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Lisa und Tina

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15.03.2008
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Lisa und Tina

Die Verkäuferin zeigt mir die neue Lisa-Kollektion. Die sitzen in einem Raum bei ewiger Konversation und drehen parallelgeschaltet den Kopf zur Tür. Blond, blauäugig und großbusig. Hände kleinmädchenhaft im Schoß gefaltet, die Beine an den Knien aneinandergedrückt, als verkniffen sie sich den Toilettengang. Sie sehen mich vertrauensvoll aus leuchtenden Augen an - mit leicht geneigtem Kopf - und klimpern mit den Wimpern.
"Die sind immer noch im Trend?", frage ich.
"Aber natürlich", sagt sie. "Lisas bleiben aktuell." Sieben Stück winken, alle mit der rechten Hand.
"Haben sie nicht etwas ... individuelleres?", frage ich. "Die lassen sich ja gar nicht unterscheiden! Nachher verwechsele ich sie, beim Einkaufen oder so, und nehme die Falsche mit nach Hause."
"Kein Problem", sagt die Verkäuferin. "Sie werden keinen Unterschied feststellen." Der Gedanke bleibt unangenehm; blonde, blauäugige Busen auf Beinen! Da wurden die Entwicklungskosten komplett ins Fahrgestell gesteckt. "Ich will was unterscheidbares", sage ich. Sie druckst rum und spricht von Charakter-Modulen, die man zu der Standard-Lisa kaufen könne. "So eine kommt nicht in Frage", bescheide ich.
Die Maßmensch-Verkäuferin kneift die Lippen zusammen und mustert mich. Sie habe da noch was, meint sie dann widerstrebend, die müsse sie aber billiger verkaufen, weil sie lädiert sei. Eigentlich würde sie so eine nicht mehr anbieten und habe sie sogar schon aussortieren wollen. Aber das habe sie doch nicht übers Herz bekommen.
"Das hat was mit Werten zu tun!", sagt sie. "Allein Einkauf und Unterhalt – die kosten ja doch ganz schön, da mache ich ihnen nichts vor. Ich bin froh, wenn sie Tina nehmen, eigentlich verbraucht sie nur Platz." So erfahre ich ihren Namen.
In einer Besenkammer hockt sie. Brünett, braunäugig, Busen: klein. "Wirkt gar nicht fehlerhaft", sage ich. "Äußerlich", sagt sie. "Das Problem ist unsichtbar: Sie entwickeln Persönlichkeit."
"Oh! Egal, ich mag ihre Brüste. So schlimm kann Persönlichkeit nicht sein. Sie ist gekauft!"

"Liegt es an mir?", fragt sie. Ihre Augen schwimmen.
"Ach Schatz!", sage ich, greife in ihren vollen Haarschopf und ziehe sie an meine Brust. "Natürlich liegt es an dir. An wem sonst? Hör mit dem Geflenne auf, das nervt." Ich halte sie im Arm und streichele mit der Linken über ihren Hinterkopf, um sie wieder einsatzfähig zu kriegen, während ich mit der freien Hand ein simuliertes Homemade-Video einschalte. 'Young cutie gets fisted on students party.' "Sieh mal Süße, wie die sich bewegt und wie sie klingt – das würde ich von dir auch mal gern erleben!" Der klassische Partyfick - eine vielleicht zwanzigjährige Tussi wird auf einem Billardtisch von Fitnessfreaks gevögelt. Arschfick, Doppelpenetration, Dreilochstute – das Video kommt von Höhepunkt zu Höhepunkt und sie ist immer mit charaktervollem und wandelbarem Gesicht dabei, soweit es zu erkennen ist. Da verschwimmen die Grenzen zwischen Pornodarstellerin und Schauspielerin.
In einem kleinen Extra-Bildschirm rechts oben wird eine Alte mit Lockenwicklern und Riesenbrille gezeigt, die mittlerweile wieder als modern durchgehen müsste. Im Morgenrock tigert sie durch ihre Wohnung, mit einem Besen in der Hand, und macht Stummfilmgesten, die anscheinend Verzweiflung über die Lärmsabotage der Partypeople ausdrücken soll. "Haha, diese Spießer! Geschieht ihr Recht, oder Schatz?", sagte ich und drückte Tina einen Schmatzer auf die Wange. Mit der Rechten massiere ich meinen Penis in die Vertikale!
"V-Modus!", frohlocke ich. "Ein geiles Stück Biotechnologie wartet darauf, mit seiner Endorphinladung in die oberen Hemisphären geschossen zu werden!"
Und schiebe Tinas Gesicht zurück in Position. "Jetzt aber voller Einsatz! Sonst heißts nachher Latrinenschrubben! Haha!"
Leider brachte das Video scheinbar nichts, sie heult und heult und lutscht noch schlechter! Wie war das mit Frauen und Multitasking?
"Wenn man nicht alles selbst macht!", ärgere ich mich. Sie hört mit Blasen auf und spuckt aus! und flüstert, ich solle meinen Scheiß dann auch allein machen.
Zickenmodus!
Sie meint, ich spiele den arroganten Macho nicht nur, ich wäre einer. Unterste Schublade, ein richtig mieser Drecksack. "Meine Güte! Wie kann man nur so empfindlich sein! Manchmal glaube ich, ihr seid nicht aus unserer Rippe gemacht worden, sondern aus der eines Huhns! Ich meine man sagt euch, wie ihrs richtig machen sollt und zeigt euch Vorbilder und all das ... als Dank kriegt man dreiste Sprüche an den Kopf geknallt."
"Du Schwuchtel!", schluchzt sie.
"Was soll das heißen?"
"Du hast es mir selbst erzählt, von deiner 'besonderen' Erfahrung. Schon vergessen?" Oh Gott, wie ich diese gebrochenen Frauenstimmen hasse, in denen das Zittern eines hysterischen Anfalls vorschwingt.
"Ich habe ihn in den Arsch gefickt! Das ist nicht schwul!"
"Nein", flüstert sie. "Das ist ekelhaft. Bei so einem wie dir werde ich mich nie entwickeln können. Ich werde dich verlassen!"
"Hey, das kannst du nicht tun. Mich einfach im Stich lassen. Wer soll den Haushalt führen?"

Tina sucht ihre Sachen zusammen. Strümpfe, Tanga und BH.
Fluchend.
Zieht die sorgfältig zerschlissene Jeans ruckweise über ihre Schenkel. Ich leuchte ihr mit der Schreibtischlampe. "Hast du noch etwas zu sagen?" Fragt sie. Als wäre es ihr eben eingefallen, in der halboffenen Zimmertür stehend. Ich lächele eines der halben Lächeln, die aus dem Verschwiegenen gespeist werden. "Adieu", sagt sie und knallt die Tür.
'Drama-Queen', denke ich ihr hinterher. Kaum haben sie Persönlichkeit, wollen sie gewertschätzt werden. Nicht Blasen können, aber geliebt werden wollen! Also was eben so abging, das ließ tief blicken.

Ich suche nach einem Zettel. Will etwas über Tina schreiben und mich. Erscheint mir richtig, jetzt. Stattdessen füllt sich das Blatt mit Wortfolgen wie 'Für ihren Arsch sind Bluejeans erfunden worden' und 'Ihre Titten sind der Hammer.' Ich fühle mich eindimensional, höchstens.
Großartig, diese Einfachheit.
Beim schnellen Schreiben steigt ihr Geruch von meinen Fingern in die Nase. Ich verwerfe die Idee, ihre olfaktorische Hinterlassenschaft zu beschreiben. Weil noch Platz auf dem Blatt ist, male ich eine Katze. Ihr Gesicht ähnelt dem von Tina.

Am nächsten Abend ruft Sascha an und lädt mich auf einen Drink ein. Ich beende meine Pirsch nach knackigen Typen mit sinnlichen Lippen – die wissen, wie ein Schwanz behandelt werden will! - und fahre ein paar Stationen in das nächste Quartier. Saschas Stammbar ist wie immer voller Metrosexueller mit tollen Tollen und schmalen Brüsten.
Bluejeans in allen möglichen Schattierungen und weiße Feinripp-Unterhemden. Deren Klamotte schmiegt sich eng an ihre Körper wie eine zweite Haut. Ein lautes Wort brächte wahrscheinlich die Nähte zum Platzen. Daher vielleicht das intime Getuschel der Jungs. Ihre Tollen schnackseln dabei miteinander.
Ich trage meine Antihipness-Kluft.
Brauner Cashmere-Pullover und dunkelgrüne Cordhose, grobgerippt. Brave Halbschuhe mit einer karogemusterten Zunge als neckischem Blickfang. Ein paar Style-Bürschchen starren mich an, ich starre zurück, mache meine uncoole Unterzahl durch ein löwenmäßiges Zähneblecken wett.
Heiß ist es, das stört etwas. Ich wünsche mir ein Unterhemd und löchrige Hosen, wie Tina. Die hat so was gerne getragen. Deswegen ist sie vielleicht gegangen, weil wir nicht zusammen passen. Schon äußerlich, der Schein gehört ja zum Sein. Jemand ohne Persönlichkeit hätte das sicher nicht bemerkt. Oder gerade. Oder wie auch immer.
Sascha sitzt an der Theke. Zur Begrüßung gibt es Küsschen - rechts, links, rechts - und den versprochenen Cocktail. Er berichtet von den neuesten Männergeschichten. Ich denke dies und das und sage jaja und soso. Saschas Pupillen sind geweitet, wahrscheinlich wegen der Lichtverhältnisse. Man weiß es nicht, man fragt da nicht. Ich sehe mein Spiegelbild in ihnen und wünsche eine Ereignisdichte, in der für solche Wahrnehmungen keine Zeit bleibt.
Frauen auf Marketing-Mission verteilen Trinkpäckchen. Dass die so was als In-Getränk verkaufen wollen! Ich schlürfe den Orangensaft sorgfältig bis zum letzten Tropfen. Ein Elefantenbaby steigt auf die Hinterbeine und trompetet. Nein, Quatsch.

Zwei Stunden später sind es mehr Cocktails geworden als ich vertrage und weniger als ich wollte. Der Höhepunkt das Abends ist das Aufstellen einer Bestenliste der anwesenden Männer. Wir küren ein Bindeglied zwischen androgyn und biologischer Kleiderstange, dessen vor Gel schillernde Riesenlocke auf seiner zwei Meter breiten Brillenfassung aus Horn ruht. Fensterglas, vermuten wir. Auf dem Heimweg überlege ich, ob Tina vielleicht wegen der Überraschung gegangen war. Die Szene passiert Revue.

"Überrasch mich!", blafft sie. Dabei drückt sie ihre hübschen weißen Knie gegeneinander und lächelt, als posiere sie für ein Foto. Hier ist aber kein Casting oder so was, nur ich und ungefähr hundert Spaziergänger, die pro Minute über die Brücke strömen. Sie hockt auf dem Geländer, hinter sich die pervers strahlende Nachmittagssonne, gegen die ich anblinzeln muss.
Als störe das viele Publikum nicht schon genug! All die Aufgebrezelten sind vom Frühling aus ihren Löchern geschreckt worden und verstopfen die Wege.
"Überraschen?", frage ich. Streiche wie nebenbei ihre kalkweißen Waden entlang. Mich turnt diese noble Blässe einfach an. Der Kontrast zu den schmutzigen Rändern unter meinen Nägeln. "Was Verrücktes tun, ja?" Ich lächele, werfe einen Blick über die Brüstung und überlege. "Gut", sage ich. "Hier und vor allen Leuten, wie du willst. Du musst mutig sein – traust du dich?" Sie nickt zögerlich, wirkt jetzt etwas misstrauisch.
Meine Hände streichen ihre Waden herunter und ziehen erst den einen und dann den anderen Schuh aus. "Wa-was hast du vor?", fragt sie. "Pssscht", mache ich und stelle mich zwischen ihre Beine "hier werde ich es tun", sage ich ihr ins Ohr, "vor allen Leuten. Nur für dich ..." Ich küsse sie an der Stelle hinter dem Ohr, die sie so gerne mag und greife nach den herunterbaumelnden Beinen, als wären sie die Stangen einer Schubkarre. Kitzele ein bisschen über ihre nackten Fußsohlen, das mag sie nicht. "Hör auf!", kichert sie in mein Ohr. "Okay", hauche ich - und reiße die Arme nach oben, als wolle ich die Schublade auskippen. Das nächste Geräusch ist das ihres Rückenplatschers. Der Fluss ist hier viele Meter tief, keine Sorge.
"Hey! Bescheuert oder was?", herrscht mich ein Mann an und umfasst meinen Oberarm. Ich kucke nur kurz auf seine Hand. "Das ist ein Spiel", sage ich. "Bei der nächsten Brücke macht sie das für mich. Sehen sie", ich zeige auf die Schuhe, "Die hätte ich ohne ihr Einverständnis hier wohl kaum ausziehen können, ohne dass sie vorher ein Riesentheater gemacht hätte"
Er kuckt mich zweifelnd an. "Entschuldigung", wische ich seine Hand von meinem Oberarm, "ich würde gern nach ihr sehen, wenns Recht ist." Überzeugt ist er nicht, sein Gesicht spiegelt die Unsicherheit, wie die Situation einzuschätzen sei. Ich warte einfach. Er knurrt noch was von wegen alberner Moden und verzieht sich.
Über das Brückengeländer gelehnt, sehe ich ihr weißes Gesicht inmitten des dunklen und – ich nehme es an – immer noch ziemlich kalten Wassers. Sie schwimmt auf der Stelle und starrt mich an, ohne ein Wort zu sagen. "Überraaaaschung!",- ich.
Sie antwortet nicht, gibt ihren Schwimmbewegungen dafür aber eine Richtung - zum nächsten Ufer. Ich beschließe Nägel mit Köpfen zu machen. Werfe ihre Schuhe hinterher und mache sie mit einem Ruf auf meine Schändung aufmerksam. Sie sieht scheinbar teilnahmslos zu, wie ihre Pumps im Wasser versinken, dann kurz über mein Gesicht wieder zum Ufer, auf das sie mit jetzt wesentlich entschlosseneren Bewegungen zuschwimmt.
Ich beeile mich, vom Tatort zu verschwinden. Auf dem Nachhauseweg fällt mir ein, dass wir zusammenwohnen. Und überlege, wie es nun weitergehen und wie ich mich verhalten soll. Die Situation überfordert mich.
Zu Hause esse ich Schokoladenkekse und trinke Honigmilch, um meine Verwirrung zu bekämpfen. Als sie ankommt, schlafe ich bereits neben der leeren Keks-Packung, ihrer Notration. Den Tag darauf hat sie Triefnase und Husten. Ich mag sie gar nicht küssen, weil das ein bisschen eklig ist. Und es wird schlimmer. Der Facharzt diagnostiziert vier Tage später eine Lungenentzündung. Ich fühle mich schlecht und kaufe ihr eine neue Packung Schokoladenkekse, dann geht es mir wieder besser.

Es könnte damit zu tun haben, beschließe ich in meinem Bett. Verschränke die Arme hinter dem Kopf und betrachte die Konturen des nächtlichen Zimmers. Persönlichkeit kann so anstrengend sein! Hat aber auch ihre guten Seiten. Mir fällt ein, wie wir uns in der Saftbar ordentlich einen reingezwitschert und auf dem Nachhauseweg einen Chefsessel gefunden haben. Kann auch sein, dass wir drübergestolpert sind. Denise, Tina nannte ihn Denise. Sie erklärte Denise zur Chefsesselin und wir schoben sie oder ihn oder es durch die herrlich bescheuerten Straßen der Nacht! In der Stahlschlange rutschten wir auf Denise von links nach rechts. Jede Kurve mitnehmen! Ich auf Denise, Tina auf mir, hach ja. Ohne Persönlichkeit geht so was nicht.

Am nächsten Morgen treibt mich die Sonne aus dem Bett. Ich simse Sascha und wir treffen uns in einem amerikanischen Kaffeehaus. Riesige Muffins! Und Kaffee mit Karamelgeschmack! Nach dem Kombifrühstück ist mir schlecht. Trotzdem esse ich noch zwei Muffins, weil sie einfach so lecker sind. Sascha hält beim Kotzen meine Haare. Zum Abschied gibt es diesmal kein Geküsse.

Auf dem Weg zurück in die Wohnung sehe ich einen kleingeratenen Erdenbürger auf dem Gehweg hocken und die Steine mit Kreide vollschmieren. Neben ihm ein wesentlich größeres Subjekt mit langen Haaren und Handtasche, nennen wir es Mutter.
Im Vorbeigehen höre ich "Wo ist denn der WauWau, ja wo ist denn das kleine Hundilein?" Das kleinere Subjekt scheint vor Freude fast zu platzen, als er "Daaaaaaa!", brüllt - ein hässlicher Kurzhaardackel kommt hinter einem Baum hervorgehechelt.
"Feini, Feini! Du bist ja soooo ein großer Junge! Groß genug, einen Moment allein zu bleiben. Die Mama geht mal eben pischern."
Sie verschwindet in Richtung eines Cafés. Ich wollte es eigentlich nicht tun, aber manche Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen hieße sich gegen die Vorsehung versündigen. Ich als aufopferungsvoller und durchtranszendierter Mensch mache da keinen Unterschied zwischen mir und denen, dem Ich und den Anderen.
Unauffällig aber zielstrebig schlendere ich zum alleingelassenen Mini-Subjekt und gehe neben ihm in die Hocke. "Du, hör mal. Deine Mutter ist bestimmt ne tolle Frau, sie hat auch schöne Rundungen und so, alles stramm! Ich meine, die ist bestimmt cool. Aber manche Sachen, die Mütter sagen, gehen überhaupt nicht klar. Nicht dass du mich falsch verstehst – ich tu dir jetzt nämlich einen Gefallen und warne dich vor dieser WauWau-Sprech und dem Gebrauch der Dimunitive."
Die lütte Person sieht mich mit großen Augen an. "Verniedlichungen! I's und ing's am Ende und was weiß ich noch. Du verstehst." Der kuckt noch genau so wie eben. Will der mich verarschen oder was? "Beispiel: Diese vom stolzen Wolf zum Kurzbeiner erniedrigte Kreatur heißt Dackel und gehört zur Familie der Hunde, zur Überfamilie der Canoidea. C A N O I D E A. Merk dir das gleich richtig, dann musstes später nicht doppelt lernen. Hundilein – das Wort gibt es überhaupt nicht! Und das Lein zeigt schon die Verniedlichung an, da noch ein klein vorzusetzen ist ... Kleinlein ... aaaah!" Das wirkt jetzt erstmal, nehme ich an.

"Und hier", sage ich und zeige auf seine Kreidefigur. "Stimmen die Proportionen nicht. Allein die Größe vom Bein! Elephantiasis! Ein Hund mit Elefantenartigkeit! Die Menschen bringen alles durcheinander! Das muss man doch sehen! Natürlich gibt es künstlerische Freiheit, aber es ist halt ein Unterschied, ob jemand, der das Handwerk drauf hat, was verfremdet, oder ob jemand nur drauf los zeichnet. So was fällt auf. Da muss echt noch ne Menge getan werden."
Ich leihe ihm die Kreide weg und male neben seinem Kreidehund einen ordentlichen auf den Bürgersteig. Das Kind trägt blaues Hütchen und blaue Latzhose. Wird wohl'n Junge sein. Oder Romantikerin, haha. Ich zeige auf die ungeschickt vergrößerten Gliedmaßen seiner Figur und erkläre anhand der realistischeren Dimensionen meiner eigenen, was er falsch gemacht habe und worauf er achten müsse.

Frag ihn, wie er heißt. Der antwortet nicht. Grabscht aber nach der Kreide! Ich schlage sein Ärmchen weg – der ist kein Gegner für mich.
Finde ich frech, wie der mit seinem Lehrer umgehen will. Die Jugend heutzutage. Vorgestellt hat er sich auch noch nicht! Ich hebe ihn hoch und suche nach einem Hinweis auf die Identität. Rudi steht auf seinem Hosenboden. "Also Rudi", sage ich. "Dranbleiben! Da ist echt Potential, aber ohne Training wird das nichts. Üben, üben, üben!" Da fängt er an zu heulen, der kleine Fratz.
Vom Café nähert sich schnellen Schrittes die Mutter. Ihr Gesicht erinnert an Sommerhimmel, bevor es gewittert. Ich verabschiede mich von Rudi und zwitscher ab.

Am Abend kommt Sascha vorbei. "Dein Fress-Exzess macht mir Sorgen", sagt er. Fressattacken wären ein typisches Symptom. (Wofür?) Ich müsse auf andere Gedanken kommen, mal wieder unter Leute. Spaß haben!
Ha! Haha.
Er schleppt mich auf eine Studenten-Party, stellt mir eine Facebook-Freundin vor und lässt uns mit den Worten, wir würden uns sicher gut verstehen, allein. "Martin!", stelle ich mich vor. "Du kannst mich auch Vanessa nennen, wenn du möchtest."
Das Mädchen kommt übergangslos auf die eigene Person zu sprechen. Bezeichnet sich selbst als unglaublich kontaktfreudig. "Ich durfte heute schon so viele spannende Leute kennenlernen!" Sie besitzt das seltene Talent, komplette Gespräche im Unddannhatsiegesagt-Unddannhabichgesagt-Modus wiederzugeben. So geht das eine halbe Stunde.
Wenn mir meine Lebenszeit nicht so egal wäre, hätte ich schon längst das Weite gesucht. Sie erzählt ein irre lustiges Gespräch nach, das ihre Freundinnen geführt haben, und ich trickse rum und verrenke mich, um sie ein bisschen zu öffnen. (Wieso?)
Im Ergebnis redet sie eine halbe Stunde von Adorno, als bekäme sie für die Verbreitung seines Wortes Provision und leitet unvermittelt zu den Problemen mit ihrem Mitbewohner über, in den sie tragischerweise verliebt sei – "Oder nicht? Ich bin so unsicher, was ihn betrifft. Vielleicht ist das ja die Tragik?"
Hach!
"Riechst du das auch?", frage ich zwischendurch und schnuppere an ihrer Achsel. "Irgendwas müffelt hier!"
Sie sieht mich mit großen Augen an, wie ein von der Schlange hypnotisiertes Bunny. (Ist das schon Freud?) Sie heißt übrigens Lisa. Das find ich gut, mittlerweile heißen ja alle Lisa! Da kommt man nicht durcheinander!
"Tut mir leid", sage ich und rieche an mir. "Kommt doch von mir. Und ich dachte, wir hätten was gemeinsam!"
Lisa schaut sich um, als suche sie nach einer Möglichkeit, geschickt aus dem Gespräch zu kommen. Wenn sie einen entfernten Bekannten erspähte, könnte sie ekstatische Wiedersehensfreude simulieren und wäre ruckzuck aus der Reichweite meiner Schnüffelnase. Doch scheinbar ist da niemand.
"Geile Titten", sage ich anerkennend und nicke in Richtung ihrer Oberweite. Sie zuckt zusammen und über ihr Gesicht huschen Ärger und Befremdung, bevor es zur Maske erstarrt. Einer beleidigt-naiven Kleinmädchenmaske, die perfekt zu ihr passt.
Vielleicht zu gut, Vorsicht.
"Findest du?", fragt sie. "Ich habe manchmal das Gefühl, sie sind ein bisschen klein."
"Ja klar sind die zu klein. Sieht man aus zehntausend Metern. Oder eben nicht mal aus zehn. Das war nur so ein Spruch."
Sie sucht in meinen Augen nach Spuren von Ironie. (Von was?)
"Wusste gar nicht, dass es noch solche vorsintflutlichen Typen gibt", sagt sie. "Dich müsste man im Museum ausstellen!" Sie lehnt sich zurück und verschränkt die Arme vor ihrer schmalen Brust.
"Entspann dich Schätzchen, geh mal ein bisschen lockerer mit deinem Handicap um. Kuck mal: Du kannst dich super als Junge verkleiden, musst nur noch die Pussyhaftigkeit wegtrainieren, dann kommste auch in die richtigen Herrenclubs rein und findest mal raus, wen Gott nach seinem Ebenbild erschaffen hat."
"Du bist echt ne komische Nummer", sagt sie. "Ist doch erbärmlich, jemanden auf äußere Merkmale zu reduzieren. Coole Jungs machen das nicht. Tatsächlich habe ich noch nie einen getroffen, der so einen saudummen Spruch abgelassen hat wie du eben. Hab schon gedacht so welche wären Fiktion der Emanzenindustrie."

"Bernhardiner!", rufe ich. Einer dieser freundlichen Vierbeiner mit Fass um den Hals kommt quer durch den Club auf mich zugelaufen. Springt über Tische und schnellt zwischen Stuhl- und Menschenbeinen hindurch! Knapp unter Lichtgeschwindigkeit.
Wenig später drehe ich den Schraubverschluss vom Fässle und kippe mir einen hinter die Binde. Wie viele Leben die schon gerettet haben mögen!
"Rum! ... Hier, Mädchenjunge – nimm!", halte ich ihr das Dingens hin. Sie trinkt – kräftiger Zug, Respekt – und kuckt mir mit einem so irren Funkeln in die Glubscherchen, dass ich fast vorfreudig an ihren Lippen hänge, als sie einen Satz zu artikulieren beginnt. Kann man an denen echt sehen wie eine Frau untenrum gebaut ist?

"Ich sag dir was", beginnt sie. "Du hast einen kleinen Schwanz oder kriegst keinen hoch und diese Einschränkung projizierst du auf das Gegenüber, wenn es eine Frau ist. Bei Männern traust du dich nicht, denn die könnten ja an der Pissrinne sehen, dass du nichts am Start hast", und dann mit Wimpernklimpern und zuckersüßem Lächeln: "... Süßer." Das Gesicht hat sie für den Final Move reserviert.
"Märchen und Mythen! Männer mit kleinen Schwänzen sagen Frauen mit kleinen Titten, das sei okay, weil sie hoffen, bei denen landen zu können. Und dass die gute Miene machen, wenn er die Hosen runterlässt."
"Das ist so was von arm. Als würde man über Hautfarbe lästern. Die ist auch nicht änderbar!"
"Silikon, Schätzchen! Mittlerweile fallen die wie echte und fühlen sich genauso an. Silikohon."

Lisa schlitzt die Augen und steht auf und geht zu Sascha an die Theke und erzählt aufgeregt. Ich kraule den Bernhardiner hinter den lässigen Schlappohren! Lisa schnüffelt erst an Saschas und dann an ihrer Achsel. Unddannhatergemacht-Unddannhabichgemacht. Sascha winkt ab. Zuckt die Achseln. Schüttelt den Kopf.
Sie spricht drei knackige Boys an, deren muskulöse Oberarme ihre T-Shirt-Ärmel fast sprengen. Während ich eine SMS an Tina tippe, die nur aus Zeichen besteht, ein winkender Pandabär, sehe ich immer mal wieder zu Lisa und ihren Freunden rüber. Sie spricht schon wieder ganz schnell und aufgeregt. Ich finde sie jetzt doch ziemlich okay für eine Lisa, wenn man sie erstmal aus ihrem Fahrwasser gelockt hat. Über mich denkt sie wahrscheinlich etwas anders.
Die Typen blicken mich scheel an, von Minute zu Minute finsterer. Ich versuche unverdächtig auf Toilette zu gehen und schreibe Tina auf dem Weg, dass ich ihr keinen Bären aufbinden wollte, sie hat die Neigung Bilder wörtlich zu nehmen und sieht meine Signale zur Zeit vielleicht durch einen skeptischen Filter. Besser mal absichern. Ausnahmsweise. Ich krieche durch das enge Fenster nach draußen. Verliere dabei mein Handy. Auf dem Heimweg frage ich mich, ob ich je erfahren werde, wie Tina meine SMS gefiel.

Im Bett überlege ich, wer die Verantwortung für die Misere trägt. Gehe hart mit mir ins Gericht. Stelle am Ende jedoch fest, dass es ihre Schuld ist. Puh, Glück gehabt. Schuldgefühle finde ich schwer auszuhalten und seitdem sie weg ist, gibt es keine Schokoladenkekse mehr, die Milch ist letzte Woche ausgegangen, es gibt nur noch einen Fingerbreit Honig.

Zwei Stunden später. Kann nicht schlafen. Habe zwanzig Katzen gemalt. Dicke Perserkatzen mit verheulten Augen im Knautschgesicht. Doris, Bernd ... jede trägt einen anderen Namen, aber alle das Gesicht von Tina! Ich erwische mich, wie ich Bernd an der Stelle hinterm Ohr kraule, die Tina so gern mochte. Reiße mich aus der Gedankenleere, fahre den Computer hoch und lade alle meine Facebook-Freunde zu einer Party ein. Mitzubringen sind Schokoladenkekse, Milch und Honig. Ich fühle mich sehr schlau und listig und nenne mich vor dem Spiegel Odysseus. Ist ja auch toll, die alle mal in echt kennenzulernen! Ob ich meinen Schlafanzug ausziehen sollte? Nein, vor Freunden muss man sich nicht genieren. Aber ein bisschen Zurechtmachen verlangt die Höflichkeit. Ich ziehe den Bademantel über und mache eine ordentliche Schleife in den Gürtel.

Komische Gestalten stehen in meiner Tür. Erzählen laute und ungehobelte Witze, was im Treppenhaus hyänenhafte Lachanfälle auslöst. Am lautesten lacht Mandy, die der dollste Kerl der Bande zu sein scheint. Sie trägt blondiert mit pinken Sprengseln, ein strassbesetztes schwarzes Pflaster auf der Wange und eine Tüte voller Bierflaschen. "Frühstück!", röhrt ihr Begleiter und will sich an mir vorbeidrängeln. "Halt!", sage ich. "Wo sind die Mitbringsel?" Man schaut mich befremdet an, ich kucke irritiert zurück.
Einer kommt die Treppen hochgespurtet und reicht mir eine Tüte. Ich sehe hinein, lächle und mache den Weg mit einer kleinen Verbeugung und einem simulierten Hut ab! frei.
Die nächtlichen Besucher sehen mich mit dem ängstlichen Respekt an, der für Unberechenbare reserviert ist. Ist registriert, ist okay, was ihr wollt. Möchte nur meine Honigmilch.
Zwölf Leute marschieren an mir vorbei, auf zwölf Shirts steht Jentwon Gangstarr Rap Crew.
Es dauert ein Weilchen, bis der Groschen fällt: Das sind Jenfelder, die die Ansammlung von Bausünden ihres Problemviertels wahrscheinlich in direkter Nähe der Bronx sehen. Wusste gar nicht, dass ich dort Freunde habe. Seitdem die Zahl meiner Freundschaften den vierstelligen Bereich geknackt hat, bin ich nicht mehr ganz Herr der Lage, fürchte ich. Tina hat die Freundes-Liste einmal im Monat ausgesiebt. Mein Besuch wäre sicher dabei gewesen.
Samt aufsehenerregendem Kopfschmuck: Die Männer gegelte Banker-Iros und die Frauen blondierte Kurzhaarfrisuren, Farbbeutel scheinen über beiden explodiert zu sein. Hier betreibt der Einzelne viel Aufwand, um wie die Anderen auszusehen. Anscheinend floss in die Frisuren ihre Kreativität - der am frühen Morgen angestimmte Jentown-Freestyle-Rap erschöpft sich im Durchkonjugieren verschiedener Körperöffnungen und möglicher Penetrationsformen. Natürlich geht es auch um das harte Leben auf den Straßen, was ein Hustler alles zu tun gezwungen sei und so weiter.
In einer kurzen Gesangspause versichere ich meinem Besuch, wie sehr mich die Gelegenheit freue, etwas aus ihrem Leben zu erfahren. Im Bademantel, dampfende Honigmilch trinkend - zugegeben, so fällt Großzügigkeit leicht.

Meine lieben Gäste prüfen die Echtheit gewisser Gegenstände unserer Wohnung - warum sollten sie sonst mit einem Ding auf ein anderes Ding schlagen? Ich kenne den wiederkehrenden Impuls, die scheinbare Wirklichkeit ab und an betasten zu wollen, um die Qualität der Simulation zu prüfen. Gehe allerdings etwas sensibler mit der wirklichen Welt um als mein Besuch. Doch im Prinzip wird es um das gleiche gehen: bei einer Fensterscheibe, zwei Lampen und dem Fernseher. Alle beweisen ihre Anfassbarkeit und auch in punkto Zerbrechlichkeit geben sie keine Rätsel auf. Ich bin ihnen nicht böse. Das Leben funktionierte Jahrtausende ohne Fenster und künstliches Licht, außerdem steht der Sommer vor der Tür.
Trotzdem müssen meine neuen Freunde gehen, als die Polizei von 'bei der Nachtruhe massiv gestörten' Nachbarn gerufen wird und die Party auflöst. Ich rufe ihnen hinterher: "Nennt euch Jentown-City Gangstarr Crew! That's much more cool! Mi casa su casa! Gangsta for life!" Wenn man sich an mich erinnert, bitte an jemanden, der seinen Mitmenschen immer freundlich zur Seite stand.
Frau Kern von gegenüber fragt mit sorgenvollem Gesicht, was wohl Tina dazu sagen werde. "Gar nichts!", sage ich. "Sie ist weg und kommt nicht wieder!" Frau Kerns Gesicht verzieht sich zur nächsten Gramstufe. "Oh", sagt sie und leise murmelnd "musstejasokommen." Ich danke für die Anteilnahme, stecke die Milch unauffällig vorne in meinen Hosenbund, nehme ein Glas und frage, ob sie etwas trinken möchte. "Unsere Leitungen sind vor kurzem entkalkt worden!" Sie sieht mich schräg an und geht. Ich schließe die Tür hinter ihr.

Im Schlafzimmer stelle ich fest, dass auch dort eine Fensterscheibe kaputt gegangen ist! Egal, es gibt ja so viele Räume! Wenigstens zwei noch. Und unsere Küche hat gar kein Fenster. Glückspilz! Ich schleife Matratze und Bettzeug dorthin. Richte es mir so ein, dass ich Herd und Milchtopf erreichen kann, wenn ich mich aufrichte. Finde mich wieder sehr schlau, weil unter meinem Bademantel noch der Schlafanzug ist. Niemand kommt auf so was, obwohl sich fast alle für schlau halten.

Ich gehe am nächsten Morgen studieren, nein, ich gehe spazieren und – bekomme von einem netten Muttchen ein Heft des Wachturms. Da steht drin, dass den meisten Menschen etwas fehle. Stimmt. Da ist was dran. Das muss erstmal verarbeitet werden! Ich lese nicht weiter und schmeiße das Heft weg, um mich in Ruhe dieser Frage zu widmen.
Aber was, überlege ich.
Keine Ahnung, egal.
Was mir das Leben als nächstes bietet, werde ich nehmen. Die Chance am Schopf packen.
Ein Typ mit wirren Haaren eilt an mir vorbei, quasselt in einem fort und gestikuliert in die leere Luft. Ich schnappe Fetzen seltsamer Kommentare und Ansichten auf. Überlege, ob er wahnsinnig oder erleuchtet oder ein Normalo ist, der mit seiner Schickse telefoniert. Das weiß man ja heutzutage nicht mehr.
Als ich noch überlege, ob das jetzt ein Zeichen ist und wenn ja, wie ich es verstehen darf, springt mir das wahre Symbol ins Auge: Grell kleben an der Eingangstür einer privaten Schönheitspraxis die Wörter Botox to go und darunter ein schüchternes Zettelchen Heute Botox-Party. Schau her!

Hinter einer Theke aus glattpoliertem Wurzelholz sitzt eine die aussieht, wie eine aussieht, die es im Dreierpack gibt. "Wie ist denn das mit diesem Nervengift?", frage ich.
"Ach, alles eine Frage der Dosis", winkt sie ab. "Richtig dosiert ist Botox ein sehr effektives Heilmittel gegen die Krankheit des Alterns. Attraktivere Menschen führen ein leichteres Leben. Und bekommen auch bessere Jobs und Partner."
"Ja gut", sage ich. "Einmal bitte. Wenns schnell geht."
"Sehen sie mal", meint sie und breitet eine sehr schön gestaltete Hochglanzbroschüre auf der Theke aus. Deren Farbe harmoniert wunderbar mit dem Wurzelholz. Ein paar Tinas und Tims berichten auf der letzten Seite von ihrer Botox-Behandlung, wie glücklich sie jetzt wären und wie schön sie sich fühlten. "Das will ich auch sagen können!", entfährt es mir. "Ach, Glück!"
"Das ist gar kein Problem, Herr ...", sagt sie und will meinen Namen in eine Computermaske eingeben. "Wir brauchen nur noch ein paar Daten, reine Routine ..."
"Vanessa", sage ich. Oh Übermut, Vorgefühl des Glücks!
Ein prüfender Blick. "Vorname?"
"Prinzessin. Prinzessin Vanessa."
"Soso", sagt sie. "Tja, wir verlangen prinzipiell, äh, Vorkasse. Haben sie genug Bargeld dabei?"
Ich zähle locker ein paar Grüne ab. "Aber nicht dass sie mir heimlich die Brüste vergrößern!", scherze ich.
Nachdem die Formalitäten geklärt sind, geleitet sie mich zum Herrn Doktor. Der erinnert an Kermit den Frosch. Lustig wie sein aufgeschwemmter Schädel während des Konversierens auf dem Hals wackelt.

"Ich hoffe das ist nicht unangenehm", sagt er und unterspritzt meine Zornesfalte. Ich versuche ein Signal von der Stirn reinzukriegen, die Muskeln zu bewegen.
"Nee, ich spüre überhaupt nichts mehr."
"Haha, genau!", sagt er. "Ich habe dieses Gefühl lieben gelernt. Man muss sich nur bewusst machen, was der Effekt ist. Sie werden dreißig Jahre jünger aussehen!"
"Ich bin noch nicht mal so alt."
"Zu ihrem nächsten Geburtstag werden die Gratulanten rufen: 'Endlich achtzehn!'"
"Ich mag keine Geburtstage. Achtzehn war ein furchtbares Alter."
Er sagt ein paar Dutzendsekunden nichts und macht konzentriert an meinem Gesicht rum. "Warum haben sie sich für die Behandlung entschieden, wenn ich fragen darf?", fragt er.
"Die Broschüre war sehr hübsch!" Wieder eine relativ lange Pause.
"Sehen sie. So ähnlich werden sie auch aussehen."
"Ich wollte etwas verändern und wusste nicht, was. Da habe ich ihre Werbung gesehen ..."
" ... und das einfach mal ausprobiert! Wissen sie was? Sie sind ein Abenteurer!"
"... Unterbrechen sie mich nicht! Ich habe mich auch informiert, Erfahrungsberichte gelesen. Die Menschen in ihrer Broschüre haben sich durchweg positiv geäußert. Ich hoffe nur bei mir wird die Behandlung einen ähnlichen Erfolg haben. Ich habe den Eindruck, mir fehlt etwas."
"Natürlich kriegen sie das Geld zurück, wenn ihre Mimik nach der Behandlung funktionieren sollte."
"Was halten sie eigentlich von der Bezeichnung wunscherfüllender Medizin?", frage ich. (Nur so!)
"Gar keine Medizin", murmelt er, "das ist Kunst ..."

Er nimmt eine zweite Spritze und zielt auf sein Spiegelbild. "Spieglein, Spieglein an der Wand ... Sag schon!" Und antwortet seinem Doppelgänger: "Ich, Ich!"
Der Dottore erinnert an Doktor Mabuse in dieser genialen Fluchtszene in dem Film von Fritz Lang. Gefällt mir, in einer Welt zu leben, wo welche wie ich andere für verrückt halten können. Er drückt ein bisschen Nervengift mit Schwung aus der Spritze. Es scheint einen Moment im Abendlicht zu schweben und funkelt wunderschön, von einem trägen Sonnenstrahl touchiert. Dann widmet er sich den Nasolabialfalten, von denen er meint, dass ich an denen sicherlich kaum vorbeischauen könne. Ehrlich gesagt habe ich mir die noch gar nicht so genau angeschaut, aber es ist ja sogar klug, ein Problem zu bekämpfen, bevor es entsteht.
"Fertig!", ruft er. "Und – was sagen sie?"
Ein paar Gesichtspartien sind aufgebläht, es blutet ein bisschen aus den Einstichstellen. Doc sagt, das verteile sich mit der Zeit und verwischt die roten Schlieren. Ist ja eh nur äußerer Schein! Jetzt gibts erstmal Fettabsaugen. Die nette Sprechstundenhilfe hat meine Wartezeit genutzt, um mich kostenlos und unverbindlich über ein Supersonderspezial zu informieren. Natürlich habe ich gleich zugeschlagen. Das Kombipaket war für Leute meines Namens, meiner Postleitzahl, meiner Haarfarbe und mit der Angewohnheit, fette Katzen zu zeichnen, um jeweils 25 % günstiger! Und wegen der Botox-Party wurden die Rabatte kumuliert! Ich habe mir das schriftlich geben lassen, wenn ich wieder eine Frau habe, soll die das mal durchrechnen.

Ich gehe wieder zu dem Laden, wo ich meine große Liebe Lisa kaufte, ich meine Tina, sie heißt Tina. Die mit den coolen Titten. Weiß auch nicht wieso. (Wieso nicht?)
Ich frage die Verkäuferin nach einem Exemplar mit weniger Persönlichkeit. Die seufzt, dass es so was nicht gebe. Vollpersönlichkeitsproblem nennt das die Herstellerfirma. Entweder ganz oder gar nicht. Sie führt mich zu der Besenkammer. Da hockt sie drin. "Du!", sagt Lisa. Glücklich sieht sie nicht gerade aus. Aber was ist schon Glück? Ich zucke die Achseln und quetsche mich daneben. Die Verkäuferin schließt die Tür hinter uns.

Danke, Tokala, für die Ideen.

 

Die Geschichte ist sehr lang! Mehr möchte ich nicht sagen, um eventuelle Kommentatoren nicht zu beeinflussen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo,

Eigentlich würde sie so eine nicht mehr anbieten und habe sie sogar schon wegschmeißen wollen. Aber das habe sie doch nicht übers Herz bekommen.
Wegschmeißen = aussortieren?
übers Herz „bringen“ ist eine stehende Wendung.

"Das Problem ist unsichtbar: Sie entwickeln Persönlichkeit."
"Oh! Egal, ich mag ihre Brüste. So schlimm kann Persönlichkeit nicht sein. Sie ist gekauft!"
Bis dahin wirkt es stark. An der Stelle wird die Stoßrichtung der Satire zu deutlich, ist es zu laut. Die Figuren sagen etwas betont Herzloses oder Dummes, damit es deutlich ist.
Außerdem „unsichtbar“: „Nicht sichtbar/ nicht äußerlich“.
Es gibt übrigens einen Film Cherry 2000 mit dieser Idee. Da hat sich einer derart in seine Roboterbraut verknallt, dass er auf ein Abenteuer geht, um Ersatzteile zu finden.

Arschfick, Doppelpenetration, Dreilochstute
Dreilochstute ist nicht der Vorgang, sondern die Frau dann. Spazierengehen, Motorrad fahren, Marathonläufer.
Boah, als ich heute morgen aufgestanden bin, dachte ich nicht, dass ich diesen Satz schreiben würde.

Weil noch Platz auf dem Blatt ist, male ich eine Katze. Ihr Gesicht ähnelt dem von Tina.
Das ist gut, passt aber nicht zu der Figur, weil die so überzeichnet ist. Es ist doch viel stärker, wenn man „normale“ Figuren hat, die sich wie Idioten benehmen, als wenn man Idioten hat.

Zu Hause esse ich Schokoladenkekse und trinke Honigmilch, um meine Verwirrung zu bekämpfen. Als sie ankommt, schlafe ich bereits neben der leeren Keks-Packung, ihrer Notration. Den Tag darauf hat sie Triefnase und Husten. Ich mag sie gar nicht küssen, weil das ein bisschen eklig ist. Und es wird schlimmer. Der Facharzt diagnostiziert vier Tage später eine Lungenentzündung. Ich fühle mich schlecht und kaufe ihr eine neue Packung Schokoladenkekse, dann geht es mir wieder besser.
Spätestens an der Stelle hättest du merken sollen, dass Ich-Erzähler keine gute Idee war. Der Typ ist einfach nicht geeignet, weil du willst, dass er sich mit den Gedanken selbst verrät, aber er es als Figur dann doch merkt und nicht so ist. Also du willst Gedankenlosigkeit darstellen, indem du die Figur darüber nachdenken lässt.

Ich zeige auf die ungeschickt vergrößerten Gliedmaßen seiner Figur und erkläre anhand der realistischeren Dimensionen meiner eigenen, was er falsch gemacht habe und worauf er achten müsse.
Die ganze Stelle find ich gut – mit Abstrichen, weil es wieder nicht zu der Figur passt – weil dort etwas gespiegelt wird. Der Respekt vor dem Tier – der Respekt vor der Frau. Das Ding ist nicht das Abbild des Dings.

Im Ergebnis redet sie eine halbe Stunde von Adorno, als bekäme sie für die Verbreitung seines Wortes Provision und leitet unvermittelt zu den Problemen mit ihrem Mitbewohner über, in den sie tragischerweise verliebt sei –
Das passt nicht zusammen. Hier ist eine Geschichte da und dann ist das da, was du grad so im Kopf hast, und beides will den gleichen Raum einnehmen.
Also der Typ ist zu blöd, um aus dem Bus zu gucken und hat null soziale Kompetenz.
Der ist aber der Ich-Erzähler dieser Geschichte.
Das heißt, die Geschichte kann keine anderen Gedanken im Erzähltext haben als die des Erzählers.
Jetzt kann er aber nicht in 2 Szenen emotional blind sein wie ein Maulwurf – obwohl es ja durch den Erzähltext ganz klar ist, was zu tun ist – und dann fast hellsichtig bei anderen Leuten irgendwas analysieren. Das ist einfach ein Problem des Ich-Erzählers.
Und hier auch – das Ding spielt in der Zukunft und die reden da noch über Adorno? Kaum vorstellbar.

Während ich eine SMS an Tina tippe, die nur aus Zeichen besteht, ein winkender Pandabär, sehe ich immer mal wieder zu Lisa und ihren Freunden rüber.
Das wäre alles so cool in der 3. Person. :)
Also … das Schweigen in den Gedanken ist ja eine Quelle für Komik. Dass er sich mit dieser Frau unterhalten kann und dann einen auf Macho macht und 20 Sekunden später schmilzt er bei der Panda-SMS dahin. Das ist ja wie ein Gilligans Cut. Aber mit dem Ich-Erzähler …
Diese Gespräche mit Frauen hier, das ist mir schon unangenehm, da zuzuhören. Es ist schon klar, dass es überspitzt das ist, was heute stattfindet in bestimmten Cliubs oder so, aber es ist auch ermüdend. So eine Ver-Un-Menschlichung menschlichen Kontakts. Dass man extra hässlich zueinander ist ohne Not. Ein sozialer Sadismus.
„Du hast kleine Titten“ – „Das sagst du nur, weil du einen kleinen Schwanz hast und das projezierst.“ – „Kann ja sein, aber ich bin stolz auf meinen kleinen Schwanz, dadurch bin ich metrosexuell.“
Da hat jeder von beiden die Meinungen des anderen schon mal gehört und gibt dann die vorbereiteten Selbstschutz-Antworten – wem macht das Spaß? Warum gehen Leute nicht einfach weg, wenn der andere sie nervt?

Die Männer gegeelte Banker-Iros
gegelte

Die Eleganz wäre es, dass alles weiter zu verfremden, so dass man nicht auf den ersten Blick sieht um was es dem Text in jeder einzelnen Szene geht.
Und dann eben eine echte Figur als Erzähler zu finden und nicht nur einen Führer durch die verschiedenen Glossen-Kapitel, der in jeder Szene so viel weiß und das denkt, was für die jeweilige Szene notwendig ist.

Die beiden Sachen und das wäre eine klasse Geschichte, so sind es 5 Geschichten oder 7 kleine Satiren, ich hab nicht mitgezählt. So ist es mehr ein Auskotzen halt, das ist im Kleinen schon gut gemacht wieder. Dass er sich seine Facebook-Freunde einlädt und die machen ihm alles kaputt. Das ist schon clever, die digitale Intimität wird zur realen Anonymität, und wenn man den anderen nicht kennt, kann man mal locker sein Haus kaputt machen. Im Prinzip sind das natürlich die Paradoxien unserer Gesellschaft. Das ist das, was hier passiert.
Der Erzähler nimmt für sich maximale Freiheit in Anspruch, leidet aber darunter, wenn das andere auch tun und dann auf seine Kosten.
Das Verhalten des Erzählers wäre nur chic, wenn er der einzige wäre, der sich so verhält. Aber weil sich alle so verhalten, reibt er sich auf. Was er alleine von Lisa erwartet, was die alles für ihn sein soll. Das ist natürlich nicht zu leisten: Sexsklavin, Haushälterin, persönliche Facebook-Sekretärin, beste Freundin und Romanze. Und dann kippt er sie die Brücke runter, einfach weil er es kann und es für 2 Sekunden für eine gute Idee hält. Aber es ist die Rolle der Frau wieder, weil sie dieses Fordernde hat: Überrasch mich – und das Ironische ist wieder, dass er sie tatsächlich völlig überrascht, aber auf ihre Wünsche kein Rücksicht nimmt. Man kann eine Frau nach einer Weile, wenn man mit ihr zusammenlebt, nicht mehr so locker überraschen. Das ist ja eines der Themen hier: Dass die Romantik und das Neue irgendwann flöten gehen. Und er überrascht sie dann auf eine ganz billige Weise, er verlässt die Parameter der Gesellschaft und tut etwas, das man einfach nicht tut, um sie zu überraschen. Das ist ja auch so etwas im Verhältnis Frau-Mann heute. Frauen wollen ein Stück weit diese unberechenbare Bad Boys, aber darunter leiden wollen sie auch nicht. Also sie hätte es in der Theorie gut gefunden, in der Praxis hat sie eine Lungenentzündung und findet das gar nicht gut.
Für sich genommen, im Kleinen, wenn man die Lupe drauflegt, hast du schon starke satirische Szenen in der Geschichte. Als ganzes betrachtet, von Anfang bis Ende und mit den Figuren im Blick, in der Gestaltung – da könnte man noch viel draus machen.

Als Kurzgeschichte finde ich den Text nicht so toll, als Sammlung von satirischen Vignetten wäre er viel besser.

Gruß
Quinn

 
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Hallo Kubus,

Quinn hat schon viel Schlaues gesagt, das ist immer spannend, so Quinn-Kommentare nach der Geschichte zu lesen. Das mit dem Ich-Erzähler, das dass ein Problem sein könnte.. wäre ich jetzt gar nicht drauf gekommen, kann aber wirklich sein. Also ich hab das schon gern gelesen, aber nach einer Weile zieht's. Dann kommt dann eins nach dem anderen, und alles sehr schnell, das ist glaub dein Stil, du verarbeitest die Infos schnell.

Ich sehe mein Spiegelbild in ihnen und wünsche eine Ereignisdichte, in der für solche Wahrnehmungen keine Zeit bleibt.

Ist auch nicht schlecht. Aber ja... also diese anonyme Gesellschaft ohne Persönlichkeit, die Facebook-Feunde, Botox, und dann und dann und dann! Das geht sehr schnell, und die Wirkung ist dann manchmal nicht so stark wie sie sein könnte. Du hast da starke Sätze und Szenen drin, aber ich hab das Gefühl, die werden nicht wirklich hervorgehoben, oder vielleicht gibt es einfach zu viele davon, oder sie sind irgendwie verschachtelt, und man hat immer das Gefühl, man müsste gleich weiter lesen oder so...

Hab schon gedacht so welche wären Fiktion der Emanzenindustrie

Das fand ich cool, blieb im meiner Erinnerung.. weils am Ende vom Absatz war?

Ich weiß jetzt auch nicht, ist nur so ein Gefühl. Ich les es später nochmal, mal schauen wie es dann wirkt. Quinn hat das Wort auskotzen verwendet, als würdest du uns ankotzen. Okay, das ist ein bisschen heftig, aber ja.. das ist keine ruhige Erzählung, wo ein Erzähler was erzählt, sondern bäm! Man bekommt was reingewürgt.
Das muss ja auch gar nicht schlecht sein, fällt mir nur auf.

Und sonst.. ja, der Inhalt. Es ist halt lang, und alles negativ gemeint. Ist vielleicht auch was Persönliches jetzt. Ich weiß nicht, ob das noch mein Ding ist .. über Facebook und Botox herziehen und so. Nicht weil ich Facebook mag, aber ja... ist das was Neues?
Du ziehst irgendwie über alles her, halt mit Witz und Tempo. Aber dein Ich-Erzähler ist für mich kein Mensch in dem Sinne, sondern ein Avatar für Idiotie. Ein Punching-Bag der schlau denkt und doof ist. Wäre schon interessant, das mal mit der dritten Person auszuprobieren.
Also diese Geschichte, sie lebt ja nicht wirklich von einer inneren Spannung zwischen den Menschen, gibt keine Spannung, gibt kein Plot, sie hat auch keine Sympathie-Träger, hat nicht mal Charaktere, wenns mans genau nimmt. Du unterhältst uns allein mit deinem Witz und Betrachtungsgabe, das ist schon cool, wenn man das kann, das ist schon was, aber man hat schon das Gefühl, das da mehr gehen könnte.
Aber nach wie vor, ich habs gerne gelesen.

MfG,

JuJu

 

Hallo Kubus

Die Geschichte ist sehr lang! Mehr möchte ich nicht sagen, um eventuelle Kommentatoren nicht zu beeinflussen.

Gibt es auch Kurze von Dir? Ich habe jetzt nicht nachgesehen. :D

Beim Lesen des ersten Absatzes klickte ich gleich mal zur Rubrikbezeichnung. Klar Seltsam, na dann lasse ich mich mal über das schnörkelige Bild der Blondinen vor dem Toilettengang nicht aus. Immerhin können sie für ihr Erscheinungsbild nichts, auch wenn es einem beinah zu mädchenhaftem Kichern verführt.

Der Gedanke bleibt unangenehm; blonde, blauäugige Busen auf Beinen!

Direkt feministisch, dieses unangenehm. Einem Macho gefallen doch diese Attribute.

In einer Besenkammer hockt sie. Brünett, braunäugig, Busen: klein.

Ah, individuell. Der kleine Busen stört gar nicht, hat auch seinen Reiz.

Sie meint, ich spiele den arroganten Macho nicht nur, ich wäre einer. Unterste Schublade, ein richtig mieser Drecksack.

Na, stimmt doch nach dieser Einlage.

Schon äußerlich, der Schein gehört ja zum Sein. Jemand ohne Persönlichkeit hätte das sicher nicht bemerkt.

Sehr schön gesagt, werde ich unter den Notizen Philogenese ablegen.

:sleep: Hier habe ich unterbrochen,nicht wegen der Länge, sondern musste einige couchlige Termine wahrnehmen.

Ich als aufopferungsvoller und durchtranszendierter Mensch mache da keinen Unterschied zwischen mir und denen, dem Ich und den Anderen.

Bei allem Verständnis für die Höhenflüge in deinem kubistischen Werk, aber dieser freudsche Gedankendreh in den verästelten Hirnwindungen schmerzt. Doch mit einem Selbst fliessend weitergelesen.

Natürlich gibt es künstlerische Freiheit, aber es ist halt ein Unterschied, ob jemand, der das Handwerk drauf hat, was verfremdet, oder ob jemand nur drauf los zeichnet.

Na ja, wenn du das so siehst, lese ich das mit dem Ich eben nochmals mit Betonung auf künstlerische Freiheit.

(Ist das schon Freud?)

Aber, wie kannst du das Fragen!

"Ich sag dir was", beginnt sie. "Du hast einen kleinen Schwanz oder kriegst keinen hoch und diese Einschränkung projezierst du auf das Gegenüber, wenn es eine Frau ist. Bei Männern traust du dich nicht, denn die könnten ja an der Pissrinne sehen, dass du nichts am Start hast", und dann mit Wimpernklimpern und zuckersüßem Lächeln: "... Süßer."

Na also, wie ich seh, hast du sie auf die Couch gebracht.

Bei der Facebook-Milch-Honig-Party habe ich etwas schneller gelesen. Nicht dass ich mir da noch eine Lactoseintoleranz einhandle oder eine Apitoxinallergie.

Da hockt sie drin. "Du!", sagt Lisa. Glücklich sieht sie nicht gerade aus. Aber was ist schon Glück? Ich zucke die Achseln und quetsche mich daneben. Die Verkäuferin schließt die Tür hinter uns.

Oh! Ohne diesen Schluss hätte mir echt etwas gefehlt.

Eigentlich wollte ich ja noch was Kritisches einbringen, aber ich muss gestehen, es fällt mir so schnell nichts ein. So kann ich nur sagen, echt Kubismus, diese neue Denkordnung, hier hast du dich selbst übertroffen – zumindest zu den Texten, die ich kenne. Also ich sehe da keinen Grund, warum du zu deiner Persönlichkeit äh … Profil schriebst: Abwesend.

Jetzt hat mir mein Gedächtnis doch eine kritische Rückmeldung gegeben. Das projektive Dings da oben, na eben einige Abschnitte vorher, lautet ohne Einschränkung: projizierst.

Kurz: Aus der Perspektive des Kubismus reingezogen, hat sich die Zeitinvestition gelohnt. Sehr gern zur Unterhaltung gelesen. :bib:

Schöne Grüsse

Anakreon

 
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Tach Kubus!

und mustert mich nervigen Kunden
das Fette gefällt mir nicht

Auf dem Nachhauseweg fällt mir ein, dass wir zusammenwohnen. Und überlege, wie es nun weitergehen und wie ich mich verhalten soll. Die Situation überfordert mich.
Zu Hause esse ich Schokoladenkekse und trinke Honigmilch, um meine Verwirrung zu bekämpfen. Als sie ankommt, schlafe ich bereits neben der leeren Keks-Packung, ihrer Notration. Den Tag darauf hat sie Triefnase und Husten. Ich mag sie gar nicht küssen, weil das ein bisschen eklig ist. Und es wird schlimmer. Der Facharzt diagnostiziert vier Tage später eine Lungenentzündung. Ich fühle mich schlecht und kaufe ihr eine neue Packung Schokoladenkekse, dann geht es mir wieder besser
Das ist mir zu offensichtlich, dass er sich da irgendwie als Arschloch zeigt, dies aber selbst nicht so sieht. Gut, das geht ja im gesamten Text so weiter, aber hier ist es mir zu platt.

Jede Kurve mitnehmen! Ich auf Denise, Tina auf mir, hach ja. Ohne Persönlichkeit geht so was nicht.
Find ich gut, wirkt.

Auf dem Weg zurück in die Wohnung sehe ich einen kleingeratenen Erdenbürger auf dem Gehweg hocken und die Steine mit Kreide vollschmieren. Neben ihm ein wesentlich größeres Subjekt mit langen Haaren und Handtasche, nennen wir es Mutter
Das ist zu gewollt anders. Ein Kind malt den Gehweg mit Kreide voll ... und du umschreibst das so umständlich. Passt auch nicht zum sonstigen Schreibstil der Geschichte, der doch ziemlich eingängig ist. Irgendwie passt mir auch diese ganze Stelle mit dem Kind nicht in die Handlung.

"

Riechst du das auch?", frage ich zwischendurch und schnuppere an ihrer Achsel. "Irgendwas müffelt hier!"
Sie sieht mich mit großen Augen an, wie ein von der Schlange hypnotisiertes Bunny. (Ist das schon Freud?) Sie heißt übrigens Lisa. Das find ich gut, mittlerweile heißen ja alle Lisa! Da kommt man nicht durcheinander!
"Tut mir leid", sage ich und rieche an mir. "Kommt doch von mir. Und ich dachte, wir hätten was gemeinsam!"
Das find ich perfekt. Da steckt so viel drin. Diese soziale unfähigkeit und dann noch : ich dachte wir hätten was gemeinsam. Geil!

.

Ich habe den Eindruck, mir fehlt etwas."
"Natürlich kriegen sie das Geld zurück, wenn ihre Mimik nach der Behandlung funktionieren sollte
Sowas ist da ständig drin, im ganzen Text ist sowas verteilt. Weiß nicht, ob nur ich das so lese, aber auch wenn es keine Absicht sein sollte, finde ich das beinahe genial teilweise. Ich meine, ihm fehlt etwas und er lässt sich noch die Mimik aus dem Gesicht radieren. Doch, das ist Absicht und zwar überall im Text.

Kubus,

mir gefällt das sehr gut. Einmal sprudelt es wieder von Ideen, was typisch für dich ist, aber es ist auch leicht zu lesen. Ja, es gibt so viele Kleinigkeiten in deinen Formulierungen, die bestimmt nicht alle bemerkt werden können, wenn man das hier einmal liest und gerade diese machen deine Texte immer lesenswert. Auch hier denke ich aber, dass weniger mehr gewesen wäre. Du verballerst Themen, die mir im Leben nicht einfallen würden und das in atemberaubender Geschwindigkeit. Klar, das ist ein Glück für dich, wenn dsu so viele Ideen hast, nur für den Leser geht oft die Spannung der Geschichte verloren. Die Spannung bestand hier für mich darin, mich weiterhin an deinen tollen Überlegungen und teils fabelhaften Sätzen zu erfreuen. Ich wollte immer wissen, was der Kubus sich noch so alles zu unserer Gesellschaft denkt .. Aber da ist ein Problem, weil die Geschichte und das Mitfühlen mit dem Erzähler für mich nicht im Vordergrund steht. Natürlich gibt es eine Handlung, aber die wird nicht so erzählt, dass ich das Gefühl habe, der Absatz mit dem Kind hätte irgendwas mit dem Ausgang der Geschichte zu tun und ich finde bei einer Kurzgeschichte sollte das so sein. Bei Quinns Gewinner Ich führen, zumindest meiner Erinnerung nach, alle Szenen doch auf den Schluss der Geschichte zu.

Alter, reiß dich mal zusammen und zügle deine Einfälle! Schmeiß Sachen raus, auch wenn die Gedanken dahinter sehr gut sind. Ich bin teilweise echt begeistert von der Scharfsinnigkeit deiner Sätze. Sowas bekommt man hier nur von sehr wenigen zu lesen.

Gruß

Lollek

 
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Mister Lollek.

Aber da ist ein Problem, weil die Geschichte und das Mitfühlen mit dem Erzähler für mich nicht im Vordergrund steht. Natürlich gibt es eine Handlung, aber die wird nicht so erzählt, dass ich das Gefühl habe, der Absatz mit dem Kind hätte irgendwas mit dem Ausgang der Geschichte zu tun und ich finde bei einer Kurzgeschichte sollte das so sein. Bei Quinns Gewinner Ich führen, zumindest meiner Erinnerung nach, alle Szenen doch auf den Schluss der Geschichte zu.

Es soll ja auch wieder im Kommen sein, die Figuren auszuleuchten und Identifikation zu ermöglichen. Wenn man der ein oder anderen Rezension da trauen könnte und der Markt nicht schon viel zu aufgespalten wäre ....

Meine Vorbilder sind irrationale Ich-Erzähler, die flächig sind, widersprüchliche Dinge tun, wie Menschen es halt tun, die durch ihre Welten geflippert werden. Die Bücher, die ich meine, kriegen es aber trotzdem hin, einen in sich stimmigen Eindruck zu machen. Quinn schreibt, dass das so einzelne Glossen seien, diesen Stückwerk-Eindruck hatte ich vor dem Posten auch. Der Text liegt jetzt schon drei oder vier Monate, und vor kurzem versuchte ich den nochmal zu überarbeiten, aber ich habe nur so Kleinigkeiten geändert, den Wurm nicht gefunden, deswegen Ich jetzt so: raushauen und dankbar für Input sein. Man könnte die einzelnen Szenen nehmen und versuchen, in einen Rahmen zu packen, als Erklärung für das Stückwerk.

Alter, reiß dich mal zusammen und zügle deine Einfälle!

Ja, hör ich öfter! So ähnlich kritisierte weltenläufer vor einem Jahr. Es ist nicht der Fall, dass ich mich über grundsätzliche Kritik erhaben fühle, aber Zügel anlegen ist scheiße. Entweder meine Geschichten verschlanken sich im Laufe der Zeit von selbst, vielleicht im Zuge einer theoretisch möglichen Reifung, oder nicht.

Ich meine, ihm fehlt etwas und er lässt sich noch die Mimik aus dem Gesicht radieren.

Genau das ist der Trick. Ich habe nur Ahnungen, was da genau passiert, aber im Prinzip beugt man sich, wenn es nicht um Unfallchirurgie geht oder um Entstellungen, diesem sterilen und menschenverachtenden Schönheitskult. Vielleicht sind das Ersatzhandlungen? Will da gar nicht groß spekulieren, diese Industrie ist in meinen Augen auf jeden Fall ne Seuche.


Da gibt es diesen Doc aus New York, der bei Dokus über Botox gerne befragt wird, wie der aussieht und wie der mit seinem Aussehen kokettiert, dass er gerade achtundzwanzig geworden ist und so. Absolut bizarr. So ein Habitus will kultiviert sein, da muss das Umfeld ja die gestörte Selbstwahrnehmung bestätigen. Eine sehr ungute Entwicklung, vllt gibt es parallel zu dem scheinbaren Freiraum in unserer Gesellschaft und der zunehmenden Individualisierung und Ausdifferenzierung auch verstärkten Konformitäts-Druck, der dann dazu führt, dass Angestellte auf eine Operation sparen wie früher für eine neue Küche oder ein Auto.

Die Spannung bestand hier für mich darin, mich weiterhin an deinen tollen Überlegungen und teils fabelhaften Sätzen zu erfreuen.

Jo danke, das reicht mir völlig. Bin ja bescheiden. :) Also in diesem Text wollte ich keine Spannung generieren und Identifikation - dass die hier nicht möglich ist, war klar. So Sachen zu schreiben ist halt eine Möglichkeit, die Enge wieder aufzubrechen. Abrotzen, das schafft Luft.

das Fette gefällt mir nicht

nehm ich wohl weg

He Anakreon

Gibt es auch Kurze von Dir? Ich habe jetzt nicht nachgesehen.

Liegt dir Pixelwelten so sehr im Magen? ;) Die du letztens beehrt hast, war ziemlich kurz.

Beim Lesen des ersten Absatzes klickte ich gleich mal zur Rubrikbezeichnung. Klar Seltsam, na dann lasse ich mich mal über das schnörkelige Bild der Blondinen vor dem Toilettengang nicht aus. Immerhin können sie für ihr Erscheinungsbild nichts, auch wenn es einem beinah zu mädchenhaftem Kichern verführt.

Tu dir bloß keinen Zwang an. Rubriktechnisch überlegte ich, Satire hätte sich angeboten, aber ich wollte die nicht nur unter dem Etikett laufen lassen.

Hier habe ich unterbrochen,nicht wegen der Länge, sondern musste einige couchlige Termine wahrnehmen.

Hätt das gar nicht für ne Schlafgeschichte gehalten!

Bei allem Verständnis für die Höhenflüge in deinem kubistischen Werk, aber dieser freudsche Gedankendreh in den verästelten Hirnwindungen schmerzt. Doch mit einem Selbst fliessend weitergelesen.

Gefällt mir auch nicht, der Satz. Mal kucken

Oh! Ohne diesen Schluss hätte mir echt etwas gefehlt.

Hab überlegt, ob der rein soll. Konsequenter wäre es gewesen, die Geschichte einfach auslaufen zu lassen ... aber diese klaustrophibische Schrank-Beziehung war zu reizvoll.

hier hast du dich selbst übertroffen – zumindest zu den Texten, die ich kenne. Also ich sehe da keinen Grund, warum du zu deiner Persönlichkeit äh … Profil schriebst: Abwesend.

Danke! Kommt in das Ilovemyself-Corner. Der Status war erst Vorsatz, dann fand ichs lustig, jetzt weiß ich auch nicht

Freut mich, dass das schräge Teil Spaß machte!

Hallo Juju

Das mit dem Ich-Erzähler, das dass ein Problem sein könnte.. wäre ich jetzt gar nicht drauf gekommen, kann aber wirklich sein.

Ich komm nicht so richtig rein, das fällt auf. Mich reizen die Möglichkeiten dieser Perspektive, aber so richtig wohl fühle ich mich bisher nur in Erzählerwelten. Da ist ein Vorteil, dass der Erzähler reinreden kann. Das würde manche der Probleme verschwinden lassen. Aber ich will das können, also üben.

Dann kommt dann eins nach dem anderen, und alles sehr schnell, das ist glaub dein Stil, du verarbeitest die Infos schnell.

In der ursprünglichen Fassung sind meine Texte nicht so, ich verdichte die in drei, vier Durchgängen.

und man hat immer das Gefühl, man müsste gleich weiter lesen oder so...

Das passt zu dem Wunsch der Erzählers nach einer hohen Ereignisdichte, interessant, dass sich das überträgt.

Quinn hat das Wort auskotzen verwendet, als würdest du uns ankotzen. Okay, das ist ein bisschen heftig, aber ja.. das ist keine ruhige Erzählung, wo ein Erzähler was erzählt, sondern bäm! Man bekommt was reingewürgt.

In Anbetracht der behandelten Themen finde ich das passend. Deswegen reizen mich polemisierende, irrationale Erzähler, die kucken sich die Sache nicht an und überlegen, und sagen dann was differenziertes, sondern die können in die Vollen gehen.

Und sonst.. ja, der Inhalt. Es ist halt lang, und alles negativ gemeint. Ist vielleicht auch was Persönliches jetzt. Ich weiß nicht, ob das noch mein Ding ist .. über Facebook und Botox herziehen und so. Nicht weil ich Facebook mag, aber ja... ist das was Neues?

Sicher nicht. Ich kann dir jetzt keine schlüssige Erklärung meiner Motivation liefern, teils sind das Sachen, die der Erzähler vom Stapel lässt, die lassen sich mit keinem vernünftigen Weltbild in Einklang bringen. Ein Punkt wäre zum Beispiel, dass ich Emanzipation für eine großartige Sache halte und es wichtig ist, dass sich welche dafür einsetzen und eben auch die stets geschmähten Feministinnen mit ihrer anstrengenden Rhetorik, aber dieses Korsett aus politischer Korrektheit ist halt auch eine Sache, die einengend ist und so was zu schreiben schafft Luft. Auf Facebook bin ich auch unterwegs und ich teile viele der Argumente gegen soziale Netzwerke nicht, für mich überwiegen eindeutig positive Aspekte. Aber unsere zunehmende Konsenskultur braucht Anti-Teilchen.

Aber dein Ich-Erzähler ist für mich kein Mensch in dem Sinne, sondern ein Avatar für Idiotie. Ein Punching-Bag der schlau denkt und doof ist.

Ja!

Du unterhältst uns allein mit deinem Witz und Betrachtungsgabe, das ist schon cool, wenn man das kann, das ist schon was, aber man hat schon das Gefühl, das da mehr gehen könnte.

Gut wenns funktioniert. Hier fehlen Charaktere, mit denen man sich identifizieren kann, Weltbilder, bei denen man sich Bestätigung holen kann, zumindest in Reinform. Der Rote Faden. Ich habe mich zu solchen Erzählern immer hingezogen gefühlt, bis jetzt imitiere ich die nicht besonders gut. Ich lerne.

Quinn,

Wegschmeißen = aussortieren?

ist übernommen, passt besser in die Waren-Semantik

Dreilochstute ist nicht der Vorgang, sondern die Frau dann. Spazierengehen, Motorrad fahren, Marathonläufer.

ist überzeugend, ich lass das trotzdem, falls mir keine Dreier-Praktik einfällt, die ähnlich herabwürdigend klingt

Es ist doch viel stärker, wenn man „normale“ Figuren hat, die sich wie Idioten benehmen, als wenn man Idioten hat.

Wenn Charakterzeichnung und -entwicklung im Vordergrund steht auf jeden Fall, das kritisiere ich ja auch häufig, wenn der Protagonist ein Depp ist.

Spätestens an der Stelle hättest du merken sollen, dass Ich-Erzähler keine gute Idee war. Der Typ ist einfach nicht geeignet, weil du willst, dass er sich mit den Gedanken selbst verrät, aber er es als Figur dann doch merkt und nicht so ist. Also du willst Gedankenlosigkeit darstellen, indem du die Figur darüber nachdenken lässt.

Wie oben geschrieben, dass der Text hier viele Schwächen hat, war mir bewusst, aber ich will Ich-Erzähler können und wusste nicht mehr weiter, was mit dem Text machen, an dem ich zaghaft rumgestrichen habe. Da gibt es ja ne Menge ganz eigene Fallstricke. Muss mutiger werden, was das Streichen angeht, mal gelassen ne Szene löschen können.

Jetzt kann er aber nicht in 2 Szenen emotional blind sein wie ein Maulwurf – obwohl es ja durch den Erzähltext ganz klar ist, was zu tun ist – und dann fast hellsichtig bei anderen Leuten irgendwas analysieren. Das ist einfach ein Problem des Ich-Erzählers.

Das ist der Gag, wenn es einen gibt. Er sieht andere klar, wenigstens durch seine Linsen; sich selbst aber nicht. Unreflektiert, nicht hinterfragend, flippt der durch die Geschichtswelt. Selbstwahrnehmung: blinder Fleck.

Und hier auch – das Ding spielt in der Zukunft und die reden da noch über Adorno?

Verstehe, dass du an Zukunft denkst, die Maßmensch-Verkäuferin. Das wollte ich eigentlich nicht, die soll in der Gegenwart angesiedelt sein.

Diese Gespräche mit Frauen hier, das ist mir schon unangenehm, da zuzuhören. Es ist schon klar, dass es überspitzt das ist, was heute stattfindet in bestimmten Cliubs oder so, aber es ist auch ermüdend. So eine Ver-Un-Menschlichung menschlichen Kontakts. Dass man extra hässlich zueinander ist ohne Not. Ein sozialer Sadismus.

Mhm, mir begegnet das eher auf so einer durchironiserten Ebene, dass Mann und Frau sich diese Klischees als Klischees um die Ohren hauen und sich darüber lustig machen. Das sind aber auch so fließende Übergänge, das kann dann schon mal wirklich verletzen, in beiden Richtungen.

Warum gehen Leute nicht einfach weg, wenn der andere sie nervt?

Falschverstandener Selbstbehauptungstrieb! Mir gehen die manchmal so auf den Sack, denken wunder wie locker sie kommen mit ihren koolen Sprüchen, sind aber häufig viel zu unentspannt für die selbstgewählte Rolle.

Die Eleganz wäre es, dass alles weiter zu verfremden, so dass man nicht auf den ersten Blick sieht um was es dem Text in jeder einzelnen Szene geht.
Und dann eben eine echte Figur als Erzähler zu finden und nicht nur einen Führer durch die verschiedenen Glossen-Kapitel, der in jeder Szene so viel weiß und das denkt, was für die jeweilige Szene notwendig ist.

Mir ist das stellenweise auch zu roh, also inhaltlich zu direkt, aber das ist mein Stand.
So inkonsistent finde ich den Erzähler nicht.

Im Prinzip sind das natürlich die Paradoxien unserer Gesellschaft. Das ist das, was hier passiert.

Namen und Szenen für Paradoxien finden, das ist spaßige Detektivarbeit, obwohl das ein falscher Begriff ist merk ich, die meisten Sachen drängen sich geradezu auf.


Der Erzähler nimmt für sich maximale Freiheit in Anspruch, leidet aber darunter, wenn das andere auch tun und dann auf seine Kosten.

Seitdem die existentiellen Bedürfnisse gesichert sind, werden in zunehmendem Maße die Menschen zum Problem, schrieb da mal einer zu. Auf der individuellen Ebene schafft man sich kurzfristige Vorteile, wenn das aber alle machen, entsteht insgesamt eine Verschlechterung. Na, das ist eine Theorie, die darauf einigermaßen passt.

Als ganzes betrachtet, von Anfang bis Ende und mit den Figuren im Blick, in der Gestaltung – da könnte man noch viel draus machen.

Puh. Da sind wir wieder bei der Gestaltung und Struktur, ein Wort, dass du die ganze Zeit vermieden hast. Der Text hier ist übrigens nicht das Ergebnis meiner diesbezüglichen Überlegungen.


Danke euch für Zeitnehmen und Schreiben!

Grüße,
Kubus

 

"Lisas bleiben aktuell",
hätt ich doch beinah Deine kleine Geschichte zu (fast) allen Problemen dieser heilen, pardon, schönen neuen und bunten Welten übersehn,

lieber Kubus,

was flott nachgeholt werden soll -

oder glaubt jemand im Ernst, ich ließe mich abschrecken wie ein gekochtes Ei!, hätt vor irgend'nem Fick (und sei's mit den Fingernägeln) Furcht? -

in der maßgeschneiderte Menschen gehandelt werden (eine Filiale des human trafficking), Renovierungen und Verschönerungen wie nebenbei an Außenfassaden vorgenommen werden und zugleich mit den Namen weiblichen Personals vorhergehender Geschichten gespielt wird. Es ist aber ein falscher Ehrgeiz, nahezu alle Problemzonen dieser besten aller Welten auf(er)zählen zu wollen auf gerade mal elf Seiten Manuskript, einzeilig und unter Cicero.

Das find ich gut, mittlerweile heißen ja alle Lisa! Da kommt man nicht durcheinander!,
in Deinen eignen Worten.
Das liest sich allemal besser als die Pixelgeschichte - Was dann aber auch schon fast alles wäre, was ich sagen möcht.

Zwo Schnitzer hat die Kleinkrämerseele nur gefunden, die zunehmend bei Dir hungern muss und irgendwann verkümmert:

"Haben sie nicht etwas ... individuelleres?", frage ich.
Das Pronomen in der Anrede, klar, wird’s vertraulich und klein gesprochen, je jünger man ist, aber auch geschrieben? Und doch noch mal:
„ … Ich bin froh, wenn sie Tina nehmen, eigentlich verbraucht sie nur Platz."
Ähnliches geschieht weiter unten
"Und – was sagen sie?"
sagt da der Doktor, der
„wunscherfüllende Medizin“
für Kunst hält (irgendwann wird jederman sich auf’m Klo für’n Künstler halten, weil er schöner Kacken kann oder stabreimen, ha!, und die Ode an die Freude furzen).
Aber ganz sicher brauch ich hier nix zu sagen:
… Höhepunkt das Abends ist …,
womit ich schließen will. Natürlich, eh ich’s vergess zu erwähnen:
außergewöhnlich find ich die Dackelszene (nicht nur, weil ich selbst ein fauler Hund bin & Solidarität mit allen armen Hunden dieser Welt)!

Gruß

Friedel

 

Guten Tag Friedel Friedrichard,

die Nennung von Pixelwelten als abschreckendes Beispiel scheint bei dir und Anakreon zu einem Running Gag werden zu wollen. Ich habe die letztens nochmal teilweise gelesen und mich einmal mehr gewundert, dass meine und die Lesersicht da so weit auseinandergehen.

hätt vor irgend'nem Fick (und sei's mit den Fingernägeln) Furcht?

diese Frage ist eine rhetorische, wobei ein bisschen Sorge vor dem Konsum übersexualisierter Medienprodukte allein schon wegen der Gefahr der Gefühls-Abstumpfung ihre Berechtigung hätte, denke ich.

in der maßgeschneiderte Menschen gehandelt werden (eine Filiale des human trafficking), Renovierungen und Verschönerungen wie nebenbei an Außenfassaden vorgenommen werden

die Maßmenschverkäuferin hat ja Quinn auf die Fährte einer Zukunftsgeschichte gelockt. Das war aber keine beabsichtigte Falschfährte, den Lisa-und-Tina-Shop verstehe ich als Fantasie, die den vorhandenen Human-Tuning-Einrichtungen die Strass-Krone aufsetzt. Gibt es eigentlich schon eine Serie, in der Leute vor laufender Kamera ihren Körper modifzieren lassen? So als Vorher-Nachher-Show mit einem Schönheitsexperten, der die Leute berät wie zum Beispiel in diesen Einrichtungs- und Erziehungssendungen.

(irgendwann wird jederman sich auf’m Klo für’n Künstler halten, weil er schöner Kacken kann oder stabreimen, ha!, und die Ode an die Freude furzen

im Prinzip der Ist-Zustand oder? Warum sollte auch schönes Kacken geringer angesehen werden als schöne Geschichten schreiben.

Es ist aber ein falscher Ehrgeiz, nahezu alle Problemzonen dieser besten aller Welten auf(er)zählen zu wollen auf gerade mal elf Seiten Manuskript,

Okay, die "platzt-aus-allen-Nähten"-Kritik. Ich wollte ein paar Tipps zu den Ich-Erzählern und Rückmeldungen, auch in der Hoffnung, dass die mich über den toten Punkt hinausbringen. Ich hab hier einfach nichts mehr gesehen. Beim nächsten Ich-Erzähler bin ich wieder einen Schritt weiter und kann neue Fehler machen. Das wird ganz schön Arbeit für mich, weil ich da gegen mich schreiben müsste, hab ich das Gefühl, der Fantasie Zügel anlegen. Aber es muss jetzt mal konzentriert versucht werden. Genau wie der Versuch, eine durchstrukturierte Geschichte zu schreiben.

Das Pronomen in der Anrede, klar, wird’s vertraulich und klein gesprochen, je jünger man ist, aber auch geschrieben? Und doch noch mal:

Ja klar, das ist keine Flüchtigkeit. Habe ich mir nie angewöhnt, Höflichkeit und so. :D

sagt da der Doktor, der
Zitat:
„wunscherfüllende Medizin“
für Kunst hält

allein schon diese Benennung! "wunscherfüllende Medizin" ... schauderig ... der Doc kommt sicher aus einem Umfeld, wo man sich gar nicht vorstellen kann, dass Künstler einfach ein Synonym für weltfremder Faulpelz sein kann.

Herbstgrüße
Kubus

 

Gibt es eigentlich schon eine Serie, in der Leute vor laufender Kamera ihren Körper modifzieren lassen? So als Vorher-Nachher-Show mit einem Schönheitsexperten, der die Leute berät wie zum Beispiel in diesen Einrichtungs- und Erziehungssendungen.
Ja. Rtl II - Endlich schön. Das ist genau so wie man es sich vorstellt und noch schlimmer, jedenfalls wenn man nach den Trailern gehen kann.

P.S.: "Nip/Tuck"- eine US-Drama-Serie behandelt das Thema auch immer wieder. Das ist sicher nicht jedermanns Geschmack, aber die Serie geht gut rein.

 

(irgendwann wird jederman sich auf’m Klo für’n Künstler halten, weil er schöner Kacken kann oder stabreimen, ha!, und die Ode an die Freude furzen
im Prinzip der Ist-Zustand oder? Warum sollte auch schönes Kacken geringer angesehen werden als schöne Geschichten schreiben.
Richtig,

lieber Kubus,

aber auf'm Klo ist jeder fünf-Minuten-Künstler eher privat, geradezu intim - bis dass RTL oder seine Geschwister die privateste Stelle überhaupt für ihre Kwotenwelt missbrauchen. Pig Brother ist da nur ein bescheidner Versuch und hat nur noch wenig mit Orwell zu tun. Oder wurden da die Opfer entlohnt?

Beim nächsten Ich-Erzähler bin ich wieder einen Schritt weiter und kann neue Fehler machen.
Herr Keuner hatte auch höllisch viel Arbeit vorm nächsten Irrtum. Da wünsch ich Dir viel Glück (und bin mir sicher, dass es gelingen wird!)

Ja klar, das ist keine Flüchtigkeit. Habe ich mir nie angewöhnt, Höflichkeit und so.
Muss auch nicht, denn eigentlich sind die Höfe abgeschafft und dienen nur noch als Futter fürs kleine Volk. Freundlichkeit ist allemal besser als Höflichkeit, find ich.

Gruß aus'm Frühherbst vom

Friedel

 

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