Dorf mitten in den Einöde von Wyoming. Mr. Soul Shifter, indianischer Medizin- und Wundermann. Hatte noch nie was von ihm gehört, aber was Mr. Miller mir von ihm erzählte, ließ den Entschluß in mir reifen, daß ich diesen Mann dringend näher kennenlernen mußte. Wenn es nicht gerade Mr. Miller gewesen wäre, der mir die Geschichte erzählt hatte, hätte ich sowieso kein Wort davon geglaubt. Aber es war klar, daß Mr. Miller tatsächlich das glaubte, was er mir da erzählte. Also war er entweder vollkommen verrückt, oder das, was er sagte war wirklich die Wahrheit. Und da ich keinen Anlaß hatte, anzunehmen, daß er jeglichen Verstand verloren hatte (auch wenn sich sein geistiger Horizont doch stark auf Bilanzen, Steuererklärungen und Konsolivierung oder so beschränkte), mußte ich ihm wohl oder übel glauben.
Die folgende Erklärung fasse ich lieber in meine Worte, weil Mr. Millers Ausführungen der-maßen trocken waren, daß ich mir gleich noch ein paar Whiskeys hinter die Binde kippen mußte. Und das will ich meinem geschätzten Leser lieber nicht zumuten. Schließlich ist Al-kohol schlecht für die Gesundheit und vermindert tendenziell das klare Denkvermögen.
Mr. Miller nahm also ein Flugzeug bis Cheyenne und fuhr dann mit einem Mietwagen nach Washakie, einer kleinen Indianersiedlung mitten im Wind River Reservat. Mr. Soul Shifter zu finden, war nicht anscheinend sonderlich schwer. Ich weiß nicht, ob Sie schon mal durch eines der Reservate gefahren sind, aber die diversen Chiefs (Hooting Horse, Enigmatic Eagle oder Burping Bear, um nur einige zu nennen) oder Medizinmänner haben die Angewohnheit, fünfzig Meilen rund um ihren Verkaufsstand von Tomahawks, Armreifen und Federschmuck Schilder aufzustellen. Schilder wie ´Nur noch zehn Minuten bis zu Chief Flailing Fish´s Tipi´ oder ´Chief Sharp Shave´s Tomahawks sind die schärfsten´. Und wenn man dann den Ver-kaufstand passiert hat, und man die Rückseiten der Schilder lesen kann, wird man dauernd aufgefordert, schnellstens umzudrehen, um noch mehr Tomahawks, Armreifen und Feder-schmuck zu kaufen.
Der gute alte Soul Shifter machte da keine Ausnahme, wenn sich seine Schilder auch etwas von den anderen unterschieden; sie lauteten in etwa so wie ´Egal wie groß ist Dein Problem - komm zu Soul Shifter, und es wird gehen´; naja, Poesie schien nicht eine von Mr. Soul Shif-ter´s Stärken zu sein.
Er lebte anscheinend in einem überdimensionalen Tipi gleich am Highway. Und das schien ein kleines Problem für Mr. Miller zu sein; schließlich kann man an einem Tipi nicht anklopfen. Als er also etwas verwundert vor dem Zelt stand, und nicht so recht wußte, wie er sich bemerkbar machen sollte, konnte er zu seiner Verwunderung von drinnen eine Stimme hören, die ihn irgendwie an einen altersschwachen Papageien mit Schnupfen erinnerte. Fragen Sie mich jetzt bitte nicht, wie sich so ein altersschwacher Papagei mit Schnupfen anhört. Ich habe Mr. Soul Shifter nicht gehört.
´Kommen Sie nur rein, Mr. Miller, ich habe Sie schon erwartet.´
Mr. Miller hat angenommen, daß die Leute von Securologie ihn bei Soul Shifter angemeldet haben. Ich habe da mittlerweile so meine Zweifel. Die Fähigkeiten dieses indianischen Medi-zinmannes scheinen doch weit über die Normalität hinaus zu gehen. Wie auch immer, als Mr. Miller ins Tipi trat, konnte er eine Pistole sehen, die auf einem kleinen runden Tisch lag, hinter dem ein Mann in Federschmuck mit zahnlosem Lächeln stand (der Mann hatte ein zahnloses Lächeln, nicht der Federschmuck): Chief Soul Shifter.
Ich will die Geschichte nicht unnötig in die Länge ziehen, komme also am besten gleich zu den wichtigsten Fakten über die Waffe, über die Chief Soul Shifter Mr. Miller aufklärte.
Sie würde ihrem rechtmäßigen Besitzer stets aufopferungsvoll dienen, und ihn vor allen Ge-fahren beschützen. Er sagte, ihr Name sei Mary, und man müsse sie stets gut behandeln, und sie vor allem niemals mit einer anderen betrügen, was das Wichtigste von allem sei. Schließlich habe sie eine Seele und könne deswegen leicht verletzt werden. Mr. Miller sprach da ein gro-ßes Wort gelassen aus. Welcher Detective wünschte sich nicht insgeheim, daß seine Waffe eine Seele hätte. Sie war schließlich die einzige auf die er sich im Ernstfall voll und ganz ver-lassen mußte. Doch welche Konsequenzen wären damit verbunden ? Wäre man nicht seiner eigenen Waffe auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ? Und was würde passieren, wenn man sich einer anderen Waffe zuwenden würde ? Ich wagte gar nicht, mir die Folgen auszumalen.
Für Mr. Miller war das Gerede jedoch nur psychedelischer Schnickschnack, der jeglicher Grundlage entbehrte. Ihm war es nur wichtig, eine gute Waffe zu bekommen, auf die er sich verlassen konnte. Und da ihn die Leute von Securologie hierher gesandt hatten, mußte die Qualität dieser Waffe über jeden Zweifel erhaben sein (was er wohl oder übel glauben mußte, schließlich, und da muß ich mich nochmal wiederholen, hatte er von Waffen so viel Ahnung wie ein Thunfisch vom Topflappenhäkeln).
Er sicherte Chief Soul Shifter also zu, daß er seine Ratschläge stets gut befolgen würde, und daß er jetzt gerne zum geschäftlichen kommen würde und die Pistole gern kaufen würde.
´NICHT einfach nur Pistole, das ist Mary, Mary, merken Sie sich das ! Aber zum Geschäftli-chen: Visa, Amex, Mastercard oder lieber Bares ? Schecks nehme ich keine.´
Mr. Miller zahlte also Bar und ließ sich eine ordnungsmäßige Quittung geben. Dann schnallte er sich Mary um (ein Schulterholster war im Preis inklusive); frage mich, wie er das bewerk-stelligt hat, wahrscheinlich hatte er sich zuvor einige Action Filme mit Arnold Schwarzwurst-brecher angeschaut. Mit den Worten: ´Und tragen Sie Mary stets direkt über dem Herzen, sie mag das.´ verabschiedete Chief Soul Shifter Mr. Miller aus seinem Tipi.
Mir war einiges klar geworden; wenn das, was der Chief gesagt hatte wirklich wahr war, dann war diese Mary äußerst gefährlich. Sie würde alles tun, um zu ihrem geliebten Besitzer zu-rückzukommen. Die Jungs im Polizeirevier waren in äußerster Gefahr. Und ein anderer, grau-envoller Gedanke kam mir noch. WENN diese Knarre wirklich eine Seele hatte, dann mußte diese schließlich von irgendwo gekommen sein. Irgendeine arme Seele war dazu verdammt, in dieser Waffe zu leben, eingeschlossen in ein Kilo Eisen und Stahl, dazu verdammt, ihrem Besitzer zu dienen und ein Leben in Elend zu führen. Und dann fiel mir sofort Madame Ec-laircie in New Orleans ein. Ich hatte sie in einem anderen Fall kennengelernt, bei dem ihre Hellseherischen Fähigkeiten sie zu mir geführt hatten, damit ich ihr bei einer heiklen Angele-genheit bei Seite stehen konnte. Sie hatte mir schon damals von Menschen erzählt, die über die Fähigkeit verfügen, Seelen in andere Körper oder gar in leblose Gegenstände zu verfrach-ten. Diese Seelen würden grauenvolle Qualen leiden, und nur durch die Umkehrung des urs-prünglichen Rituals könne man sie erlösen. Ich rief Madame Eclaircie an.
4. Ein Fall von Lüsternheit
„Madame Eclaircie - Institut für hellseherische Prognosen der näheren und weiteren Zukunft. Madame Eclaircie ist leider gerade auf einer Geschäftsreise. Sie können ihr jedoch eine Nach-richt hinterlassen. Wir rufen sie so bald als möglich zurück“.
Verflixt nochmal. Wieder einer dieser vermaledeiten Anrufbeantworter. Aber gerade, als mir der Piepston des Apparats den Ohrnerv malträtierte, öffnete sich die Türe, und die gewaltige Präsenz von Madame Eclaircie wurde gegenwärtig. Wie immer hatte sie ihren ausladenden Körper in Massen von seltsam schimmernder dunkelblauer Seide gehüllt, und ein wallendes Kopftuch aus dem gleichen Stoff verbarg ihre langen schwarzen Haare, die sie wahrscheinlich wie immer offen trug. Trotz der, ahem, Fülle ihres Körpers ist Madame Eclaircie von einer besonderen Schönheit, die sich noch verstärkt, wenn ihre sanfte Stimme beginnt, den Teil des Gehirns, der für audielle Wahrnehmung zuständig ist, in einen wohligen Zustand der absolu-ten Entspannung zu wiegen. Hinter ihr konnte man einen kleinen Mann mit Schiebermütze und Zigarre erkennen (der sofort als Taxifahrer identifizierbar war), der eine riesige Reiseta-sche die Treppen heraufgeschleppt hatte, und jetzt ziemlich außer Atem zu sein schien.
„ Mr. Norman, wie schön, sie wieder zu sehen. Und Mr. Miller, schön ihre Bekanntschaft zu machen. Wie schön, ich sehe, daß ich wohl gerade im richtigen Moment komme.“
Mit diesen Worten drückte sie dem Taxifahrer einige Scheine in die Hand; seine Miene erhell-te sich schlagartig, er bedankte sich mit einigen Worten, und verließ mein Büro.
„ Madame Eclaircie, was für eine Überraschung, ich wollte Sie gerade anruf.... Moment mal, die dumme Maschine sagte, Sie seien auf Geschäftsreise, und jetzt tauchen Sie bei mir auf. Das heißt ja wohl, daß Sie Ihre Geschäfte zu mir führen. Was für Geschäfte ? Und was heißt ´im richtigen Moment´ ?“
„ Mr. Norman, wir beide kennen uns doch mittlerweile gut genug, daß wir keine Spielchen spielen müssen, nicht ? Ich weiß, daß Sie wissen, warum ich hier bin. Und Sie wissen, warum ich weiß, warum Mr. Miller hier ist. Richtig ? Schön.“
Schön, schön. Sie wußte also über Mr. Miller Bescheid. Und über Mary und ihren Blues. Und Sie kannte auch Chief Soul Shifter.
„ Ein übler Mensch. Er nutzt seine Fähigkeit zu allen möglichen Scheußlichkeiten, so lange er nur Geld damit verdienen kann. Gar nicht schön. Ganz und gar nicht schön. Es ist unsere Pflicht, dieser armen Seele zu helfen. Ich kann ihre Präsenz bereits hier fühlen. Voller Trauer, Sehnsucht und Schmerz. Sie tragen sie derzeit nicht bei sich, nicht wahr, Mr. Miller ?“
„ Richtig. Die Polizei hat sie mir abgenommen und verwahrt sie derzeit.“
„ Schön. Dann müssen wir Mary sofort hierherbekommen, sonst wird nicht nur ein Unglück geschehen. Mr. Norman, ich denke, Sie haben einige Beziehungen zu den hiesigen Behörden.“
„ Ich könnte nochmal versuchen, Inspector Gunman zu erreichen. Ich kann aber nicht verspre-chen, ob ich ihn dazu bringen kann, hierher zu kommen, und diese verdammte Knarre mitzub-ringen.“
„ Verdammt, ja. Sie wissen gar nicht, wie recht Sie da haben. Aber schön, Sie müssen alles tun, damit Inspector Gunman hierher kommt. Und sagen Sie ihm, er soll Mary sorgsam be-handeln, Sie hat schon genug mitgemacht. Um ihn zu beruhigen, können Sie ihm sagen, daß er die Waffe danach wieder mitnehmen kann. Und Mr. Miller, ich werde ihre Hilfe brauchen, sobald Mr. Gunman mit Mary hier eintrifft; glauben Sie mir, es ist auch in Ihrem Interesse, mitzuarbeiten. Schön. Ich darf also auf Ihre Mitarbeit zählen ?“
„ Voll und ganz, richtig.“
„ Schön. Sehr schön.“
Jaja, das war schon alles schön und richtig, Mann. Ich war mir nur gar nicht so sicher, ob ich Gunman dazu bringen konnte, jetzt gleich hier aufzutauchen. Und die Knarre durfte er eigent-lich gar nicht mitbringen. War schließlich ein Beweisstück und damit unter Verschluß. Das würde also ein hartes Stück Arbeit werden.
„ Hallo ? Ist dort das Polizeipräsidium ? --- Inspector Gunman, bitte --- Sagen Sie ihm, Nor-man ist dran --- Ja, ich habe vorher schon mal angerufen --- danke.“
Und wieder dröhnte mir „Für Elise“ in den Ohren. Diesmal glücklicherweise nur kurz.
„ Gunman.“
„ Hey Gunman, ich bin´s nochmal, Norman.“
„ Oh Mann, mir schwant Böses. Wenn Du mich zweimal am Tag anrufst, dann kann das nichts Gutes bedeuten.“
„ Aber ganz im Gegenteil. Du sagtest doch vorher, Du würdest verdammt gerne den Kerl ken-nen lernen, der Joe Killer umgelegt hat ?“
„ Klar Mann, ich muß ihm dringend noch die Hand schütteln.“
„ Tja, das ergibt sich jetzt irgendwie gar nicht schlecht. Rate mal, wer gerade hier bei mir im Büro sitzt.“
„ Was denn. Mann Norman, Du alter Suffkopf, hast wieder mal einen großen Fall an Land gezogen, was? Sitzt etwa wirklich dieser Mr. Miller auf einem Deiner abgewetzten Holzstühle ?“
„ Tja, tatsächlich. Und er ist ganz begierig darauf, von Dir die Hand geschüttelt zu bekom-men.“
„ Und weil Du so ein großer Menschenfreund bist, hast Du natürlich gleich an mich gedacht. So ganz ohne Hintergedanken, nehme ich an ?“
„ Naja, es gibt da natürlich schon eine kleine Sache, die Du für uns tun könntest.“
„ Ah ja, jetzt kommen wir also zum Kern des Pudels. Also, red schon, was willst Du ?“
„ Wir brauchen die Waffe mit der Joe Killer erschossen wurde.“
„ --- „
„ Natürlich nur vorübergehend, um sie einer Untersuchung zu unterziehen. Du kannst die gan-ze Zeit ein scharfes Auge auf das Ding haben, und sie danach auch gleich wieder mit ins Prä-sidium nehmen.“
„ Ja klar Mann, ich geh einfach zum Magazinverwalter, sag ihm, ich müßte mir mal kurz so ´ne Knarre ausleihen, mit der der gefürchtetste Killer der Stadt ins Jenseits befördert wurde. Und klar, ich bring sie natürlich gleich wieder zurück, kein Problem, Mann. Sag mal, Norman, hast Du vielleicht ein wenig ZU tief ins Whiskeyglas geschaut, oder setzt bei Dir schon Alzheimer ein ? Hast Du irgendeine Ahnung, wie schwer es ist an Beweismaterial ranzukommen, wenn man den Fall gar nicht bearbeitet ? Und das gilt schon für normale scheiss Ladendiebstähle, was glaubst Du eigentlich, was da erst bei so einem Knaller los ist. Und ......“
Und blah, blah, blah, was glaubst Du eigentlich, bist Du jetzt vollkommen übergeschnappt, seier, seier, seier. Ich ließ ihn also erst mal richtig Dampf ablassen, weil ich wußte, daß er sich danach besser fühlen würde, und ich ihn vielleicht doch noch überreden konnte.
„ .... Also vergiß es.“
„ Jaja, Du hast natürlich vollkommen recht. Ich habe da eben Deine Verbindungen etwas überschätzt. Aber Mr. Miller wäre eben auch sehr gedient gewesen, wenn Du ihm hättest hel-fen können. Aber gut, da kann man halt nix machen. Ist eben nur eine Schande, wenn jemand wie Mr. Miller, der den gefürchtetsten Killer der Stadt ausgeschaltet hat, nur deswegen auf den elektrischen Stuhl müßte, weil es uns nicht gelungen ist, an die Tatwaffe ranzukommen. Tja, das Leben ist eben einfach eine Hure.“
Bei der Erwähnung des elektrischen Stuhls bekam Mr. Miller einen schlimmen Hustenanfall und konnte nur mit einigen Schwierigkeiten von Madame Eclaircie beruhigt werden. Aber darauf konnte ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Es war klar, daß ich hier schon schwere Ge-schütze auffahren mußte, um etwas zu bewegen.
„ Was heißt hier, Du hast meine Verbindungen überschätzt ? Was weißt Du von meinen Ver-bindungen ? Wenn es hier jemanden geben könnte, der das Ding rausbekommt, dann wäre das natürlich ich, Mann. Und wer hat gesagt, daß ich einfach so zusehen würde, daß dieser Mr. Miller ins Jenseits befördert wird. Man sollte ihm einen Orden verleihen, mann, das sollte man tun. Also gut, laß mich mal nachdenken. Um was für eine Knarre handelt es sich denn ?“
Ich ließ mir das Ding von Mr. Miller beschreiben und es stellte sich heraus, daß es eine ganz normale Smith&Weston kleinsten Kalibers war, wie man sie zu tausenden finden kann.
„ Und hatte sie irgendwelche Besonderheiten. Kerben im Griff, eine Gravur auf dem Lauf oder so?“, fragte ich Mr. Miller.
„ Aahm ... nein ... nein, nicht daß ich mich erinnern könnte.“
„ Also eine ganz normale Waffe völlig ohne besondere Merkmale.“
„ Soweit ich das beurteilen kann, richtig.“
Ich teilte Gunman dieses Faktum mit.
„ Gut, gut. Also pass auf Mann, ich habe eine Idee. Ich besorge mir jetzt eine Smith&Weston von gleicher Bauart. Zum Glück ist es so ein billiges Teil, ist kein Problem so eine aufzutrei-ben. Wenn ich sie habe, rufe ich Dich nochmal kurz an. Zehn Minuten danach rufst Du bei uns im Magazin an. Die Durchwahl ist ... Moment ... aah,ja 223-7155. Hast Du das ?“
„ 223-7155, ja, gut.“
„ Okay Mann. Du rufst da also an und erzählst Richie Rudolph, das ist der Magazinverwalter, irgendeine dumme Geschichte. Hauptsache ist, daß Du ihn für eine paar Minuten ablenkst, damit ich genug Zeit habe, die Knarren auszutauschen. Der Typ ist nicht der Hellste, dürfte also nicht zu schwer sein. Klar, Mann ?“
„ Logisch. Kannst Dich ganz auf mich verlassen.“
„ Und eines sage ich Dir: Ich werde das Ding keinen Moment aus dem Auge lassen, und ich geben Euch maximal eine halbe Stunde, danach bringe ich das Ding wieder zurück. Und be-vor ich überhaupt irgendeinen Finger krumm mache, erzählst Du mir jetzt erstmal, was ihr mit dem Ding überhaupt anstellen wollt.“
Hmm, da hatte er jetzt einen wunden Punkt getroffen. Sollte ich ihm etwa erzählen, daß in der Knarre irgendso eine arme Seele gefangen war, die wir dringend befreien mußten ? Gun-man war zwar für einen Bullen ein prima Kerl, aber das würde dann doch über seinen Hori-zont gehen. Aber er wußte, daß ich schon öfter mit so einer seltsamen Kaffeesatzleserin zu-sammengearbeitet hatte. Er würde das zwar nicht verstehen können, aber es war das einzige, was mir auf die schnelle einfiel.
„ Du erinnerst Dich doch noch an Madame Eclaircie ?“
„ Oh Mann, Du meinst doch nicht etwa die fette Wahrsagerin ?
„ Ich sehe, Du erinnerst Dich. Also, ich hoffe, daß Sie uns helfen kann, mehr darüber heraus-zufinden, warum Joe Killer unseren Mr. Miller ans Leder wollte. Wenn wir nachweisen kön-nen, daß Mr. Miller in Notwehr gehandelt hat, dann können wir ihn herausbekommen.“
„ Und Du glaubst tatsächlich, daß Dir diese Madame Elkärzie dabei helfen kann. Oh Mann, Du mußt Dir wirklich den Verstand versoffen haben. Aber gut, was tut man nicht alles. Also, ich besorg jetzt die Knarre und ruf Dich dann gleich nochmal an.“
„ Ach Gunman ?“
„ Was denn noch, Mann ?“
„ Geh bitte sorgsam mit der Knarre um, okay ?“
„ Was soll denn das jetzt, Mann ? Meinst Du, ich hätte über nacht verlernt, mit einer Kanone umzugehen ? Ich werd mir schon nicht in den Fuß schießen, Mann. Und bis jetzt habe ich noch alle Knarren gut behandelt, die mir in die Finger gekommen sind. Oder hast Du gehört, daß sich meine Susie schon mal beschwert hätte ?“
„ Okay, okay, ich wollte ja nur sicher sein.“
„ Mann, Du solltest echt aufhören, dieses Zeug zu saufen. Also, die Sache steigt in ungefähr fünfzehn Minuten.“
Gesagt, getan. Keine zwanzig Minuten später (wir verbrachten die Zeit damit, die nötigen Vorbereitungen für die bald folgende Zeremonie zu treffen; Madame Eclaircie hatte in weiser Voraussicht sämtliche Hilfsmittel mitgebracht) rief mich Gunman nochmal an, und die Sache konnte starten. Nach zehn Minuten griff ich zum Telefon. 223-7155. Es klingelte mindestens zehnmal, bevor ich eine dünne Stimme am anderen Ende hören konnte.
„ Magazin.“
„ Greenspan, Büro des Polizeipräsidenten. Spreche ich mit Richie Rudolph, Verwalter des Magazins ?“
„ Das bin ich, jawohl. Wie kann ich Ihnen helfen Mr. Greenspan ?“
„ Nun ja, Richie, sehen Sie, es handelt sich um eine etwas pikante Affäre, bei der ich Sie im Namen des Polizeipräsidenten um absolute Diskretion bitten muß. Ich kann mich doch auf Sie verlassen ?“
„ Aber natürlich, Mr. Greenspan, selbstverständlich.“
„ Gut, gut. Also es geht um Folgendes. Eine, sagen wir, wichtige Persönlichkeit des öffentli-chen Lebens wurde vor kurzem in einer etwas, nun ja, pikanten Situation überrascht. Sagt Ih-nen der Name Wet Pussy irgendetwas ?“
„ Nun ja, also, ich weiß nicht ...“
„ Wir können ruhig ehrlich miteinander reden. Wie wir beide wissen ist das Wet Pussy ein Bordell, ein Puff, ein Hurenhaus, nennen Sie es wie Sie wollen.“
„ Nun ja, jetzt wo Sie es sagen, kann ich mich, glaube ich, auch wieder erinnern ...“
„ Jedenfalls wurde diese wichtige Persönlichkeit dort vor vier Tagen in einer äußerst komp-romittierenden Situation von einer Razzia der Sittenpolizei überrascht. Da es nicht im unserem Interesse liegen kann, uns den Zorn einer solchen Persönlichkeit zuzuziehen, wäre es doch das beste für alle, wenn die Untersuchungen nicht mehr weitergeführt werden würden, richtig ?“
„ Da werden Sie wohl schon recht haben.“
„ Das denke ich auch. Deshalb wäre es doch sehr nützlich, wenn das Beweismaterial ... sagen wir ... verloren gehen würde.“
„ Oohh, jetzt verstehe ich, was Sie meinen. Sie möchten, daß ich die Beweise verschwin...“
„ ...Ich wollte NUR sagen, es wäre ein äußerst pässlicher Zufall, wenn etwas verloren gehen würde, sonst nichts. Aber ich kann mich doch auf Sie verlassen? Ich versichere Ihnen, daß es nicht zu ihrem Nachteil sein wird.“
„ Aber natürlich, der Herr Polizeipräsident kann vollkommen beruhigt sein.“
„ Und ich verlasse mich natürlich auf Ihre vollkommene Diskretion.“
„ Das können Sie.“
„ Gut, ich werde in einer Stunde nochmals anrufen, um mich zu vergewissern, daß alles seinen richtigen Weg gegangen ist. Einen schönen Tag noch.“
„ Auf Wiedersehen.“
Von der Sache mit dem „Wet Pussy“ hatte ich schon am morgen nach der Razzia gehört. Und daß dabei einige hohe Herren bei der Befriedigung von niedrigen Instinkten überrascht wor-den waren, war mir auch kein Geheimnis. Einige Persönlichkeiten konnten mir wirklich ziem-lich dankbar sein. Der gute Richie schien seinen Oberboss allerdings nicht sehr gut zu kennen. Dem Polizeipräsidenten wäre es wohl kaum eingefallen, jemandem aus der Klemme zu helfen, der sich mit einer Nutte überraschen lassen hat. Und da war es ihm auch ziemlich gleichgültig, ob derjenige „wichtig“ war oder nicht. Der bekam ja schon Herzanfälle, wenn er erfuhr, daß es in einem der Zeitungsläden der Stadt „ diese obszönen, moralzersetzenden, sogenannten Herrenmagazine“ zu kaufen gab. Schöne Brüste haben ja wohl noch niemandem geschadet; aber wahrscheinlich würde so ein Anblick Bob Sole´s Blutdruck dermaßen in die Höhe treiben, daß ein fatales Herzversagen nicht mehr zu vermeiden wäre. So gesehen also reiner Selbsterhaltungstrieb. Auf jeden Fall hatte die Sache geklappt, und Richie war die nächste Zeit viel zu beschäftigt, als daß er unseren Deal bemerken würde.
5. Ein Fall von Innigkeit
Keine halbe Stunde später tauchte auch schon Gunman in meinem Büro auf. Wie immer trug er einen schmutzig-grauen Trench-Coat und einen dazu passenden Hut. Ich frage mich, wie um alles in der Welt er diesen Mantel auch im Sommer tragen kann, ohne sofort an Hitzschlag zu sterben. Vielleicht liegt es daran, daß er andauernd diese widerlichen Menthol-Zigarretten raucht. Sollen ja irgendwie erfrischend schmecken. Ich bevorzuge allerdings nach wie den unerfrischenden Geschmack einer guten, dicken Zigarre. Am liebsten natürlich Havanna. Jetzt stand er jedenfalls in Lebensgröße in meiner Eingangstüre: Trenchcoat, Hut und Zigarrette; und in der Hand hielt er einen schwarzen Aktenkoffer aus abgewetzten Schweineleder, in dem er wohl Mary verstaut hatte.
„Tag Gunman. Gut, daß Du es so schnell einrichten konnten.“
„ Tag Norman. Miss Eklärzie. Ähmm, ich dachte, Mr. Miller wäre auch hier ?“
„ Aber natürlich. Er sitzt hier vor Dir. Mr. Miller - das ist Mr. Gunman, Inspector des hiesigen Drogenderzernats.“
Sie hätten Gunman´s Gesicht sehen sollen. Die Kinnlade fiel ihm nach unten, seine Kippe segelte zu Boden (zum Glück habe ich keinen teuren Perser in meinem Büro, sondern nur ei-nen völlig abgewetzten Parkettboden, der schon einige Zigarrettenkippen und manch anderes überstanden hat), und er machte ein Gesicht so voller Unverständnis, Unglauben und völliger Überraschung, wie ich selten eines gesehen habe. Und mein Job bringt es mit sich, daß man des öfteren erstaunte Gesichter zu sehen bekommt. Gunman war jedenfalls völlig von den Socken, und es dauerte einige Zeit, bis er wieder so weit hergestellt war, daß er seine Kom-munikationsfähigkeit wiedererlangt hatte.
„ Sie sind Mr. Miller ? DER Mr. Miller, der Joe Killer umgelegt hat ?“
„ In Notwehr getötet, richtig.“
„ Mann. Mann, Mann, Mann.“
„ Schön, wenn wir uns also gegenseitig vorgestellt haben, können wir vielleicht zur Sache kommen ?"
Madame Eclaircie hatte es offensichtlich eilig, Mary so schnell als möglich ihrer Zeremonie zu unterziehen. Seltsam. Eile war bisher eigentlich nicht eine ihrer Eigenschaften gewesen. Vielleicht sollte ich ihr einen Whiskey anbieten - wirkte bei mir immer beruhigend. Ich ent-schied mich dagegen. Wohl auch weil es sicher umso besser war, je schneller Gunman die Knarre wieder ins Präsidium zurück brachte, auch wenn Richie erst mal damit beschäftigt war, Bilder von dicken Herren mit Schweißperlen auf der Stirn und leicht- bis gar nicht bekleideten jungen Frauen verschwinden zu lassen. Also nahm ich Gunman den Koffer ab (er stand immer noch total verdutzt neben der Eingangstür) und drückte ihm ein Glas Whiskey in die Hand. Würde ihm helfen, wieder zu sich zu kommen. Ich legte den Aktenkoffer auf meinen alten Nußbaumschreibtisch, nachdem ich vorher einige Berge von Unterlagen (die sich schon seit Jahren angesammelt hatten, und von denen ich meistens gar nicht mehr wußte, zu welchem Fall sie eigentlich gehörten) zu den anderen Papierstapeln auf meinem Aktenschrank gelegt hatte. Mußte mal dringend aufräumen (das hatte ich mir ja eigentlich schon seit Jahren vorgenommen). Ich öffnete den Koffer und sah --- eine vollkommen normal, vielleicht sogar etwas langweilig aussehende Smith&Weston kleinsten Kalibers. Ich wollte sie rausnehmen, um sie Madame Eclaircie zu geben, als mir Mr. Miller in den Arm fiel.
„ Nein, nein, warten Sie. Fassen Sie sie nicht an.“
Hatte ich mich getäuscht oder hatte ich da tatsächlich so etwas wie einen drohenden Unterton in Mr. Millers Stimme gehört ? Nein, ich mußte mich getäuscht haben, dieser Mann war doch zu derlei Gemütsregungen gar nicht fähig. Oder etwa doch ?
„ Okay, okay, ist ja schon recht. Ist ja schließlich immer noch Ihre Waffe. Also, bitte.“
„ Meine Waffe, richtig.“
Als ich jetzt in Mr. Millers Augen schaute, glaubte ich, meinen eigenen Sehwerkzeugen nicht trauen zu können; da konnte man doch tatsächlich jenen seltsamen Glanz erkennen, den man sonst nur in den trüben Augen eines liebeskranken Büffels während der Brunftzeit zu sehen bekam. Mich überkam das seltsame Gefühl, daß zwischen Mary und unserem guten, braven Mr. Miller eine besondere Beziehung herrschte. Das könnte noch zu Problemen führen, auch wenn ich mir ziemlich sicher war, daß diese Beziehung nur von rein platonischer Natur war. Ich schaute zu Madame Eclaircie und bemerkte, daß auch ihr diese Wendung des Falles nicht sehr zu gefallen schien. Während Mr. Miller damit beschäftigt war, Mary in seine Arme zu nehmen und Gunman sich immer noch nicht von seinem Schock erholt hatte, nutzte ich die Zeit, um mich leise mit Madame Eclaircie zu unterhalten.
„ Ich habe das dumme Gefühl, daß uns hier noch ein Problem ins Haus steht.“
„ Wirklich nicht schön, diese Entwicklung. Aber ich habe das natürlich vorhergesehen. Es war doch nun wirklich abzusehen, daß ein Mann wie Mr. Miller, der noch nie etwas anderes kann-te als seine Arbeit , dem Zauber sofort verfallen würde.“
„ Zauber ?“
„ Nun ja, Mary´s Seele wurde natürlich mit einer bestimmten Absicht in dieser Waffe einges-perrt. Jemand versucht, auf diese Weise Einfluß auf Mr. Miller auszuüben. Mary wird dazu gezwungen, ihre Kräfte dazu zu nutzen, sich Mr. Millers Vertrauen zu erschleichen.“
„ Aahh ja, ... erscheint logisch ... und was soll sie dann mit seinem Vertrauen tun ?“
„ Ich hatte gehofft, daß Sie uns da weiterhelfen könnten. Dieser Chief Soul Shifter arbeitet normalerweise nicht auf eigene Rechnung, also muß jemand dahinter stecken, der ein Interesse an Mr. Miller´s Person hat.“
„ Securologie.“
„ Securologie ? Was hat diese Vereinigung von raffgierigen, skrupellosen, über Leichen ge-henden, gewissenlosen, unmenschlichen Bastarden mit Mr. Miller zu tun ?“
Anscheinend wußte auch Madame Eclaircie bei weitem nicht über alles Bescheid, was auf dieser Welt so vor sich ging. Also erklärte ich ihr die Beziehung zwischen Securologie und Mr. Miller. Sie machte ein sorgenvolles Gesicht, ein sehr sorgenvolles Gesicht sogar.
„ Nun, das erklärt natürlich einiges. Wahrscheinlich waren es auch diese Unmenschen, die einen magischen Schleier über die Sache gelegt haben, so daß selbst meine Fähigkeiten nicht ausgereicht haben, um die ganze Wahrheit zu erkennen. Wir haben es wohl nur der Tatsache zu verdanken, daß ich Soul Shifter schon seit längerem überwache, daß ich überhaupt etwas von der Sache bemerkt habe. Um so wichtiger ist es, daß wir jetzt schnell handeln. Als erstes müssen wir den Zauber brechen, dem Mr. Miller bereits so trefflich unterlegen ist. Bringen Sie mir etwas heißes Wasser, und zwar schnell.“
„ Ist Wasser aus einer Kaffeemaschine heiß genug ?“
„ Ja, ja, schön. Wir müssen Mr. Miller dazu bringen, eine Tasse mit einem kleinen Trank zu sich zu nehmen. Dazu wäre es vielleicht nötig, daß wir auch etwas trinken. Haben sie Tee ? “
„ Tee ? Nein, also wirklich, Tee habe ich keinen. Wie wär es denn mit Kaffee ?“
„ Das wird leider nicht gehen. Da werden Sie wohl Tee besorgen müssen. Und beeilen Sie sich, wir haben nicht viel Zeit.“
Ich ging also nach nebenan in meine kleine Küche um meine Kaffeemaschine in Gang zu set-zen. Das Ding war nur leider dermaßen verkalkt, daß es eine ganze Zeit in Anspruch nehmen würde, bis das Wasser durchgelaufen war. In der Zwischenzeit hatte Gunman seine Fassung wieder gewonnen und kam zu mir in die Küche.
„ Mann, das darf ja wohl nicht wahr sein. Diese graue Witzfigur hat Joe Killer um die Ecke gebracht ? Und was macht der da eigentlich mit der Knarre ? Man könnte gerade meinen, er hätte eine Liebesbeziehung mit dem Ding.“
„ Du weißt gar nicht, wie nahe Du da der Wahrheit bist. Hör zu, kannst Du mir einen Gefallen tun ? Geh doch bitte kurz über die Straße in den Supermarkt und kauf eine Packung Tee.“
„ Tee !?“
„ Tee.“
„ Ich habe das seltsame Gefühl, daß ich von Psychopathen umgeben bin, Mann.“
„ Ich erklär´ Dir alles, so bald wir Zeit haben. Versprochen. Aber jetzt ist es ziemlich eilig; könntest Du also schnell ... ?
„ Gut, Mann, gut, ich geh ja schon.“
Das Wasser war nach fünfzehn Minuten endlich durchgelaufen, und kurz zuvor kam Gunman auch schon zurück. Also machte ich uns einen Schwarztee. Darjeerling. Mit den dampfenden Tassen auf einem Tablett ging ich zurück ins Büro. Mr. Miller schien sich wieder etwas ge-fangen zu haben und unterhielt sich gerade mit Madame Eclaircie.
„ Mr. Miller, Madame Eclaircie, ich habe mir erlaubt, etwas Tee zu kochen. Ist ja schon nach fünf, also höchste Zeit zur Tee-Time, nicht ?“
„ Oh ja richtig, wie aufmerksam von Ihnen.“
„ Tee, wie schön.“
„ Mann, jetzt trinken die doch tatsächlich Tee, nicht zu fassen.“
Madame Eclaircie nahm mir das Tablett ab und ließ sehr geschickt etwas von einem feinen Pulver in eine der Tassen rieseln. Man sollte ihr eine solche Geschicklichkeit eigentlich gar nicht zutrauen. Danach stellte sie das Tablett auf meinem Schreibtisch ab und verteilte die Tassen an Gunman (der machte ein etwas saures Gesicht bei dem Gedanken, etwas anderes als Kaffee trinken zu müssen), an Mr. Miller und an mich (wobei ich ähnliche Gedanken wie Gunman hatte; wie konnte man bei einer solchen Hitze nur etwas anderes als einen kühlen Drink zu sich nehmen ?). Wir begannen also alle, langsam unseren Tee zu schlürfen (ich mußte dabei ein inneres Ekelgefühl bezwingen, wie ich es in intensiverer Weise nur einmal später erfahren mußte), und die Spannung stieg ins Unermeßliche, als endlich auch Mr. Miller begann, an seiner Tasse zu nippen.
„ Oh, ein etwas strenger Geschmack. Ich hoffe Sie haben kein normales Leitungswasser be-nutzt, um diesen Tee zu brühen ?“
„ Aahm, ja also eigentlich schon. Mir war nicht bewußt, daß es irgendeinen Unterschied ma-chen würde, welches Wasser man benutzt. Zum Kaffekochen jedenfalls benutze ich immer nur Leitungswasser.“
„ Aber, Herr Norman ! Die Qualität des Wassers trägt natürlich in ganz entscheidenden Masse zum Geschmack des Tees bei. Die Härte, der Gehalt an Mineralien, der Ph-Wert, all das hat seinen ganz besonderen Einfluß an der Güte. Ich hoffe, Sie haben wenigstens keine Teebeutel benutzt ?“
„ Nun ja, also eigentlich habe ich ja Gunman vorher kurz in den Supermarkt über die Straße geschickt, und da kam er eben mit dieser Packung an ... Tee-Mix von Kaffeekanne ... im Tee-beutel.“
„ Tja nun richtig, das erklärt natürlich einiges.“
„ Wieso Mann ? Also ich habe ja nun nicht viel Ahnung von Tee, aber ich finde dieser schmeckt ganz passabel. Nur Zucker fehlt noch. Norman, könntest Du mir mal die Zuckerdose rüberreichen ?“
Wie auch immer nun die Qualität des Tees war, auf jeden Fall trank Mr. Miller davon, und das war ja schließlich der einzige Zweck der Übung. Ich hatte ja eigentlich gedacht, daß irgendet-was besonderes passieren würde, wenn er von dem Tee trank. Was weiß ich, vielleicht daß er grün anlaufen würde, oder in Ohnmacht fallen, oder diesen seltsamen glasigen Blick bekommen würde, den man bei Junkies sehen kann. Oder wenigstens irgendwas, irgendwas. Aber es passierte einfach nichts. Zumindest nichts Auffälliges. Unbefriedigend, nicht ? Aber eben nicht zu ändern. Oder doch ? Eigentlich ist die Geschichte so ja zu langweilig. Zwar wahr, aber eben langweilig. Also: nochmal von vorn.
Nachdem Mr. Miller also überzeugt war, daß der etwas seltsame Geschmack seines Tees daher rührte, daß ich zu seiner Zubereitung infamerweise Teebeutel und normales Wasser benutzt hatte, nahm er endlich den ersten richtigen Schluck. Die Erwartung im Raum stieg ins Uner-meßliche. Die Hitze schien sich ins Abartige zu steigern, bis mir der Schweiß in Bächen, nein was sage ich, geradezu in Strömen vom Ausmaß des Jangtsekiang die Stirn und den Nacken herunterlief. Ich hörte ein seltsames Klappern, wie man es im Geschirrschrank während eines Erdbebens der Stufe 7,6 auf der nach oben offenen Staatsanwaltskala hören kann. Es war Madame Eclaircie´s Kaffetasse, die auf ihrem Unterteller ins Rotieren gekommen war, weil die gute Madame jegliche Kontrolle über ihre Extremitäten verloren hatte. Und dann passierte es. Zuerst war es nur eine Andeutung von Farbe in Mr. Millers Gesicht (bei der Grauheit seiner Haut jedoch auch so schon eine außerordentliche Erscheinung), die sich nach und nach immer weiter intensivierte. Die Augen begannen rot zu leuchten, und die Wangen sowie der Rest des Gesichts erstrahlten in einem geradezu blendendem Saphirgrün, das jedoch langsam in ein schreiendes Rubinrot überzugehen schien, während sich die Farbe der Augen langsam einem unergründlich tiefen Marineblauen annäherte ....
Also jetzt mal ganz ehrlich, das klingt doch alles ziemlich unglaubwürdig, oder ? Also, bleiben wir doch besser bei der Wahrheit, die ist zwar etwas unspektakulär, aber den anderen Unfug glaubt mir ja eh´ kein Mensch. Und auch wenn man nichts Auffälliges sehen konnte, so wirkte Madame Eclaircie´s Trunk doch ganz trefflich.
6. Ein Fall von Irrsinnigkeit
Als sich also der trübe Glanz in Millers Augen langsam verflüchtigt hatte, kamen wir endlich zum Wesentlichen. Madame Eclaircie begann, allerlei Absonderlichkeiten aus ihrer übergroßen Reisetasche zu zaubern. Eine goldene Schale auf drei Beinen, die ineinander verschlungen waren und in drei Schlangenköpfen endeten. Einen dazu passenden Deckel mit einem Henkel, der mich irgendwie an den Stachel eines Skorpions erinnerte (habe die Viecher mal im hiesi-gen Tierpark gesehen, und verspüre seither keine große Lust, mal eines in Natura zu erleben). Als nächstes zerkrümelte die Madame den Inhalt von unzähligen Beutelchen in der Schale. Frage mich heute noch, was das wohl alles gewesen ist. Wahrscheinlich Spinnenbein und Drachenblut oder irgendsoein anderes Zeug; gerochen hat es allerdings gar nicht so unange-nehm, eher im Gegenteil. Hat mich sogar irgendwie an diese Werbung erinnert, die man dauernd im Radio hören kann: Oleander, Lavendel, Jasmin – Sehr Schnell. Oder so. Jedenfalls roch es gut.
Als sie also alle Zutaten in der Schale untergebracht hatte, zauberte sie noch sieben Kerzen samt Kerzenhalter aus ihrer Tasche. Rote und weiße Kerzen auf silbernen und goldenen Ker-zenhaltern. Und an den Kerzenhaltern konnte man jeweils noch drei kleinere Halter sehen, in die Madame Eclaircie Räucherstäbchen steckte. Einundzwanzig Stück. Weißer Rauch begann den Raum zu füllen.
„ Um das Ritual korrekt vornehmen zu können, muß ich Sie jetzt leider bitten, Ihren Decken-ventilator abzustellen. Die magischen Düfte werden sonst zu schnell vertrieben.“
„ Oh jee, Madame Eclaircie, mir ist so schon zumute, als ob ich die letzten vier Stunden mit einem sibirischem Pelzmantel in einer finnischen Sauna verbracht hätte. Ist das wirklich not-wendig ?“
Die gute Madame wurde sehr bestimmt.
„ Ich kann Ihre Gefühle wegen der Hitze gut verstehen, wir sind aber etwas im Zeitdruck und es ist eben nicht zu vermeiden. Würden Sie jetzt also bitte ...?“
Weil irgendwas in ihren Augen dunkel zu glühen begann, sah ich recht schnell ein, daß es wohl besser wäre, ihr nicht weiter zu widersprechen. Sonst würde sie mich noch in einen Grasfrosch verwandeln. Oder eine Steinlaus. Kein schöner Gedanke.
„ Okay, okay; ich mach ja schon.“
„ Schön.“
Nachdem ich also den Monsun abgestellt hatte, begann Madame Eclaircie damit, den Inhalt der Schale zu entzünden. Oder vielmehr anzukokeln, denn das Zeug brannte eigentlich gar nicht, sondern schmurgelte nur langsam vor sich hin.
„ Schön. So, Mr. Miller, es ist soweit. Würden Sie bitte Mary in die Schale legen ? Es ist wichtig, daß Sie es selber tun.“
„ Wie ? Oh, richtig. Hmm, noch vor ein paar Minuten hätte ich Mary um nichts auf der Welt wieder hergeben. Aber jetzt ... seltsam. Aber gut.“
„ Moment, mann, moment. Ihr könnt die Knarre doch nicht da reinlegen. Wie die hinterher aussieht. Da merkt doch sogar der Blödeste, daß irgendjemand damit rumgefummelt hat. Überhaupt, was soll der ganze Klimbim hier überhaupt ?“
„Gunman, das geht schon kl..“
„ Mr. Gunman, ich kann Ihnen versichern, daß der Waffe nichts geschehen wird. Sie werden sie genauso wieder mitnehmen können, wie Sie sie hergebracht haben. Sie können mir ver-trauen, Mr. Gunman.“ Madame Eclaircie´s Augen bekamen wieder einen seltsamen Glanz, und Gunman´s Gesichtsausdruck wurde auch flugs freundlicher.
„ Mann, aber ... ich weiß nicht ... eigentlich ...“
Gunman murmelte noch eine Weile vor sich hin, setzte sich dann aber auf einen Stuhl in der Ecke und machte eine ziemlich verwirrtes Gesicht.
„ Schön. Kommen wir zur Sache.“
„ Richtig.“
Also legte Mr. Miller die Knarre, das heißt also Mary, in die Schale, aus der auch schon ein seltsam violetter, manchmal auch grünlicher, dann wieder blutroter aromatischer Rauch auf-zusteigen begann. Madame Eclaircie schloß den Deckel und verhüllte die gesamte Schale mit einem weißen Tuch aus indischer Seide. Vielleicht auch chinesische, eigentlich kenne ich mich da ja nicht so genau aus. Aber ob nun indisch oder chinesisch, auf jeden Fall bat sie Mr. Miller, die beiden Enden des Tuchs in die Hände zu nehmen, bevor Sie mit einem äußerst seltsamen Beschwörungsritual begann, von dem ich leider nicht allzuviel sehen konnte, weil sich mein Büro langsam aber sicher mit den weißen, grünen, violetten und blutroten Rauch-schwaden zu füllen begann. Mr. Miller bekam einen ziemlich üblen Hustenanfall. Mir und Gunman machte das eigentlich weniger aus. Ich glaube, Gunman hat sich sogar eine Zigarette angezündet. Mich erinnerte der Rauch an die Havanna, die ich in meinem Schreibtisch liegen hatte, und die ich mir heute abend gönnen wurde. Hach, es geht doch nichts über einen Som-merabend, wenn sich die Hitze über der Stadt langsam lüftet; rechts ein Glas Glen Mittich und links eine dicke Havanna. Die Sterne beginnen zu funkeln und ... aber genug Träumerei, zuerst war noch ein Stück Arbeit angesagt.
Kurz nachdem die Madame einen seltsamen Gesang begonnen hatte, begann der Deckel der Schale zu klappern. Dann konnte man ein seltsam pfeifendes Geräusch hören. Fast so wie ein Teekessel voll kochenden Wassers. Und dann ein Knall. Nur kam der nicht von der Schale, sondern von der Bürotüre, die jemand just in diesem Moment eingetreten hatte. Jemand mit rot-weißem Federschmuck und zahnlosem Grinsen. Nur, daß ihm das Grinsen vergangen war.
„ Banazi h´ási satu ! Banazi h´ási satu ! “
Keine Ahnung, was das heißt, kann kein Indianisch. Hat sich aber angehört wie eine Mi-schung aus „He, Du alte Schlampe, laß den Blödsinn !“ und „Oh jee oh jee, was mach ich nur, ich armer kleiner Medizinmann“. Auf jeden Fall hatte es Chief Soul Shifter ziemlich eilig gehabt, rein zu kommen. Eigentlich war die Tür nämlich offen gewesen, es hätte also völlig ausgereicht, die Klinke runterzudrücken, und ganz gemächlich die Tür aufzumachen. Aber wie soll man auch andererseits wissen, wie so eine Tür funktioniert, wenn man Zeit seines Lebens immer nur in Zelten gelebt hat ? Aber ist ja eigentlich ziemlich nebensächlich. Wichtig ist, daß der Chief da war und, nachdem er kurz ziemlich große Augen bekommen hatte, wie von der Tarantel gestochen auf die Silberschale zurannte. Mr. Miller stieß er kurzerhand zur Seite, woraufhin der über den nächsten Stuhl stolperte und sich dabei den rechten Arm, ein Bein und die linke Hand brach; war eben etwas ungeschickt, der gute Mr. Miller. Nachdem er also unseren Buchhalter (oh Pardon: Wirtschaftsprüfer und Steuerberater) so trefflich aus dem Weg geräumt hatte, schnappte sich Chief Soul Shifter die Schale, riß den Schal weg, machte den Deckel auf, langte rein, holte die Knarre raus und ... tja, das klingt jetzt irgendwie komisch, aber er fing tatsächlich an, sich das Ding an den Kopf zu hauen. Und das nicht nur einmal, sondern immer und immer wieder. Und dabei machte er auch noch ein ziemlich ver-wundertes Gesicht. Und irgendwie kam es mir die ganze Zeit so vor, als ob ich das schaden-frohe Lachen einer etwas piepsige Frauenstimme hören könnte. Komisch, nicht ? Aber wie es eben so ist, irgendwann ist auch der härteste Schädel weichgeklopft, und so knallte der ver-dutzte Chief der Länge nach auf meinen schmutzigbraunen Parkettboden. Muß sich dabei eine schlimme Beule geholt haben, wenn man bedenkt, wie er sich hinterher benommen hat. Aber eins nach dem anderen.
Kurz nachdem der Chief also seinen Kopf liebevoll an meinen Fußboden geschmiegt hatte und die Knarre neben ihm gefallen war, konnte man ein seltsam summendes Geräusch hören. Oder eigentlich war es eher rauschend. Ein summendes Rauschen sozusagen. Jedenfalls brach danach der Monsun von neuem in meinem Büro los. Verdutzt schaute ich nach oben zu dem Ventilator, der dort an der Holzdecke hing. Aber der drehte sich gar nicht. Und eigentlich kam der Wind ja auch gar nicht von oben; genauso wenig wie das rauschende Summen; das kam nämlich beides von Fußboden. Genau gesagt von Mary, die dort am Boden neben dem verbeulten Chief lag. Ich konnte aus dem Augenwinkel noch sehen, wie Madame Eclaircie erstaunlich behende zum Fenster eilte, und es eilig öffnete, bevor das Summen und Rauschen ohrenbetäubend wurde, und der Monsunwind sich zu einem Tornado steigerte, so daß es Gunman den Trenchcoat um die Ohren wirbelte und mir die Tränen in die Augen stiegen. Ich sollte eben doch öfter mal abstauben; so wurde der Staub der Jahrhunderte aufgewirbelt und ich konnte weder die Augen öffnen noch richtig atmen. Wobei mir letzteres dann doch etwas bedenklich vorkam.
Aber zum Glück dauerte der Spuk nicht lange; bald hörte ich einen Knall, der sogar den Tor-nado übertönte, und es wurde mir plötzlich seltsam kalt. Das war so ein Gefühl, als ob mir jemand literweise flüssigen Stickstoff intravenös verabreicht hätte. Auf einmal beneidete ich Gunman um seinen Trenchcoat. Der Tornado raste an mir vorbei, durch das Fenster, das mit einem lauten Knall zufiel. Müßig zu erwähnen, das die Scheibe zu Bruch ging. Konnte nur hoffen, daß es die nächsten paar Tage nicht regnen würde. War nämlich die Wetterseite, und dann würde ich hier in meinem Büro Windsurfen können (sofern ich zuvor meinen Ventilator einschalten würde). Für jetzt ebbte der Wind langsam ab, und so versuchte ich, die Augen zu öffnen und vorsichtig Luft zu holen.
Madame Eclaircie hatte sich ihren Schleier vors Gesicht gehalten, und so den Sturm ganz gut überstanden. Mr. Miller ging es nicht ganz so gut; er kniete gerade auf dem Boden und ver-suchte röchelnd, wieder zu Atem zu kommen. Gunman war gerade dabei, sich seinen knittri-gen Trenchcoat vom Kopf zu wickeln und fluchte dabei lauthals.
Und Chief Soul Shifter lag immer noch bewußtlos am Boden. Dabei machte er allerdings ein dermaßen verzerrtes Gesicht, daß ich annahm, daß er gerade von Freddy Krüger träumte. Oder von Maggie Thatcher, da konnte man sich nicht so ganz sicher sein.
„ Mann, mann, verdammt nochmal, verdammt, verdammt. Wo zum Henker kam denn dieser perverse scheiss Wind her. Kacke mann, meine Zigarette ist auch aus. Was n´Scheiss !“
„ Ohh - hust - mein Gott - röchel - Was ist denn - spuck - nur passiert ?“
„ Schön ! Wirklich wunderbar ! Wir haben es gerade noch geschafft. Mary ist frei !“
„ - Hust ! - Ist das richtig ?“
„ Aber ja, der Chief kam zum Glück zu spät. Und den werde ich mir jetzt als nächstes vor-nehmen.“
„ Moment, mann, das ist genug jetzt. Ich werde mir jetzt die Knarre nehmen und abhauen. Mann, sowas ist mir ja noch nie passiert.“
Gunman nahm sich also die Pistole, stieg durch die Reste meiner Bürotüre, und machte sich fluchend auf den Heimweg. Madame Eclaircie ging rüber zu Soul Shifter und gab ihm zwei drei nicht allzu zarte Ohrfeigen, die ihn wider zur Besinnung bringen sollten. Er schlug auch die Augen auf, starrte in das wenig freundliche Gesicht der Madame, und bekam einen fürch-terlichen Schreikrampf.
„ H´ana rassa´la sábi ! Die Geister, ohh, die Geister ! Nein, nein, freßt mich nicht auf ! Bitte, nein, bitte.“
„ He, Madame Eclaircie, der Typ scheint sie doch tatsächlich für ein Gespenst zu halten; ist wohl doch etwas heftig auf den Kopf gefallen, der Arme.“
„ Nein, ich denke, das hat andere Gründe. Kommen Sie doch mal her und schauen ihm ins Gesicht.“
„ Klar, kann ich schon machen. Soll ich dabei eine Grimasse ziehen, vielleicht so ? Buh !“
„ Ahhhh, sawanna rassukku ! Der neumal geschwänzte Teufel selbst ! Ooooooooohhhh !“
Ich beschloß, den armen Kerl in Ruhe zu lassen, und so schleppte er sich in eine Ecke meines Büros, begann auf den Knien hin und her zu wippen, und wimmerte dabei auf ziemlich klägliche Weise.
„ Schön, wirklich schön. Sieht so aus, als hätte dieser schlechte Mensch den Preis für seine Untaten gezahlt. Schön. Sehr schön.“
„ Tja, dann werde ich wohl mal einen Krankenwagen für ihn und für Mr. Miller besorgen.“
„ Ja, richtig, dafür wäre ich Ihnen sehr verbunden; ich glaube, ich habe mir bei dem Sturz über Ihren Stuhl sämtliche Gliedmassen gebrochen.“
„ Ooh, armer Mr. Miller, warten Sie, ich werde Ihnen helfen.“
Während sich also Madame Eclaircie um Mr. Miller kümmerte und Chief Soul Shifter wimmernd in der Ecke kauerte, rief ich zuerst in der Unfallklinik und danach im psychiatrischen Staatsklinikum an. Die Krankenwagen kamen auch bald darauf an; Mr. Miller wurde per Trage und Chief Soul Shifter per Zwangsjacke in die jeweiligen Wagen befördert. Mr. Miller wurde bald wieder entlassen, wenn auch mit ein paar Gipsbandagen; ganz anders Chief Soul Shifter; so viel ich weiß, sitzt er bis zum heutigen Tage in einer der Gummizellen der hiesigen Klapsmühle. Man sollte sich eben nicht mit Dingen beschäftigen, die über den eigenen geisti-gen Horizont gehen.
Die gute Madame verabschiedete sich auch recht bald. Etwas erschöpft zwar, aber äußerst gut gelaunt.
„ Nun denn, Mr. Norman, das war wahrhaftig ein erfolgreicher Tag. Ich denke, daß wir uns bald einmal wiedersehen werden. „
„ Gerne, ich hoffe nur, daß es dann etwas angenehmere Umstände sein werden. Das Ganze heute war doch etwas sehr ... ungewohnt.“
„ Mr. Norman, ich muß Ihnen leider sagen, daß Sie sich mit solchen Dingen abfinden müssen. Es ist Ihnen vorbestimmt, auch in ....“
„ Nein, bitte reden Sie nicht weiter. Seien Sie mir nicht böse, aber das war wirklich genug irrationales für einen Tag. Ich brauche jetzt erst mal eine Erholungspause.“
„ Schön, wie Sie meinen, aber wir werden uns trotzdem bald wiedersehen. Machen Sie es gut, Mr. Norman.“
„ Will ich versuchen. Wiedersehen, Madame Eclaircie.“
Kurz darauf rief Guman nochmal an. Von wegen der Knarre. Also telefonierte ich nochmal kurz mit Richie, dem Typ aus dem Magazin. Ja, der Polizeipräsident wäre ihm sehr dankbar, und würde sich mit Sicherheit bald an Richie erinnern, wenn es um die nächsten Beförderun-gen gehen würde, selbstverständlich. Mußte mal schauen, ob Gunman da irgendwas machen konnte. Ich legte den Hörer auf mit dem Gefühl, meine Sache wirklich gut gemacht zu haben.
Und so hatte ich wieder einen Fall gelöst, ohne mein Büro verlassen zu müssen. War bei die-sen Temperaturen auch angenehmer. Ich schaltete den Ventilator wieder ein, dann ging ich zum Kühlschrank, um mir etwas von dem Eis zu holen. War gerade gefroren. Ich gönnte mir einen Doppelten und stellte mich in den indischen Monsun.