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Liebe und Hass
„Du hörst mir einfach nie zu!“
„Och ja, jetzt kommst du wieder mit der alten Leier, das sagst du mir jedes Mal, du bist genau wie deine Mutter.“
„Tut mir sehr leid, dass ich nicht wie deine Mutter sein kann.“
Timo und Sandra standen sich wieder mal streitend im Schlafzimmer gegenüber. Es war einer jener Streits, bei denen man irgendwann nicht mehr wusste, wer und weswegen überhaupt begonnen hatte. Es war auch nicht mehr wichtig. Seit Wochen lief es so, ein unbedachtes Wort oder eine unüberlegte Tat konnten in kürzester Zeit zu wüsten Beschimpfungen führen. Es lief immer gleich ab, sie beschimpften sich, Sandra begann zu weinen, Timo tat es leid er entschuldigte sich reumütig bei ihr und alles war für kurze Zeit wieder gut. Timo hatte es satt.
Der Punkt war inzwischen wieder erreicht. „Sechs Jahre sind wir jetzt zusammen, Timo, sechs Jahre. Seit drei Jahren leben wir jetzt zusammen und das Einzige, worüber du mit mir redest und was du mir gibst, ist bedeutungsloser Kram, du gibst mir nichts Neues, ich weiß gar nicht, worauf ich hier an deiner Seite noch warten soll.“
Tränenüberströmt warf sie sich auf das ramponierte Bett. Timo hatte es noch aus seiner vorherigen Wohnung mitgebracht, wo es schon einige Jahre hinter sich hatte, was man ihm auch deutlich ansah. Es knarrte lautstark, als sich Timo zu ihr legte. Er kannte das Szenario und wusste, was er sagen musste, um sie zu beruhigen. Oft kamen ihm zum Ende eines solchen Streits die schönen Zeiten wieder ins Gedächtnis, die sie zusammen verbracht hatten, besonders, wenn sich die Besorgnis einschlich, sie zu verlieren. Sie machten es ihm leichter, die Worte zu sprechen, die die ganze Situation beruhigen konnte, obgleich er sie schon seit langem nicht mehr richtig ernst meinte.
„Bärchen, es tut mir leid, was ich gesagt habe, ich habe es doch nicht so gemeint, ich liebe dich über alles, mein Schatz, das weißt du doch, oder?“
„Ja, das weiß ich ... aber ich ...“
„Na, siehst du, und ich möchte nicht, dass du unglücklich bist und wir uns streiten.“
„Ich möchte auch gar nicht mit dir streiten, wir streiten auch immer über total blödsinnige Sachen. Mir geht es aber nie wirklich darum. Ich möchte einfach nur endlich mit dir glücklich werden, verstehst du?“
„Ja, das verstehe ich und das möchte ich auch und das werden wir.“
Er kuschelte sich an sie und nahm sie fest in den Arm.
„Wir kriegen das hin, Hasi.“
Und damit war der Streit vorerst beendet. In der letzten Zeit hatte er diese Worte oft gesprochen und mit jedem Mal wurden sie für ihn bedeutungsloser. Mit jedem Streit kam er der Entscheidung näher, sich endgültig von ihr zu trennen. Er fasste diesen Beschluss nicht leichtfertig, hatte er doch stets geplant, spätestens bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr verheiratet und Vater von mindestens einem Kind zu sein. Doch mit seinen mittlerweile neunundzwanzig Jahren würde dies nach einer Trennung sehr schwierig werden, aber einen anderen Ausweg sah er nicht mehr.
Am nächsten Tag traf er sich mit seinem besten Freund Rafael, bei ihrem Lieblingsitaliener Luigi.
Seit der Grundschule waren die beiden befreundet gewesen, so unterschiedlich sie auch waren. Timo, der Bodenständige und Rafael, der Frauenheld, bei dem die Freundinnen häufiger wechselten als seine Tube Haargel, und die wechselte er wöchentlich. Dabei war die neue Angebetete stets die große Liebe, ehe er sie durch eine andere ersetzte. Timo nahm das schon lange nicht mehr ernst. Er dagegen hatte früher nie großes Glück bei Frauen gehabt. Während seiner gesamten Schulzeit war er immer nur einem einzigen Mädchen hinterhergelaufen, aber zu schüchtern gewesen, sie um eine Verabredung zu bitten. So kamen sie nie über den Status der Freundschaft hinaus, und Timo hatte es versäumt, sich nach anderen Frauen umzuschauen. Auch, als sich beide aus den Augen verloren hatten, lief es nicht besser für Timo. Zumindest nicht, bis er auf Sandra traf. Es war Liebe auf den ersten Blick, sie schien seine absolute Traumfrau zu sein, und so war er sich schnell sicher, mit ihr sein Leben verbringen zu wollen. Doch nichts im Leben ist vorhersehbar ...
Ihm war klar, dass er es beenden musste, doch Schluss gemacht hatte er bisher noch nie und war sich daher auch nicht sicher, wie er es anstellen sollte. Ganz im Gegensatz zu seinem Freund Rafael, dieser war ein reiner Experte auf diesem Gebiet und es war genau diese Art von Rat die Timo im Moment so dringend benötigte. Er wartete bereits an ihrem Stammtisch und Timo setzte sich zu ihm.
„Hey Timmi, wie geht’s dir? Wir haben uns ja ganz schön lange nicht mehr gesehen.“
„Tag, Rafa, ja, da hast du Recht, ich hatte deine Hackfresse schon fast vergessen, wie geht es Lydia?“
Gemeint war Rafaels letzte Eroberung, zumindest die, von der Timo wusste. Diese Information lag allerdings schon fünf Wochen zurück.
„Ach das hat einfach nicht sollen sein mit uns, weißt du. Wir waren schlichtweg nicht auf einer Wellenlänge. Ich meine, im Bett war sie super und kochen konnte sie besser als meine Mutter, aber zwischenmenschlich, da passte es einfach nicht.“
„Ich verstehe und bist du wieder mit jemandem zusammen?“
„Ja, zwei Tage später hab ich Tina kennengelernt und seit circa drei Wochen sind wir auch fest zusammen.“
Bei der Zahl “drei“ verschluckte sich Timo fast an seinem Wasser, das er gerade trank, hatten doch Rafaels bisherige Beziehungen nie viel länger als zwei Wochen angedauert. In seinen besten Zeiten hatte er innerhalb dieses Zeitraumes gar bis zu vier Frauen verbraucht. Doch im Moment ging es um ihm, er brauchte Hilfe und war nicht an anderen Dingen interessiert.
„Oh, schön für dich. Du musst sie mir unbedingt mal vorstellen, weswegen ich aber eigentlich mit dir sprechen wollte ... ich brauche deinen fachmännischen Rat.“
„Kein Problem, mein Freund, nur raus damit.“
„Also, es geht um folgendes: Vielleicht weißt du’s, vielleicht weißt du es auch nicht, aber zwischen mir und Sandra läuft es in letzter Zeit nicht mehr so rund wie früher. Wir streiten uns fast täglich, sie sagt mir, dass wir nicht vorwärtskommen und dass sie bei mir nur ihre Zeit verschwendet. Ich hab keinen Kopf mehr für andere Dinge, das ist auch der Grund, warum wir uns so lange nicht mehr gesehen haben und das will ich alles nicht mehr. Ich möchte mit ihr Schluss machen.“
„Du möchtest wirklich Schluss machen?“
„Ja, aber du weißt, dass ich das noch nie zuvor gemacht habe und keine Ahnung habe, wie ich das anstellen soll, deswegen brauche ich deine Hilfe.“
„Hast du dir das auch richtig überlegt? Du weißt, dass ich sie nicht gerade vergöttere, aber ihr seid doch schon immerhin wie lange zusammen? Fünf Jahre?“
„Sechs, ja, ich habe es mir sehr gründlich überlegt, es läuft ja nicht erst seit einem Monat so zwischen uns. Wir haben uns auch früher immer wieder mal heftig gestritten und du weißt, wie zickig sie sein kann.“
Auch Rafael und Sandra lagen hatten früher häufig Streit gehabt, bis vor etwa einem Jahr eine eigentlich harmlose Situation in einer Bar eskaliert war und zur völligen, bis heute anhaltenden Funkstille geführt hatte. Sandra hatte damals eine unbedachte Bemerkung über Rafaels Liebesleben gemacht und dafür prompt eine Retourkutsche von ihm erhalten, die sich auf ihr Leben vor Timo bezog, woraufhin sie wutschnaubend die Bar verlassen und sich seitdem geweigert hatte, wieder mit Rafael zu sprechen.
„In Ordnung, Timmi, ich helfe dir, aber nur, wenn du alles genau so befolgst, wie ich es dir sage. Du musst das knallhart durchziehen und darfst vor ihr keinerlei Schwächen zeigen. Ich weiß genau, wie wankelmütig du wirst, wenn sie weinend vor dir steht. Du musst dir deiner Sache hundertprozentig sicher sein, sonst kann ich dir nicht helfen.“
„Glaub mir, ich bin mir sicher, so sicher wie noch nie zuvor in meinem Leben.“
„Das wollte ich hören! Also am besten beginnst du folgendermaßen ...“
Timo kam bei der Fülle an Informationen, die Rafael aussandte, kaum mit, weswegen er versuchte, das Wichtigste mitzuschreiben – positive Dinge aufzählen (gemeinsame Urlaube, Jahrestage …); sagen, wie froh ich bin, sie kennengelernt zu haben; sie wird immer meine einzige Liebe bleiben; nicht zu Hause Schluss machen! …
Inzwischen hatte sich auch der Kellner an den Tisch gesellt, was Rafael zu einer leichten Kürzung seines Vortrages zwang.
„... wie auch immer, bemühe dich, um jeden Preis einen sachlichen Ton zu wahren, ansonsten wird das nichts, Kollege. Am Ende gibst du ihr noch einen Kuss auf die Stirn und gehst.“
„Ähm, okay, danke, dann lass uns jetzt bestellen, der Kellner wartet.“
„Keine Fragen, Kommentare?“
„Nein.“
„Na ja, das musst du selbst wissen, dann hätte ich gerne die Pizza Hawaii.“
„Einmal Pizza Hawaii, und für Sie, Signore?“, fragte der Kellner in erwartungsvollem Ton.
„Ich brauche noch einen kleinen Moment, wie ist denn das Chef-Schnitzel?“
„Jetzt komm schon, Timmi, jedes Mal fragst du nach dem Chef-Schnitzel und überlegst dann ´ne halbe Stunde, ob du es mal probieren sollst oder nicht, und am Ende nimmst du doch immer wieder nur ´ne Pizza Salami, obwohl du eigentlich immer das Chef-Schnitzel ausprobieren möchtest, also erspare uns diese Tirade und nimm die Pizza!“
„Jaja, schon gut, ich nehme die Salamipizza.“
„Sehr wohl, eine Pizza Hawaii und eine Pizza Salami, kommt sofort, die Herren.“
„Ich hab noch nie einen Italiener gehört, der so geschwollen redet, aber die Pizza ist klasse“, stellte Rafael mit einem Augenzwinkern in Richtung seines Freundes fest.
Das Essen kam schnell und der Tag verging hiernach noch schneller. Er hatte nach dem Essen noch eben einen Tisch für den Abend, in Sandras Lieblingsrestaurant, bestellt und war bereit, den letzten Schritt zu wagen. Trotz seines Entschlusses fühlte er sich so leer, als hätte er gerade versucht, die Intention eines Stanley Kubrick-Films zu verstehen. Er war sich nicht sicher, ob er alles richtig umsetzen könnte, noch nicht einmal, ob er die richtige Person um Hilfe gebeten hatte, doch zumindest seines Entschlusses war er sich sicher.
Einige Stunden später, es war mittlerweile Abend geworden, war Timos Zeit gekommen. Er wartete bereits am vorbestellten Tisch, als seine Noch-Freundin das Restaurant betrat und auf ihn zuging. Ihr den Stuhl zurechtrückend, begrüßte er sie.
In Gedanken ging er noch schnell die wichtigsten Ratschläge durch, die er bekommen hatte. Sachlichen Ton wahren! Positive Dinge aufzählen, einzige Liebe ...
„Schön, dass du kommen konntest. Ich habe dich hierher gebeten, weil ich dringend mit dir über etwas reden wollte.“
„Können wir nicht erst einmal bestellen, Liebling, ich hab den ganzen Tag gearbeitet und komme fast um vor Hunger.“
„Ich würde das lieber zuerst loswerden, wenn es dir recht ist, es dauert auch nicht lange.“
„In Ordnung, Liebling, ich halte es sicher noch ein paar Minuten aus.“
„Danke, also wo fange ich am besten an? Wir sind jetzt seit sechs Jahren zusammen, sechs im Großen und Ganzen sehr schöne Jahre, wie ich finde. Wir waren zusammen in Ägypten, in Russland, in Frankreich und noch an vielen anderen Orten und hatten dort immer wunderschöne Urlaube miteinander. Wir hatten unsere Höhen, aber auch Tiefen. Du warst meine erste, richtige Freundin, meine erste Liebe, und das wirst du immer bleiben, aber … in letzter Zeit haben wir uns ziemlich oft gestritten und auch schon früher gab es immer wieder Situationen, in denen wir aneinandergeraten sind ...
Umso mehr Timo sagte, desto unruhiger rutschte Sandra auf ihrem Stuhl hin und her, als werde ihr mit jedem Wort klarer, was er ihr letztlich zu sagen hatte.
„ … Aber du darfst nie vergessen, dass ich dich liebe und dass mir das Folgende nicht leicht fällt, also mein Schatz, willst du ... Ich meine, darf ich dich bitten, dass du …“
Doch Sandra hatte schon nach dem willst du gedanklich abgeschaltet.
„Ja!“, platzte es mit einem Mal aus ihr heraus.
„Ähh, “ja“ was?"
„Ja, ich will dich heiraten! Ich dachte schon, dass dieser Tag nie kommen würde, du glaubst nicht, wie oft ich in den letzten Wochen darüber nachgedacht habe, mich von dir zu trennen.“
„Was? Mich verlassen?“, fragte Timo leise, aber umso erstaunter.
„Ich hab dir so viele Hinweise gegeben, ich war so unzufrieden, deswegen habe ich wahrscheinlich auch so oft angefangen, mich mit dir zu streiten. Ich dachte, entweder will er mich jetzt bald mal heiraten oder ich such mir jemand anderen, ich bin auch nicht mehr die Jüngste – aber jetzt hat das endlich ein Ende, ich liebe dich über alles und jetzt können wir endlich miteinander glücklich werden.“
Timo fühlte sich, als wäre er gerade vom Zug überrollt worden. Alles, was sich bis gerade noch in seinem Kopf befunden hatte, war mit einem Mal wie weggeblasen und übrig war nichts als allumfassende Leere.
„Ähm, ähm ja, glücklich werden.“
„Sag ich doch, aber sag mal, wo ist eigentlich mein Ring?“
„Ring? Welcher Ring?“ Timo hatte seine Gedanken noch immer nicht klar ordnen können, dennoch kam er langsam wieder zu sich, vielleicht nicht unbedingt zu sich, aber zu irgendjemandem zumindest.
„Na, der Verlobungsring.“
„Ach, der Ring, der ist, der ist … äh … noch beim Juwelier. Ich hatte da einen richtig schönen Ring für dich, aber den hatten sie leider nicht in der richtigen Größe da. Aber keine Sorge, sie bestellen ihn nach und in zwei bis drei Tagen hast du deinen Ring, ich hätte ja noch gewartet, aber ich konnte es einfach nicht mehr abwarten, endlich um deine Hand anzuhalten.“
„Och, wie süß von dir, dann lass uns jetzt bestellen, ich hab einen Bärenhunger.“
Ja, und ich muss wohl morgen zum Juwelier …