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Liebende (Arbeitstitel)
Sie hatten einen wunderbaren Abend gehabt. Noch lange standen sie in der Auffahrt, sie konnten sich nicht wirklich voneinander trennen, es wurde langsam kalt, und ihr Atem bildete kleine Wölkchen beim Sprechen, aber keiner wollte den ersten Schritt tun und sich verabschieden.
Zuerst waren sie im Kino gewesen, eine amerikanische Komödie mit einem berühmten Schauspieler, den er eigentlich nicht mochte, sie aber hatte gelacht und sich amüsiert, und er liebte es, sie lachen zu sehen, wie sie dabei den Kopf zurückwarf und laut herausplatzte, so daß die anderen Leute im Saal sich ein wenig pikiert umgesehen und laut „Pscht“ gemacht hatten, aber im Dunkeln niemanden hatten erkennen können, denn sie hatten sich kichernd soweit in ihren Sitzen zurückgelehnt, daß sie niemand mehr sehen konnte.
Nach dem Film hatte er sie eigentlich nach Hause bringen wollen, doch sie hatte vorgeschlagen, noch ein wenig in die Stadt zu gehen, in eine nette Kneipe oder ein Cafe, um das Gesehene noch einmal Revue passieren zu lassen, und um den Abschied noch hinauszuzögern. In einer gemütlichen Bar, deren Innenausstattung mehr an ein Wohnzimmer als an eine Kneipe erinnerte, hatten sie einen Kaffee getrunken, sie mit einem kleinen Schuss Amaretto, er ohne, denn er musste noch fahren. Sie hatte ihm tief in die Augen gesehen über den Rand ihrer Tasse, und für einen Moment war er versucht, ihr die Tasse aus den Händen zu nehmen und sie zu küssen. Er stellte sich vor, daß ihre Lippen nach Milchschaum und einem Hauch von Mandel schmeckten, süß und bitter zugleich. Doch er tat es nicht, denn sie bemerkte einen Hauch der feinen Schaumkrone auf seiner Nasenspitze, und sie musste lachen, dieses unwiderstehliche Lachen, das so ansteckend war und selbst dem Trübsinnigsten einen Hauch Freude vermittelte. Sie erzählte von ihrem Studium, ihren Reisen, vor kurzem war sie in Italien gewesen und hatte dort eine Menge erlebt. Er hörte von den Touristen auf der Spanischen Treppe und ihrem Wunsch, den schiefen Turm von Pisa zu besteigen, doch sie hatte es nicht getan, sie hatte ja Höhenangst, das wüsste er ja. Er nickte, er wusste das, sie hatte es ihm schon oft erzählt, doch das störte ihn nicht, er lauschte gerne ihrer Stimme.
Er hingegen erzählte von seiner neuen Wohnung, beinahe fertig eingerichtet war sie nun, es war ja viel zu schleppen gewesen, und sie lächelte und kicherte bei seinen Anekdoten über den schusseligen Möbelverkäufer. Sie mochte seine Art, Geschichten zu erzählen, es war so lebendig, man glaubte fast, selbst dabei gewesen zu sein und zu sehen, wie er versucht hatte, das richtige Regal zu finden. Sie hörte ihm gerne zu, sie machte es sich auf dem roten Plüschsofa bequem, damit sie ihn besser ansehen konnte, seine hellen Augen, die sie stets so freundlich anblickten, sein weicher Mund und die Nase, an deren Spitze sie immer noch glaubte, etwas von dem vorigen Malheur zu finden.
Der Kaffee war getrunken, und bald darauf auch die anderen Getränke, die ihnen der Kellner brachte, immer mit einem verschwörerischen Lächeln, denn sie blieben noch, als auch die übrigen Gäste gingen. Dann bat er sie, zu gehen, er wollte schliessen, es sei doch schon spät. Er wünschte ihnen einen schönen Abend, wieder mit dem Lächeln, daß ihr auffiel, er aber wollte es nicht bemerkt haben, als sie ihn darauf ansprach. Sie fragte ihn, was der Kellner wohl über sie gedacht haben mochte, doch er konnte oder wollte ihr nicht Antwort darauf geben, die sie hören wollte, er meinte, der Mann habe sie sicher für Agenten oder Spione gehalten. Ihr gefiel dieser Gedanke, ausgelassen alberte sie herum und erfand Decknamen für sich und ihn, dann tat sie so, als müsse sie sich auf dem Weg nach Hause durch feindliche Linien schlagen. Er spielte das Spiel mit, aber bald war es ihr langweilig, und sie ging wieder normal neben ihm her, die Hände tief in den Taschen ihrer Jacke. Jetzt war sie still, denn sie wusste, bald war der Abend vorüber, aber sie wollte es nicht, sie wollte den Moment gerne einfrieren und behalten.
Jetzt standen sie in der Auffahrt, sie erzählte noch etwas von ihrem Studium, aber er konnte ihr nicht folgen, er sah nur ihre dunklen Augen und ihr von der Kälte röter werdendes Gesicht, und er wollte sie gerne umarmen zum Abschied, und am liebsten nicht mehr loslassen, doch stattdessen verschränkte er die Arme vor der Brust, es war kalt und klar.
Sie sah, wie er fror, und sie stellte ihm nun die Frage, auf die er vielleicht schon den ganzen Abend gewartet hatte. Er kam ihrer Aufforderung nach, langsam, denn er hatte Angst, sie könnte merken, wie aufgeregt er war.
In der Wohnung war es wie immer, er war schon oft hier gewesen, doch an diesem Abend war es anders als sonst, selbst die vertrauten Geräusche wie das Zischen ihres Wasserkochers kamen ihm neu und nie dagewesen vor. Sie nahm ein paar Teebeutel aus dem Küchenschrank, erzählte dabei etwas von einem Tee, von dem er noch nie gehört hatte, und er nickte nur, als sie ihm vorschlug, Musik im Wohnzimmer anzumachen. Er ging vor und suchte eine CD aus ihrem Regal heraus, er wusste, was sie mochte, und er wusste, was passend war in dieser Situation, er schaltete die Stereoanlage an und drehte die Lautstärke herunter, damit die Musik sie nicht störte.
Sie kam herein, strahlend, mit roten Wangen, denn es war warm, und sie trug ein Tablett mit Tee und Gebäck. Er machte einen Witz, daß sie ihn damit an ein altmodisches englisches Dienstmädchen erinnere, und sie lächelte darüber, während sie ihm etwas der heissen, nach Frühlingsblumen duftenden Flüssigkeit in die Tasse goss.
Eine Weile sassen sie schweigend da, mit verkreuzten Beinen auf dem Sofa, sich anblickend, beide an ihrer Tasse festhaltend, als könnten nur sie das letzte verhindern. Dann stellte sie ihr Gefäss weg, und wie in Trance tat er es ihr gleich, und fast im selben Moment trafen sich ihre Lippen, sie schmeckte nach Kaffee, Mandel und blumigem Tee, nur süss, nicht bitter, und er liess zu, daß sie weiterging, er wollte es, schon so lange, er liebte sie, und er hatte es ihr nicht sagen können.
Viel später sagte sie etwas, atemlos, mit verwuschelten Haaren, doch wunderschön, und er sah eine Träne in ihrem Augenwinkel glitzern. Ihr Blick schweifte ab zu einem Bild auf dem Nachtschränkchen, und als er das glückliche Paar im Rahmen sah, ähnlich dem Bild auf seinem heimischen Schreibtisch, wusste er, daß es nun kein Zurück mehr gab.