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Liebe 2.0
Swipe rechts. Like. Daumen hoch. Ja, ich will. Malte wischt. Er wischt schon seit Monaten. Meistens nach rechts. Malte ist ein Online-Romantiker, ein World Wide Romeo, ein Internet Don Juan. Malte ist auf Tinder. Jeden Tag sitzt er vor diesem digitalen Süßwarenladen und hofft auf die nächste Verbindung. Profil um Profil, Frau um Frau geht er durch, liest Profiltexte, sieht sich Urlaubsfotos an, blickt in die Schaufenster jungen Lebens.
Match. Die nächste Verbindung! Nichts genießt Malte mehr als den Moment, wenn eine kleine Eins neben seinem Profil eine neue Chance anzeigt, eine neue Runde auf der Gefühlsachterbahn, eine weitere Kerbe in seiner digitalen Bettkante. Für einen wie ihn ist es das Paradies. Schon seit seiner Jugend fällt es Malte schwer weibliche Zeichen zu deuten. Wie oft hatten ihm Freunde dazu geraten das hübsche blonde Mädchen anzusprechen, das von der Bar immer wieder herüberschaute. Wie oft hatte er darüber nachgedacht was die kleinen Zettelchen bedeuten, die Marie aus der 6a ihm immer zusteckte. Doch Tinder macht all das obsolet. Like. Like. Match. Und die Sache ist klar.
Laureen heißt seine Verbindung, 27, Krankenschwester, Fashion-Victim und Food-Lover. Dazu auch noch weit gereist, Fotos zeigen sie in New York, Paris, Bitterfeld. Ein Profil unter Tausenden. Unzählige unterschiedlich gleiche Gespräche hatte er schon über Essen, Fitness und amerikanische TV-Serien geführt. Er beherrscht den gängigen Smalltalk, die unbekannte Plauderei, die lingua franca des Online-Datings.
Diesmal wählt er einen charmanten Einstieg, „Hey, wie geht’s?“, schrieb schließlich jeder. Hey, dein Profil ist sowieso fake, ich weiß. Kannst du mir trotzdem die Handynummer des Models auf dem Foto geben?
Seine Erfolgsquote mit diesem Spruch liegt bei 28%, es ist einer seiner Dauerbrenner. Ein Witz funktioniert immer, besonders wenn er originell ist. Er hatte ihn in einem Online-Forum gefunden. Über die Monate hatte Malte sich eine wahre Bibliothek an originellen ersten Nachrichten, Gesprächsthemen und charmanten Verabredungseinladungen angelegt.
Haha. Na, den Spruch schickst du auch jeder, oder?
Malte ist kein Typ für Clubs und Bars, kein Nachtschwärmer, der jedes Wochenende als rastloser Einsamer die Partys der Stadt heimsucht. Gerade deshalb ist er ein so großer Freund von Tinder. Dort kann er sich richtig präsentieren: eloquent, fotogen und einfühlsam. Die Mischung, nach der jede Frau sucht. Sein Profil ist sorgfältig aufgebaut und genau geplant: er mit einem Welpen, er in knappem Top am tropischen Strand, er mit gemietetem Porsche auf Sylt.
Nur den besonders Hübschen, du hast einfach tolle Augen.
Natürlich steht Malte kontinuierlich mit mehreren Frauen in Kontakt, das ist ein weiterer Vorteil des Online-Datings. So sehr er auch nach der richtigen Frau sucht, so pragmatisch ist er auch: je mehr Kontakte, desto mehr Chancen auf eine Verabredung, je mehr Verabredungen, desto mehr Chancen aufs Glück. Auch die Liebe kennt Statistik.
Na dann…
Seine Ex-Freundin hatte er noch auf einer Geburtstagsfeier bei Freunden kennen gelernt. Damals stand sie da und sprach ihn an. Er konnte es kaum glauben, sie, die Lebenskünstlerin, interessierte sich ausgerechnet für ihn, den Gefühlsroboter. Trotzdem wurden sie glücklich. Erste gemeinsame Wohnung. Hochzeitsantrag. Bausparvertrag. Dann plötzlich, nach fünf Jahren Beziehung, alles aus. Tennislehrer, Hirnchirurg oder Pilot. Malte weiß es bis heute noch nicht. Seitdem Tinder.
Sein erstes Match hat er noch genau vor Augen. Denise. Drei volle Tage hatte er ihr Profil immer und immer wieder angeschaut bevor er sich traute ihr zu schreiben. Seitenweise Papier hatte er verbraucht, stundenlang das Internet durchforstet, hundert erste Nachrichten geschrieben und wieder verworfen. Und dann ging es los. Wochenlang schrieben sie sich, täglich. Sie begleitete ihn durch den Tag. Ihr galt sein erster Blick am Morgen und sein letzter am Abend. Sie wurde zum Zentrum seiner vernachlässigten Aufmerksamkeit. Er verliebte sich in ihre braunen Locken, in ihre Grübchen. Alles online. Und dann war sie weg. Von einer Minute auf die andere verschwand ihr kleines Bild auf seinem Handy und damit aus seinem Leben.
Unmatch.
Mittlerweile würde ihm das nicht mehr passieren, heutzutage hat er eine Flirtstrategie. Er hat im Internet recherchiert, hat sich von Experten beraten lassen, alles bis ins kleinste Detail analysiert. Er war selbst schuld, hatte Anfängerfehler gemacht. Nicht zu viel Persönliches fragen. Direkt sein. Sich möglichst schnell im realen Leben verabreden. Sich nicht angreifbar machen.
Bist du noch da? Lust auf ein Treffen?
Mittlerweile sammelt er Matches wie ein Dating-Messie. Dutzende von Dates hat er in den letzten zwei Jahren angehäuft, hunderte von ersten Nachrichten, unzählige von Verbindungen. Tinder ist sein Amor geworden. Nur eine Denise war nicht mehr dabei. Manchmal denkt Malte noch an sie. Und dann beginnt er wieder zu wischen.