Lost in love
Ein abgemagertes, kleines Kind. Nackt, schutzlos, ausgeliefert. Hungrig und durstig nach Wärme, nach Liebe. Es sitzt weinend in einer Ecke in der Dunkelheit. Es weint still vor sich hin, vor Schmerz beinahe zerrissen. Er nimmt ihm den Atem, macht es blind und hilflos. Die Wunden sind nie verheilt. Schlimmer als viele grosse Qualen. Kein anderes Geräusch, Stille, Leere. Mauern des Schweigens. Alles ist leer und verloren. Trostlos. Es ist kalt, das Kind friert. Diese schreckliche Kälte! In seinen Händen hält es die letzten Überreste des zerbrochenen Herzens und klagt über die Ungerechtigkeit der Welt. Es möchte sich erheben, laut aufschreien, all den Schmerz hinauslassen. Aber es kann nicht. Keine Kraft mehr. Eine eiserne, kalte Hand hält es umklammert. Der Himmel ist nur schwarz, der Himmel ist nur leer. Es schaut nach oben – keine Sterne mehr. Alle Lichter sind erloschen.
Das Kind ist ihre Seele.
Die junge Frau schaut aus dem Fenster des Büros. Ein trüber Tag, es regnet in Strömen. Sie schaut zu, wie die Regentropfen langsam an der Scheibe nach unten fliessen und konzentriert sich ganz auf ihr Trommeln auf dem Dach, bis ihr Herzschlag sich gleichmässig damit verspinnt. „Warum nur ich?“, denkt sie. Ihr Leben war bis jetzt nicht sehr erfreulich. Eigentlich war es schrecklich. Immer wieder, wenn sie es endlich wieder geschafft hatte, ihr Herz zu verschenken, wurde sie nur ausgenutzt und verletzt. Jetzt ist ihr Herz umgeben von Mauern, die es schützen sollten, es aber nur gefangen nehmen. Die junge Frau glaubt nicht daran, dass sie noch einmal Gefühle zeigen kann. Die Hoffnung hat sie schon lange aufgegeben. Sie wurde immer nur enttäuscht. Immer wieder fiel sie zurück in dieses dunkle Loch, wo sie sich auch jetzt gerade wieder befindet. In dieser Dunkelheit. So dunkel, wie die Dunkelheit nur sein kann, wenn man ins Licht geblickt hat. Sie findet keine Antwort auf ihre Frage. Es gibt keine Antwort. Vielleicht wurde sie einfach nur vergessen, vielleicht zog das Leben an ihr vorbei, ohne sie überhaupt zu bemerken. Vom Leben weggespült. Oder vielleicht ist es ein Gesetz in ihrem Leben, dass man für jeden Tag im Himmel einen in der Hölle kriegt. Sie weiss es nicht. Was hält sie noch am Leben? Irgend ein rettendes Seil, das sie noch vor dem Abgrund bewahrt? Nein, so ein Seil hat nie bestanden. Die junge Frau gibt sich immer ganz oder gar nicht. Stürzt sich kopfüber in ein neues Abenteuer, ohne sich vorher zu sichern. Immer auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Sie hat ihn nie gefunden.
Die junge Frau schaut noch immer träumend aus dem Fenster. Sie erschrickt, als sie jemand sanft an der Schulter berührt und sie so wieder in die trübe Wirklichkeit zurückholt.
Sie dreht sich um und schaut auf, mitten hinein in zwei verzweifelte, braune Augen. In diesen Augen findet sie alles, was sie schon so lange gesucht hat. Sie kann dem Blick nicht ausweichen, sie ist schon in seinem Bann. Und so begegnen sich plötzlich zwei von der Zeit gepeinigte, von der Liebe gemiedene und verlassene. Zwei verlorene, hoffnungslose. Und beide wissen, dass die Zeit genau richtig ist. Jetzt! Für einen kurzen Moment scheint die Sonne wieder, das Leben pulsiert wieder durch ihre Adern, bis sie beide plötzlich getroffen zu Boden sinken, weil das Gefühl der Leere und der Hoffnungslosigkeit mit einem solchen Ruck aus ihren Seelen gerissen wird, dass sie es nicht ertragen. Aus. Ende. Das Leben vorbei, bevor es begonnen hat, ihr zerbrochenes Herz ertrank in seinen Augen. Die Zeit holte sich, was ihr zustand. Nichts, nichts, nichts – alles verloren.