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17.01.2016
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Lionheart

Er blickte langsam runter und was er sah, beängstigte ihn nicht im Geringsten, im Gegenteil, es erfüllte ihn mit einer sonderbaren, doch nicht unangenehmen Ruhe. Die Gewissheit, dass er das Unvermeidbare tat, umfing ihn und verstärkte seine Ruhe.

Das Schicksal. Ein mächtiger Begriff. Für viele ein Rätsel, doch für ihn gab es nichts zu rätseln. Ihm war klar, dass alles was geschah, schon prädestiniert war und ihn in keiner Weise eine Schuld traf. Was er nun tut, musste getan werden, denn er hatte keine Wahl. Sie wurde für ihn schon von jemand anderem getroffen. Das Schicksal. Ein mächtiger Begriff.

Nun richtete er seinen Blick wieder nach oben und es wurde ihm bewusst, dass er dieses Bild wohl nur noch ein letztes Mal sehen würde: Die New Yorker Skyline in der Abenddämmerung. Im Normalfall würde es einem den Atem rauben, doch er war zu angespannt sich seinem Schicksal zu fügen. Er schaute umher und atmete tief durch, wobei er sich auch vorsichtig über die Schulter schaute. Etwas, was er sich geschworen hatte nicht zu tun, weil er wusste, dass dies Schwäche in ihm hervorrufen würde. Ein Blick durch sein so vertrautes Büro… und für einen ganz flüchtigen Moment wollte er vom Fenster runter steigen. Doch er behielt die Kontrolle, indem er sich von den negativen Emotionen durchfließen ließ, die sich wie bei einem Staudamm in ihm aufstauten. Er wollte dem Ganzen ein für alle Mal ein Ende setzen. Es war besser so. Für alle. Nach einem kurzen Durchatmen wandte er sich wieder der scheinbar so friedlichen Stadt zu. Dann sprang er.

Er spürte nichts und doch alles. Die kleinsten Partikel in der Luft, er schien mit ihnen zu verschmelzen und doch steckte er in seinem Körper. Gefangen. Das Gefühl begleitete ihn, bis er rasend auf die Straße zuhielt und nur einen Gedanken im Kopf hatte. Doch plötzlich veränderte sich alles. Die Zeit schien still zu stehen und für einen flüchtigen Moment hatte er das Gefühl zu schweben. Doch dann raste er mit einer unglaublichen Geschwindigkeit weiter auf den Boden zu und alles wurde schwarz.

War er tot? Er wusste es nicht, doch er spürte wie die große Last, die er sonst immer auf dem Herzen spürte, verschwunden war. Er spürte seinen Körper und konnte ihn bewegen. Als er sich dessen bewusst war, traf ihn die Tatsache, dass er seine Augen die ganze Zeit geschlossen hielt. Er öffnete sie, doch musste er sie direkt wieder schließen, weil das Licht zu grell war. Stück für Stück öffnete er sie und das, was er sah, ließ seinen Atem stocken. Vor ihm lag ein hell leuchtendes Feld, welches sich so weit erstreckte, wie das Auge sehen konnte. Er schaute runter und bemerkte, dass er seinen besten Anzug trug: Einen grauen Dreiteiler mit weißem Hemd und rotem Schlips. Dies fand er äußerst merkwürdig, da er nicht mit dieser Kleidung vom Gebäude gesprungen war. Er stand auf und schaute sich um und fühlte sich noch viel hilfloser, als in den ganzen Jahren, in denen er von allen verurteilt und wie ein Geächteter behandelt wurde. Plötzlich fiel ihm ein besonders hell leuchtendes Licht ins Auge und aus einem unerfindlichen Grund wusste er, dass es sich genau über der Mitte des Feldes befand. Er ging darauf zu und es schien mit jedem Schritt, den er setzte, heller zu leuchten. Er hatte überhaupt keine Ahnung, worum es sich handelte, doch er wusste, dass es zu ihm gehörte und er es wiedererlangen musste. Nun stand er direkt vor dem Licht und es leuchtete so grell, dass er die Augen zusammenkneifen musste. Die Wärme und die Vertrautheit, die von dem Licht ausging, schien so überwältigend und anziehend, dass er den letzten finalen Schritt machte, sodass das Licht IN ihm war. Er spürte es in dem linken Flügel seiner Brust, dabei war ihm sofort klar, dass dies der Ort ist, wo das Licht hingehört. Doch nun wurde ihm schwindelig, er fasste sich ans Herz und taumelte ein Stück zur Seite. Das Licht schwand vor seinen Augen und er versuchte bei Bewusstsein zu bleiben. Doch letztendlich übermannte es ihn und er fiel in einen Nebel voller Gedanken…

Er wachte auf und schnappte instinktiv nach Atem. Als sich seine Atmung reguliert hatte, schenkte er seiner Umgebung seine Aufmerksamkeit. Es schien ihm alles sehr vertraut…: Er sah einen Haufen Kinder in der Ecke eines Raumes, die sich um etwas versammelt hatten und dabei laut lachten. Er bewegte sich auf die Kinder zu; bewegen war eigentlich das falsche Wort, denn als er runter schaute, sah er, dass er wie ein Geist substanzlos über den Boden flog. Ein übler Verdacht erschlich ihn als er sich den Kindern näherte und als er sah, um was sie einen Halbkreis gebildet hatten, stockte ihm der Atem. Sie standen um ein kleines Kind, das weinte und sich die Hände vor dem Gesicht hielt, doch dies war nicht das Auffälligste an dem Jungen. Er sah, nunja, um es ganz einfach zu beschreiben, anders aus. Nicht unbedingt im negativen Sinne, doch anders genug, als dass sich die Kinder über ihn lustig machen konnten. Ein dicker Junge trat nun lachend vor und versuchte den Jungen am Arm zu packen. Doch der kränklich wirkende Junge konterte den Griff des Jungen und warf ihn mit einer Geschicklichkeit und Kraft zu Boden, die man ihm überhaupt nicht zutrauen würde. Die anderen Jungen schreckten zurück und flüsterten eindringlich. Der zu Boden gegangene Junge stand schwerfällig auf, zeigte auf den kleinen Jungen und schrie „Du Freak!“ und rannte schluchzend weg. Der Junge wandte sich ab und das Bild veränderte sich…

Die Umgebung schien ihm wieder vertraut, doch diesmal wusste er eindeutig wo er war: Es war die Kantine seiner ehemaligen Schule. Sein Blick verfolgte einen 16-jährigen Jungen, der Essen auf sein Tablett lud und in gebeugtem Gang zu einem leeren Tisch schlenderte. Die Leute um ihn herum flüsterten verschwörerisch und zeigten zum Teil mit dem Finger auf ihn und an einer Stelle konnte man raushören „Er ist ihr Sohn…“. Anscheinend war er sowas gewohnt, denn er ging mit harter und unergründlicher Miene weiter und setzte sich schweigend hin und fing an zu essen. Plötzlich stand ein Junge in seiner Nähe auf und rief „Was ist los Leute, habt ihr nichts anderes zu tun als anderen nachzugaffen und Gerüchte zu verbreiten?“ Die Meute wurde still, schaute ihn mit großen Augen an und wandte sich, als er sie weiterhin eindringlich anstarrte, wieder ihrem Essen zu. Manche Gruppen tuschelten immer noch, es kümmerte den groß gewachsenen Jungen jedoch nicht mehr und er ging zum Tisch des Außenseiters. „Hey, nimm sie nicht so ernst, aber Jugendliche können manchmal echt zum Kotzen sein. Ich bin übrigens Ross.“ Der Junge beachtete ihn überhaupt nicht und aß weiter. Der große Junge wartete und wollte gerade wieder etwas sagen, als der Außenseiter leise flüsterte „Du brauchst meine Schlachten nicht für mich zu kämpfen.“ Der andere Junge antwortete freundlich „Ach, jeder kann doch mal Hilfe gebrauchen.“, doch als Antwort bekam er nur ein gegrunztes „Nein, danke“. Er runzelte die Stirn, doch entfernte sich langsam und setzte sich wieder auf seinen Platz. Das Bild verschwamm wieder und das Letzte was er noch mitbekam war, wie der Junge gezwungen seine Suppe löffelte.

Der nächste Ort, wo er auftauchte, schien ihm überhaupt nicht vertraut. Ihn umfing eine drückende und voller Trauer steckende Stille. Er schaute umher und bemerkte, dass es sich um einen Friedhof handelte. Er sah einen jungen Mann, es war zweifellos der, den er in der Cafeteria gesehen hatte , nur ein paar Jahr älter, an einem Grab sitzen. Er hatte das Gesicht in den Händen vergraben und schluchzte leise: „Wieso…, wieso jetzt?“, er schaute in dem Himmel: „Womit hat sie das verdient? Ich konnte nichts für sie tun.“ Er schluchzte weiter vor sich hin und bemerkte nicht, wie jemand vollkommen in Weiß gekleidet aus dem Nichts auftauchte und anfing ihn zu beobachten. Die Person strahlte ein so helles Licht aus, dass sogar der transparente Beobachter die Augen zusammenkneifen musste, aber der Junge am Grab bemerkte nichts. Ein längst verdrängter Schmerz kam in dem Beobachter auf, die Erinnerung an so viele einsame schmerzhafte Stunden bildete sich neu in seinem Gehirn. Diese Gefühle übermannten ihn dann so sehr, dass er etwas tat, was er sich vor Jahren geschworen hatte nicht zu tun: Er weinte. Er wandte sich mit einem schmerzverzerrten Gesicht ab und schloss die Augen fest zu.

Das Bild veränderte sich wieder und diesmal fand er sich in einer Savanne wieder. Er bemerkte die zwei Löwen, die sich langsam umkreisten und schrie fast vor Angst auf. Doch er war Luft für die Löwen, sie schienen ihn gar nicht bemerkt zu haben. Der eine Löwe war deutlich kleiner und magerer als der andere Löwe. Das schienen beide zu wissen, denn der Größere fletschte begierig die Zähnen und brüllte laut. Im nächsten Augenblick hatte er sich auf den kleinen Löwen gestürzt. Dieser konnte seinem Gewicht nicht standhalten und fiel um. Der große Löwe versuchte ihn an kritischen Stellen zu treffen, doch der Kleine wehrte ihn geschickt mit seinen Tatzen ab und griff selbst an. Offensichtlich überrascht von einer solchen leidenschaftlichen Abwehr, kroch der große Löwe zurück und bereitete sich auf den zweiten Angriff vor. Diesmal brüllte der kleine Löwe und forderte den Großen auf. Mit einem großen Hechtsprung sprang dieser auf ihn. Der Kleine wehrte ihn mit seinen Pfoten zur Seite ab und biss ihm gleichzeitig durch die Mähne in den Nacken. Er brüllte vor Qualen auf und landete ungestüm auf der Seite. Er versuchte sich aus dem Griff zu befreien, doch der kleine Löwe ließ nicht locker und drückte fester zu. Nach einem letzten verzweifelten Brüller blieb der Löwe reglos liegen. Der kleine Löwe ließ ihn los und streckte sich in die Luft und brüllte laut auf. Der Beobachter schaute noch einen Augenblick dem Löwen zu und drehte sich dann weg. Etwas beschäftigte ihn, doch er konnte nicht herausfinden was es war. Plötzlich fiel der Groschen. Die Antwort war direkt vor seinen Augen und er hatte sie die ganze Zeit verdrängt, um sich weiterhin in seinem Selbstmitleid zu wälzen. Er drehte sich wieder zum Löwen, diesmal mit einem Lächeln und dachte sich genau zwei Worte: Nach Hause.

Er wachte in seinem Bett auf und lächelte zum ersten Mal nach Wochen. Doch das Lächeln verblasste, ihm fiel sein merkwürdiger Traum ein, an den er sich nur noch verzerrt erinnern konnte. Doch egal, ihm war etwas bewusst geworden und er musste dies in die Tat umsetzen. Zeit, mein Leben umzukurbeln, dachte er. Dann stand er auf, ging ins Bad und machte sich fertig. Er hatte ein ungeplantes Meeting mit seinem Chef. Er stieg auf sein Fahrrad und fuhr gemächlich durch Downtown. Die meisten Sachen, die er wahrnahm, sah er regelmäßig auf dem Weg zur Arbeit, doch diesmal sah er sie aus einer anderen Perspektive, als hätte man ihm die Kontaktlinsen ausgezogen, die schon seit Jahren ihren Zenit überschritten haben. Sie waren für ihn nicht mehr trivial und selbstverständlich, er erkannte ihre wahre Schönheit, er sah sie in ihrer wahren Bedeutung. Als ein Geschenk. Das Universum ist mehr als nur eine Maschine aus Zahnrädern. Eine Absurdität, dass der erste Impuls das Ende determinieren soll. Vielleicht sind wir all nur Kugeln in einer Schale, deren Kollision und Stöße unvermeidbar sind. Doch bei jedem Zusammenstoß geben wir Energie ab oder nehmen sie auf. Woher kommt diese Energie? Wurden wir einfach so in dieses geschlossene System geworfen? Die Energie, die uns treibt, ist vielleicht ein innerer Impuls. Physikalisch gesehen nicht zu erklären, doch metaphysisch… Ist dieser innere Impuls vielleicht die Energie unserer selbst? Das Göttliche im Menschen?

Mit diesen Gedanken fuhr er bis zum Gebäude der Firma und stellte das Fahrrad ab. Als er am Gebäude ankam, bewunderte er die Bauten und schaute ein letztes Mal ehrfürchtig hoch. Er ging rein, stellte sich in den Fahrstuhl und fuhr in die Etage seines Chefs. Dabei fühlte er nicht eine Sekunde lang den Pessimismus oder die Unsicherheit, die er seit Jahren mit sich rumtrug. Als er zur Sekretärin hinging, fragte sie ihn nach seinem Anliegen. Er sagte, er müsse mit dem Chef sprechen, dass es wichtig sei und nicht warten könne. Sie zögerte, doch ließ ihn rein, wo sein Chef mit dem Rücken zur Tür aus dem Fenster schaute und dabei aus seiner Tasse trank. Die Angelegenheit war im Grunde ziemlich schnell erledigt, er legte ihm seinen Kündigungsbrief auf den Tisch, lächelte ihm zu und war, bevor er irgendetwas sagen konnte, aus dem Zimmer verschwunden. Er eilte gerade raus, als die Sekretärin ihn ansprach „Na das ging aber schnell, was wollten Sie eigentlich von ihm?“ Er antwortete mit ungewohnter Lässigkeit, die Sean Connerys hätte sein können. „Ach, hab‘ nur grad gekündigt.“ Sie machte große Augen und fragte ihn nach dem Grund. „Ich brauche eine Veränderung. Und ich hab‘ gemerkt, dass man sein eigenes Schicksal in die Hand nehmen muss. Es ist kein fest gelegtes Resultat, sondern eine Handvoll Optionen, die man entweder realisiert – oder auch nicht.“ Sie schaute ihn verwundert an und erwiderte: „Na gut, wenn sie meinen. Alles Gute!“ Er lächelte und erwiderte „Dankeschön“. Er wandte sich ab und hatte den Fahrstuhl fast erreicht, als er erneut die Stimme der Sekretärin hörte: „Ach übrigens, haben Sie gestern Abend vergessen das Fenster in ihrem Büro zu schließen?“ Er schaute sie lange an und antwortete dann langsam, aber bestimmt. „Nicht, dass ich wüsste.“ Und mit diesen Worten stieg er lächelnd in den Fahrstuhl.

 
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Hi triplem1997,

ich finde die Idee der Geschichte hübsch: Der Sprung aus dem Fenster bringt statt des Todes eine Art Auferstehung mit einem ungeahnten, dabei aber ganz gewöhnlichen Neuanfang. Es geschieht kein Wunder, sondern etwas, dass der Mann aus eigenen Kräften eigentlich schon immer hätte erreichen können. Eine gelungene Ironie. (Sofern es nicht nur ein Traum war.)

Mir gefällt im Grunde auch das Verwirrspiel, dass du dabei mit den Lesern treibst. Man weiß lange nicht so recht, woran man ist. Die Möglichkeit, dass der Mann geträumt habe, könnte für meinen Geschmack dabei sogar noch deutlich weniger naheliegend sein.

Ganz ausgereift scheint mir das Ganze aber noch nicht. Die einfache Aneinanderreihung der verschiedenen Episoden wirkt langweilig. Das erhöht die Gefahr, dass die Unklarheit darüber, was mit dem man gerade eigentlich geschieht, nicht unterhält, sondern nervt. Könnten die Episoden nicht schlüssiger auseinander hervorgehen? Müssen sie so klar voneinander getrennt sein?

Hier noch ein paar Bemerkungen zu Einzelheiten, die mir aufgefallen sind.

Im Normalfall würde es einem den Atem rauben, doch er war zu angespannt sich seinem Schicksal zu fügen.
Das liest sich merkwürdig. Unlogisch ist es ja nicht, aber die Formulierungen stoßen sich doch unschön in ihrer Gegensätzlichkeit, oder? Der Normalfall raubt einem eben nicht den Atem.

Davon abgesehen: Inhaltlich passt es in jedem Fall nicht zur Einleitung, da ist der Mann nämlich gar nicht angespannt:

Er blickte langsam runter und was er sah, beängstigte ihn nicht im Geringsten, im Gegenteil, es erfüllte ihn mit einer sonderbaren, doch nicht unangenehmen Ruhe. Die Gewissheit, dass er das Unvermeidbare tat, umfing ihn und verstärkte seine Ruhe.

Er spürte nichts und doch alles.
Das klingt aufgeblasen, finde ich. Hört man oft, aber was soll es eigentlich heißen? Die nachfolgende Beschreibung, die ich gar nicht schlecht finde, wirkt ohne diesen Satz wahrscheinlich stärker.

Das Licht schwand vor seinen Augen und er versuchte bei Bewusstsein zu bleiben. Doch letztendlich übermannte es ihn und er fiel in einen Nebel voller Gedanken…
Entweder Bewusstlosigkeit oder Gedanken, beides geht nicht. Wenn dieser Widerspruch dennoch gewollt ist, kann ich mir zwar sogar vorstellen, dass er womöglich überzeugend ausgearbeitet werden könnte, aber ob sich das lohnt? In dieser Form hat er jedenfalls keinen Pepp.

Er sah, nunja, um es ganz einfach zu beschreiben, anders aus.
"Beschreiben" scheint mir nicht das richtige Wort, mit dem Wort "anders" vermeidest du gerade die Beschreibung. Dieser Verzicht auf eine Beschreibung gefällt mir allerdings.

In diesem und dem folgenden Abschnitt muss man sich immer wieder orientieren und ausklamüsern, von wem jeweils die Rede ist. Es gibt so viele Jungen...

Sie standen um ein kleines Kind, das weinte und sich die Hände vor dem Gesicht hielt, doch dies war nicht das Auffälligste an dem Jungen/ihm.
Doch das kränklich wirkende Kind
-- oben ist es ein Kind, wenn es jetzt eins bleibt, ist es unter den vielen Jungen leichter zu identifizieren, zumal man bisher nicht wusste, dass es kränklich aussieht.

(...)konterte den Griff des Jungen und warf ihn mit einer Geschicklichkeit und Kraft zu Boden, die man ihm überhaupt nicht zutrauen würde. Die anderen Jungen schreckten zurück und flüsterten eindringlich. Der zu Boden gegangene Junge stand schwerfällig auf, zeigte auf den kleinen Jungen und schrie „Du Freak!“ und rannte schluchzend weg. Der Junge wandte sich ab und das Bild veränderte sich…
-- ich verliere da vor lauter Jungen ganz den Überblick.

Etwas beschäftigte ihn, doch er konnte nicht herausfinden was es war. Plötzlich fiel der Groschen.
Ich bin mir nicht sicher, aber möglicherweise würde es mir besser gefallen, wenn der Groschen nicht fiele. ("(...)konnte nicht sofort herausfinden, was es war." -- denn der Groschen fällt letztlich ziemlich schnell)

Er wachte in seinem Bett auf und lächelte zum ersten Mal nach Wochen.
Gerade erst hat er bei den Löwen gelächelt.

Doch das Lächeln verblasste, ihm fiel sein merkwürdiger Traum ein, an den er sich nur noch verzerrt erinnern konnte.
In meinen Augen verliert die Geschichte dadurch, dass es (an dieser Stelle meint man es jedenfalls) sicher nur ein Traum war, mit einem Mal ist alles so gewöhnlich. Wenn er doch wenigstens nur einfach im Bett aufwachen würde, ohne dass er sich ausdrücklich an einen Traum erinnert!

„Ach übrigens, haben Sie gestern Abend vergessen das Fenster in ihrem Büro zu schließen?“
Und hier ist die Eindeutigkeit, die mit dem Traum gegeben schien, dann schließlich mit einem souveränen Griff auch wieder aufgehoben.
Nun könnte es ja ganz reizvoll sein, wenn man die ganze Zeit denkt, es handele sich um einen Traum, und am Schluss wird das überraschend infrage gestellt. Aber man denkt es eben nicht die ganze Zeit, sondern am Anfang denkt man, er sei gesprungen; dann wird es merkwürdig; dann ist es scheinbar eindeutig ein Traum; und dann vielleicht doch wieder nicht. Inmitten dieser Unschärfen zieht die Überraschung am Ende irgendwie nicht - scheint mir. Besser vielleicht, es bleibt durchgehend unscharf?

Er antwortete mit ungewohnter Lässigkeit, die Sean Connerys hätte sein können.
Wie ist den Sean Connerys Lässigkeit? Und was hat Sean Connery plötzlich in der Geschichte verloren?
„Ach, hab‘ nur grad gekündigt.“
Das ist nun wirklich zu lässig - gewollt lässig, da spielt er den großen Schritt übertrieben herunter - und das sollte die Frau nicht merken?

Sie schaute ihn verwundert an und erwiderte: „Na gut, wenn sie meinen. Alles Gute!“
Die Frau klingt eher desinteressiert als verwundert.
Er lächelte und erwiderte „Dankeschön“.
-- die Wiederholung kann man vermeiden, z.B.: Er lächelte und dankte ihr. //oder// "Alles Gute!" - "Dankeschön". Er wandte sich ab

Diesen ganzen Dialog am Ende finde ich im Übrigen blass.

Kurz: Schöne Idee - und noch viel Arbeit:)

Beste Grüße
erdbeerschorsch

 
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Hi erdbeerschorsch,

erstmal ein fettes Dankeschön an dich für die Mühe, die du dir gemacht hast.
In fast allen Punkten stimme ich dir komplett zu, zu manchen hätte ich noch einige Fragen:

Wie könnte man die Ereignisse deiner Meinung nach besser miteinander verknüpfen?
In welche Richtung sollte der Dialog am Ende deiner Meinung nach ausfallen?

Mit der Erwähnung Sean Connerys habe ich einfach versucht eine andere Atmosphäre in die Geschichte zu bringen, um nochmal zu betonen, dass sich etwas Grundlegendes geändert hat.

Was hälst du eigentlich von dem philosophischen Part, als er Fahrrad fährt?

Mit freundlichen Grüßen,
Moiz Mumtaz Mughal

 

Hi,

Die Passage mit dem Fahrrad gefällt mir gut. Die Frage, um die die Geschichte kreist - woher kommen unsere Entscheidungen? - wird da auf einer theoretischen Ebene aufgegriffen und spiegelt die Handlung, ohne dass es aufdringlich wirkt.
Allerdings würde ich mir eine etwas präzisere Fassung wünschen. Frage: Determiniert ein erster Impuls alles, was folgt? Antwort: Nein (denn es ist ja eine "Absurdität"). Dann aber: Vielleicht sind wir Kugeln in einer Schale, nehmen Energie auf und geben sie ab. Das ist nicht absurd (denn "vielleicht" ist es so). Problem: Wenn ein erster Impuls alles bestimmen sollte, was folgt, dann würde das zunächst einmal sehr gut damit zusammenpassen, dass wir Kugeln in einer Schale sind, deren Kollisionen "unvermeidbar" sind. Der Gegensatz ist noch nicht klar. Aber es ist ein Gegensatz erahnbar: Es scheint mir, als wolltest du die Energie, die die Kugeln bewegt, unabhängig sehen von einem ersten Impuls, der alles bewegt. Jede Kugel hat eine Art eigene Energie, die eventuell mit der göttlichen Energie von einer Art ist, aber in jeder Kugel einen eigenen Ursprung hat. Zwar sind Kollisionen unvermeidbar, vielleicht bestimmen sie auch, was danach folgt, aber die Energie, die sich jeweils überträgt, stammt nicht aus einem ersten (mechanischen) Impuls, sondern hat ihren Ursprung eben in der Kugel selbst ("innerer Impuls"). Vielleicht meinst du es in etwa so? Das ist eben noch nicht ganz deutlich.

Wie könnte man die Ereignisse besser verknüpfen? Das kann ich nicht sagen. Kritisieren ist leicht, besser machen schwer. Ich könnte mir vage vorstellen, die Episoden schroffer aneinander stoßen zu lassen.

Ich könnte mir übrigens auch vorstellen, auf einige Episoden ganz zu verzichten (beispielsweise auf die, in der er auf dem Friedhof sitzt).

Dialog: Unter anderem finde ich die vielen Formulierungen, mit denen du direkt ausdrückst, dass etwas gesagt wird, nicht gut.

ansprach (...) antwortete (...) fragte (...) erwiderte (...) erwiderte (...)
So was kann man auch mal weglassen: Sie schaute ihn verwundert an: „Na gut, wenn Sie meinen. Alles Gute!“
Aber auch was zwischen den Anführungsstrichen steht, finde ich teils nicht besonders prickelnd. Wäre die indirekte Rede nicht gelegentlich besser? Die Sätze sind doch eigentlich zu banal, als dass es wirklich auf den Wortlaut ankäme.
Noch einmal der Satz von oben:
Sie schaute ihn verwundert an und erwiderte: „Na gut, wenn sie meinen. Alles Gute!“
Das klingt nicht verwundert, sondern desinteressiert. Dagegen ohne wörtliche Rede: Sie schaute ihn verwundert an und wünschte ihm dann (knapp?) alles Gute Auch nicht perfekt, aber es klingt schon besser, meine ich.
Ein anderes Beispiel:
Er lächelte und erwiderte „Dankeschön“.
Ziemlich viel Anlauf für ein einziges Wort! Warum nicht: Er lächelte und bedankte sich. Oder: Er dankte mit einem Lächeln, wandte sich ab und... (Oder so ähnlich. Das Lächeln kann auch gerne weg, er lächelt eh schon nicht ganz selten in diesem Abschnitt.)

Soweit mal.
Schönen Gruß
erdbeerschorsch

 

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