Hallo alexei
Bei deinen Texten hab ich jeweils das Gefühl, das Handwerk hinkt dem Anspruch hinterher. Aber ich dreh das lieber um und sage, dein Handwerk muss sich entwickeln, um dem Anspruch zu genügen. Ich hoffe, ich kann dabei helfen:
Erstens: Vor allem bei einer solch kurzen Geschichte muss der Text elegant und schlank bleiben, da sticht der erste Abschnitt negativ heraus:
Janas Augen waren heute mit Eyeliner betont. Die Pupillen waren tiefschwarz, dann kam die Iris, die wie eine Perle grünlich funkelte und dann - nein, die Iris, wenn man da näher hinsah, erkannte man Schlieren und deshalb schienen ihre Auge[n] eher aus Mandalas. Wegen dem Eyeliner wirkten sie aber wie Edelsteine. Und zusätzlich waren ihre Augen wie fein mit einem Pinsel aufgemalt, ich weiß aber nicht, wie sie das hinkriegte.
Illusionen machte ich mir nicht. Wenn du nur wüsstest, was ich wirklich bin, du hättest mich sofort verlassen, Jana.
Das ist ganz furchtbar umständlich. Pupillen = w, dann die Iris = x oder nein, doch nicht. Die Iris also wie y. Aber wirken tut sie wie z. Und dann noch zusätzlich aufgemalt. Die Augen sind aufgemalt? Worauf? Und schimmern Perlen wirklich grünlich?
Du hast auch unglaublich viele Füllwörter und so sperriges Zeugs drin: „waren“, „da“, „deshalb“, „wegen dem“, „aber“, „zusätzlich“ „aber“. Ich kann den offshore schon verstehen, wenn er hier aufhört zu lesen.
Mein Vorschlag: Heute hatte Jana ihre Augen mit Eyeliner betont. Die Pupillen tiefschwarz, dann die Iris, die wie ein Edelstein grünlich funkelte. Mit feinem Pinselstrich umrandet, Augen wie Mandalas. Ich wusste nicht, wie sie das hinkriegte.
Zweiter Abschnitt:
Im Spiegel sah ich einen breitgesichtigen Mann. Naja … ich rasier mich später, irgendwann. Was soll ich heute anziehen?
Ach, ist doch auch egal! Zieh dir einfach ein Hemd an und jeder denkt, dass du viel Wert auf dein Äußeres legst! Als würde sich irgendjemand für dich interessieren!
Weshalb wechselst du hier nicht ins Präsens? Der Wechsel von Ich zu Du im inneren Monolog fand ich ebenfalls irritierend. Auch hier Füllwörter.
Mein Vorschlag: Im Spiegel sehe ich einen breitgesichtigen Mann. Ich rasiere mich später, irgendwann. Was soll ich heute anziehen? Egal! Ich zieh mir ein Hemd an und jeder denkt, dass ich viel Wert auf mein Äusseres lege. Als würde sich jemand für mich interessieren.
Allerdings habe ich hier ein inhaltliches Problem. Ist es nicht ein Widerspruch, zu sagen, dass die anderen denken werden, dass ich Wert auf mein Äussseres lege, und gleich im nächsten Satz zu sagen, dass niemand mich beachten wird? Ich fand das verwirrend.
Vierter Abschnitt:
Unser Auto parkte schon am Strand, als Denis mich fragte, warum ich Eyeliner trage. Das war sein Problem? Haha, er sah mich schon so an, als hätt’ ich jemanden umgebracht.
Ich sagte ihm, dass das mein erstes Mal am Strand mit wasserfestem Make-up war.
Er schloss die Augen und schwieg. Dann schluchzte er.
Das klingt so, als würde das Auto schon mal parken gehen, während sie noch, ja was tun? Also einfach: Wir parkten am Strand und Denis fragte mich …
Ich würde auch das Haha weglassen, klingt wie Comic. Lass auch das „schon“ weg.
Inhaltlich wird es jetzt schwierig. Das erste Mal am Strand mit wasserfestem Make-up? Das erste Mal Sex? Oder das erste Mal was?
Weshalb schluchzt Denis? Mal schauen, vielleicht gibt es eine Auflösung.
Fünfter Abschnitt:
Zunächst: Weshalb ist der Abschnitt kursiv gesetzt? Bin ich nicht dahintergekommen.
Weil es schon dämmerte, hielt ich eine Laterne.
Die Augen von Denise waren mit Eyeliner betont. Dazu trug sie noch eine Bluse von mir und eine wasserstoffblonde Perücke.
Sie schaute mir nicht ins Gesicht.
„Ähm, willst du tanzen?“, fragte ich sie lächelnd, als wäre alles okay.
„Ich?“ Ihre Augen wurden glasig. „Nein.“
Ich machte schnell Musik an.
Vielleicht fängt sie dann an zu weinen, aber ich werde sie verlassen. Ich werde sie verlassen. Wie in einem Film.
Denis ist zu Denise geworden? Vorhin am Strand hiess er noch Denis. Also gehe ich davon aus, dass Denis sich schminkt, Bluse und Perücke (blond reicht, finde ich) anzieht, die Jana mitgebracht hat.
Dann wechselst du von der Vergangenheitsform direkt ins Futur. Da müsstest du wohl noch ein „dachte ich“ einfügen.
Okay. Ich reim mir mal was zusammen: Jana hilft Denis, sich in Denise zu verwandeln. Weil sie ihn liebt. Gleichzeitig weiss sie, dass sie so nicht mit ihm zusammenbleiben kann. Das weiss auch Denis.
Das würde einiges erklären, allerdings nicht den Satz: „Wenn du wüsstest, was ich wirklich bin, du hättest mich sofort verlassen, Jana.“ Passt nicht so ganz, weil Jana ja schon informiert ist an diesem Abend.
Du siehst, ich als Leser muss mir da einiges aus den Fingern saugen, um dem Text einen Sinn abzugewinnen. Sowas muss einerseits absolut konsistent sein (und da weiss ich z.B. nicht, ob das Durcheinander der Zeitformen dir einen Strich durch die Rechnung macht) und du musst auch genügend Hinweise geben, sodass der Leser eine Art Plot rekonstruieren kann – so wie es Jimmy in seinem Text macht, auf den du verwiesen hast.
Das ist sehr anspruchsvoll. Sogar bei jenem Text ist es nicht ganz klar. Es gibt viele Leser, (unter anderem Chai) die da einen Hund in der Geschichte sehen. Ich finde das sehr interessant, weil es zeigt, wie schnell wir eine Hypothese darüber bilden, worum es in einem Text geht, und dann an dieser Hypothese festhalten.
Ich weiss nicht. Vielleicht müsstest du noch mal einen Schritt zurücktreten und an einfacheren Aufgaben arbeiten. Mal einfach was erzählen. Handwerk entwickeln. Andererseits finde ich es toll, wie du dich ausprobierst.
Lieber Gruss
Peeperkorn