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Lost

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28.11.2014
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Lost

Julia wachte auf aus diesem nervösen Zustand zwischen Wachen und Schlafen, erhob sich. Das Auto war gekommen. Vom Fenster aus sah sie, wie sich die Tür des schwarzen Audi öffnete und ihre Tochter ausstieg. Das Licht der Straßenbeleuchtung ließ sie die beiden vorne sitzenden Männer erkennen. Sie trugen Sonnenbrillen. Der Fahrer hatte seine auf den glatt rasierten Kopf geschoben. Beide blickten nach vorne. Das Auto fuhr weiter.
Antonia öffnete das kleine Gartentor, ging über den unebenen Weg zum Haus. Der Hund lief schwanzwedelnd neben ihr her. Sie beachtete ihn nicht. Sie schwankte ein wenig mit ihren überhohen Absätzen, fing sich wieder und setzte ihren Weg fort.
Julia nahm die Zigarettenschachtel, die auf dem Regal neben dem Fenster lag, fingerte eine heraus. Die ersten tiefen Züge machten sie etwas ruhiger. Sie konnte sich nicht vom Fenster lösen, sah immer noch auf den Weg, der vom Tor zum Haus führte, grübelte, wie sie sich entscheiden sollte.


Auf den Gartenweg blickend sah sie ihr kleines Mädchen, wie es durch das Gartentor über den schmalen Weg hüpfend und vom Hund fröhlich begrüßt von der Schule nach Hause kam. Es brauchte meist eine Zeit, bis es die Haustür erreicht hatte. Immer und immer wieder sprang der Hund an ihm hoch. Das Mädchen freute sich über das Schwanzwedeln des Hundes, nahm sein Spielzeug, warf es ein paar Meter weit und wartete darauf, dass er es holte und ihr zurückbrachte. Julia liebte es, den beiden zuzusehen. Es machte sie glücklich. Sie war stolz auf ihre schöne Tochter mit den langen schwarzen Haaren und den dunklen Augen. Ihr Körper war schlank und elastisch. Es machte Julia Spaß, sie immer wieder neu zu kleiden, so wie man es mit Puppen macht. Hin und wieder gingen sie zusammen zum Fotografen. Beiden gefiel es, wenn Antonia in den Alben aussah wie ein Model aus den Zeitschriften.

Julia war erst 16, als Antonias Existenz Gewissheit wurde. Der Vater lehnte jegliche Verantwortung ab, zog sich zurück, verließ sie, noch bevor das Kind geboren wurde. Sie allein musste sich entscheiden. Ihre Eltern standen ihr zur Seite, ordneten ihr Leben und gaben ihr die Geborgenheit, die folgenden Jahre zu bestehen. So konnte sie die Schule beenden, einen Beruf finden, mit ihrer Tochter im Haus der Eltern leben. Antonia wurde der Mittelpunkt ihres Denkens. Liebevoll verwöhnte Julia sie, sah ihr vieles nach, ebnete ihr alle Wege, übersah den sich allmählich bildenden Egoismus. Hilflos stand sie der Verwandlung des fröhlichen kleinen Mädchens zur aggressiven, frechen Fünfzehnjährigen gegenüber. Versuche, in Ruhe einen Weg der Verständigung zu finden, endeten in Geschrei und Abbruch. Aus dem kleinen, von allen geliebten Kind war ein junges Mädchen geworden, dessen Denken sich allein um ihren Körper, ihr Aussehen und ihre Wirkung auf Männer drehte.

Julia dachte an die ersten Nächte, in denen sie schlaflos, eine Zigarette nach der anderen rauchend, verzweifelt vor Angst wartete. Sie spürte, dass sie abgeschnitten war von dem, was Antonia dachte und tat. Sie suchte nach Erklärungen, nach ihrer Schuld.
Aus einzelnen Nächten wurden Nächte und Tage, unterbrochen von Auseinandersetzungen, in denen sie flehte, drohte, immer wieder dasselbe sagte - erkennend, dass all ihre Worte abprallten, verloren waren.
Es gab Momente, in denen sie Hoffnung spürte. Doch wenn sie später auf die Situation zurückblickte, erkannte sie, dass nicht sie selber das Ziel der plötzlichen Zuwendung ihrer Tochter war, sondern das Geld, das Antonia immer wieder benötigte. Versuchte sie die Hilfe zu verweigern oder an Bedingungen zu knüpfen, so zeigten Antonias Reaktionen, wie weit ihre Tochter sich von ihr entfernt hatte

Julia erinnerte sich an das Frühjahr.
Die alte Dame, die sie betreute, hatte sich eine Seniorenwohnung gekauft. Ihr Mann war vor kurzem gestorben und sie wollte ihre letzten Jahren nicht in der hektischen Großstadt, sondern in ihrer ländlichen Heimat verbringen. Sie bat Julia, mit ihr zu fahren und ihr zu helfen, die Wohnung auszustatten und alles zu regeln.
Julia geriet in einen Konflikt. Konnte sie Antonia allein zurücklassen, würde nichts passieren? Der Zufall kam ihr zu Hilfe. Eine Klassenfahrt nach London fiel genau in die Zeit, in der Julia nicht zu Hause sein würde. Alles schien perfekt zu sein.
Kurz vorher meldete sich die Schule, teilte ihr mit, dass Antonia wieder vier Tage unentschuldigt gefehlt habe, drohte mit Konsequenzen. Julia war wütend, ließ sich zu einer Kurzschlusshandlung hinreißen und sagte Antonias Teilnahme an der Fahrt ab. Natürlich konnte ihr nur ein Teil der Kosten zurückgegeben werden.
Innerlich nervös und durchdrungen von einer diffusen Angst fuhr sie los.

Julias Handy klingelte. Sie sah, dass es ihre Tochter war, wurde unruhig.
Antonia klang aufgeregt:„Hallo Mama, wie geht es dir? Wann bist du zurück?“
„Ich bin erst am Wochenende wieder zu Hause.“
„Kannst du nicht früher kommen?“, drängelte Antonia.
„Nein, wir haben am Freitagnachmittag noch einen Termin beim Notar. Deshalb können wir erst am Samstag fahren. Was ist passiert?“
„Nichts, aber ich brauche 50 Euro.“
„Wofür ?“ Julia zitterte.
„Kann ich jetzt nicht sagen. Aber es ist wichtig.“ Antonias Stimme schlug um in ein Kreischen. „Sehr, sehr wichtig.“ Sie holte Luft. „Ich bekomme Probleme, wenn ich das Geld morgen nicht habe.“ Sie machte eine Pause. Julia sagte nichts, wartete.
„Was ist mit dem Geld von der London-Fahrt? Kann Omi mir das nicht geben?“
„Nein, das habe ich hier bei mir. Aber noch mal: Wofür brauchst du das Geld?“
„Das geht dich nichts an. Das ist meine Sache.“ Antonias Stimme wurde aggressiver: „Überhaupt ist es ja mein Geld“, schrie sie.
„Es geht nicht. Du musst warten, bis ich zurück bin.“ Keine Reaktion. Das Gespräch wurde unterbrochen.
Kurze Zeit später klingelte es wieder.
Julias Mutter. Völlig aufgelöst. Antonia stehe vor ihr und brauche sofort Geld.
Im Hintergrund hörte Julia, wie Antonia hysterisch schrie.
„Es tut mir leid. Ich kann nicht vor Freitagabend zurück sein. Sie muss warten“, sagte Julia. Antonia hörte nicht auf zu kreischen.
„Ich habe nicht soviel Geld im Haus. Was soll ich nur machen?“, jammerte Julias Mutter.
„Ich weiß es auch nicht. Ich melde mich gleich noch mal.“
Julia beendete das Gespräch.
Sie entschuldigte sich, lief vor die Haustür, zündete sich eine Zigarette an und überlegte, was sie unternehmen könne. Es war schon acht Uhr abends. Eine Schnellüberweisung war nicht möglich. Das Handy klingelte erneut. Es war wieder Julias Mutter.
„Sie ist weg. Fast wäre sie auf mich losgegangen. Ich habe ihr meinen letzten Zwanziger gegeben. Sie hat die Tür hinter sich zugeschlagen und ist raus. Weißt du, sie sieht fürchterlich aus mit ihren strähnigen Haaren. Was soll nur werden?“
„Wir können nichts machen. Versuche dich zu beruhigen. Wenn es irgendwie möglich ist, komme ich früher zurück.“

Diesmal blieb Antonia länger als eine Woche weg. Die Schule meldete sich, forderte Julias Teilnahme an einer Konferenz, schrieb ihr, ihre Tochter sei sehr oft nicht zum Unterricht erschienen, habe mehreren Mitschülern Geld gestohlen.
Julia empfand das Peinliche der Situation, wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Sie versuchte Haltung zu bewahren, bat um eine letzte Chance.

Ihre Tochter änderte ihr Verhalten nicht. Wann immer sie sich begegneten, kam es zu weiteren Auseinandersetzungen. Antonia kam jetzt nur noch sporadisch – meist nur, um sich andere Kleidung zu holen. Sie schminkte sich stärker als früher, sah zunehmend ungepflegter aus. Julia nahm wahr, dass sie auch nicht gut roch. Ihr Geruch mischte sich mit dem billigen Parfum, das sie benutzte.

Die Schule teilte Julia mit, ihre Tochter habe die Auflagen der letzten Konferenz nicht erfüllt und man müsse sich von ihr trennen. Sie wurde für den Rest der Schulzeit an eine andere Schule verwiesen. Einen Monat später wurde Antonia achtzehn.

Irgendwann erfuhr Julia, dass Antonia einen Jungen kennen gelernt hatte und in dessen Familie lebte. Sie besorgte sich die Anschrift und fuhr hin. Die Mutter des Jungen öffnete. Julia spürte die Traurigkeit der Situation. Die gesamte Wohnung wirkte unaufgeräumt. Ein kleines Mädchen stand hinter der Mutter, am Tisch saß ein anderes Mädchen und machte Schulaufgaben. Antonia war nicht dort, der Junge auch nicht. Die Mutter wusste nicht, wo die beiden sein könnten.
Sie seien ein paar Nächte dort gewesen, gegen Mittag meistens wieder aufgebrochen und erst in der Nacht zurückgekommen. „Ich kann mich nicht um alles kümmern. Jan ist achtzehn. Er ist erwachsen. Er muss selber wissen, was er tut“, war alles, was Julia von der Mutter des Jungen hörte.

Wochen später kam Antonia zurück. Sie hatten sich getrennt. Antonia wollte weiterhin in ihrem Zimmer wohnen. Sie sprach davon, einen Fotografen getroffen zu haben, der ein Portfolio von ihr erstellen wolle. Sie war optimistisch, euphorisch. Julia ergriff den Strohhalm und bestärkte sie. Sie wollte glauben, dass jetzt alles besser würde.
Es wurde besser: Antonia schien jetzt kein Geld mehr zu brauchen. Mehr oder weniger regelmäßig war sie nun auch zu Hause. Meist kam sie in den frühen Morgenstunden heim.


Julia hörte, wie Antonia ihre Zimmertür schloss, drückte die Zigarette im Aschenbecher aus, ging ins Bad. Zeit, sich fertig zu machen. Es war kurz vor sechs und der Bus fuhr um sieben.
Als sie aus dem Bad kam, öffnete sich die Tür und ihre Tochter kam aus dem Zimmer. Aus dem hübschen Kind war in wenigen Jahren eine Fremde geworden. Die schwarzen Haare, nun blauschwarz gefärbt, waren stumpf und an ihren Spitzen brüchig, die schönen dunklen Augen schwarz umrandet. Sie ließen das blasse Gesicht noch fahler, noch kranker erscheinen. Mutter und Tochter sahen sich an. Sie fanden keine Worte, sich zu begrüßen.
„Achtest du darauf, das Tor zu verriegeln, wenn du heute Abend weggehst?“
„Ja, mach ich“, antwortete die Tochter rau, fast unhörbar, und ging ins Bad.
Beide waren sie müde geworden, bäumten sich nicht mehr auf.

Julia nahm ihre Tasche und öffnete die Haustür.
Sie würde heute der alten Dame zusagen und zu ihr ziehen. Vielleicht hatte sie noch eine Chance.

 
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Hallo Barnhelm,

Deine Geschichte beschreibt die Entfremdung zwischen einer alleinstehenden Frau (Julia) und ihrer Tochter (Antonia). Ein kurzer Rückblick zeigt, dass es einmal anders gewesen ist, dass es glücklichere Zeiten gab, in denen die Tochter - hübsch und brav - der Stolz ihrer Mutter war. Doch mit der Pubertät von Antonia kommt die Krise. Sie entwickelt sich zu einem egoistischen Biest, das nur Sinn dafür hat, sich schick zu machen und sich mit Jungs bzw. Männern herumzutreiben. Sie ist selten zu Haus, und ihr einziger Wunsch gegenüber ihrer Mutter scheint sich auf das Abgreifen von finanziellen Zuwendungen zu beziehen. Die Geschichte endet titelgemäß hoffnungslos – die Mutter beschließt, wegzuziehen, es erscheint ihr sinnlos, sich noch weiter um Antonia zu bemühen.

1) Anschaulichkeit

Die Geschichte ist routiniert geschrieben. Ein Problem sehe ich aber in dem berichtartigen Stil, der einerseits durch die Nüchternheit der Sprache und andererseits durch die zusammenfassende, raffende Schreibweise entsteht. Dieser Stil erinnert ein bisschen an die Art, wie Gerichtsreporter die Vorgeschichte eines Falles illustrieren. Es fehlt – für meine Begriffe – das Literarische.

Dazu muss man sich, glaube ich, klarmachen, dass der Anspruch, langfristige Prozesse glaubwürdig darzustellen, beim Schreiben von Kurzgeschichten eine Bürde sein kann.

Julia war erst 16, als Antonias Existenz Gewissheit wurde. Der Vater lehnte jegliche Verantwortung ab, zog sich zurück, verließ sie, noch bevor das Kind geboren wurde. Sie allein musste sich entscheiden. Ihre Eltern standen ihr zur Seite, ordneten ihr Leben und gaben ihr die Geborgenheit, die folgenden Jahre zu bestehen. So konnte sie die Schule beenden, einen Beruf finden, mit ihrer Tochter im Haus der Eltern leben. Antonia wurde der Mittelpunkt ihres Denkens. Liebevoll verwöhnte Julia sie, sah ihr vieles nach, ebnete ihr alle Wege, übersah den sich allmählich bildenden Egoismus. Hilflos stand sie der Verwandlung des fröhlichen kleinen Mädchens zur aggressiven, frechen Fünfzehnjährigen gegenüber. Versuche, in Ruhe einen Weg der Verständigung zu finden, endeten in Geschrei und Abbruch. Aus dem kleinen von allen geliebten Kind war ein junges Mädchen geworden, dessen Denken sich allein um ihren Körper, ihr Aussehen und ihre Wirkung auf Männer drehte.

Dies hier ist eine Zusammenfassung. Die Crux bei Zusammenfassungen besteht darin, dass Menschen darin nichts konkretes tun:

- Antonias Existenz wurde Gewissheit
- der Vater lehnte jegliche Verantwortung ab
- zog sich zurück, verließ sie
- sie allein musste sich entscheiden
- ihre Eltern standen ihr zur Seite
- sie gaben ihr Geborgenheit
- sie konnte die Schule beenden usw. usf.

Nichts davon ist die Darstellung einer konkreten Handlung. Ein Text wird aber nur anschaulich, wenn wir als Leser vor unserem geistigen Auge sehen, dass da jemand eine Tür öffnet, sich an einen Tisch setzt, mit der Faust gegen eine Wand haut, sich ein Glas Milch eingießt. Verantwortung ablehnen ist keine konkrete Handlung, erzeugt deshalb kein Bild.

Aus diesem Grund ist es geschickter, dem Leser nicht die Bedeutung der Handlung zu beschreiben, sondern Handlungen, aus denen der Leser die Bedeutung entnehmen kann. Also: Besser als zusammenzufassen Felix Beziehung zu Peter war von Gewalt geprägt ist, Felix ballte seine Faust und schlug Peter ins Gesicht.

Natürlich besteht dabei das Problem, dass konkrete Handlungen oft mehrdeutig sind. Du musst als Autor sicherstellen, dass die Handlungen Deiner Protagonisten vom Leser richtig gedeutet werden können.

Trotzdem gilt grundsätzlich so wenig wie möglich zusammenfassend und so viel wie möglich szenisch zu schreiben, wenn man Anschaulichkeit erreichen will. Anschaulichkeit wiederum ist ein wesentliches Mittel, um Kurzgeschichten interessant zu gestalten und den Leser bei der Stange zu halten. Je intensiver die Bilder sind, die der Leser vor Augen hat, desto besser.

2) Konflikt

Ich finde schon, dass Du den Konflikt gut beschrieben hast. Man kann sich vorstellen, was da passiert. Die Problemsituation ist ja grundsätzlich weithin bekannt. Nahezu alle Eltern mit jugendlichen Kindern wissen, dass die Pubertät eine sehr schwierige Phase für alle Beteiligten ist. Interessant ist hier, dass Du eine Ursache des Problems im Verhalten der Mutter beschreibst, die ihre Tochter verwöhnt hat.

Das ist ein Aspekt der mich sehr bewegt, weil ich das auch aus meiner Familie (Schwester) und aus meinem Freundeskreis kenne. Ich finde es bemerkenswert, dass viele Eltern das scheinbar nicht begreifen. Man kann das Leben der eigenen Kinder durch Verwöhnen ebenso nachhaltig schädigen wie durch Vernachlässigen.

Ich hätte den Konflikt wahrscheinlich drastischer und szenischer dargestellt, aber ich finde, man kann es auch so machen, wie in Deinem Text.

3) Auflösung

Die Auflösung des Konfliktes finde ich problematisch. Nicht weil es unrealistisch wäre, sondern weil es den Gesetzmäßigkeiten gelungener Geschichtenkonstruktion widerspricht, denke ich. Der Konflikt wird in Deinem Text dadurch gelöst, dass die Mutter resigniert und die Projekte Tochtererziehung und Tochterbeziehung aufgibt. Mal abgesehen davon, dass das natürlich schade ist, ist es auch ein Ende ohne Biss. Es ist so, als würde man einem See beim Vertrocknen zuschauen.

Ich finde nicht, dass das gut funktioniert. Sollte am Ende nicht etwas passieren, das die Bedeutungsebene des Textes anhebt, in Frage stellt, neudefiniert? Ich finde es gut, wenn das Ende einer Geschichte all den scheinbaren oder tatsächlichen Erkenntnissen, die der Leser während der Lektüre gemacht hat, einen kleinen Stoß versetzt. Den Leser in seinen Mutmaßungen zu bestätigen, ist keine stimulierende Art zu schreiben. Vielleicht fällt Dir eine Variation zu diesem Ende ein.

___________

Barnhelm, ich habe den Text gern gelesen und freue mich auf weitere Geschichten von Dir.

Gruß Achillus

 

Lieber Achillus,
erst einmal danke für deinen sehr ausführlichen Kommentar.
Ich beginne gerade damit, mich mit dem Thema 'Verfassen von Kurzgeschichten' zu beschäftigen.
Wenn ich recht darüber nachdenke, so habe ich - bis auf meine Schulzeit - immer nur Sachtexte verfasst. Die liegen mir. Mit Literatur habe ich mich bisher nur als Leser auseinandergesetzt. Die Seite des Produzenten lerne ich gerade kennen.
Du gibst mir wirklich gute Anregungen und ich glaube zu verstehen, was du meinst.
Mein Problem ist eigentlich das anschauliche Entwickeln von Situationen. Dabei fällt es mir noch nicht einmal schwer, mir eine Situation vorzustellen, allerdings merke ich, wie schwer mir die Umsetzung ins Konkrete fällt, wie schwer es mir fällt, eine konkrete Handlung zu erfinden und zu beschreiben, Dialoge zu entwickeln. Ich werde weiter üben. Es macht mir Spaß. Ob es mir gelingt, ist eine andere Frage.
In dieser Geschichte habe ich eigentlich nur aufgeschrieben, was mir begegnet ist. So verhält es sich auch mit dem Schluss, der ein echter ist. Er gefällt mir, weil er für mich eine mögliche Konsequenz der vorherigen Handlung darstellt.
Ich sehe aber auch die Vorhersagbarkeit und werde über mögliche Alternativen nachdenken.
Insgesamt bin ich dir sehr dankbar für deine Anregungen, weil ich sie als konstruktiv empfinde.

Ich wünsche dir fröhliche Ostern und viele bunte Ostereier.
Freundliche Grüße
barnhelm

 
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Hallo Barnhelm,

so habe ich - bis auf meine Schulzeit - immer nur Sachtexte verfasst

und dies merkt man sehr, gerade da ich früher auch dieses Problem hatte. Achillus hat sich aber dazu schon detailliert geäussert und ich kann dir seinen Tipp wärmsten empfehlen.

dem Leser nicht die Bedeutung der Handlung zu beschreiben, sondern Handlungen, aus denen der Leser die Bedeutung entnehmen kann.

Für mich blieben die Figuren leider blass. Das lag nicht nur an deiner Schreibweise sondern auch daran, dass ich keinen Bezug zu den Protagonisten bzw. vorallem zu Julia aufbauen konnte. Man erfährt sehr wenig über die Persönlichkeit von Julia. Vermutlich hast du ein ganz anderes Bild von Julia als ich, da:

In dieser Geschichte habe ich eigentlich nur aufgeschrieben, was mir begegnet ist.

Ein Teil der Leser hat diese Erfahrung aber nicht gemacht oder miterlebt.

Der Schluss, hmmmm, klar Achillus hat hier recht, aber ich kann mich auch mit deiner Version anfreunden. Nur, der Leser sollte es nicht so sehen:

Es ist so, als würde man einem See beim Vertrocknen zuschauen.

Dies ist das langweilige Ende. Man kann es aber auch spannend schreiben. Die Fische verenden, der Boden wird spröde, Pflanzen siedeln sich wieder an, versunkene Dörfer tauchen vielleicht auf, Landtiere erobern den Raum zurück und so weiter ... Es ist einfach eine Ansichtssache.

Für mich stellte sich auch schnell die Frage, um was es hier überhaupt geht. Klar, es handelt sich um eine Entfremdung von Mutter und Tochter. Jetzt hab ich auch gerade deine Geschichte zusammengefasst. Und dann? Um was ging es dir in deiner Geschichte, was wolltest du uns mitteilen? Ich habe deine Geschichte so aufgefasst, dass es um Entfremdung geht. Nicht aber um die Personen, was es für sie bedeutet, wie sie leiden, wo sie die Gründe sehen, ihre Verzweiflung etc. Ja es gibt ein paar Sätze dazu, aber keine Geschichte. Du protokollierst eine Entfremdung. Ich bin sicher, dass dies nicht deine Absicht war.

Interessant fände ich es, wenn du aus der Sicht der Protagonisten schreibst, z.B. einmal aus der Sicht von Julia und einmal von Antonia. Da kann man unglaublich viel hineinpacken - Julia wollte eigentlich dies bezwecken, aber Antonia hat dies dann so aufgefasst etc.

Mein Tipp ist eine komplette Überarbeitung der Geschichte. Das haben hier schon viele gemacht und das Resultat war eigentlich immer beachtlich. Bin auch sicher, dass dies bei dir der Fall sein wird.

So, lass dich nicht von meiner Kritik abschrecken. Soll dich nur motivieren :). Vielleicht solltest du dich mehr von Emotionen leiten lassen, wie bei deiner guten Nimrud Kritik.

viele Grüße
Kroko

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Kroko,
ich danke auch dir für deinen Kommentar. Du bist darin ja nahe bei Achillus, gibst mir zudem aber auch weitere gute Hilfestellungen und Anregungen.
Ich sitze hier gerade und denke genau über das von dir Angesprochene nach: mit der Geschichte noch einmal ganz von vorne zu beginnen. Julia und Antonia, wie ich sie nenne, sind mir sehr nahe und es müsste mir eigentlich möglich sein, sie zu charakterisieren und typische Situationen zu entwickeln. Ich werd's auf jeden Fall versuchen.
Ich bin in der glücklichen Situation, Zeit ohne Ende zu haben, und kann meine Gedanken spazieren gehen lassen. (Darf nur Mann, Hund, Katze und Garten nicht allzu sehr vernachlässigen :) ) Diesen Zustand habe ich mir lange gewünscht.
Danke auch für deine Bemerkung zu "Nimrud". Eher nüchtern, wie ich sonst bin, habe ich hier mal ziemlich emotional reagiert.
Auch dir wünsche ich fröhliche Ostern.
Freundliche Grüße
barnhelm

 

Hallo Kroko,

Die nachfolgende Argumentation von heiterbiswolkig lässt sich nicht halten, da Nimrud wie auch viele andere Städte und Kulturen schon oft zerstört wurden.
Diese Behauptung zur Argumentation lässt sich nicht halten, da heiterbiswolkig in ihrem Kommentaren auch auf diesen Aspekt umfänglich eingegangen ist.

Das ist aber off-topic und gehört nicht unter diese Geschichte.

 

Lieber Morphin,

auch dir danke ich für deinen Kommentar und für den Verweis auf die Musikstücke. Heute Abend bei einem Glas Wein werde ich mir Prokofiev anhören.

Du musst mit Deinen Charakteren weinen können und lachen, böse auf sie sein, traurig vereint und voller Mut. Du musst zu ihnen hinabsteigen wie Dante und Vergil in die Hölle.

Genau das scheint mir im Moment noch mein Problem zu sein. Die Distanz zu den Personen, über die ich schreiben möchte, abzubauen, ihnen nahe zu kommen. Ich werde es versuchen und – wie schon Kroko es mir geraten hat – noch einmal ganz von vorne beginnen. Ob es mir gelingt, kann ich noch nicht sagen. Aber ich habe die Muße, mich darin zu üben.

Auch dir wünsche ich ein frohes Osterfest.

Freundliche Grüße
barnhelm

 

Hallo barnhelm,

es wird – wie schon seit Achills Tagen und den Nachfolgern schon dargestellt - nüchtern beschrieben, wobei mich eigentlich nur zwei Dinge stören: Die Automarke* und eine gewisse Anhäufung des Possessivpronomens „ihr“, besonders in Verbindung mit dem Substantiv Tochter, was allerdings auch seine Funktion erfüllt. Der Entfremdung sucht man durchs gleichmachende, scheinbar näherbringende Wortkonstrukte wie „mein/e Kind/Tochter“ zu entkommen, wenn Familienbande (oder überhaupt Beziehungen) bis zum Zerreißen gestört sind – aus welchem Grund auch immer – werden Besitzansprüche gestellt.

Bissken Zeichensetzung

Aus dem kleinen[,] von allen geliebten Kind war ein junges Mädchen geworden,

Antonia kam jetzt nur noch sporadisch – meist nur[,] um sich andere Kleidung zu holen.

Zeit[,] sich fertig zu machen.

„Scheinen“ hat inzwischen den Status wie „brauchen“, und Du kennst ja den Spruch, „wer brauchen ohne zu gebraucht, braucht brauchen gar nicht zu gebrauchen“. Und wer wüsste hierorts noch nicht, dass selbst der Mond sich sein Licht leihen muss, denn allein die Sonne scheint. Was hier geradezu perfekt durch die Verwendung von brauchen verdeckt wird

Antonia schien jetzt kein Geld mehr zu brauchen.
Wäre im folgenden durch den Infinitiv zu ergänzen
Alles schien perfekt [zu sein].
Die Dudengrammatik umgeht übrigens i. d. R. dieses Problem, indem sie „erscheinen“ einsetzt.

Gleichwohl gern gelesen vom

Friedel,
der noch schöne Tage diese Tage wünscht!


* Ich unterstelle nicht Schleichwerbung. Wer wüsste nicht heute noch, was eine Kutsche sei – aber das Lloyd-Koplastwunder kennen nur noch wenige, die sich mal gegen ein solches „Papp“-Auto gelehnt haben und ihr Gesäß darin abbildeten.

 

Lieber Friedel,
danke für deinen Kommentar und natürlich für den Hinweis auf die ‚Feinheiten’.

Toll, wie du deinen Finger immer wieder auf die Schwachstellen legst. Ich habe versucht, alles zu berichtigen.

Schöne sturmfreie Ostertage
wünscht dir
barnhelm

*)Zu der von dir im Anhang erwähnten Automarke:
Meine Eltern besaßen ein ebensolches Gefährt als Kombi, in dem sie ihre vier Töchter gut unterbringen konnten. Drei saßen auf der Rückbank, eine hinten quer. Tolle Zeiten.

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe barnhelm,

zunächst möchte ich mich entschuldigen, dass mein erster Kommentar unter deiner Geschichte nichts mit deiner Geschichte zu tun hatte. Ich hätte das gleich per PN klären sollen und nicht hier darauf reagieren, das tut mir leid!

Ich möchte auch etwas zur Diskussion um einen „neutralen“ bzw. beschreibenden Stil beitragen (muss aber gleich sagen, dass ich nicht alle Kommentare komplett gelesen habe). Ich denke, der Stil kann dann sehr gut funktionieren bzw., man kann sehr gut üben und ihn erzählerisch zu schleifen, wenn man aus der ich-Perspektive schreibt. Unter deine Geschichte "Absacker" hat, soweit ich mich erinnere, niemand geschrieben, es wäre zu nüchtern gewesen. Man nähert sich automatisch sprachlich emotionaler an Themen an und kann ja dann, in einem nächsten Schritt „zu persönliche“ Infos wieder heraus nehmen. Vielleicht nur so als Schreibübung: versuch einmal dieselbe Geschichte aus der Perspektive von Julia zu schreiben.

Einige inhaltliche Anmerkungen:

Auf den Gartenweg blickend sah sie ihr kleines Mädchen, wie es durch das Gartentor über den schmalen Weg hüpfend und vom Hund fröhlich begrüßt von der Schule nach Hause kam. Es brauchte immer eine Zeit, bis es die Haustür erreicht hatte. Immer und immer wieder sprang der Hund an ihm hoch. Das Mädchen freute sich über das Schwanzwedeln des Hundes, nahm sein Spielzeug, warf es ein paar Meter weit und wartete darauf, dass er es holte und ihr zurückbrachte.
Ich finde in diesem Absatz zeigt sich sehr schön, wie du deine Erzählung aufbaust. Du greifst immer ein Stück von der letzten Info auf, fügst ein bisschen was Neues hinzu und deutest etwas an, was du im nächsten Satz dann wieder aufgreifst, ein wenig hinzufügst usw. So entstehen zwar definitiv keine Handlungslücken, man muss jedoch ein bisschen aufpassen, dass es nicht zu langatmig wird. Ich möchte dir einen Kürzungsvorschlag machen:
„Sie sah ihr kleines Mädchen, das gerade aus der Schule kam, wie es durch das Gartentor über den schmalen Weg hüpfte und vom Hund fröhlich begrüßt wurde. Es brauchte wie üblich eine Zeit, bis es die Haustür erreicht hatte. Immer und immer wieder sprang der Hund an ihm hoch. Das Mädchen freute sich über sein Schwanzwedeln, warf sein Spielzeug ein paar Meter und wartete, dass er es zurückbrachte.“

Julia war erst 16, als Antonias Existenz Gewissheit wurde.
Den Satz finde ich ganz klasse!

Julia geriet in einen Konflikt.
oder
Julia spürte die Traurigkeit der Situation.
Um noch einmal darauf zurückzukommen: solche Sätze sind Killer. Ich will nicht als Leser wissen: „Aha, jetzt kommt ein Konflikt“, sondern ich will, dass er sich aufbaut, mich hineinzieht und auf den Nägeln kauen lässt.

Ansonsten gibt es definitiv einen Konflikt und eine Handlung, nur wirkt sie manchmal ein bisschen zu stark „vorgesetzt“ bzw. „gestelzt“.
Aber du kannst schreiben und ich freue mich, mehr von dir zu lesen! :)

Ein sonniges, langes Wochenende wünscht
die heiterbiswolkig

 

Liebe heiterbiswolkig,
erst einmal wünsche ich dir ein schönes Osterfest mit hoffentlich gutem Wetter. Hier scheint mir schon die Sonne ins Zimmer.
Danke für deinen ausführlichen Kommentar, der mir noch einmal ein paar gute Einsichten vermittelt hat. Die Sache mit den Killersätzen habe ich kapiert, ebenso die Hinweise zur Kürzung. (Was machst du dir für eine Arbeit! Danke)
Ich habe gestern Abend noch ein bisschen an dem Text ‚herumgedoktert’, es aber dann doch aufgegeben. Mir erscheint es sinnvoller, noch mal von vorne anzufangen. Dann kann ich von Anfang an die Punkte aufnehmen, auf die auch du mich hingewiesen hast.
Liebe Grüße
barnhelm

 

Hallo barnhelm,

es wurde schon viel gesagt zu deinem Text.

Ich denke, du kannst diesen objektiven Stil beibehalten, aber dann auch wirklich nur, wenn du Tätigkeiten beschreibst, also wenn die Protagonisten auch handeln. Den Teil, der nacherzählt, den würde ich mir schenken. Besser fände ich es hier, wenn du das Beziehungsgeflecht der beiden mit Dialogen klärst, so kriegst du Zug und noch mehr Emotion in die Geschichte. Ich denke, es ist auch gar nicht nötig, das alles so haarklein aufzudröseln, lieber nur ein paar komprimierte Ereignisse, die aber als Sinnbild stehen bleiben.

Gruss, Jimmy

 

Hallo Jimmy,
genau das versuche ich gerade. Danke, dass auch du dir meine Geschichte mal angesehen hast.
Eine neue Geschichte ist in Arbeit. Inwieweit mir das Entwickeln von Personen in Dialogen überhaupt gelingt, wird sich herausstellen.
Ich hätte sowieso nicht gedacht, dass ich mich an sowas mal rantrauen würde. Aber irgendwie macht es mir Spaß. Ende offen.
Ich wünsche dir einen schönen Frühlingstag.
barnhelm

 

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