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Liebe Luna
Vor ein paar Tagen forderte mich Facebook auf, deine Geburtstagsfeier mit dir zu planen. Gestern habe ich ein paar Zeilen und Blumen auf deinem Profil hinterlassen. Zwei Facebookfreunde haben dir gratuliert, im Netz lebst du weiter. Facebook hat davor gewarnt, Profile Verstorbener zu löschen, dass würde deren Freunde traumatisieren. Ich bin gerne auf deinem Profil, es tröstet mich. Schaue mir deine Fotos an, lese die Posts, hinterlasse selbst etwas in Erinnerung an dich. Ich habe dir sogar auf WhatsApp geschrieben, obwohl ich nicht glaube, dass der Himmel WLAN hat.
39 wärst du gestern geworden. Ein Alter, dass viele über Jahre beibehalten, eventuell noch mit a, b, c… ergänzen. Das ist wohl der Schrecken der runden Zahlen, die eine neue Dekade einläuten, uns von der Jugend weiter entfernen und näher zum Grab bringen. Du wärst gerne alt geworden. Hättest gerne deine Tochter aufwachsen sehen, Zeit mit deinem Mann, Familie und Freunden verbracht, die Welt bereist und - Luna, bereist du jetzt den Kosmos?
Deine Zeit war knapp bemessen, das wusstest du schon lange. Dieses Wissen hast du zu deinem Vorteil genutzt. Hast in deine Nicht-mal-neununddreißig-Jahre so viel Leben gefüllt, wie in durchschnittlichen Hundert kaum hinein passt. Du hattest so viele Facetten. Warst mutig, flippig, witzig, verrückt, ehrlich, freundlich und authentisch. Ein feiner Kerl, wie eine Freundin sagte. Eine ehrliche Haut, so möchte ich dich charakterisieren. Eine andere beschrieb dich als einzigen pinken Grufti, den sie kennt. In unserer Mädelsgruppe, vor 12 Jahren, haben wir uns scherzhaft mit den Sex-and-the-city-girls identifiziert. Du warst abwechselnd Carrie und Samantha, ich war immer nur die langweilige Miranda.
Das beste an dir für mich war deine Herzensgüte und, dass man auf dich zählen konnte. Irgendwie warst du schon zu Lebzeiten überirdisch. Wenn du erschienst, war es so, als würde das Licht sehr viel heller strahlen. Aber manchmal warst du auch voller Trauer, in mitten von Menschen, doch ganz weit weg, wie in einer schwarzen Wolke verborgen.
Luna, du hallst nach in denen, die dich lieben. Nicht nur im Netz wirst du noch sehr lange leben. Solch eine wie dich brauchten sie im Himmel. Falls es den Himmel als das Paradies gibt.
Eines nachts träumte ich, ich hätte den Besuch bei dir verschlafen.
Hastiger Griff in meinen Kleiderschrank, ziehe eine schwarze Hose und Bluse heraus, die ich nicht kenne. Sie passen nicht, schlappern an mir herum, doch ich muss los zu dir. Du bist nicht in deinem Krankenbett. Ich suche dich in einem lichtdurchfluteten römischen Tempel. Leichtfüßig kommst du die Steinstufen herunter. Ein leuchtend weißes Gewand umspielt deinen kräftigen, gesunden Körper. Du lächelst vergnügt. Deine Wangen sind voll, deine Haut ist rosig.
Das muss am Cortison liegen, denke ich im Traum.
Von dir geht dieses Leuchten aus, noch heller als jemals zuvor.
„Du zitterst ja so, warum denn?“, fragst du.
Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich zittere.
„Ich weiß es nicht.“, flüstere ich.
Du umarmst mich, gibst mir Halt.
Als ich dich am folgenden Tag besuchte, sahst du aus wie 'Der Schrei'. Das Röcheln deines Atems schmerzte mich. Ich habe dir eine Geschichte erzählt:
Es waren Zwillingsbrüder, die nicht geboren werden wollten. Niemand, der vor ihnen diesen Schoß verlassen hatte, war jemals zurückgekommen, um darüber zu berichten, dass es ein Leben außerhalb des Mutterleibes gäbe.
„Sicher ist es nach der Geburt aus und vorbei mit uns.“, weinten sie und fragten sich:
„Was ist das für eine Mutter, die uns ausstößt? Was hatte unser Leben für einen Sinn, wenn jetzt schon alles vorbei ist?“
Es half nichts, sie wurden geboren. Das Danach übertraf ihre kühnsten Träume.
In der folgenden Nacht bist du gestorben. Verzaubert sahst du aus, wie im Dornröschenschlaf, der Tod dein Prinz. Es half nichts, er hat dich erlöst.
Ich möchte diesen Sommer 50 werden, nicht 49a. Ich will steinalt werden, runzelig und voller Altersflecken. Ich will einen Schmerbauch kriegen und Arthritis, Schwerhörigkeit, Fehlsichtigkeit, Altersschwachsinn. Schwachsinnig werde ich ganz bestimmt, bin jetzt schon grundverwirrt, wie du einmal zu mir sagtest. Alles das, was dir verwehrt wurde, will ich willkommen heißen, falls mir diese Gnade geschenkt wird. Meine Jahre will ich mit Lieben, Lachen, Verrücktheit, Güte füllen. Der Trauer und den anderen emotionalen Zaungästen will ich gebührenden Raum geben. Ein bisschen so, wie du es getan hast. Etwas 'Luna' will ich in mir bewahren, solange ich lebe.
Freundin, mach es gut, bis wir uns wiedersehen, oder auch nicht, wer weiß das schon. Keiner ist bisher zurückgekommen, um darüber zu berichten.
P.S.: Liebe Grüße von den Terra Brüdern. Sie haben nach dir gefragt.