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Lisa
„Martin!“, Beates Stimme aus dem Nichts, ich schwebe in einer Halle, schwarz, endlos, flauschig, aber Beates Stimme hallt nicht, merkwürdig.
Dieses Gefühl in meinem Bauch: Der Magen fehlt. Irgendetwas ist falsch. Ich habe geträumt, Ihn, den Einen, den Verbotenen Traum. Wenn Du ihn träumst, wirst Du sterben, das ist bekannt, zwei Jahre lang habe ich mich selbst versiegelt, um den Einen Traum nicht zu träumen: Lisa.
Lisa, Frau aller Frauen, Körper aller Körper. Mein Hirn explodiert in Ehrfurcht, wenn ich daran denke, wer Du bist. Versiegelt habe ich mein Gehirn, Wachs getrunken, damit keine Lisagedanken in mich gelangen. Lisa, Lisa, Lisa, wenn ich an Dich denke, bin ich tot. Ich hätte gestern nicht die vielen Korn trinken sollen, nach sieben Jahren hatte ich vergessen, welche Angst ich vor meinen Gedanken habe.
Lisa, Du liegst vor mir, siehst mich an, so ehrlich. Dieser Blick bedeutet mir mehr als meine sechs Jahre mit Beate. Lisa, wir machen Sex, und es ist so richtig, wir denken dasselbe, hören im Geist das Requiem von Mozart, ohne dass es einer summen muss. Dass mein Glied in deinem Körper steckt, muss doch falsch sein, eine Unmöglichkeit! Glider stecken doch nur in dummen Frauen. Mit Dir, Lisa, Sex zu haben, ist das Ende der Welt. Ehrfahre dieses Eine Glück, und Du bist tot.
„Martin! Es ist gleich acht!“. Das Bett ist schweißgebadet, meine Innereien fehlen, kein Magen, kein Gedärm, nichts, lose Lungen in meiner Brust, die Strafe weil ich den Verbotenen Traum geträumt habe. Ich öffne die Augen, und Lisa liegt vor mir. Ich streichle ihre nackte Brust. Lisa, auch deine Brust ist perfekt. Gott, war es einfacher, eine vollkommene Frau zu erschaffen als eine nur fast vollkommene? Beate streichelt mich an meiner Hüfte, triviale Hand, kein Geist dahinter, einfach nur eine Berührung in all ihrer Plattheit. Lisa nimmt mit ihrer Brust meine Hand auf, ihr Geist ist so gewaltig, dass jede fleischliche Berührung verboten scheint.
Ich wache weiter auf, blaues Licht, zwei Wecker, die 8:03 zeigen, Nachbarn, die duschen. Lisa liegt immer noch vor mir, auch als Beate die Vorhänge aufzieht.
Lisa und ich sitzen am Küchentisch, Beate duscht noch. Wir sehen uns an, besoffen von der Nacht, und denken dasselbe. Kraft verbindet uns, die Trivialität aus dem Zimmer jagt; die Brötchen auf dem Tisch bedeuten plötzlich etwas, eine Wolke zieht vorbei, und unsere beiden Geiste erfassen sie in ihrer ganzen Schönheit, filigrane Strukturen, Milliarden Wasserpartikel. Wir wissen um die Bakterien, um die gewaltige Kraft des Lebens, die auch in der Höhe noch im Wasser steckt.
„Möcthest Du Nougat, Lisa?“ fragt Beate. Beate, rede nicht so dumm mit Lisa, bitte!
„Ja, gern“, sagt Lisa lächelnd. Müssten die beiden sich nicht hassen?
„Ich will kein Nougat“, sage ich zu Beate.
Schweigen.
„Weißt Du noch, wie wir das erste Mal Sex hatten?“, frage ich Lisa.
„Es sind noch Brötchen da!“, sagt Beate, ohne zu merken, dass meine Frage unsere Ehe beendet hat.
„Weißt Du noch, wie wir das erste Mal Sex gehabt haben?“, frage ich ein zweites Mal in genau demselben Tonfall, lächelnd.
„Ich spüre es noch immer.“ Sagt Lisa. „Danke für das Brötchen“.
„Heute Abend sind wir bei Herrmanns eingeladen“.
„Du hast mich beim ersten Mal nur gestreichelt.“, Lisa grinst.
„Weil ich wusste, dass Du noch Jungfrau warst. Um wie viel Uhr denn?“
„Weiss nicht genau, ich muss die beiden noch mal anrufen.“, sagte Beate, während sie eifrig Brote schmiert, die gute, seit sechs Jahren schmiert sie Brote für mich.
„Das war das schönste Mal. Wie war es für Dich, mich zu berühren?“
„Schatz, kommt Lisa mit zu den Herrmanns? Hier, zwei mit Camembert sind in der Butterbrotdose“.
„Wie ist Sex mit Beate?“ fragt Lisa.
„Ich weiss nicht, ich habe sie nie gefragt.“
„Na, wie Sex halt so ist. Irgendwie warm“, sagt Beate.
Das hätte Lisa nicht fragen sollen.
Beate ist zu etwas ekligem geworden. Lisa, Du hast die eine Frage gestellt, die man nicht stellen darf. Ich erwürge Beate.
„Glaubst Du, sie hat Angst vor dem Tod?“ fragt Lisa, während Beate in meinen Händen röchelt.
„Es wäre unhöflich, das Würgen zu unterbrechen und sie zu fragen, dann würde sie länger leiden“.
„Ich finde, wir sollten die beiden Brote mit ihr begraben. Es wäre nicht gut, sie jetzt noch zu essen.“
„Seltsam. Meine Frau stirbt in meinen Händen, und plötzlich kenne ich sie nicht. Ich habe ihr Gesicht noch nie gesehen. Wie heißt sie?“
„Beate“, sagt Lisa, „Die Glückliche. Ihr Körper wird jetzt taub. Ihr wird ganz warm und dunkel. Sie hat keine Schmerzen.“ Obwohl Lisa Medizin studiert, spricht sie in einem ehrlichen Ton, ohne den überhelblichen Ton, den Ärzte so oft haben.
Nachdem ich Beate in die Badewanne gelegt habe, merke ich, dass die Innereien meines Körpers immer noch fehlen. Ich bin leer. Es fühlt sich an wie schlechtes Gewissen, ist es aber nicht. Dass ich Beate getötet habe, war nicht falsch. Ich habe nur Angst, dass Lisa wieder verschwinden wird. Mein leerer Körper wiegt nicht mehr viel, die Erdanziehung drückt meine Füße nur noch schwach auf den Boden.