Links, rechts, links, rechts
Der Sand knirsche unter meinen Schuhen. Ich nahm einen Schritt nach dem anderen. Links, rechts, links, rechts, knirsch, knirsch. Immer weiter. Niemals stehenbleiben. Wer stehenbleibt stirbt. Ich muss immer weiterlaufen. Links, rechts, links, rechts. Der Riemen meines Rucksacks war verrutscht. Während des Laufens rückte ich ihn zurecht. Doch das half nicht viel. Er war schon alt und abgenutzt. Gute Dienste hatte er mit erwiesen. Aber der Riemen schnitt mir in die Haut. Die Stellen waren schon ganz wund. Ich stellte mir manchmal vor, wie die Riemen sich langsam durch meine Haut fraßen und irgendwann bei meinen Knochen ankommen würden. Vielleicht würden dann endlich diese Schmerzen aufhören. Knirsch, knirsch. Mein Magen knurrte schon lange nicht mehr. Er hatte es aufgegeben mich daran zu erinnern, dass er Nahrung zum Überleben brauchte.
Seit einiger Zeit hatte sich ein Stein in meinen linken Schuh verirrt. Nun bekam er Freunde. Das Loch an der Seite lud sie alle zu einer Party ein. Ob es nun ein Stein oder fünf waren, machte keinen Unterschied. Meine Füße spürte ich schon seit Tagen nicht mehr. Ich hatte mich schon seit Ewigkeiten an meinen ständigen Begleiter den Schmerz gewöhnt. Links, rechts, links, rechts, links, rechts. Das Gefühl, dass ich bereits Blasen auf den Blasen hatte ließ mich grinsen. Sogar sie waren nicht allein. Nicht so wie ich. Immer allein. Nein, Blasen und Steine, die Party in meinen Schuhen schien in vollem Gang zu sein.
Knirsch, knirsch. Ich wischte mir mit dem Handrücken die Stirn ab. Auf meinem Handrücken blieben winzige Tropfen zurück. Was für eine Verschwendung von Wasser. Automatisch griff ich mit der rechten Hand an die Seite meines Rucksacks. Noch nicht. Halte noch eine Stunde durch. Wasser war zu kostbar. Die trockene Kehle hielt ich noch etwas aus. Ich schluckte, doch es gab nicht zu schlucken. Kein Wasser, kein Speichel. Nur trockene heiße Luft. Ich atmete laut aus. Die Sonne brannte daraufhin noch erbarmungsloser auf mich nieder. Sie war voller Hohn für die Menschen. Wer konnte es ihr verübeln. Wie Ikerus flogen auch wir zu nah an der Sonne vorbei und stürzten ab in die Tiefen der Dunkelheit. So war es schon immer. Der Mensch strebte nach mehr. Nie war er zufrieden mit dem was er hatte. Niemals glücklich. Nicht einen Moment lang. Der Mensch hielt nicht an und genoss sein Werk, sein Leben, so wie es war. Aber vielleicht haben wir auch nur deswegen so lange überlebt. Komische Gedanken. Ich sollte mir lieber über Nahrung und einen Schlafplatz Sorgen machen.
Links, rechts, links, rechts. Immer weiter. Niemals stehenbleiben. Man sieht, das Leben hat Sinn für Humor. Wie immer kam es plötzlich und unerwartet. Würden sie in den Nachrichten sagen. Dabei war es schon lange absehbar. Aber niemand wollte es wahrhaben, bis es dann passierte. Plötzlich, unerwartet. Wie immer. Woran hat es gelegen? Wer war schuld daran? Ich schnaufte. Niemand. Niemals war jemals schuld. Oder doch wir alle? Wer weiß das schon. Ist jetzt sowieso egal. Knirsch, knirsch.
Knack. Mein Herz setze aus. Ich blieb stehen und horchte auf. Da war etwas. Ich war mir ganz sicher. Ich habe es ganz genau gehört. Langsam schaute ich mich um. Der Kiesweg war verlassen. Der Wald war ruhig. Moment. Ich war gefangen in einer Blase aus Stille. Keine Vögel sangen, keine Blätter raschelten. Nichts. Als würde selbst der Wald den Atem anhalten und lauschen. Ich blickte auf meinen Unterarm. Meine Haare stellten sich auf. Da war etwas, ganz sicher. Man Atmen ging schnell und flach. Ich musste ruhig bleiben. Atmen. Atmen. Ein und aus, ein und aus. Ich spürte wie das Adrenalin in meinen Venen brannte. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Alles in mir schrie nach Flucht. Flieh! Renne so schnell du kannst. Ruhig jetzt. Keine unüberlegte Handlung. Ein und aus, ein und aus. Ich drehte mich um und blickte nach Süden. Da sah ich es. Das Verräterische Leuchten. So gelb, wie die tödliche und erbarmungslose Sonne. Eines von den Dingern. Das Gesicht voller Falten und tief eingefallen. Ein Auge fehlte, doch dafür leuchtete das andere umso stärker. Ein Arm fehlte. Die Kleidung war zerrissen und voller Dreck und getrocknetem Blut. ES war schon lange unterwegs. ES witterte. Der Mund voller Blut. Ich wusste, einem von ihnen konnte ich entkommen. Doch sie waren meistens nicht alleine unterwegs. Langsam griff ich an meinen Gürtel, aber ich besann mich eines Besseren und zog ein langes Messer aus einer Seitentasche des Rucksacks. Die Klinge war stumpf geworden und hatte ihren Glanz verloren, aber sie war mir immer ein guter Freund. Ich nahm das Messer in die linke Hand, wischte den Schweiß der anderen Hand an der Hose ab, bevor ich das Messer in die rechte nahm. Es witterte noch immer.
Ich ging in die Knie und verlagerte mein Gewicht für einen Angriff. Knirsch. Der verdammte Kies. Das Geräusch klang in der Stille unendlich laut. ES hatte mich gehört und rannte auf mich zu. Ich versuchte ES zu erwischen und stach zu, doch meine Angriffe gingen ins Leere. Verdammt. ES versuchte mich zu greifen, ich konnte mich aber rechtzeitig wegducken und stach erneut zu. Mit einem Arm war ES nicht gerade gefährlich. Trotzdem, ich darf niemals unvorsichtig werden. Das Messer blieb in der Schläfe stecken und schwarzes Blut bespritze mich. Ein letztes Röcheln und die gelben Augen erloschen. ES fiel wie ein Sack zusammen und ich konnte gerade noch einen Schritt zur Seite machen, bevor ES mich mit sich zog. Ich horchte. Keine Geräusche. Erst jetzt merkte ich, dass ich die Luft angehalten hatte. Ich erlaubte mir tief einzuatmen. Und aus und wieder ein. Bloß weg von hier. Gerade als ich mich bückte um das Messer aus der Schläfe herauszuziehen, hörte ich es. Da waren noch mehr von den Dingern. Ich konnte ihre leuchtenden Augen auf mir spüren. Sie brannten Löcher in meine Haut. Voller Panik zog ich an dem Messer, doch meine Hände rutschten am Griff ab. So ein Mist. Es steckte zu fest. Ich konnte bereits ihre Schritte hören, noch hatten sie mich nicht entdeckt. Ich blickte auf das Messer, dann in die Richtung aus der die Geräusche kamen. So eine Verschwendung. Langsam richtete ich mich auf und da waren sie. Drei von ihnen. Zwei große und ein kleiner. Diese hatten noch alle ihre Gliedmaßen, das würde ich nicht schaffen. Die Panik gewann die Oberhand und ich rannte los. Ich schaute nicht zurück, ob sie mich entdeckt hatten und verfolgten. Ich musste einfach schnell weg. Links, rechts, links, rechts. Immer schneller, schneller.
Der Waldweg vor mir war von Menschen angelegt worden. Er war eben und gerade. Ich kam schnell voran. Der Geruch traf mich bevor ich es überhaupt begreifen konnte. Abrupt blieb ich stehen und hielt mir intuitiv den Arm vor den Mund. Mein Rücken war nass und mein Hemd klebte mir am Rücken. So eine scheiße. Ich war direkt in ihr Nest gelaufen. Hinter mir hörte ich das Knirschen ihrer Füße. Sie waren mir gefolgt. Ich blickte mich um. Woher kam der Gestank? Welche Richtung sollte ich nehmen? Wohin? Wohin nur? Ich schaute mich um, ein grober Fehler, da waren SIE. Nur noch wenige Schritte und sie haben mich eingeholt. Links. Ich verließ den Weg und lief direkt in den Wald hinein. Meine Waden schmerzten und mein Hals tat weh. Ich atmete schwer. Wegen der Wurzeln und Äste kam ich nicht so schnell voran, doch aus SIE würden es schwerer haben. Der Gestank wurde immer stärker. Falsch. Ich hatte falsch gewählt. Falsch. Falsch. Da war es. Ein Nest. Eine Lichtung im Wald voller Blut, voller Leichen und voller Dinger. Sie aßen, noch hatten sie mich nicht entdeckt. Ich hielt den Atem krampfhaft an. Voller Sorgfalt ging ich langsam rückwärts. Vielleicht half mir der Gestank und SIE konnten meine Witterung nicht aufnehmen.
Ein Schrei. Kalter Schweiß lief meinen Rücken hinab. Ich drehte mich um. Einer meiner Verfolger hatte geschrien. Ich blickte auf zum Nest. Viele gelbe Augenpaare blickten mich an. Das war das Ende. Plötzlich wurde ich mit einem Ruck nach hinten gezogen. Ich zog die Riemen runter und befreite mich aus dem Griff. ES hielt nur noch meinen Rucksack in den Händen. Der kleine versuchte mich zu greifen. Ich drehte mich zur Seite, doch zu spät. ES heilt meinen Arm fest. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich will nicht sterben. Nicht jetzt. Nicht so. Ich brach ihm die Finger. Es gab ein lautes Knacken. Ich konnte mich Befreien. Schnell rannte ich davon, bevor das Nest mich eingeholt hatte. Ohne den schweren Rucksack kam ich schneller voran. Um meine Ausrüstung würde ich mich später kümmern. Jetzt musste ich erst mal überleben. War ich schnell genug? Ich lief immer weiter.
Links, rechts, links, rechts. Selbst als ich eigentlich nicht mehr konnte. Immer weiter. Seit Tagen hatte ich nichts mehr gegessen. Meine Reserven waren aufgebraucht. Da. Da war etwas. Ein Schimmer. Ich lief darauf zu. Ein Fluss, da war ein Fluss. Ohne abzubremsen lief ich auf den Fluss zu. Das Wasser spritze in alle Richtungen. Meine Schuhe füllten sich mit blauem Nass. Erfrischende Kälte umfing mich. Meine Kleidung wurde immer schwerer. Ich lief immer weiter, bis mir das Wasser bis zum Bauch ging. Ich tauchte kurz unter. So war mein Geruch für SIE nicht so leicht aufzuspüren. Das Wasser war kalt und ich fing an zu zittern.
Ich zuckte zusammen. Ein Brennen in meinem linken Arm. Ich zog den zerrissenen Ärmel hoch. Ein riesiger Kratzer. Leuchtend rot hob er sich von meiner Haut ab. Die Haut drum herum verfärbte sich langsam lila. Der gelbe Tod. Ich griff an meinen Gürtel. Die alte Kanone lag vertraut in meiner Hand. Eine Kugel. Die letzte Kugel, für den letzten Atemzug. Aufgehoben für den einen Moment. Ich allein entscheide, wie es zu Ende geht.
Ein Knall. Ich drehte mich in die Richtung, aus der ich gekommen war. Da. Zwei Männer und eine Frau in voller Montur. Mit schnellen Zügen schalteten sie die Dinger aus, die mich schon fast eingeholt hatten. Einen nachdem Anderen. Für einige Sekunden war die Luft erfüllt von Schüssen. Dann erlosch das letzte Augenpaar. Stille legte sich über uns. Uns. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Alle drei starrten mich an. Menschen. Echte Menschen. War das meine lang ersehnte Rettung? Konnte mein Traum wahr werden?
Einer von ihnen nahm seinen Helm ab. Seine Augen waren so blau wie der Himmel über uns. Dann sah er meinen Arm.
Knall.