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Liebe Luna

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13.09.2007
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Liebe Luna

Vor ein paar Tagen forderte mich Facebook auf, deine Geburtstagsfeier mit dir zu planen. Gestern habe ich ein paar Zeilen und Blumen auf deinem Profil hinterlassen. Zwei Facebookfreunde haben dir gratuliert, im Netz lebst du weiter. Facebook hat davor gewarnt, Profile Verstorbener zu löschen, dass würde deren Freunde traumatisieren. Ich bin gerne auf deinem Profil, es tröstet mich. Schaue mir deine Fotos an, lese die Posts, hinterlasse selbst etwas in Erinnerung an dich. Ich habe dir sogar auf WhatsApp geschrieben, obwohl ich nicht glaube, dass der Himmel WLAN hat.
39 wärst du gestern geworden. Ein Alter, dass viele über Jahre beibehalten, eventuell noch mit a, b, c… ergänzen. Das ist wohl der Schrecken der runden Zahlen, die eine neue Dekade einläuten, uns von der Jugend weiter entfernen und näher zum Grab bringen. Du wärst gerne alt geworden. Hättest gerne deine Tochter aufwachsen sehen, Zeit mit deinem Mann, Familie und Freunden verbracht, die Welt bereist und - Luna, bereist du jetzt den Kosmos?
Deine Zeit war knapp bemessen, das wusstest du schon lange. Dieses Wissen hast du zu deinem Vorteil genutzt. Hast in deine Nicht-mal-neununddreißig-Jahre so viel Leben gefüllt, wie in durchschnittlichen Hundert kaum hinein passt. Du hattest so viele Facetten. Warst mutig, flippig, witzig, verrückt, ehrlich, freundlich und authentisch. Ein feiner Kerl, wie eine Freundin sagte. Eine ehrliche Haut, so möchte ich dich charakterisieren. Eine andere beschrieb dich als einzigen pinken Grufti, den sie kennt. In unserer Mädelsgruppe, vor 12 Jahren, haben wir uns scherzhaft mit den Sex-and-the-city-girls identifiziert. Du warst abwechselnd Carrie und Samantha, ich war immer nur die langweilige Miranda.
Das beste an dir für mich war deine Herzensgüte und, dass man auf dich zählen konnte. Irgendwie warst du schon zu Lebzeiten überirdisch. Wenn du erschienst, war es so, als würde das Licht sehr viel heller strahlen. Aber manchmal warst du auch voller Trauer, in mitten von Menschen, doch ganz weit weg, wie in einer schwarzen Wolke verborgen.
Luna, du hallst nach in denen, die dich lieben. Nicht nur im Netz wirst du noch sehr lange leben. Solch eine wie dich brauchten sie im Himmel. Falls es den Himmel als das Paradies gibt.

Eines nachts träumte ich, ich hätte den Besuch bei dir verschlafen.
Hastiger Griff in meinen Kleiderschrank, ziehe eine schwarze Hose und Bluse heraus, die ich nicht kenne. Sie passen nicht, schlappern an mir herum, doch ich muss los zu dir. Du bist nicht in deinem Krankenbett. Ich suche dich in einem lichtdurchfluteten römischen Tempel. Leichtfüßig kommst du die Steinstufen herunter. Ein leuchtend weißes Gewand umspielt deinen kräftigen, gesunden Körper. Du lächelst vergnügt. Deine Wangen sind voll, deine Haut ist rosig.
Das muss am Cortison liegen, denke ich im Traum.
Von dir geht dieses Leuchten aus, noch heller als jemals zuvor.
„Du zitterst ja so, warum denn?“, fragst du.
Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich zittere.
„Ich weiß es nicht.“, flüstere ich.
Du umarmst mich, gibst mir Halt.

Als ich dich am folgenden Tag besuchte, sahst du aus wie 'Der Schrei'. Das Röcheln deines Atems schmerzte mich. Ich habe dir eine Geschichte erzählt:

Es waren Zwillingsbrüder, die nicht geboren werden wollten. Niemand, der vor ihnen diesen Schoß verlassen hatte, war jemals zurückgekommen, um darüber zu berichten, dass es ein Leben außerhalb des Mutterleibes gäbe.
„Sicher ist es nach der Geburt aus und vorbei mit uns.“, weinten sie und fragten sich:
„Was ist das für eine Mutter, die uns ausstößt? Was hatte unser Leben für einen Sinn, wenn jetzt schon alles vorbei ist?“
Es half nichts, sie wurden geboren. Das Danach übertraf ihre kühnsten Träume.

In der folgenden Nacht bist du gestorben. Verzaubert sahst du aus, wie im Dornröschenschlaf, der Tod dein Prinz. Es half nichts, er hat dich erlöst.

Ich möchte diesen Sommer 50 werden, nicht 49a. Ich will steinalt werden, runzelig und voller Altersflecken. Ich will einen Schmerbauch kriegen und Arthritis, Schwerhörigkeit, Fehlsichtigkeit, Altersschwachsinn. Schwachsinnig werde ich ganz bestimmt, bin jetzt schon grundverwirrt, wie du einmal zu mir sagtest. Alles das, was dir verwehrt wurde, will ich willkommen heißen, falls mir diese Gnade geschenkt wird. Meine Jahre will ich mit Lieben, Lachen, Verrücktheit, Güte füllen. Der Trauer und den anderen emotionalen Zaungästen will ich gebührenden Raum geben. Ein bisschen so, wie du es getan hast. Etwas 'Luna' will ich in mir bewahren, solange ich lebe.
Freundin, mach es gut, bis wir uns wiedersehen, oder auch nicht, wer weiß das schon. Keiner ist bisher zurückgekommen, um darüber zu berichten.

P.S.: Liebe Grüße von den Terra Brüdern. Sie haben nach dir gefragt.

 

Hallo Damaris,

ich habe deine Geschichte gelesen und muss sie erst einmal emotional aufnehmen.

Schwachsinnig werde ich ganz bestimmt, bin jetzt schon grundverwirrt, wie du einmal zu mir sagtest.
Erst dachte ich, am Ende fehlt der Doppelpunkt, aber anscheinend sprach Luna vom grundverwirrt sein - und da bin ich ebenfalls verwirrt, Was meint das und was hat das mit Schwachsinn zu tun? An der Stelle konnte ich dir nicht ganz folgen.

Liebe Grüße

Jobär

 

Hej Damaris,

du hast ein sehr schönes Thema aufgegriffen, zeitgemäß, elementar und diskutabel.
Die Verpackung sagt mir persönlich nicht zu. Ich habe scheinbar ein Problem mit Nähe innerhalb einer zu lesenden Geschichte. :shy:
Sie hört sich sehr nach einem persönlichen Nachruf an und alles in mir sträubt sich.

Vielen Dank für die Inspiration und den liebevollen Ton.

Freundlicher Gruß, Kanji

 

Hallo Damaris,

Ist es schon so weit gekommen, dass in unserer zunehmend digitalisierten Welt das Facebook-Profil ein virtuelles Grab und damit einen Ort der Trauer und Erinnerung bildet? Dein Prot. muss schon echt verzweifelt sein...
Spaß bei Seite :)

Deine kleine Erzählung hat mich doch ein wenig angesprochen. Als Brief (Oder vielleicht doch eher als gedenkende Whatsapp-Nachricht^^) verfasst hat deine Geschichte viel Persönliches, dass Emotionen gut herüberbringt.

Deine kleine,niedliche Zwillings-Erzählung hat mir außerdem sehr zugesagt. Interessanter Gedanke über die Vergänglichkeit aus einem doch recht unüblichem Blickwinkel :D

Lg Chocier

 

Hallo Jobär,Kanji und Chocier,

vielen Dank für eure Kritik. Schön, dass die Geschichte euch auch ein wenig gefallen hat.
Grundverwirrt ist ein Kunstwort. Heißt so viel wie angeboren verwirrt oder eben schwachsinnig, was aber in diesem Fall als Scherz gemeint ist.

LG Damaris

 

Liebe Damaris,

die erste Geschichte, die ich überhaupt geschrieben habe, hatte ein ganz ähnliches Thema.
Sie liegt heute in meinem persönlichen Giftschrank, weil sie so viel mit mir zu tun hat, dass ich sie nicht veröffentlichen möchte. Es ist schön, dass Du hier mutiger warst. Ich war gerührt.

Viele Grüße

Xayide

 

Liebe Xayide,
vielen Dank, damit hast du mir eine große Freude gemacht!
Lieben Gruß Damaris

 

Hallo Damaris,

deine Geschichte hat mich berührt, sie vermittelt einen liebevollen Grundton. Aber dennoch kommt sie mir 'zu nah' - als ob dies gar keine Geschichte, sondern ein wirklicher Brief an eine wirklich Verstorbene wäre. Das lässt mich gewissermaßen unschlüssig lesen, als ob ich ein Briefgeheimnis verletzen würde. Als Teil einer umfassenderen Story wäre mir dieser Brief daher - zwecks Einordnung - lieber gewesen. Besonders gefallen hat mir

Ich habe dir sogar auf WhatsApp geschrieben, obwohl ich nicht glaube, dass der Himmel WLAN hat.
Da kommt das Ewige mit dem Zeitgeist in einem einzigen Satz zusammen.

Viele Grüße,
Eva

 

Hallo Eva,

Da kommt das Ewige mit dem Zeitgeist in einem einzigen Satz zusammen.

Das hast du sehr schön gesagt!
Die KG ist sehr persönlich, aber literarisch von der wahren Geschichte entfernt worden.
Einen Rahmen darum zu bauen, dass ist eine sehr gute Idee. Aber dafür muss ich sie wohl noch ein bisschen liegen lassen.

Vielen Dank, liebe Eva (meine kleine Schwester heißt auch so), LG Damaris

 

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