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Lolamai
Vorbemerkung: Nach harscher Kritik fühle ich mich genötigt, die Geschichte in ein paar Bereichen zu ändern. Das betrifft die einleitenden Sätze, vor allem die flapsige wörtliche Rede, aus Fürzen werden Magenverstimmungen. Der Dialog Dunstan-Thomas wird anders verlaufen, ein Detail (Herkunft des Maises) wird verändert. Auf die Mythologie der Natives wird ein klein wenig mehr eingegangen.
Wie sie herumstanden, hätten es Krähen sein können, mit ihren langen, wehenden Haaren und dem stoischen Blick mit diesem versteckten Glitzern. Als ginge sie überhaupt nichts an, als seien sie nur zufällig da. Um dann im richtigen Moment zuzuschlagen.
Er würde ihnen die Gelegenheit nicht geben. „Scheuch die dort weg!“ bellte er Billy zu, der wie immer ratlos herumstand. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Billy auf die Rothäute zuging, schüchterne Gesten machte. Er sah sie zurückweichen, nur um in etwas größerer Entfernung wieder Aufstellung zu nehmen. Dieser verdammte Feigling hatte nicht den Mut, ihnen Beine zu machen. Oder Federn, in diesem Fall.
Er spuckte aus und erkannte erst dann, dass er es nicht hätte tun dürfen. Mit der Stiefelspitze wischte er die Spucke in den Sand. Etwas Blut floss in die entstehende Kuhle.
Warum zum Teufel blutete der Scheißkerl noch? Gemessen an der Menge um ihn herum, hätte er keinen Tropfen mehr haben dürfen. Davon ganz abgesehen, dass es längst hätte geronnen sein müssen.
Aber immer wieder schwappte eine kleine Menge aus einem der Löcher. Löcher war das richtige Wort, Wunden konnte man es nicht mehr nennen. Handtellergroße, zentimetertiefe Löcher, durch die man im richtigen Lichteinfall Anatomie studieren könnte. Jetzt, im diffusen Licht der untergehenden Sonne, sah es aus wie ein paar blutige Steaks, die man auf einem Teller zusammengeschoben hatte.
„Könnten auch Bissspuren sein“, murmelte er. Und lauter, ohne jemanden direkt anzusprechen: „Wo bleiben die verdammten Arschlöcher!“
Sie kamen, als die Schatten nach der Leiche griffen und das schmierige Rot zu klumpigem Schwarz verwandelten.
„Guten Abend, Sheriff Dunstan“, wurde er von Agent Oberarschloch Dave Lloyd begrüßt. Seine Lakaien im Schlepptau nickten nur. Er tat nicht mal das.
„Dann gehst du mich nichts mehr an“, sagte er zur nun endlich nicht mehr blutsabbernden Leiche, erhob sich, zwang sein schmerzendes Knie zu Bewegung und marschierte an den FBI-Leuten vorbei zum Jeep.
„Moment!“ rief ihm Lloyd nach. „Haben Sie nichts zu erzählen? Erkenntnisse? Spuren?“
Er blieb stehen und wies ohne sich umzudrehen hinter sich. „Der ist tot. Wie die anderen. Nummer fünf, nenne ich ihn mal. Aber zählen können Sie selber. Mehr muss ich nicht wissen, der Rest ist euer Job. Empfehle mich.“
„Sie wollen sich wohl unbedingt eine Beschwerde einfangen“, sagte der Agent. Dunstan hörte den belustigten Unterton in der Stimme und wusste sich auf der sicheren Seite. Er hatte auch Recht. Eine weitere Rothaut, nach bekanntem Muster. Und Serienkiller waren Sache des FBI, scheißegal, ob die Tat im Reservat begangen wurde oder wie in Fall Nummer fünf eine halbe Meile vor der Grenze. Dunstan war der letzte, den das hier anging.
Die Zeitung landete gezielt auf dem Tisch und wirbelte ein paar lose Blätter auf. Dunstan hob eines auf, das er mit minimalstem Kraftaufwand erreichen konnte, und ließ es in ein Ablagefach segeln. Dann grunzte er ein „Guten Morgen auch.“
„Was wissen Sie davon?“ Der Agent Lloyd wies auf die Zeitung.
„Was in der Zeitung steht“, erwiderte Dunstan.
Der Agent stützte sich auf den Tisch und beugte sich zu ihm. „Ich will wissen, woher die verdammte Presse diese verdammten Fotos hat!“
„Woher soll ich das wissen?“
„Sie waren dafür verantwortlich, dass der Tatort abgeriegelt wurde!“
„Ich war aber noch nicht da, als es zum Tatort wurde. Ich war nicht da, als seine Rothaut-Brüder ihn fanden. Also konnte ich auch nicht verhindern, dass die Fotos von ihm machen.“
„Die haben also die Fotos gemacht und der Presse zugespielt?“
„Wer sonst?“
„Und ich dachte, die nähmen ihre Verbote und Riten ernst. Die fotografieren ihre Toten nicht.“
„Und weil sie’s nicht dürfen, tun sie’s auch nicht? Blödsinn.“
„Wissen Sie, was ich glaube? Dass Sie Ihr mickriges Gehalt etwas aufbessern wollen. Sie haben die Aufnahmen gemacht, Sie lassen sich dafür bezahlen, und Sie“, hier erhob er unmerklich die Stimme, „stehen uns damit bei der Aufklärung im Wege.“
Dunstan kramte sein Handy aus der Tasche und warf es auf den Tisch. „Kontrollieren Sie doch gleich hier, ob Sie was finden. Und kontrollieren Sie mein Konto, wenn Sie es nicht schon längst getan haben. Mickriges Gehalt werden Sie finden. Zusatzeinnahmen nicht. Ich lasse mir nicht die Schuld in die Schuhe schieben, wenn das FBI nicht weiterkommt.“
Er hatte keine Sekunde die Kontrolle über seine Stimme verloren. Der Agent ließ sich in den Stuhl fallen. „Diese verdammte Scheiße ist zum Kotzen!“ sagte er. „Ist mir egal, ob Sie Leichenfotos schießen oder nicht, ich will nicht, dass die Presse mehr weiß…“
…als du, dachte Dunstan. Laut sagte er: „Was wollen Sie dann hier?“
„Donuts. Und Kaffee. Das Zeug, das die Reservatspolizei hat, ist ungenießbar.“
Dunstan bellte ein Lachen.
Er hatte die Fotos vom Handy auf ein Netbook geladen und vom HotSpot bei Burgerking an seine Kontaktadresse gemailt. Dann die Fotos auf dem Handy gelöscht und die Speicherkarte ausgetauscht. Er fürchtete das FBI nicht, aber er war nicht dumm. Das Geld würde ihm zugeschickt werden. Mit einem lieben Gruß einer lieben Tante in Florida.
Lloyd furzte ungeniert. „Mein Gott, die Scheiße kann einem ganz schön auf den Magen schlagen. Seit die mich auf den Fall angesetzt haben, hab‘ ich Dünnpfiff, dass es sich gewaschen hat.“
„Sicher ein Fluch von den Rothäuten. Die können sowas.“
Der Agent lachte heiser, fast, als wäge er die Möglichkeit ab.
„Und, weiß man, wer er ist?“ Dunstan nahm die Zeitung und studierte die Fotos, als sähe er sie das erste Mal. Sie waren wirklich gut.
„Niemand. Wie die anderen. War sechs Jahre nicht mehr im Reservat. Lebte in Detroit, wie sich’s da halt lebt.“
Er furzte wieder. Dunstan rümpfte angewidert die Nase. Mittlerweile nahmen die beim FBI auch jedes Arschloch.
Billy riss die Bürotür auf stolperte herein. Sein sowieso immer roter Kopf schien zu kochen . „Ahm, ääääh, Chief, da will jemand, ääääh…“
„Wer?“ fragte Dunstan. Billy war ein Idiot, warum zum Teufel musste er jetzt auch das Stottern anfangen?
„Thomas“, brach es aus Billy heraus.
Dunstan erstarrte. Er spürte, wie der Agent ihn musterte, aber die Masse in seinem Kopf war zu zäh, um einen Gedanken zu greifen.
Nach viel zu langer Zeit stand er auf. „Was Persönliches.“
Er flüchtete aus dem Büro.
Thomas wartete auf der Straße. In seinen Jeans, kariertem Hemd und seinem nur leicht längerem Haar sah er nicht anders aus als andere auf der Straße. Er hob beide Arme, als er Dunstan erblickte. „Bruder“, sagte er.
„Was willst du!“
„Dich sehen. Mit dir sprechen.“
„Haben deine Häuptlinge dich geschickt?“
„Der Rat weiß, dass ich hier bin, geschickt hat mich niemand.“
„Es gibt nichts zu reden. Über die Morde nicht und über uns schon gar nicht. Also verschwinde wieder.“
So sehr Dunstan es auch wollte, er konnte sich nicht umdrehen und gehen.
„Ich muss mit dir reden, Bruder. Das FBI hört nicht zu.“
„Und du glaubst, ich höre mir euren Quatsch an? Verschwinde!“
„Hör es dir an. Es ist deine Pflicht. Wie du handelst, ist deine Sache.“
„Der Agent, der die Sache leitet, ist in meinem Büro.“
Thomas lächelte. „Willst du, dass ich mit ihm spreche, oder willst du, dass er nicht sieht, wie wir uns unterhalten?“
„Komm mit, verflucht noch mal.“
Dunstan führte ihn schnell von der Hauptstraße runter. Die meisten hier kannten Thomas noch. Er hatte sich die letzten Jahre kaum geändert.
„Es ist schön, dich zu sehen, Bruder.“
Dunstan unterbrach scharf: „Fang nicht davon an. Das ist vorbei. Wenn du von den Morden sprechen willst, bitte, auch wenn mich das nichts angeht.“
„Das FBI ist auf der falschen Spur.“
„Dann bringt sie auf die richtige.“
„Sie glauben, dass einer von uns die fünf getötet hätte.“
„Dann werden sie ihren Grund dafür haben.“
„Sie haben Mais gefunden.“
„Was?“
„Weißt du davon?“
„Ich weiß nichts, hörst du? Und es interessiert mich auch nicht.“
„In den Körpern der Leichen war Mais.“
„Mais? Der Irre hat also Mais in die Leiber gefüllt. Warum? Wer sonst sollte auf so eine Idee kommen eine Rothaut?“
„Der, der sie umbrachte, war es nicht.“
Dunstan blieb stehen und ballte die Hände zu Fäusten. Thomas fuhr mit ruhiger Stimme fort: „Wenn einer aus dem Clan der Erde gewaltsam stirbt, dann ist es traditionelle Pflicht, seinen Körper mit…“
„Halt den Mund. Halt deinen verdammten Mund.“
„Sie waren aus unserem Clan.“
„Das waren sie nicht. Sie hatten alle das Reservat verlassen, weil sie nichts mehr mit eurer Scheiße zu tun haben wollten.“
„Sie sind in den Clan hineingeboren, wie ich. Was die Mutter im Blut weitergibt, bleibt innen drin, egal wo oder wie wir zu leben beschließen.“
„Ihr habt euch an Leichen vergriffen, ist dir das nicht klar? Nicht nur an Beweismitteln, sondern an Leichen! Kein Gericht der Welt wird die Augen zudrücken, nur weil ihr unzivilisierte Wilde seid!“
„Wilde? Weil wir die Toten ehren?“
Dunstan holte tief Luft. „Willst du eine Geschichte hören? Ihr Indianer liebt doch Geschichten. Also hör gut zu. Als Vater dich heimbrachte und zu mir sagte, ‚das ist dein kleiner Bruder, kümmer dich um ihn‘, da hab ich’s getan. Als du größer wurdest und nach deiner eigenen Mutter fragtest, haben wir dir erlaubt, deine Wurzeln zu studieren. Als ich dann in Flagstaff war und du diesen Indianer heimbrachtest als guten Kumpel, hat man dich gelassen. Als Vater euch im Bett erwischte und dich zum Teufel gejagt hat, da dachte ich, Herrgott, er ist alt genug, soll er mit seinem Indianer bei den Indianern glücklich werden. Und trotzdem hab ich dich unterstützt, wo’s ging. Und als du mich zu eurem ach so tollen und geheimen Ritual eingeladen hast, um mir zu zeigen, dass du eine echte Rothaut geworden bist, da bin ich gekommen, weil ich dachte, ich könnte stolz darauf sein. Aber dann…“
Dunstan trat nah zu ihm heran, so nah, dass die Krempe seines Hutes Thomas‘ Gesicht berührte.
„…dann erkannte ich dich, unter deiner Verkleidung, zwischen den anderen, diese spastischen Zuckungen, und dann sah ich die Schlangen in deinem Mund. Schlangen! Du schreist nach Tradition? Das war krank. Was ihr macht, ist krank! Ihr seid barbarische Wilde!“
Thomas gelang es irgendwie, sein Gesicht noch näher zu bringen. „Wir haben niemanden ermordet. Nicht jetzt, nicht damals. Wir haben niemanden von dem Land verjagt, das ihnen gehörte. Wir sind nicht die Barbaren. Und wir sind keine Mörder!“
Dunstan spürte einen Schmerz in den Knöcheln. Jetzt erst wurde ihm gewahr, wie geballt er seine Fäuste hielt. „Es ist mir scheißegal, wer deine Rothautbrüder umbringt. Gut so, soll er erledigen, was unsere, was meine Vorfahren versäumt haben. Es ist mir scheißegal.“
Jetzt erst trat Thomas einen Schritt zurück. Seine Stimme war nunmehr ein Flüstern. „Das ist keine Sache zwischen Weißen und Roten. Es ist Soyoko. Was unsere Männer umbringt, ist kein Mensch, und du weißt es.“
Dunstan packte ihn am Kragen. „Dann lass es die Geister sein. Es sind eure. Sollen sie mit euch machen, was sie wollen. Und dich…“
Er stieß ihn zurück. „…will ich nie wieder sehen.“
Agent Lloyd saß noch immer im Büro und kaute am leeren Kaffee-Becher. Dunstans Handy lag am Schreibtischrand. Nicht da, wo Dunstan es hingeworfen hatte. Der Agent hatte es tatsächlich kontrolliert.
„Gibt’s noch was?“ fragte er barsch.
Lloyd erhob sich. „Nein, nein, ich wollte gerade gehen. Es gibt einen Killer zu jagen.“
„Dann wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen Erfolg.“
„Oh, das glaube ich jetzt sogar!“
Erst Pattys Schreie rissen ihn aus dem Schlaf. „Mein Gott, mein Gott, wer hämmert da so, es ist doch noch mitten in der Nacht!“
Er sprang aus dem Bett in einen Badeanzug und öffnete. Agent Oberarsch stand da, lässig lächelnd, die Hände in den Hosentaschen. „Einen wunderschönen guten Morgen, Sherriff Dunstan!“ sagte er. Seine Begleiter waren längst eingedrungen. Das war kein Freundschaftsbesuch.
Pattys Stimme überschlug sich, dass man kaum verstehen konnte, was sie sagte. Lloyds Lächeln trübte sich. „Oh, Sie haben Besuch. Wie erfreulich für Sie.“
Er drängte sich an Dunstan vorbei in Richtung Schlafzimmer. Dunstan hielt den Impuls zurück, ihm die Faust ins Gesicht zu schlagen.
Patty drückte sich gegen die Bettwand, als böte sie wirklich Schutz. Dunstan sah, wie die anderen Agents Blicke tauschten. Nein, sie war wirklich kein besonders schöner Anblick. Aber man konnte sie heimschicken, wenn sie einem auf die Nerven fiel.
Lloyd baute sich vor ihr auf. „Lady, nur eine Frage, und Sie können unbehelligt Ihrer Wege ziehen. Wie lange sind sie schon zusammen?“
„Was? Äh, immer mal wieder, so seit drei Jahren…“
„Nein, Werteste, ich meinte diese Nacht. Wie lange haben Sie die Anwesenheit Ihres Freundes heute Nacht genossen?“
„Äh, was wollen Sie?“
Der Agent seufzte. „Waren Sie den vergangenen Abend und die gesamte Nacht mit Sherriff Dunstan zusammen?“
Patty schielte ängstlich zu Dunstan. „Ja, seit gestern Nachmittag, als er vom Dienst kam. Ich habe gekocht. Wir hatten Schnitzel. Mit Nudeln.“
Lloyd wandte sich Dunstan zu. „Sieht so aus, als hätten Sie ein Alibi. Das freut mich wirklich für Sie. Und jetzt ziehen Sie sich an und kommen mit.“
„Sie denken doch nicht daran, mich zu verhaften?“
„Nicht doch.“ Er machte sich nicht die geringste Mühe, das Bedauern darüber zu verbergen. „Aber da gibt es schon etwas, das Sie wissen sollten.“
Da wusste Dunstan Bescheid.
Die Löcher im Leib waren wie bei den anderen. Nur blutete er nicht nach. Dunstan zwang sich, vom Gesicht wegzusehen. Es gelang ihm nicht. Es war so leer.
„Sie bestätigen also, dass es Thomas Dunstan ist.“
Er nickte.
„Ihr Bruder.“
Er nickte wieder. Der Rand der Wunden war scharf, wie bei Leiche Nummer fünf auch. Keine Bissspuren, wie er gedacht hatte, als ihn das alles noch nichts anging. Eine scharfe Klinge, vielleicht gewölbt wie bei einem Schälmesser. Und wieder ging der Blick zum Gesicht, zu den Schatten, in denen sich seine Augen versteckten, in diese absolute Leere.
„Wann haben Sie Ihren Bruder zum letzten Mal gesehen?“
„Gestern.“
„Und davor?“
„Vor Jahren. Vier, fünf.“
„Waren Sie schon mal hier?“
„Nein. Vor fünf Jahren lebte er noch in der Siedlung, auf dem Mesa. Da hab ich ihn zuletzt gesehen.“
„Und gestern?“
„Er wollte mit mir sprechen.“
„Worüber?“
Dunstan räusperte sich. „Darüber.“ Er wies auf die Leiche.
„Hören Sie gut zu, Dunstan. Ich will, dass Sie Wort für Wort wiedergeben, was er zu sagen hatte. Es wird ernst, ich will den Kerl schnappen, bevor es noch mehr Tote gibt.“
„Hat man seine Leiche auch geschändet? Mit dem Mais?“
„Sie wissen davon?“
„Er hat es mir gesagt.“
„Tja, vermutlich, ich habe aber keine Lust, in ihm rumzustochern. Dafür haben wir unsere Gerichtsmediziner.“
„Sie haben es selber getan. Es ist so ‘ne kranke Tradition.“
„Ja, das haben Sie uns auch gesagt. Besser gesagt der Reservats-Anwalt. Die armen Schweine leben nur von Wasser und Staub, aber ihre Anwälte sind wirklich gut. Das wird ein Nachspiel haben, nur: Solange der Killer frei rumläuft, lassen wir die in Ruhe. Was wissen Sie noch?“
„Was ist mit seinem Lebensgefährten?“
„Seinem … was?“
„Er lebte hier mit einem Indianer.“
„Ja?“
„Sie teilten nicht nur den Kühlschrank miteinander.“
Lloyd pfiff durch die Zähne. „Ein schwuler Indianer, schau an. Dass es sowas überhaupt gibt? Das könnte die Erklärung sein.“
„Wofür?“
„Kommen Sie schon, Dunstan. Bisher waren die Opfer Leute, die längst nicht mehr hier lebten, die mit den Stammesbräuchen nichts mehr am Hut hatten. Das hat den Killer gestört, deshalb hat er sie bestraft. Ihr Bruder lebte hier und folgte den Traditionen. Mir fehlte ein Motiv. Ich denke, wir haben es jetzt.“
„Dann doch einer aus den eigenen Reihen?“
„Natürlich, Dunstan. Es muss einer von denen sein. Stellen Sie sich die Katastrophe vor, wenn man herausfinden sollte, ein Weißer hätte das getan.“
„Moment, da war noch was.“
„Na?“
„Er sagte, einer ihrer Geister hätte das getan.“
„Ach Dunstan, das hören wir schon von Anfang an. Sollen wir jetzt Ihrer Meinung nach doch die Ghostbusters holen?“
„Kennen Sie sich mit ihrer Religion aus? Über die Rolle der Catsinas, ihrer Geister?“
„Ich hab ein wenig darüber gelesen, ja. Kaum erbauliche Lektüre. Die Offenbarung in der Bibel ist da tröstlicher.“
„In ihren Riten trennen Sie nicht mehr zwischen dem jeweiligen Geist und den Menschen, die die Rollen übernehmen. Wer die Maske eines Catsina aufsetzt, wird zu einem.
Steht der andere unter Verdacht? Der, mit dem …“ Dunstan unterdrückte ein plötzlich aufkommendes trockenes Husten. „…mit dem Thomas zusammenlebte? Ich muss mit ihm sprechen.“
„Er ist im Revier der Stammespolizei. Verhaftet haben wir ihn noch nicht. Na gut, fahren wir.“
Dunstan hätte ihn nicht erkannt. Er hatte ihn mal gesehen, als er nur der Kerl war, der Thomas ein wenig von der Tradition seiner Mutter beibrachte. Hätte Dunstan damals gewusst, dass der auf Thomas scharf war, hätte er ihn jetzt an der gebrochenen Nase wiedererkannt.
Er fixierte Dunstan, sobald er das Büro betrat. Es sah nicht aus, als trauerte er. Das Gesicht war versteinert wie das einer jeden Rothaut. „Mister Dunstan, es tut mir leid, Sie unter diesen Umständen wiederzusehen.“
Dunstan erkannte nicht mal mehr die Stimme, so markant sie in der Tiefe des Basses auch war. Er merkte, wie sich der Griff der Faust lockerte und ballte sie sogleich wieder kräftiger.
„Wer war es?“ herrschte er ihn an.
Der Mann schwieg und sah ihn nur an. Dieser Stolz, dieser gottverdammte Stolz.
„Habt ihr ihn auch mit Mais vollgestopft, wie die anderen? Habt ihr seine Leiche mit euren dreckigen Händen angefasst?“
Er senkte den Blick und schwieg weiter.
Dunstan ließ sich auf einen Stuhl fallen. Seine Wut verflog. Immerhin, was ging ihn die Sache an?
„Thomas sagte mir, wer es ist. Soyoko. Erzähl mir davon.“
Die steinerne Maske bröckelte. Er sah auf, zum FBI-Agent, der mit verschränkten Armen in der Ecke stand und der Dinge harrte, dann zu Dunstan. Als er sprach, klang die Stimme noch dunkler, noch weicher.
„Soyoko ist die schwarze Ogerfrau. Sie trägt einen Hakenstab und ein Messer. Sie macht den Kindern Angst, die sich nicht an die Traditionen halten.“
Dunstan hörte, wie Lloyd aufatmete. Ja, es passte zusammen.
Er stand auf und beugte sich über den Tisch. „Wer ist es? Wer verkörpert dieses Ding bei den Zeremonien?“
„Ich.“
Dunstan und Lloyd wechselten einen Blick. Es war kein Triumph, sie beide ahnten es. „Sie sind damit verhaftet“, seufzte Lloyd schließlich und kramte nach dem Zettel, um ihm die Rechte vorzulesen.
Der Indianer sah Dunstan an. „Suchen Sie nach den Ältesten. Es beginnt mit den anderen Clans.“
Dunstan riss den Stuhl hinter ihm zu Boden. „Ihr sollt doch alle in der Hölle schmoren!“
Mit einem Jeep des FBI fuhr er zurück. Sie würden den Wagen irgendwann abholen, jetzt brauchten sie jeden Mann vor Ort.
Die Landschaft war so leer. Er sah wieder Thomas‘ Gesicht vor sich. Alle Konturen, alle Furchen waren im Tod zu einem blassen Nichts verflossen. Nicht mehr zu unterscheiden vom Staub dieses Landes. Dieses verdammten, toten Landes. Wer hier leben musste, drehte früher oder später durch. Dunstan wusste das, das Land hörte an der Reservatsgrenze längst nicht auf. Lediglich die Straßen waren besser.
Im Hintergrund hörte er ein Lied im Radio, das ihm vage bekannt vorkam. Er drehte lauter. Alles, was von diesem trostlosen Fels ablenkte, war besser.
Im Rückspiegel sah er nichts als den roten Staub, den der Jeep aufwirbelte. Er würde sich irgendwann wieder legen und all das unter sich begraben, was hinter ihm lag.
„How the West was won and where it got us“ sang eine Stimme, gefolgt von einem dünnen Klageruf.
Dunstan presste einen Fluch durch die Lippen und wechselte den Sender.
Wohin hatte es uns gebracht?
Er hörte Nachrichten. Unruhen in den arabischen Ländern. Wirtschaftskrisen in Europa. Er lachte heiser. Wozu die Probleme aus weiter Ferne bemühen?
Plötzlich trat er scharf auf die Bremse.
Was hatte der Nachrichtensprecher gesagt mit seiner so akzentuiert besorgten Stimme? Seit wann meldete man Morde in New York hier im Lokalradio?
„Besorgniserregend ist, dass Morde ähnlichen Musters in mehreren Staaten gemeldet wurden. Von offizieller Seite gibt es keine Stellungnahme, ob es wirklich Zusammenhänge gibt, aber unabhängige Pressebeobachter meinen, signifikante Zusammenhänge zu erkennen. So wurde bei allen fraglichen Opfern ein massiver Blutverlust und eine besondere Form der Wunden beobachtet. Die Zusammenhänge wurden erst gestern erfasst, als detaillierte Bilder eines Opfers nahe eines Reservats in Arizona der Presse zugespielt wurden.“
Dunstan griff nach dem Handy.
„Verdammt, Dunstan, ich dachte es wäre Ihnen klar, dass Sie mich nie direkt anrufen! Mir ist’s scheißegal, aber Sie sollten wissen was Ihnen blüht, wenn Sie als Informant auffliegen!“
„Mir ist’s auch scheißegal. Ich muss nur eines wissen: Diese Morde in anderen Staaten, was wissen Sie davon?“
„Na gut, ich sag’s Ihnen, der guten Zeiten Willen, aber dann werde ich nichts mehr für Sie tun, verstanden?
Ich habe Bilder anderer Opfer gesehen. Es ist die gleiche Art von Wunden. Wie Löcher in den Rumpf gestanzt. Und alle bluteten noch ne ganze Weile nach. Gerinnungsstörungen oder Gifte oder was auch immer.“
„Waren es alle Indianer?“
„Nein, da sind genug Weiße darunter. Ein paar Schwarze in Denver. Schlitzaugen in San Francisco. Keine Ahnung, was da los ist, aber das ist ne große Sache. Verdammt groß. Was wissen Sie davon?“
Dunstan legte auf. Als das Handy erneut klingelte, schaltete er aus. Er hatte längst gewendet.
Suchen Sie nach den Ältesten, hatte Thomas‘ Freund gesagt. Nicht, dass er die Ältesten aufsuchen sollte. Er sollte nach ihnen suchen. Und: Es beginnt mit den anderen Clans.
Verflucht nochmal. Es begann überall.
Die Siedlung war verlassen. Kein Mensch weit und breit, nicht einmal die FBI-Leute waren zu sehen. Auch ihre Wagen waren verschwunden. Es war ihm niemand entgegengekommen auf der Fahrt zurück. Er suchte den Horizont ab und glaubte in weiter Ferne Staubwolken zu sehen. Hatten sie alle verhaftet? Die Siedlung geräumt? Was zum Teufel ging hier vor?
Da, eine Bewegung zwischen zwei Lehmhäusern. „Stehenbleiben!“ rief er und rannte los.
Es war ein Kind, kaum zehn, zwölf Jahre. „Was ist hier geschehen?“ brüllte er es an.
Es zeigte keine Angst, blinzelte Dunstan nur an, als frage es sich, ob er überhaupt wirklich war. Das Geschlecht des Kindes war nicht zu erraten.
„Wo sind die anderen? Wo sind die FBI-Männer?“
Das Kind zeigte in die Ferne. Die Richtung, in der er die Staubwolken gesehen hatte.
„Ich muss die Ältesten sprechen. Führe mich zu ihnen.“
Das Kind bewegte sich nicht. Er wollte es packen und schütteln, statt dessen kniete er sich hin, fast flehend. „Ich bin Thomas Dunstans Bruder. Kennst du ihn? Thomas Dunstan, er lebte auf einer Farm nicht weit weg.“
Das Kind nickte.
„Er wollte, dass ich mit den Ältesten spreche. Bitte, vertrau mir. Führe mich zu ihnen.“
Das Kind zuckte mit den Schultern und lief dann ohne weiteres Zögern los.
Es führte Dunstan zu einem der größeren Pueblos, kletterte mehrere Leitern hinauf und zwei wieder hinab in einen großen, völlig leeren Raum mit einem Loch in der Bodenmitte, aus dem ein Leiterende herausragte. Das Kind deutete darauf und rannte wieder weg.
„Hallo?“ rief Dunstan und spähte in die Dunkelheit. Es musste ein Kiva sein, ein zeremonieller Raum unter dem Pueblo, in den Fels gehauen. Es roch nach Rauch, leicht würzig. Er stieg herab.
Das Kiva war nicht tief, vielleicht zweieinhalb, drei Meter. Nach und nach schälten sich Konturen um den schwachen Lichtkreis heraus, der vom Loch in der Decke geworfen wurde. Verkohlte Überreste eines Feuers waren direkt unter der Leiter. Bei ihren streng geheimen Zeremonien zündeten sie wohl Feuer an, damit niemand mehr hinabsteigen konnte.
Er machte ein paar Schritte in die Finsternis und stieß dabei einen verkohlten Baumstumpf um, der mit sandigem Rascheln zerfiel.
Dunstan blieb stehen und wartete, bis sich die Augen an das spärliche Licht gewöhnten.
Da waren mehrere Baumstämme aufgestellt, etwa hüfthoch. Wie kniende, hölzerne Statuen. Er näherte sich einen Schritt. Ja, es waren Statuen.
Seine Hand begriff schneller als sein Verstand. Sie näherte sich einer der Figuren, strich sanft über einen kohlerauen Schädel, über eine bröckelnde Nase, über Löcher, in denen Augen verdampft waren. Der Kopf brach vom Rumpf und zerfiel zu Asche.
Über ein Gewirr von Leitern fand Dunstan den Weg hinaus. Kraftlos ging er zwischen Pueblos und Hütten umher. Niemand ließ sich mehr blicken. Niemand war mehr da.
Die Siedlung lag erhöht auf einem Mesa. Dunstans Schritte wandten sich der Sonne zu, er folgte ihrem Ruf bis zu einer Felsnase, deren Seiten steil nach unten abfiel. Dort ließ er sich zu Boden sinken und starrte in die Ferne und dann schließlich in die Sonne.
Er wusste nicht viel von der Religion der Indianer; nur das, was alle wussten. Dass sie ihre Riten nach strenger Tradition ausführten, um die Welt der Geister mit dieser Welt zu versöhnen. Um dann, wenn diese Welt unterging, in eine neue, bessere Welt gehen zu können.
Als seine Schreie unten im Kiva erstorben waren und die Tränen in den Augen getrocknet, da hatte er gesehen, was die Ältesten in ihren verkohlten Händen gehalten hatten und da endlich hatte er verstanden. Die Maiskolben, ihre jahrhundertealten Symbole des Lebens, waren unversehrt, kein bisschen verkohlt, das Grün darum noch frisch und feucht. Bei allem Gerede von Tradition und Naturverbundenheit hatten die Indianer vergessen, nach Garantien zu fragen. Die Welt der Geister hatte offensichtlich andere Pläne verfolgt.
Er, Dunstan, wollte von diesen Plänen nichts wissen. Was ging es ihn verdammt nochmal an? Beharrlich hielt sein Blick dem Brennen der Sonne stand, bis er nichts mehr sah.
Unter ihm wirbelte ein aufkommender Wind Staub auf. Irgendwann würde er sich wieder legen, und alles und jeden unter sich begraben.