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Liebe, die nicht genug ist

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16.08.2003
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Liebe, die nicht genug ist

Gute Freundinnen sind wir schon seit einer langen, langen Zeit. Ob sie sich noch erinnert, wie wir damals die Schule schwänzten, um durch den Regen zu laufen? Ob sie noch weiß, wie ich ihr damals geholfen habe, und sie mir, und wir uns? Heute Abend erkenne ich zum ersten Mal, das nichts ist, wie es zu scheint, auf dieser Welt. Meine Güte, sind wir normalerweise wirklich so blind?

Sie war ganz lieb zu mir, sogar nachdem sie verstanden hatte. Sie legte sogar ihre Hand auf meine Wange. Warum tat sie das nur? Dabei hatte der Abend begonnen wie so oft. Ein Glas Wein für mich, ein Glas Wasser für sie. Ihr dating glance. Kein Mann widersetzt sich diesem Blick, niemand ist ihm gewachsen.

Der Abend läuft wie immer. Die Männer starren sie unentwegt an, aus allen Richtungen, aber keiner traut sich, sie anzusprechen. Sie hat kein Glück mit Männern, weil sie zu schön ist. Ich habe ihr das schon oft gesagt, aber sie glaubt mir ja nicht. Eineinhalb Stunden vergehen, wir reden wie immer. Sie erzählt von sich, von der Arbeit, vom Chef, von der Beförderung. Ich erzähle von meinem Hund, den Läusen in seinem Fell, und den Problemen mit meiner Dissertation, die endlich mal fertig werden muss. Dann gehen wir, in die dunkle Nacht. Ich denke, dass es schön ist, hier in der Stadt. All die Menschen, alle wandeln sie mit Zielen und Träumen, mit Hoffnung durch die Nacht. So wie ich. Als sie mich noch mit zu sich einlädt, da fasse ich mir ein Herz: Heute Abend soll es geschehen, denn kein Herz hält diese Ungewissheit aus, das ist einfach nicht zu ertragen.

Sie bietet mir einen Wein an, den sie extra für Gäste im Haus hat, sie trinkt ja nicht. Ich sage nein, und lächle. Sie lächelt auch, ganz ohne Grund. Jetzt kommen wieder Zweifel. Dieses Lächeln von ihr, ist das nicht alles, was ich brauche? Muss da mehr kommen? Warum kann ich nicht mit dem was sie mir gibt, mit dieser Zuneigung, mit dieser Form von Liebe, zufrieden sein? Sie verlässt das Wohnzimmer, und ich schalte den Fernseher ein. Spätnachrichten. Tote, wohin man nur blickt. Überall. Weltumspannend. Unaufhaltsam. Sie kommt zurück und bietet mir an, heute Nacht hier bleiben zu können: Obwohl ich ja sagen will, um mit ihr, wie in alten Zeiten, die Nacht durchquatschen zu können, sage ich nein. Wer weiß, was noch geschehen wird. Und sollte sie meine Gefühle wirklich teilen, dann würde ich ohnehin dableiben. Dann würde sich das schon ergeben.

Ich warte auf den richtigen Augenblick. Jetzt? Mein Herz schlägt wie verrückt. Sie ist müde, aber gut gelaunt. Ich blicke in ihr schönes Gesicht, ihre großen braunen Augen. Sie hat wunderbares, langes schwarzes Haar. Ihr Körper ist … göttlich.

„Jasmin, ich muss mit dir mal über etwas reden“ höre ich mich sagen, und kann es selbst kaum fassen. Sie ist neugierig, blickt mich an, und lächelt. „Na klar. Aber wir reden doch eigentlich schon den ganzen Abend, oder?“ „Klar“ sage ich, während ich überlege, wie ich es formulieren soll. Tausend Mal bin ich das im Kopf durchgegangen, nie ist mir eine Formulierung eingefallen, die das, was ich empfinde auch nur annähernd ausdrückt. Ich spüre meinen Puls, und glaube mein rasendes Herz sogar hören zu können. „Wir… wir kennen uns ja schon so lange, und… Ich meine… du bist wirklich die beste Freundin die ich habe. Auch wenn wir nicht mehr wie früher nebeneinander wohnen, wäre ich verloren, ohne dich. Ich wüsste nicht, was ich ohne dich tun sollte, ich kenne einfach niemanden, der so ist wie du.“
Ihr Lächeln könnte jeden, den größten Schurken, das grässlichste Tier und den am meisten leidenden Menschen wieder mit der Welt versöhnen. Ihr Lächeln hat diese Macht, und wenn ich sie so anschaue, dann …
„Du, das ist wirklich super lieb. Ich finde es toll, dass du mir das gesagt hast, und du weißt, dass ich genauso denke und fühle. Lass uns anstoßen auf unsere Freundschaft, okay?“ Ich weiß nicht was sich sagen soll, denn mein Herz ist nicht entlastet. Aber ich muss es beenden. Mein Herz drängt mich dazu, mein Bauch befiehlt es. „Ich glaube, ich war nicht ganz deutlich. Mir liegt wirklich viel an dir… Ich … Ich sehne mich nach dir, Tag und Nacht… Auch nach deinem Körper. Ich meine - ich wusste selbst nicht, dass ich so was für eine Frau empfinden kann, aber … Es ist einfach… Oh Gott… Jasmin, ich liebe dich. Du bist einfach der liebste Mensch in der Welt, und ich sehne mich danach, in deinen Armen zu liegen, dich zu küssen, von dir gestreichelt zu werden….“

„Oh.“ Sie ist überrascht, aber sie fängt sich, und nur für die Bruchteile einer Sekunde ist ihr Charme weg. Sie lächelt. Sie… nimmt meine Hand. Ich lächle. Sie blickt mir in die Augen. Für einen Moment. Und einen weiteren. Dann beginnt sie zu sprechen. „Oh mein kleines, mein liebes kleines, es tut mir so leid. Es tut mir so schrecklich leid, dir das sagen zu müssen. Ich teile deine Gefühle nicht. Ich … liebe dich, aber nicht so wie du mich, verstehst du das?“

Ich verstehe. Die sanfteste Abfuhr, seit es die Versuchung gibt. Ich lächle, gekrampft. Und in mir, da dreht sich alles um, wird gedehnt, gestaucht, gewarped… Es dauert nicht lange, bevor die Tränen kommen, und sie sie mir mit ihrer Hand von der Wange wischt.

„Sei nicht traurig, okay? Bleib heute Nacht hier, okay? Dann können wir reden, und morgen fühlen wir uns wieder besser. Wir gehen dann beide wieder auf Männerjagd, gemeinsam, ja?“

„Nein, das… ich meine, es geht nicht…. Ich muss, ich muss alleine sein, heute Nacht. Ich… Ich weiß nicht was ich sagen soll, ich… Sorry…“

„Aber das ist doch okay. Bitte versprich mir, dass du aufhörst zu weinen, okay?“
„Klar“ sage ich, ganz ohne Gefühl, und wir beide wissen, dass es eine Lüge ist.

Als ich durch die Wohnungstür gehe, da drehe ich mich noch einmal um und sehe sie an, wie sie mir nachschaut, und wirklich in Sorge um mich ist. „Es ist jetzt das letzte Mal das ich so was sage, aber ich kann einfach nicht anders. Jasmin, du bist der tollste Mensch auf der Welt… du bist… so unermesslich lieb….“ Ich drehe mich um und gehe in die Nacht - gebrochen und zerstört.

 

Hallo.
Ich finde deine Geschichte sehr schön zugleich natürlich zutiefst traurig... Es ist toll wie du die Gefühle der fest hältst ...wie bist du denn auf die geschichte gekommen?

LG

 

Halo Cola,

Danke für Deine netten Worte.

Basis für die Geschichte ist ungefähr je zur Hälfte:

- selbst Erlebtes (aus Freundschaft wird Liebe, die aber nicht erwidert wird)
- Fantasie (die Tatsache dass es sich um zwei Frauen handelt)

Ich hab aus dem freundschaftlichen, platonischen Verhältnis Mann/Frau Frau/Frau gemacht, weil ich glaube, dass das häufiger vorkommt und so eine Freundschaft auch inniger ist als es zwischen Mann und Frau sein kann (aber das ist vielleicht auch nur ein Klischee, so genau weiß ich das nicht...)

LG

 

Ich finde deine Geschichte so auch viel intressanter, da es nicht um Frau/Mann geht..obwohl es da sicher auch häufig vorkommt das aus Freundschaft Liebe wird.
Ich bin aber "froh" das du Frau/Frau gewählt hast *g*
Kompliment nochmal! :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Naja ganz am Schluß geht sie ja... gebrochen und zerstört.. ich finde das ist eh auf den Punkt gebracht..ich denke jeder kennt das Gefühl..

Ich denke wenn Timo das jetzt noch genauer beschreibt..könnte es vielleicht zu kitschig werden.

LG
Cola :drool:

 

Hallo Timo_Tahon21,

dein Text hat mir gefallen, aber der Schluss kommt mir fast zu schnell.
Abgesehen davon, gute Geschichte!

Liebe Grüße,
gori

 

Hallo Timo_Tahon21,

ich mag deine Geschichte. Es ist gerade bei gleichgeschlechtlichen Sehnsüchten immer wieder ein Konflikt, sich gute und tiefe Freundschaften zu versauen, wenn man sich eventuel verliebt. Folge ist nicht selten die Unterdrückung der Gefühle, der Lustseite des Selbst. Frauen und Männern sagt man ja im Allgemeinen nach, sie könnten nicht einfach nur Freunde sein.
Das halte ich zwar für eine Irrtum, aber deine Perspektive der lesbischen Sehnsüchte stellt den Konflikt für mein Gefühl gut dar.
Du hast deine Geschichte sensibel und gut beobachtet geschrieben. Mir gefällt vor allem der Satz:

„Aber das ist doch okay. Bitte versprich mir, dass du aufhörst zu weinen, okay?“
„Klar“ sage ich, ganz ohne Gefühl, und wir beide wissen, dass es eine Lüge ist.
Ich wünsche deinem Prot, dass sie erkennt, dass die Liebe ihrer Freundin mehr als genug ist. So angstfrei und locker, wie sie reagiert, ist sie einer der tollsten Menschen, die ihr begegnen konnten. Kannst du dir Männer vorstellen, die einem männlichen Freund gegenüber ähnlich reagieren würden?

Lieben Gruß, sim

 

Hallo maxy, gori und sim,

Danke für eure Kommentare. Freut mich, dass euch die Geschichte im Großen und Ganzen gefällt.

Viele Grüße
Timo

 

Moins Timo_Tahon21,

dein Text hat mir gefallen, aber der Schluss kommt mir fast zu schnell.
Abgesehen davon, gute Geschichte!
Dem kann ich mich nur anschliessen.:thumbsup:
Natürlich triffst Du es mit "gebrochen und zerstört", würde mir allerdings für den Schluß wünschen, daß Du Dich mehr auf die Protagonistin einläßt. Schließlich ist niemand der wirklich liebt völlig hoffnungs- und damit gedankenlos. Gäbe dem Text viel mehr Tiefe.

@moho

Sie legte sogar ihre Hand auf meine Wange
ich finde das sogar sehr wichtig, weil es die Verwunderung über ihr Verständnis und weiterhin bestehende Zuneigung ausdrückt.

Gruß,
Leif2

 

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