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Liebe oder so

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07.09.2002
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Liebe oder so

1. Tag

Es war ein langweiliger Nachmittag, und die Einsamkeit trieb mich durch die bekannte Stadt. An einer Ampel stand sie, schöne Figur, wirres Haar. Teure Klamotten, aber Strümpfe mit Laufmaschen. Die Ampel war rot, als sie plötzlich auf die Fahrbahn trat. Ohne Eile überquerte sie die dreispurige Straße. Ihre Lässigkeit ließ die angreifenden Autos bremsen. Beeindruckt blieb ich stehen. Sie hatte gewonnen, meine Neugier ge-weckt und meinen Respekt erworben. Auf der anderen Straßenseite schien sie zu war-ten. Ihr Lächeln erhöhte meine Aufregung. Ich folgte ihr. Natürlich bei grün. Und sie sprach mich an. Ganz einfach.
"Ich gehe immer bei rot."

Meine Bedenken verlachte sie. Aber ein Kaffee, der tut jetzt gut. Sie war älter als ich, das Gesicht schon ein wenig eingefallen. Trotz der Wärme trug sie einen langärmligen Pullover. Im Cafe paffte sie ununterbrochen. Keine Raucherin. Nur jemand, der sich abreagiert und gerade nicht weglaufen kann. Sie stand auf, griff zum Hörer und kaufte mal eben ein Klavier am Telefon, setzte sich, aß Kuchen und war nervös.
Mir gefielen ihre Hände und die Aussicht diese Nacht nicht allein zu verbringen. Doch ich zweifelte auch. Sie sprach langsam, fast lallend. Alkohol?
"Nein, nein, ein Sprachfehler. Kommen Sie mit in die Galerie da drüben?"

Für mich war aus dem Zweifel Gewissheit geworden. Ich zahlte und ging mit höflichen Floskeln.
Und war fünf Minuten später wieder zurück. War mein Zweifel nicht Vorurteil? Und was war mit der Nacht?
Auf- und Abgehen vor der Galerie. Hatte sie gewartet? Würde sie mich überhaupt anse-hen?
Sie lachte vor Freude, und hörte nicht meine schlechte Ausrede.
"Schön, dass du wieder da bist. Ich bin Ulla."

Und es blieb beim du, der ersten Stufe der Vertrautheit.
Auch Flächen können schön sein, Farben, Formen. Sie erklärte mir in der Galerie die Bilder. Ich sah nur ihre Hände. Ebenmäßig schön, und so weich, dass ich sie fast auf meiner Haut spüren konnte.
Ich fuhr sie nach Hause. Im Auto erzählte sie von Ärger mit den Eltern, einem Beruf ohne Zukunft, und langsam schlug mich das Gewissen. Ist eine Nacht nicht viel zu ver-letztend für diese Frau?
Kein Haus, ein Palast. Wohnliches Chaos in ihrem Zimmer.
"Hier wohn ich. Machs dir bequem."

Ein bettlägeriger Vater, eine gehasste und doch verehrte Mutter. Instantkaffee aus der Marmordekortasse.
"Bei mir muss alles schnell gehen."

Kuschelsessel mit abgewetzter Spitze, vom Flohmarkt, wie die CDs, die vom Sterben handeln. "Still got the blues" von Gary Moore hörten wir. Sie trank Malventee, und sie kündigte für nachher einen Besuch bei einer Freundin an.

Unvermittelt zog sie sich aus. Ich sah ihre Beine, so schön wie ihre Hände, die kleinen Brüste, die spitzen Lippen, wenn sie an der Zigarette zog.
"Ich muss jetzt schlafen."

Ein Rausschmiss? Sie lag im Bett, sah mich mit Strahleaugen an. Nein, ich konnte mich nicht so einfach dazulegen. Das könnte ich mir nie verzeihen.

Sie fuhr nicht mehr zur Freundin, und ich musste jetzt endgültig los. Dann änderte sie ihre Meinung. Doch noch zu Annette.
"Fährst du mich hin?"

Fahrt auf Eisenbahnschienen.
Wohngemeinschaft mit kleinen Zimmern und vielen Engeln. Brasilien und lautes La-chen. Und wieder ihre Müdigkeit. Kecke Gesten und gespreizte Beine. Angedeutet Les-bisches. Faszination und ruhiger Witz. Und die Sopran-Stimme, die ihr Leben nicht meistern konnte. Abschied und schnelles Abschließen.
"Sie ist auf der Durchreise und weiß nicht wohin." Ulla konnte auch lebenstüchtig sein.

Rückfahrt. Ihr Zuhause. Ein Kuss mit spitzen Lippen, und noch einer. Und doch noch ein Tee. Ein kleiner Tee. Und sie muss ins Bett. Schläft keine Nacht richtig.

"Du musst los."
Begleitung zum Wagen. Endlich ringe ich mich durch und suche ihre Nähe. Kein Kuss mehr. Für Investitionen noch zu früh.

Und in bin kaum noch wach im Auto. Träume mit offenen Augen. Duran, Duran: "Or-dinary world". Morgen rufe ich sie an.

 

Hallo BeZeh, du hast eine merkwürdige tolle Art zu schreiben, daran muss man sich gewöhnen!

Die Sätze zum Ende hin werden kürzer und somit wird es schwieriger durchzbublicken, ansonsten toll.

So schnell habe ich mich noch nicht verknallt. Aber du?
Jedenfalls wird deutlich, was dir passiert ist. Deutlich wird, daß du dich zu dieser etwas seltsamen Frau hingezogen fühlst.


Lukasch

 

Hey BeZeh,
nette Geschichte, neigt stark zum Unglaublichen, tut der Geschichte aber keinen Abbruch.
Deine Schreibweise ist interessant und für eine Geschichte dieser Länge auch nicht einmal schlecht, du reduzierst deine Erzählung halt auf das Nötigste.
Bei längeren Geschichten bin ich aber eher skeptisch ob es funktionieren würde, wird mit zunehmender Länge der Geschichte ziemlich anstrengend.
Versuch doch mal es ein klein wenig aufzulockern.
Ansonsten ziemlich gut die Geschichte.
Gruss
Roman

 

Hallo,

ich habe den Eindruck, dass Emotionen eher Sachverhalte bei dir sind. Der Stil ist sehr aussergewöhnlich, ich vermag nicht recht zu sagen, ob professionell oder ein Experiment.
Der Protagonist ist unsicher!

Nochmal zum Stil!
Der Stil veranlasst zum antizipieren, zum nachdenken.
Jedenfalls alles andere als flüssig, aber nicht alles andere als gut.

Archetyp

 

Hey Archetyp, Roman und Lukasch,

ich freue mich über euer feedback.

Der Stil ist nicht geplant, sondern hat sich beim Schreiben ergeben. Er ist sogar (um den Einstieg für den Leser zu erleichtern) abgemildert.

Tatsächlich ich verliebe mich leicht und nehme dann auch nur noch teilweise wahr. Wie ein Verliebter eben.
Bleibt nur noch die Frage, ob Verliebtheit auch Liebe ist.

BeZeh

 

Hallo BeZeh!

Gefällt mir irgendwie die Geschichte. Ich kann mir die Frau, die Wohnung und die Situationen richtig vorstellen, obwohls eigentlich relativ knapp geschrieben ist.

Unsentimental aber trotzdem irgendwie mit Gefühl. Sie wirkt ziemlich realistisch bzw. "aus dem Leben gegriffen". Das war der erste Tag. Folgt eine Fortsetzung?

klara

 

Hallo BeZeh,

Wirklich toller Text, der im Verlauf immer besser wird!
Sprachlich/stilistisch sehr schön, spannende Figuren, spannende Geschichte. Mehr davon!


Meine Anmerkungen:

1.

Aber ein Kaffee, der tut jetzt gut
Aber ein Kaffee, der tätejetzt gut

2.

Natürlich bei grün.
Bei grün. (Ohne das "natürlich" ist die Komik später größer.)

LG Petra

 

Hallo klara und petdays,
danke für eure Meinung. Ein Fortsetzung der Geschichte gibt es unter "Telefonieren".

Bis dann
BeZeh

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi BeZeh,
mir hat Deine Geschichte auch nicht schlecht gefallen. Der Stil ist wirklich gewöhnungsbedürftig, aber er passt zum Inhalt, so lakonisch irgendwie und realistisch. Besonders gefallen mir die Gegensätze, die Du bildest, z.B. "An einer Ampel stand sie, schöne Figur, wirres Haar. Teure Klamotten, aber Strümpfe mit Laufmaschen." So etwas kommt viel besser rüber als bloße romantische Verklärtheit, die man in so vielen Stories dieser Art findet.

Du hast noch einige unnötige Trennstriche im Text, die solltest Du entfernen, z.B. bei

Würde sie mich überhaupt anse-hen?
Das erschwert das Lesen zusätzlich.

Etwas verwirrt hat mich die Formulierung:

Im Cafe paffte sie ununterbrochen. Keine Raucherin.
Hö? Also, selbst wenn sie das Zeug nicht inhaliert und es nicht oft macht, bleibt sie für mich damit trotzdem eine Raucherin.

Gruß, Ginny

 

Hi Ginny,

die Mittelstriche sind (auch wenn sie ein nettes Stilmittel sein könnten) keine Absicht. Deine zweite Bemerkung kommentiere ich nicht. Buch´ das "Paffen" einfach unter künstlerische Freiheit ab.

Tschau,
Joachim

 

Hey,

ich find die Geschichte klasse, man muß um die Ecke denken um folgen zu können, das find ich gut.
Liest sich für mich sehr leicht und, ja eben, schnell. Was ich als angenehm empfinde, weil ich dabei schmunzeln muß.
Sowohl inhaltlich als auch stilistisch.

Grüße

Sanne

 

Nur als Lesetipp:
Die Fortsetzung von "Liebe oder so" und "Telefonieren" findet ihr in "4.Tag".

BeZeh

 

Hi BeZeh!

Nun entdecke ich, dass ich Deine Geschichte in völlig wirrer Reihenfolge lese, aber das tut ihr gar keinen Abbruch! Dieser erste Teil gefällt mir mindestens so gut wie der dritte, gerade weil Deine Sprache so ungewöhnlich ist und dadurch den Inhalt viel näher bringt, als wenn Du eine glatte, altbekannte Sprache verwenden würdest.

Kurz zu den Trennstrichen: Wenn Du Deinen Text aus einem Textverarvbeitungsprogramm hierher kopierst, nimm dort vorher die Silbentrennung heraus, das kann kg.de nämlich nicht umsetzen.
Um sie jetzt nachträglich loszuwerden kannst Du auf den "Bearbeiten" Button am Ende Deiner Geschichte klicken und dann bearbeiten.

Bin auf den Mittelteil der Geschichte gespannt!

chaosqueen :queen:

 

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