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Lieblos
Hallo du dort draußen,
Ja, ich bin allein. Aber es macht mir nichts aus. Kannst du dir vorstellen, wie schrecklich es ist, "schön" zu sein? Kannst du es? Schau dir die Models an, die durch die Werbung geistern. Schau nur einmal auf die Straße, die vielen hässlichen und schönen Menschen, die dort ihre Leben leben, vor sich hin existieren.
Vielleicht bist du einer jener hässlichen Menschen. Vielleicht kannst du dir wirklich nicht vorstellen, dass es einen Nachteil haben kann, schön genannt zu werden. Mein Körper, um den mich alle beneiden, wenn sie ihn sehen - er ist ein einziges Hindernis. Ich habe eine klassische Figur, wie aus den feuchten Träumen eines kleinen Jungen. Große Oberweite, schlanke Taille, und breite Hüften. Ich bin auch schlank - was will man mehr?
Nur einen gut sitzenden BH und eine Brust-OP. Wirklich. Das Bindegewebe ist trotz Jugend weich und droht bei jeder hektischen Bewegung zu reißen. Korsetts oder Corsagen? Nein. Vielleicht für eine Figur von neunzigsechzigneunzig. Aber nicht für mich.
Zu allem Überfluß habe ich zu einer sogenannten guten Figur auch noch ein angeblich schönes Gesicht - das Einzige an mir, was ich auch nur ein bisschen mag.
Trotzdem - dieser Körper, in dem ich da gefangen bin, ist nur ein einziges Hindernis für mich. Sport - das scheidet aus, das Bindegewebe könnte reißen. Schwimmen? Wäre ja schön, wenn ich nicht halb blind wäre und im Wasser nichts sehen könnte. Mit Brille schwimmen? Ich bin doch nicht wahnsinnig, ich habe schon einmal eine Brille verloren.
Wenn ich eine Treppe steige, merke ich, wie meine Brüste auf und ab schwabbeln. Ich bin kurzatmig. Jede höhere Treppe ein Hindernis. In solchen Momenten ekle ich mich vor mir selbst.
Ich wäre gern eines jener hirnlosen Mädchen, die ich auf der Straße sehe, die Worte wie "ey" oder "Aldah" benutzen. Im Gegensatz zu dem schweren grauen Klumpen zwischen ihren Ohren, den benutzen sie nämlich nicht. Ich glaube aber nicht, dass du so jemand bist. Und wenn doch, dann denkst du vielleicht gerade "Ey, die Alte hat Probleme! Was will die eigentlich, die hat doch so ein Glück!"
Aber nicht einmal das ist mir gegönnt. Ich bin meiner selbst bewusst. Mein Körper ist verhüllt mit weiten Pullis und ausgebeulten Hosen. Mein Gesicht verändert durch schwarzen Lidschatten, das Haar wirr und verstrubbelt. Würde ich enge Kleider tragen und mein schlaffes Bindegewebe stützen und so tun, als wäre ich normal - dann wäre es so wie damals, als mich in der Disco ein wildfremder Kerl ansprach: "Ficken?"
Manchmal wäre ich gern so ein Mensch. So - normal.
Würde mit den vielen, vielen Freunden, die ich dann bestimmt hätte, um die Häuser ziehen. Beach-Volleyball würden wir spielen, ich wäre braungebrannt und muskulös, würde Kontaktlinsen tragen und oft lachen.
Aber so gehe ich durch den Alltag und höre anderen Menschen zu. Immer wieder höre ich Geschichten - über Liebeskummer, über gebrochene Herzen. Und dann erinnere ich mich an den letzten Menschen, den ich zu lieben glaubte. Einige schnelle, hitzige Wochen lang. Eine Beziehung, streng geheim gehalten vor Freunden, der Welt, als ein süßes Geheimnis nur zwischen ihm und mir. Seine weichen Lippen auf meinen, seine starken Hände in meinem Haar. Und überall auf meinem Körper. "Du bist wunderschön" sagte er, und ich glaubte ihm.
In jener Zeit strahlte ich von innen heraus, sagten meine Bekannten. Ich muss wohl glücklich gewesen sein, aber alles, woran ich mich erinnere, ist dieser Taumel aus Kribbeln im Bauch, Sex und stillem Glück über ein schönes Geheimnis. Ich ging hochaufgerichtet durch die Welt, das Haar zurückgebunden und gekämmt.
Wie es kam, dass all das verpuffte, weiß ich nicht mehr. Plötzlich war ich es, die ihm sagte, dass es vorbei sei. Er akzeptierte es - der Rausch war verflogen. Aber obwohl ich sicher gewesen war, ihn zu lieben, floß keine einzige Träne. Es wurde Sommer, es wurde Winter, und immer noch sind meine Augen trocken.
Und ich bleibe in diesem Zustand. Kennst du das vielleicht? Es ist so ähnlich, wie wenn man eine schreckliche Enttäuschung erlebt hat und seine gesamten Gefühle abkapselt. Hast du so etwas erlebt? Dann beruhige dich, es wird vorbeigehen. Irgendwann heilen deine Wunden. Aber ich weiß nicht, ob ich jemals wieder so werde wie damals.
Jetzt ist die Scham wieder da - die Scham über meinen Körper. Über die schlaffen Brüste, die weiße Haut. Die schön genannt wurde von Menschen, die es nicht besser wussten. Die Blutergüsse, die sich so leicht bildeten. Sie hatten ihn fasziniert, diese dunklen Flecken. Er hatte es geliebt, zuzusehen, wie sie langsam auf meiner hellen Haut erschienen, von ihm verursacht. Er küßte sie dann manchmal.
Einmal lachten wir über den Gedanken, dass er es sofort sehen würde, wenn ich ihn betrügen würde. Zu diesen Flecken, die er mir in seiner Extase zufügte, stand ich, ich trug sie stolz wie Ehrenmale, bis sie verschwanden. Aber jetzt ist es nicht mehr so wie damals, irgendetwas scheint sich verändert zu haben, ich weiß nur nicht, was. Alles hat sich verändert. Die Welt, die seinetwegen im hellen Licht der Sonne erstrahlte, ist nun dunkel, nur erleuchtet von den Spots von Scham, Selbstekel und Neid. So oft leuchten sie auf, wenn ich ein Mädchen auf der Straße sehe, das schlank ist, braungebrannt und durchtrainiert, bepackt mit Einkaufstüten voller bunter Kleider, neben sich eine Freundin. Die beiden reden dann aufeinander ein, lachen atemlos, kichern. Sie lästern dann über ihre Freundinnen und Freunde.
Ich habe keine Freundinnen und Freunde, weil ich es niemandem zumuten kann, mich selbst zu mögen, vorbei an der Barriere meines Körpers. Jetzt habe ich das erkannt. Nur ein Gefäß für die Seele - aber eines mit Schloß.
Kannst du dir so etwas vorstellen? Scham wegen eines Körpers, den du vermutlich mögen würdest? Wegen Hämatomen, wegen zu großer Brüste, und wegen meiner Körpergröße? Scham, weil ich "schön" bin in den Augen der Menschen?
Kannst du dir die Schuldgefühle vorstellen, die ich habe, wenn sich jemand in mich verliebt? Wenn mir jemand sein oder ihr Herz zu Füßen legt und ich es aufheben muss und es zurückgeben?
Ich glaube, einige Herzen habe ich dabei schon zerbrochen. Dabei will ich es gar nicht. Warum verschwenden diese Menschen ihre Liebe nur an mich, wo ich sie doch gar nicht erwidern kann, wo ich doch gefangen bin in meinem Selbstekel?
Kannst du es mir sagen?
Dann tu es bitte.
Bitte.