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Liebe meines Lebens

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04.03.2017
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Liebe meines Lebens

Der Bus ist dunkel und still. Viele schlafen. Die Stimmung ist gedrückt und melancholisch. Mein Handy ist leer, ich kann keine Musik mehr hören. Mein Blick schweift durch den Bus. Das gleichmäßige Brummen des Motors ist der monotone Soundtrack zu den gleichbleibenden Bildern der grauen Autobahn. Die Leitplanke zieht ihren endlosen Weg durch die diesige Nachtluft. Die Spurenmarkierungen wiederholen ihr Spiel des Erscheinens und Verschwindens. Der Geruch von Rosen kriecht in meine Nase. Aufmerksam nach der Herkunft des Duftes suchend, trifft mein Blick meine Sitznachbarin. Braune Locken hängen ihr schulterlang ins Gesicht. Die geschlossenen Augen lassen die Farbe der Iris nicht erkennen. Der gekräuselte Mund bildet eine kleine Falte, die ihrem Gesicht einen wunderschönen Anblick verleiht. Ich schaue sie glücklich an. Ich lehne mich zu einem Kuss vor. Lächelnd erwacht sie aus ihrem Halbschlaf. Ich lege meinen Arm um sie und sie schläft auf meiner Schulter wieder ein. Wir heiraten eine Woche später. Sie sieht wunderschön aus, wie sie in ihrem Brautkleid zum Altar schreitet. Aufmunternd lächelt mir ihr Vater zu. Wir sprechen die Worte. Ich küsse die Braut. Unsere Familien und Freunde klatschen lächelnd. Die Stimmung ist ausgelassen. Am Ende des Abends tanzen wir einen langsamen Tanz zu unserem Lied. „Ich liebe dich“, flüstere ich in ihr Ohr. „Ich dich auch“, antwortet sie. Die Hochzeitsnacht ist großartig. 9 Monate später eile ich ins Krankenhaus. Sie liegt schon in einem der Betten. Sie lächelt kurz, als sie mich erblickt, dann setzen die Wehen wieder ein. Ich halte ihre Hand. Sie drückt sie fest. Einige Zeit später halte ich unser schreiendes Baby im Arm. Erleichtert und müde schaut meine Frau mich an. Die ersten Monate nagen an unseren Nerven. Wir kriegen kaum Schlaf. Das Baby kriegt eine Grippe. Noch nie habe ich unter so einem Schlafmangel gelitten. Bald kann ich das Schreien nicht mehr hören. Doch es wird besser. Mit Stolz schaue ich meinem Sohn beim Wachsen zu. Ein Jahr später befinde ich mich erneut im Krankenhaus. Die zweite Geburt. Diesmal ist es ein Mädchen. Wir sind jetzt eine Bilderbuchfamilie. Erneut müssen wir uns durch die anstrengenden Monate schaffen. Doch danach wird alles gut. Beide lernen laufen, kommen in den Kindergarten, erreichen das Grundschulalter. Die Kinder sind schlau. Sie sind gut in der Schule und haben viele Freunde. Und sie sind wunderschön. Beide wachsen prächtig heran. Mit dem Gymnasium sinkt der Notenschnitt, aber beide entwickeln sich großartig. Sie gehören zu den beliebtesten Schülern ihrer Stufen. Bald bringt er seine erste Freundin nach Hause. Sie folgt nicht viel später. Als er mit 18 auszieht, werde ich melancholisch. Ich vermisse ihn, aber er hat nach einem guten Abitur mit dem Studium angefangen. Sie tut es ihm gleich. Nach meiner Rente reisen wir viel. Wir haben sehr gut ausreichend Geld. Wir besuchen die ganze Welt. Trotz des steigenden Alters ist meine Frau immer noch wunderschön. Ich erkenne noch die junge Frau in ihr. Als sie stirbt bin ich todtraurig. Bei der Beerdigung ist die Kirche ganz gefüllt. Sie hatte viele Freunde. Meine letzten Jahre lebe ich alleine, doch meine Kinder besuchen mich häufig. Ich habe jetzt Enkel, die die Besuche bei Opa lieben. Einige Jahre später sterbe ich an Altersschwäche. Ich hatte mich einfach Schlafen gelegt. Der Bus hält. Die Fremde steht auf. Die Liebe meines Lebens steigt aus dem Bus.

 

Lieber Malte,

ich begrüße dich bei den Wortkriegern und wünsche dir hier eine gute Zeit.

Ich vermute, dass dieser Text einer deiner ersten oder sogar dein erster ist. Die Idee finde ich gut (wenn auch nicht unbedingt originell): Ein junger Mann sitzt in einem Bus neben einer schönen Frau, duselt weg und erträumt sich ein perfektes Leben mit ihr. Dann hält der Bus. Sie steigt aus und verschwindet aus seinem Leben.

Kurt Tucholsky hat in seinem Gedicht ‚Augen in der Großstadt’ eine ähnliche Situation beschrieben:

Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider -
Was war das? vielleicht dein Lebensglück...
vorbei, verweht, nie wieder.

Wie in diesem Gedichtvers beschäftigt sich auch dein Text mit der Frage: Was wäre wenn? Leider handelst du die Antwort auf diese Frage beinahe protokollarisch ab. Eins geschieht nach dem anderen, alles läuft beinahe perfekt ab. Nur hin und wieder lese ich neben dem äußeren Geschehen von den Emotionen oder Gedanken deiner Protagonisten:
Erleichtert und müde schaut meine Frau mich an.

Mit Stolz schaue ich meinem Sohn beim Wachsen zu.

Als er mit 18 auszieht, werde ich melancholisch.

Ich erkenne noch die junge Frau in ihr.

Als sie stirbtK bin ich todtraurig.

Diese Emotionen gehen fast unter in deiner berichtartigen Darstellung des gemeinsamen Lebens. Jede einzelne steht dabei ja für ein ganz komplexes Geschehen: die Geburt, der Stolz auf den Sohn, die Traurigkeit, als dieser weggeht, die Rührung, wenn er in der jetzt alten Frau die junge wiedererkennt und zum Schluss der Verlust der geliebten Frau. Da steckt sehr vieles drin, was in deiner verkürzten und verknappten Darstellung auf der Strecke bleibt.

Für mein Empfinden hätte die Busfahrt ruhig länger dauern können. Und der Traum hätte auch keinen chronologischen Ablauf haben müssen. Mir hätten ein paar aussagekräftige und bewegende Szenen der gemeinsam verbrachten Zeit besser gefallen. Deine Intention des ‚Was-wäre-wenn’ hätte sich mMn auch in ihnen vermitteln lassen. So ist mir dein Text leider zu kurz und spricht mich als Leser aufgrund seines distanzierten Erzähltons nicht wirklich an.

Dabei formulierst du eigentlich recht gut. Besonders die Bilder des Anfangs haben mir sehr gefallen.

Der Bus ist dunkel und still. Viele schlafen. … Mein Blick schweift durch den Bus. Das gleichmäßige Brummen des Motors ist der monotone Soundtrack zu den gleichbleibenden Bildern der grauen Autobahn. Die Leitplanke zieht ihren endlosen Weg durch die diesige Nachtluft. Die Spurenmarkierungen wiederholen ihr Spiel des Erscheinens und Verschwindens.
Sehr schön.
Leider fehlen in der folgenden Beschreibung solche schönen Formulierungen, die mir Stimmung und Atmosphäre des Geschehens vermitteln.

Noch ein paar Kleinigkeiten:

Braune Locken hängen ihr schulterlang ins Gesicht.
Das geht nicht.

Erneut müssen wir uns durch die anstrengenden Monate schaffen.
Das Verb passt hier nicht.

Die Kinder sind schlau.
Du meinst vermutlich ‚klug’. Schlau hat auch eine negative Bedeutung: Neben ‚klug’ meint es auch oft ‚listig’. Das möchtest du doch sicher nicht sagen.

Wir haben sehr gut ausreichend Geld.
Hier stimmt etwas nicht.

Ich hatte mich einfach Schlafen gelegt.
sich schlafen legen

Lieber Malte: Vielleicht helfen dir mein Feedback und meine Kritikpunkte und du machst dich noch mal an deinen kleinen Traum. Sprachlich könntest du eine ausführlichere Geschichte sicher schaffen.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Hallo Malte,

so ein Tagtraum bietet viele Möglichkeiten für fantasievolle Szenarien. Auch für solche, die ein ganzes Leben umfassen. Da ist allerdings die Gefahr groß, dass nur eine Chronik der Ereignisse dabei herauskommt oder du gleich einen ganzen Roman schreiben musst.

Ist es wirklich so, dass ein junger Mann (dein Protagonist) sich einen Lebensentwurf einschließlich liebevoller Enkel entwirft?

Weniger wäre hier mehr. Es geht ja um Glücksgefühle. Zum Beispiel besondere Höhepunkte, die sich dein Prot vorstellt. Dass er dabei die langweiligen, eventuell mühseligen Niederungen des Alltags nur kurz streift, kann ich zwar nachvollziehen, aber der Lebensentwuf deines Prot hat für mich etwas Schematisches, fast wie eine Hausaufgabe: Wie stellst du dir dein Leben vor?

Zum Sprachlichen noch ein paar Gedanken. Du kannst mit Sprache gut umgehen, weitgehend fehlerfrei.
Da sind wir hier im Forum sehr dankbar.

Zum Stil fällt mir auf, dass dein Anfang poetische Bilder malt und dann im Berichtsstil - ich möchte fast sagen - versandet. Da sehe ich ein Ungleichgewicht. Es hängt auch damit zusammen, was ich zum Inhalt ausgeführt habe.

Einzelheiten:

Der Bus ist dunkel und still

Mir würde besser gefallen:

Im Bus ist es dunkel und still

Das würde den Fokus auf die Personen im Bus richten und nicht auf den Bus als Handlungsträger. Ich dachte schon, der Bus bekommt ein Eigenleben.

wunderschön, glücklich, großartig

Das sind Allerweltsadjektive, die kein Bilder erzeugen. Überhaupt ist das Thema Adjektive ganz zentral für das Schreiben von Kurzgeschichten. Falls du am Schreiben dranbleiben willst, wirst du hier im Forum viele Hinweise bekommen.

So viel für den Anfang.

Freundliche Grüße
wieselmaus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hej,

Also mir hat der Ansatz gut gefallen. Ich hätte mir tatsächlich eine längere Geschichte gewünscht. Sowohl Anfang als auch Wendung sind gut gelungen, aber in der Mitte schwächelt es inhaltlich (das haben die anderen ja schon kommentiert).

Wenn ich mir den Plot so anschaue, dann vermisse ich die gemeinsamen Erlebnisse der beiden. Was verbindet die beiden miteinander? Nur das treffen im Bus ... schwach! Das Problem ist, dass du es zu abstrakt hältst. Ich als Leser will Emotionen, und die gibst du mir nicht. Du zeigst mir nur das vermeintlich perfekte Leben, das eh kaum jemand hat und du lässt mich mit den Details hängen. Mache es nicht allgemein perfekt, sondern mache das Leben perfekt für deine träumende Hauptfigur. Was kennzeichnet seine perfekte Welt und warum? Vielleicht hasst er ja Fisch und sie muss es dann eben auch hassen usw ..

Hilsen,
Tio

 

Lieber barnhelm ,
vielen Dank für die ausführliche Kritik. Tatsächlich ist das mein erster Beitrag und ich habe das Korrekturlesen übersprungen. Bei den aufgezählten Sätzen hast du Recht, dabei handelt es sich um Fehler, die ich bei einem zweiten Lesen überarbeitet hätte.
Auch danke an wieselmaus und ltilo . Ich denke ich werde den mittleren Teil noch einmal für mich selbst überarbeiten.

Ich habe mich sehr gefreut, gute, ausführliche und konstruktive Kritik zu erhalten.

 

Hola Malte,

in den drei Kommentaren steht schon alles, was wichtig ist – also muss ich das nicht wiederholen.
Doch jetzt lese ich in Deiner Antwort:

Ich denke K ich werde den mittleren Teil noch einmal für mich selbst überarbeiten.
Das finde ich gut, und das genau wäre der Punkt, den ich angesprochen hätte.
In dieser Version lese ich:
Der Prot verguckt sich in seine Sitznachbarin – ein bildschönes Mädchen. Da sollte ihn doch der erotische Blitz treffen! Doch unser Freund beginnt zu träumen. Er ist eine Schlaftablette, ein angehender Bausparer, ein Halmaspieler. Malt sich sein weiteres Leben so sterbenslangweilig aus, dass der Leser abwinkt und gähnt.

Lieber Malte, stell Dir den Prot doch mal als aufgeweckten, optimistischen jungen Mann vor, der im Leben etwas erreichen und etwas erleben will. Mit ihr! Wie mit ihm die Fantasie durchgeht, er sich alles Mögliche vorstellt, wie er sie verwöhnen und überraschen, manchmal auch beeindrucken will:)!
Rüttle den mal wach, damit die Leser Spaß haben!

Viele Grüße!
José
PS.: Die ersten Sätze fand ich sehr gelungen.
Und bitte mach Absätze in den Text-Block.

 
Zuletzt bearbeitet:

offtopic josefelipe

josefelipe schrieb:
Doch jetzt lese ich in Deiner Antwort:
Ich denke K ich werde den mittleren Teil noch einmal für mich selbst überarbeiten.

Du weißt aber schon, José, dass deine Art zu zitieren allen einschlägigen Standards zum korrekten Zitieren widerspricht, oder? In Wahrheit nämlich verfälscht du durch eigene Einfügungen, die du nicht als solche kennzeichnest, die Aussage desjenigen, den du zitierst.

(Oder, ganz anders gesagt: Fehler, die sich in Geschichten finden, anzumerken, ist hilfreich und lobenswert. Aber jemandem Kommafehler aus dessen Kommentaren oder Kommentarantworten unter die Nase zu reiben - im Rahmen eines "Gesprächs" sozusagen, nichts anderes ist das Diskutieren unter Texten - halte ich persönlich einfach nur für selbstgefällig und überheblich, um nicht zu sagen, für oberlehrerhaft. Ist einfach schlechter Stil. Und weil du das immer und immer wieder tust und mich das jedesmal nervt, wollte ich dir das jetzt einfach mal sagen.)

Nichts für ungut.

offshore

(Zu dem Thema gibt es übrigens einen einschlägigen Thread.)

 

Hola ernst offshore

ernst offshore: schrieb:
... halte ich persönlich einfach nur für selbstgefällig und überheblich, um nicht zu sagen, für oberlehrerhaft.

Jawohl, Herr Oberlehrer.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Malte

eins musst du wissen über dieses Forum, was Verborgenes, das sich zwischen den Zeilen liest, sich im kriegerischen Umgang der Mitglieder verbirgt: die Gefechte um Worte und Wendungen sind rau und oft weit entfernt davon sich gegen den Autor zu richten, oft werden Eitelkeiten gespiegelt und sie werden mit mehr oder wniger liebevollem Charme ausgetragen. So auch hier. Was aber die Suppe würzt.

Herzlich willkommen:thumbsup:

ah: und josefelipe und ernst offshore:
Ich habe seit gestern mehrere Orakle befragt, vom delphischen keine Antwort erhalten, zu profan hieß es, vom Kaiserin-Sissi-Orakel nur ein Kichern und von zwei anderen, deren Namen ich nicht verraten darf, weil sie um ihre Wirksamkeit fürchten unisono folgendes:

der Oberlehrerhaftere von euch beiden ... ist.... ist...
wurde kein Klarname genannt, nur ein prozentuales Verhältnis: 20% zu 80% bzw. 31,3 % zu 68,7%
Beide haben allerdings folgendes angemerkt: Wagte es einer der Kombattanten den Disput über die Oberobelehrerhaftigkeit fortzuführen, müssten Löschzüge ausrücken und Feuer über die Häupter der Verursacher geschüttet werden.

Beste Abendgrüße
Isegrims

 

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