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Lilibeth und Grumbl
Der Zwerg Grumbl lebte in einer ordentlich eingerichteten Höhle. Wenn er müde aus den tiefen Stollen seiner Mine kam, putzte er gewissenhaft seine Schaufel, seine Stiefel und seinen Minenwagen. Dann trat er vor seine Höhle, stutzte den Rasen und sah, ob alles noch auf seinem Platz war. Hatte etwa der Wind einige Blätter vor seine Tür geblasen, fegte er mit einem breiten Besen den Boden, bis alles wieder so blank war, wie zuvor. In einer mit sieben Riegeln gesicherten Kammer verwahrte er das Gold, das er im Berg fand. Sein größtes Vergnügen bestand darin, das Gold zu funkelnden Münzen zu gießen.
Lilibeth war eine Elfe. Sie lebte in einer Baumhöhle mit einem Bett aus Moos und Vorhängen aus getrocknetem Gras. Ihre wenigen Sachen lagen achtlos auf dem Boden verstreut. Oft stolperte sie darüber und manchmal verlor sie etwas, doch das machte ihr nichts aus. Lilibeth war kaum drei Daumen groß und stets sang oder pfiff sie ein lustiges Lied. Am Tag spielte sie mit den Schmetterlingen auf der Wiese, schlich den Tieren im Wald nach, oder machte mit ihren Freundinnen ein Picknick. Am Abend gab es stets eine große Feier, die bis tief in die Nacht dauerte. Lilibeth hatte so viele Freunde, dass sie sie nicht zählen konnte. Grumbl hatte keinen einzigen Freund.
Vor Grumbls Höhle lag eine Blumenwiese. Dort vergnügte sich Lilibeth. Sie flog Loopings, flatterte steil nach oben, ließ sich fallen und schlug kurz vor dem Boden kräftig mit ihren vier durchsichtigen Flügeln, sodass es aussah, als sei sie ein Sprungball, der von der Wiese zurück in den Himmel sprang. Dabei jauchzte und pfiff sie nach Herzenslust.
„Hast du nichts zu tun?“, brummte Grumbl, als er sie sah. Die Elfe erschrak über die tiefe Stimme des Zwerges, doch schnell war sie bei ihm und flog enge Kreise um seinen Kopf. Grumbl wurde etwas schwindlig, als er versuchte, ihr nachzuschauen.
„Lass die unnützen Kunststücke. Sammle Holz, und etwas zum Essen, sowie viel trockenes Gras für eine Decke, denn der Winter kommt bald.“
Lilibeth ignorierte die missmutige Rede des Zwergs. Sie setzte sich neben ihn, pustete einige Feensterne aus ihrer Hand und ließ sie vor seinen Augen auf und ab tanzen.
„Heute ist so ein schöner Tag“, rief sie mit ihrer Stimme, die klang wie helle Glöckchen. „Komm doch zum Elfenhain. Dort gibt’s ein tolles Fest.“
„Pah“, schnaubte Grumbl und rief dann mit donnernder Stimme: „Im Winter, wenn es kalt ist und der Schnee die Wiesen zugedeckt hat, dann werdet ihr Elfen an mich denken. Dann werdet ihr kommen, und um Essen und Unterkunft betteln. Aber von mir kriegt ihr nichts.“
„Ach wie entzückend. Sag das bitte noch einmal“, rief Lilibeth, flatterte in die Luft und klatschte begeistert in ihre winzigen Hände.
„Weg da! Du verdirbst mir den Abend!“ Grumbl versuchte sie fortzuwedeln wie eine lästige Fliege.
Lilibeth wich leichtflügelig aus und flog zwischen Grumbls Beinen hindurch.
„Du hast aber kräftige Muskeln und so starke Hände. Damit kannst du sicher ganz schwere Dinge hochheben.“
„Fleiß und Schweiß haben das aus mir gemacht. Wenn du auch den ganzen Tag arbeiten würdest, statt hier herumzulungern, wärst du nicht so schwach und dünn.“
„Oh, das macht mir nichts aus“, sagte Lilibeth. „Ich kann dafür toll singen. Soll ich dir etwas vorsingen?“
„Nein.“
Lilibeth sang ein schönes Lied. Sie gab sich richtig Mühe, denn ihr gefiel der starke Zwerg.
„Gute Nacht“, sagte der Zwerg, bevor Lilibeth fertig war. „Morgen wird ein schwerer Tag. Ich werde mich kräftig ins Zeug legen müssen, denn mit der Goldförderung bin ich im Rückstand.“
„Das Gold wird dir nicht davonlaufen“, sagte Lilibeth, doch da hatte der Zwerg schon die Tür hinter sich zugeworfen und die Elfe stand alleine vor der Höhle.
Am nächsten Tag, als Grumbl missmutig und mit schmerzendem Kreuz vor seine Höhle trat, wartete Lilibeth schon auf ihn.
„Ich habe dir einen Becher Nektar mitgebracht.“ Sie hielt ihm ein kleines Becherchen mit goldenem Blütennektar hin.
„Ich brauche keine Almosen. Ich habe mir genug Vorräte für den Winter angelegt.“
„Er ist echt lecker. Riecht auch besser als der alte Käse und das Brot, das du immer isst.“
„Hast mir wohl nachspioniert. Aber mein Gold kriegst du nicht.“
Lilibeth hielt ihm immer noch den kleinen Becher hin.
„Na gut: Wie viel willst du dafür.“
„Ich schenk ihn dir.“
„Und meinst wohl, dass du dir dann etwas von meinen Schätzen aussuchen kannst. Nein danke. Ich bezahle meine Sachen ehrlich mit Talern und Pfennigen.“
„Du bist wirklich ein mürrischer Zwerg.“
„Ich wäre nicht so mürrisch, wenn ich den Abend nach einem harten Tag hier ohne dein Geplapper verbringen könnte.“
„Was hast du den ganzen Tag gemacht?“
„Geht dich nichts an.“
„Nach Gold geschürft, stimmt's? Alle Zwerge suchen nach Gold und dann verstecken sie es und haben Angst, jemand könnte es ihnen stehlen.“
„Und was hast du gemacht?“
„Oh, ich bin aufgestanden, zum Bach geflogen, habe gebadet, bin in der Sonne gesessen, habe eine Libelle getroffen, bin mit ihr um die Wette geflogen, habe dann ein paar Beeren gefunden und sie alle gegessen. Darauf hin wurde ich müde, machte ein kleines Nickerchen und flog bei dir vorbei. Du warst nicht zu sehen, aber ich habe dich fluchen gehört.“
„Wenigstens bin ich kein Faulpelz.“ Grumbl stand auf.
„Ich muss noch die Grube abstecken. Ich hab jetzt keine Zeit.“
„Darf ich mitkommen?“
„Wozu? Du kannst mir doch nicht helfen, mit deinen kleinen Händchen.“
„Ich schaue gerne beim Arbeiten zu.“
Darauf hin stampfte der Zwerg heftig mit seinen schweren Stiefeln auf den Boden.
„Ihr Elfen seid doch alle Taugenichtse! Und da schämst du dich nicht einmal. Sieh lieber zu, dass du eine anständige Arbeit findest.“
„Wozu denn? Ich hab ja alles, was ich brauche.“
„Leichtgläubiges Geschöpf! Glaubst du, die Früchte wachsen immer von selbst? Wenn die kalte Jahreszeit kommt, werden du und dein Volk Vorräte brauchen oder ihr werdet elendig verhungern.“
„Ach, ich find schon was und wenn es wirklich kalt wird, dann flieg ich einfach nach Süden.“
Grumbl hatte inzwischen eine Schaufel aus seiner Höhle geholt. Das Metall blitzte in der untergehenden Sonne. Nicht weit von seiner Höhle entfernt trug er zuerst das Gras ab und begann dann zu graben. Die Grube war ein exaktes Rechteck.
Lilibeth sah ihm eine Weile zu und flog dann davon. Den Becher mit dem Blütennektar ließ sie stehen.
Als sie am nächsten Tag nach einem ausgedehnten Mittagsschlaf wiederkam, sah sie nur mehr die rote Zipfelmütze des Zwerges aus seiner Grube herausschauen. Unermüdlich hackte und schaufelte Grumbl. Schweiß tropfte von seiner knolligen Nase und von seinem grauen Bart.
Der Becher mit dem Nektar war leer. Daneben lag allerdings ein winziger roter Edelstein.
„Ist der für mich?“, rief Lilibeth entzückt und steckte ihn sich in ihre goldene Haare.
„Wozu gräbst du diese Grube?“
„Ich werde damit eine Ziege fangen. Dann sperre ich sie in den Stall und melke sie. So habe ich immer frische Milch.“
„Aber die Ziege wird sich nach ihren Freunden sehnen. Sie wird traurig sein und nur saure Milch geben.“
Grumbl kratzte sich nachdenklich an seiner gefurchten Stirn.
„Du hast Recht“, sagte er und schwang wieder kraftvoll seine Spitzhacke. „Ich werde zwei Ziegen fangen. Die Milch der Zweiten werde ich zu Käse verarbeiten und verkaufen.“
„Du, du, ...“, stotterte die Elfe, und flog wutentbrannt davon. Sie schwor sich, nie wieder mit dem mürrischen Zwerg zu sprechen.
Lilibeth war allerdings eine sehr neugierige Elfe und am nächsten Tag fragte sie sich, was der Zwerg wohl tat. Sie flog zur Wiese, sagte sich, sie würde den Zwerg einfach ignorieren, starrte dann aber immer wieder zu der Stelle, wo der der Zwerg gearbeitet hatte. Dort war nichts zu sehen. Wie zufällig näherte sie sich der Grube. Sie war perfekt mit Gras und Blättern zugedeckt und in der Mitte klaffte ein Loch. Anstatt eines Meckerns hörte sie allerdings wüste Verwünschungen. Grumbl sprang am Boden der Grube auf und ab und versuchte unter neuen Flüchen an der Wand hoch zu klettern.
„Wie kommt du da runter?“, fragte Lilibeth überrascht.
„Du hast mir gerade noch gefehlt. Willst dich jetzt lustig machen, über mich armen Zwerg. Nur weil meine Grube so gut getarnt war, dass ich sie übersehen habe. Glaub nicht, ich biete dir mein Gold an, damit du mir raushilfst. Ich komme da ganz gut selber wieder raus.“ Der Zwerg versuchte an der Wand hoch zu laufen, landete aber auf dem Rücken und zappelte wie ein Käfer.
Mit offenem Mund sah Lilibeth zu, wie Grumbl wieder und wieder versuchte aus seiner Grube zu klettern. Die Wände waren so gerade, dass er nicht einmal ein klitzekleines Stückchen hoch kam. Schließlich blieb der Zwerg resignierend sitzen. Er sah sehr, sehr traurig drein.
„Warte, ich helfe dir raus.“
„Du? Wie willst du mir raushelfen?“
Lilibeth flatterte hin und her, als sie angestrengt überlegte.
„Ein Seil, du brauchst ein Seil. Bin gleich wieder da.“
Und weg war sie. Grumbl setzte sich nieder und überlegte, wie viel Goldstücke die Elfe verlangen würde. In seinem Lager befanden sich drei große Säcke. Zuerst dachte er, sie würde die Hälfte verlangen. Er würde ihr einen Sack voll anbieten. Mehr als die kleine Taugenichtsin tragen konnte. Aber die Zeiten wurden schlechter, überlegte Grumbl. In letzter Zeit fand er kaum noch etwas. Er würde behaupten, in den zwei anderen Säcken wäre kein Gold. Er würde ihr einen halben anbieten.
Als die Elfe schließlich zurückkam, rief er:
„Drei Goldstücke. Das ist mein letztes Angebot. Mehr kriegst du nicht, und wenn ich hundert Jahre hier sitzen bleiben muss.“
„Da nimm“, rief Lilibeth und hielt Grumbl ein dünnes Seil nach unten. Sie keuchte, denn sie war so schnell geflogen wie nie zuvor.
„Drei. Keines mehr.“ Sagte Grumbl bestimmt und versuchte sich an dem Seil nach oben zu ziehen. Er zog einmal daran und schwups flog die Elfe mit dem anderen Ende herunter. Grumbel war viel zu schwer für sie.
„Kannst du das Seil wo anbinden?“
„Da ist nichts.“ Lilibeth trat unbeholfen von einem Fuß auf den anderen.
„Ich bin zu schwach.“
„Du bist ein Taugenichts wie alle ...“ Grumbl seufzte. „Ach, was ärgere ich mich über euch. Ich werde in dieser Grube sitzen, bis ich verhungert bin.“ Er ließ jetzt wirklich seinen Kopf hängen und schniefte.
Lilibeth neben ihm ließ Kopf und Flügel hängen.
„Und am schlimmsten ist, alle Elfen werden über mich lachen. Sie werden kommen, über mir herumflattern, dumme Witze reißen ...“
„Werden sie nicht“, rief Lilibeth. „Das ist die Idee. Warte hier, ich komme gleich wieder.“
Der Nachmittag verging, doch die Elfe kam nicht mehr zurück. Die Sonne versank über seinem Kopf und am Himmel blinkten die ersten Sterne. Grumbl war schon überzeugt, Lilibeth, hätte ihn vergessen. Er fröstelte und bemerkte, dass einige der Sterne näher kamen. Sie funkelten und wackelten hin und her. Es waren viele kleine Elfen. Lilibeth hatte alle ihre Freunde mitgebracht. Gemeinsam hielten sie das Seil und zogen Grumbl heraus. Der Zwerg war sehr verlegen, sprach stotternd seinen Dank aus und dachte ängstlich an die vielen Goldstücke, die sie verlangen würden. Doch die Elfen luden ihn statt dessen zu ihrem Fest ein. Grumbl wollte nicht gehen, doch sie ließen nicht locker, bis er schließlich mitkam. Lachend tanzten sie mit ihm, zauberten leuchtende Sterne auf seine Zipfelmütze und brachten ihm Blütennektar. Grumbel wusste zuerst nicht, was er beim Tanzen mit seinen Füßen machen sollte, doch dann hörte er auf, darüber nachzudenken und fand das Fest der Elfen richtig lustig. Und als er dann etwas zu viel Nektar getrunken hatte, gab er Lilibeth einen unbeholfenen Kuss auf die Wange und meinte, sie sei die netteste Elfe, die er kenne.