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Lichterhannes

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10.04.2013
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Lichterhannes

Ich erinnere mich noch genau: Es war an einem Tag im Juli. Der Wind blies durch die Föhren. Ein warmer Wind. Der Wind des Sommers.

Ich war auf Lichterhannes Blockhütte gestoßen. Sie lag tief im Wald verborgen, so abseits noch der letzten Pfade, dass es schon eines Zufalls bedurfte, sie aufzuspüren. Und genau ein solcher hatte sich mir zugetragen.
Lichterhannes war augenscheinlich nicht zu Hause. So ließ ich mich auf einer Holzbank nieder, einer minderen, laienhaft zusammengezimmerten, aber doch nutzbaren Konstruktion, welche sich gleich neben der Tür seiner Hütte befand.
Ich wartete.

Ganz allein war ich hingegen nicht. Denn ein hochbetagtes Tier, mittelgroß und grob schwarz-weiss gefleckt, dämmerte zu meinen Füßen. Ein Hund, der mir überhaupt erst die Gewissheit gab, Lichterhannes Behausung gefunden zu haben. Ich kannte diesen Hund. Es war sein Hund. Wartete auch er?

Auf der Bank schleppten Ameisen, des Waldes fleißige Räumtruppe, ihre Fracht herum: Nadellaub, Reste verendeten Kleingetiers, Sämereien und dergleichen. Sonderlich viele waren es nicht, so dass es sich wohl um keine Hauptroute ihres Wegesystems handeln mochte.
Sie krabbelten von irgendwoher heran, querten die Bank unweit meines Gesäßes, liefen an einem Stützbalken hinunter und verschwanden, nachdem sie noch ein kleines Stück Waldboden bewältigt hatten, unter Lichterhannes Hund.
Einige wenige nahmen die Route über das Tier, und obgleich dieser Passweg beschwerlich und seine Beschaffenheit haarig war, mussten sie kaum befürchten, unvermittelt in unbekannte Gefilde verschleppt zu werden. Der Hund lag dort wie tot und bereits meine Ankunft hatte er wenig mehr als zur bloßen Kenntnis genommen, ohne sich zu rühren, ohne zu kläffen, zu knurren oder sonstige dieser Tierart eigene Bekundungen zu unternehmen. Lediglich die Augen hatte er für einige Momente geöffnet, mich dabei teilnahmslos anstarrend.

Lichterhannes ließ auf sich warten.

Es war nun nicht so, dass ich eine Verabredung mit ihm hatte. Wir hatten nur sehr flüchtig die Bekanntschaft gemacht.
Monate zuvor hatte ich ihn einmal im Walde getroffen, in Begleitung seines Hundes. Auf einem schmalen Hohlweg standen wir uns plötzlich gegenüber, sozusagen im Wege. Er trug einen Korb mit Pilzen, von denen zu meiner Verwunderung kaum einer dem anderen glich. Ich kenne mich mit Pilzen nun leidlich aus, weiß aber doch nur um die gängigen, und fragte ihn infolgedessen ungläubig, ob das denn alles koschere Exemplare wären. Er nickte. Ob er sich da ganz sicher wäre? Er schaute mir in die Augen, lächelte ein kaum wahrnehmbares Lächeln (ein Temperament, das ihn seinem Hunde nicht unähnlich machte) und schob sich an mir vorbei.
Was ist dein Name, Fremder?, fragte ich ihn in seine Abkunft hinein.. Da nannte er mir, ohne sich um zuwenden, seinen Namen. Es war dies das einzige Wort, dass er je mit mir gesprochen hatte: "Lichterhannes".

Wir verloren uns wieder aus den Augen und begegneten einander nicht mehr, obgleich ich häufig in diesen ausgedehnten Wäldern umherschweifte, um meiner ornithologischen Passion zu frönen. Doch dann, an diesem Tag im Juli, einmal mehr seltenen Federröcken auf den Fersen, entdeckte ich jene Hütte und davor, kein Zweifel, Lichterhannes Hund.

Natürlich klopfte ich, doch niemand tat mir auf. So beschloss ich also auf ihn zu warten. Des Tages Hochzeit war schon lange überschritten, Stund um Stund war vergangen und es war Nachmittag geworden.
Allmählich begann ich, mir Gedanken zu machen, solcherart, wie sie einen befallen, wenn das Erwartete fern bleibt und man dem Unwahrscheinlichen grübelnd gestattet, die Bühne des Bewusstseins zu betreten.

War Lichterhannes womöglich doch im Hause und verbarg sich vor dem ungebetenen Besucher, vor mir? Lag er gar leblos dort, schwer erkrankt und jeder Bewegung und Fähigkeit, sich zu äußern beraubt, außer vielleicht der eines schwachen, bald vorletzten Röchelns? Oder, und auch diesem Gedanken-Teufel blickte ich ins Antlitz: War er verschieden und sein lebloser Leib weste bereits barmend dahin?

Die Pilze! Unvermittelt schleuderten sie sich mir wieder in den Sinn...!

Entgegen meiner prinzipiellen Gepflogenheiten, Besitztümer dritter unter keinen Umständen ohne deren Erlaubniserklärung auszukundschaften, entschloss ich mich in dieser besonderen Lage zur Tat. Allzu übermächtig bohrten dunkle Vermutungen und böse Ahnungen in mir. So warf ich ein genaueren Blick auf Lichterhannes Hütte.

Die Tür war verriegelt, hinein konnte ich folglich nicht. Die wenigen Fenster - ganze drei - waren zum Teil verstellt und dort, wo ich hineinzublicken vermochte, war ob der spärlichen Lichtverhältnisse kaum etwas zu erkennen. Auch etwaige Gerüche, wie sie von sterblichen Überresten verströmt zu werden pflegen, schienen unvorhanden, so sehr ich auch an vielen Stellen der von Spalten und Löchern schier übersäten Hütte meine Nase ins Holz grub. Auch drang nicht das mindeste Geräusch ins Freie.
Allerdings verkehrten, wie ich unterdessen herausgefunden hatte, die nämlichen Ameisen durch einen schmalen Spalt im Stämmewerk, ein Kommen und Gehen.Ich maß diesem Treiben jedoch keinerlei weitere Bedeutung zu. Es waren nur allzuviele Gründe für ihr Eindringen denkbar, etwa sorgloser Umgang mit Vorräten, ungespülte Teller, hygienische Nachlässigkeit und anderes.

Verdrossen und kaum klüger als zuvor kehrte ich zu meiner Wartebank zurück.
Plötzlich öffnete der Hund zu meinen Füßen die Augen und hob unmerklich seinen Kopf. Hinzu gesellte sich ein Zucken des Schwanzes. Ich blickte in den Wald, und wenn ich ihn ,selbst unter Zuhilfenahme meines Feldstechers, auch noch nicht erschaute, so war ich mir doch gewiss: Lichterhannes!

Zwischen den Stämmen wuchtiger Kiefern, noch außerhalb jeder Rufweite, erschien eine Gestalt, und nur ein weiterer Zufall hätte zeitigen können, dass es sich um einen anderen als Lichterhannes handelte.

Doch ein solcher ereignete sich nicht.
Schon erkannte ich seine hagere, aber feste Silhouette, den unbeirrt vorwärts drängenden Gang, der nur deswegen nicht soldatisch anmutete, da ihm das Zackige, Automatenhafte und Befohlene abging. Es war eine unbedingte, fließende Bewegung, die sich kein Zagen oder Zaudern erlaubte, ja, einem Flusse gleich, der, selbst wenn es ihn auf Um- und Abwege zwang, mit fröhlicher Gelassenheit dem Meere zustrebte.

Als Lichterhannes gleichsam das Gestade seiner Waldheimat erreicht hatte, richtete ich mich auf (ganz im Gegensatz zu seinem Hund übrigens) und hob grüßend meine Hand. Jetzt erst, so schien es mir, wurde er seines Besuchers gewahr. Er verlangsamte seine Schritte, schaute mir kurz in die Augen und setzte seinen Weg fort, so, als hätte er mit dieser sich von seiner üblichen Heimkunft abweichenden Verfahrensweise erwirkt, diesen Besucher - mich!- für alle Zeiten abgehandelt zu haben.

Ja, dieser kurze Blick: Nicht böse, anklagend, enttäuscht; auch nicht freundlich, einladend oder überrascht. Vielmehr durchwirkend, scharf, zielend, fast radierend - so redete mir dieser Blick; ein Wassertropfen wäre in seinem Banne glatt und unverzüglich in Verdunstung übergegangen!

Lichterhannes war heran, statt mir aber die dargebotene Hand zu reichen, beugte er sich zu seinem Hund herunter und streichelte ihn einige Male sanft. Dann wandte er sich zur Tür (welche übrigens doch nicht verschlossen denn schwergängig war), ohne sie aber hinter sich zu schließen.

Weitere Gedanken beiseite wischend, nahm ich dies als Geste des Willkommens, obgleich hierzu eigentlich kein Anlass bestand. Zumal Lichterhannes tat, als sei alles wie immer, als gäbe es gar keinen Besucher, allenfalls einen Schatten, zu dem er sich nicht unhöflich noch freundlich, noch in anderer Weise als gleichmütig stellen musste.
Ich beschloss der Dinge zu harren, nicht drängend zu werden, ja, die Situation sogar spielerisch zu deuten. Vielleicht war Lichterhannes Verhalten tatsächlich nur eine Art des Spiels: sich nicht wahrnehmen, einander aber wissen. Zur Feindseligkeit bestand ja auch keinerlei Veranlassung, bei keinem von uns.
Mir schien es plötzlich in diesem menschlichen Miteinander, welches Lichterhannes und mich verband, gar nicht mehr allzu abwegig, auf Begrüssungsrituale und Gesprächsfloskeln zu verzichten. Dies war nicht weniger plausibel, als sich nicht zu schlagen, zu ohrfeigen, umzubringen.
Lichterhannes und ich, wir waren hier - ein Zustand, dem im Grunde gar nichts hinzugefügt zu werden brauchte. Jene Beklemmung, die sich meiner anfangs durch Lichterhannes Blick bemächtigt hatte, schwand, und ich fing an, mich seltsam frei zu fühlen.

Das Innere Lichterhannes` Hütte umfasste einen einzigen Raum. Man möchte mich nicht tadeln und mich bezichtigen, von der Warte eines kleingeistigen Zivilisations-Gimpels heraus zu urteilen, jedoch befand sich dieser Raum nichts als karg, wenn nicht schäbig. Nur eine geringe Zahl Möbel und sonstiger Gegenstände täglicher Benutzung standen, hingen oder lagen herum, viele davon waren durch die Erosion ihres Gebrauchs derart verschlissen, dass ich mich kaum zu unternehmen getraute, sie noch als das zu benennen, was sie einst waren.
Das Zimmerchen wurde schwer beherrscht von einem massiven Kieferntisch, um welchen herum mürbe Sitzgelegenheiten lungerten, wurmstichige Stühle und Hocker, sogar Baumstümpfe, deren Benutzung gewisslich Mut abverlangte. In einer Ecke verriet schwärzender Ruß das Vorhandensein einer Feuerstelle. Davon nicht weit entfernt in einem Winkel lag eine Strohmatte auf dem nackten Boden und hierauf wiederum eine löchrige, zu einem zufälligen Knäuel gewundene Wolldecke - Lichterhannes Nachtlager.

Dem diese Einrichtung vor Augen geführt wurde, der konnte nicht umhin, sich zu verwundern. Hier lebte offensichtlich ein Mann, welchem noch das Allernötigste so entbehrlich schien, dass es keiner weiteren Hinwendung bedurfte.

Auf dem Tisch aber thronte eine Schale frischen Obstes, die förmlich zu leuchten schien angesichts der sie umgebenden Trostlosigkeit.

Ich hatte mich unterdessen vorsichtig gegen die Wand in der Nähe eines der Fenster gelehnt und beobachtete nun, wie Lichterhannes am Tische Platz nahm. Rasch wurde seine ganze Aufmerksamkeit von der Obstschale vereinahmt. Schien er die Schale zunächst nur zu betrachten, stellte sich alsbald ein innig fokussierendes Glotzen ein, welches mählich zerfaserte in eine Art entrücktes Stieren, fast so,
als leistete er Abbitte vor dem Altar einer Obst-Göttin. Sein Blick schien mit den Früchten gleichsam zu verkleben, im Funkeln seiner Augen schien sich nun der feste Wille zu manifestieren , eine Wahl zu treffen.

Aber es geschah zunächst gar nichts.

Die Zeit verrann, doch Lichterhannes saß der Obstschale weiterhin wie gebändigt gegenüber. Ich vermeinte, eine wachsende Unruhe in Lichterhannes zu erspüren. Überkam ihn die Angst, dieses wunderbare Stillleben durch Herausnahme eines seiner Bilder zu verstümmeln?

Es waren - in alphabetischer Folge - folgende Früchte in der Schale:

Apfel (2)
Banane (5)
Birne (2)
Orange (2)
Trauben (ca.30)
Zitrone (1)

Sämtliche Früchte befanden sich in tadellosem Zustand, gleichsam auf der Höhe der Kraft ihrer Verführung, lediglich einige der Trauben fielen ab, was jedoch der Tatsache geschuldet sein durfte, dass andere Trauben wiederum den Anblick einer nachgerade obszönen Vollkommenheit erboten.

Scheute der eigentlich Wollende hier gedankenvoll vor eben dieser Vollkommenheit zurück, gleich einem Reiter, der sich scheut, ein Pferd zu brechen, welchem Anmut, Grazie und Schönheit gegeben wie keinem zweiten auf der Welt? Wie war es aber auch nur möglich, dass sich solchermaßen frisches Obst in dieser Schale versammeln konnte? Waren es am Ende nur Reproduktionen, falsche Früchte, hergestellt mit großer Könnerschafft?
Diese Gedanken belagerten mich wie eine Burg, nahmen mich ein, so dass ich beinahe versäumte, Lichterhannes dabei zu ertappen, als er in die Schale griff.

Und tatsächlich, Lichterhannes saß und schälte sich eine Orange.

Schälte sich eine Orange? Er riss der armen Frucht die Schale vom Leib, und nun gab es fürwahr kein Halten mehr! Lichterhannes stopfte sich schmatzend und unzerteilt das Fruchtfleisch in den weit aufgerissenen Mund und für einen kurzen Augenblick nahm es sich aus, als geschähe hier etwas Ungeheuerliches:

Der Genuss geriet förmlich außer Kontrolle, Lichterhannes verging sich an der Frucht, pure Lust trieb es in ihn hinein, eine Lust, die alles überlagerte, was scheinbar höheren Empfindens war. Saft spritzte oder tropfte ihm an den Mundwinkeln herab. Die Vorstellung, sich das heilige Geschöpf eines erhabenen Zitrusbaumes einzuverleiben, konnte ferner nicht sein. Ich blieb, diese Barbarei still erduldend, scheinbar ruhig an meinem Platz. Doch in meinem Inneren erbebten die Grundfesten meiner Konstitution!

Fraglos eine Schändung - war sie Ergebnis Lichterhannes´ schier endloser, zermürbender Entscheidungsträgheit gewesen?
Aufgewühlt begann ich angesichts all dessen, nachzudenken, und in mir formte sich eine Frage:

War es eigentlich möglich, einer Frucht näher zu kommen als auf diese Weise?

Lichterhannes, soviel schien mir unzweifelhaft, war kein Tier. Dennoch, auch dessen war ich mir gewiss, hatte er während dieser Tat keinen Gedanken an dieselbe verschwendet. Sich vorzustellen, ein Tier würde vor einer Obstschale kauern, minutenlang, gedankenverloren, keiner umgehenden Entscheidung mächtens, wäre absurd. Es griffe ohne jeden Verzug zu, sofern jedenfalls ein Bedürfnis vorläge.
Menschen hinwiederum wären zu einer Handlung, wie ich sie bei Lichterhannes erlebte, nur in Ausnahmefällen befähigt, etwa im Wahn verzweifelten Hungers. Auch sie hätten jedoch, dem Tiere gleich, keine Zeit verstreichen lassen.

Was hatte dann aber Lichterhannes getan?

War es womöglich ein planvolles Hinwirken auf den allerhöchsten Genuss einer Frucht von allergrößter Vollendung? Ein Prozess, in welchem die Genussfähigkeit des Tieres und die des Menschen sich nicht allein addierte, sondern zu etwas Höherem zusammenfand.

Heute denke ich, dass Lichterhannes eine Seins-Handlung auf unerkannte Höhen getrieben hat, in dem er Gedanken schuf und verdichtete, um selbige dann in einem Urknall der Vernichtung durch den puren tierhaften Genuss zu zerstäuben.
Ist denn nicht der Gedanke aller Nähe größter Feind? Und die Sehnsucht, geleitet von romantischen Gedanken, im Grunde der elementare Wunsch, diese Nähe herzustellen?
Steht also die Sehnsucht, erzeugt mit dem Mittel des denkendes Geistes, sich selbst zu ihrem Ziel im Wege, auf tragisch-komische Art.
Das Wesen allen menschlichen Denkens ist, daran scheitern zu müssen und zu versagen an den zahlreichen Ungewichten, Gespenstern und Luftgespinsten. Denn der Mensch selber schafft die Rätsel, nie klopfen sie an seine Tür.

Dichter, Philosophen und andere feine Geister mögen sich hier angewidert abwenden. Doch kannten sie nicht diesen Ort, hatten keine Vorstellung von Lichterhannes und vermochten kaum den Grund ihrer sie fortnehmenden Sehnsucht zu erfühlen, der vielleicht in jener Obstschale oder in Lichterhannes aber jedenfalls für sie unerreichbar und verborgen lag.

Lichterhannes erhob sich. Auf dem Tisch nebst der Schale lagen wie stumme Zeugen dessen, was sie einstmals umschlossen, die Orangenschalen.

Er stand nun nah vor mir, eine Berührung, eine Umarmung, der Wechsel von Worten oder Gesten - all das wäre jetzt ein Leichtes gewesen. Doch Lichterhannes schaute gleichsam durch mich hindurch, wiewohl ich mit allen meinen Sinnen spürte, dass er mich durchaus in einem Maße erfasste, wie es in seiner ungeheuerlichen Natur lag. Es konnte nicht anders sein!

Hatte er mir am Ende eine verkappte Lehrstunde erteilen wollen und dabei freilich verkannt, dass ich den Grund dieses Vortrages mit der Gabe meiner Beobachtung und der Macht des mir anvertrauten Geistes bis ins Geringste durchschaut und verstanden hatte?

Lichterhannes nahm seine Jacke vom Haken und schickte sich an, die Hütte zu verlassen. Als er eben ins Freie treten wollte, blieb er noch einmal stehen.
Es war Abend geworden, Mücken erfüllten die noch warme Luft. Und ihr Summen sprach von Gier und von Schönheit.

Lichterhannes, flüsterte ich. Und noch einmal, mit ein wenig erhobener Stimme: Lichterhannes!

Doch Lichterhannes schwieg, streifte sich die Jacke über und strebte fort. Sein Hund folgte ihm ergeben. Ich folgte ihm schauend, bis ihn des Waldes üppige Pracht meinem Blicke für immer entwand.

 

Hallo 7miles,
herzlich Willkommen.
Mir gefällt dein philosphisch-absurder kleiner Text über Lichterhannes und die Qual der Wahl ein Stückchen Obst zu essen und die so zu tun, das ist jetzt meine Schlussfolgerung, dass sich störendes Gedankenwerk zwischen den Genießenden und das Objekt seines Genusses drängt.
Du hast eine merkwürdige Art zu schreiben, Disparates zusammenzustellen, eigenartig. Das meine ich absolut nicht abwertend, sondern als Kompliment. Mir gefällt das gut.
Ich bin mir nur noch nicht ganz sicher, ob du das alles so ernst meinst.
Besonders logisch finde ich es übrigens nicht, als Beispiel das hier:

Es ist das Wesen der Gedanken, an ihnen zu scheitern und an den zahlreichen Ungewichten, denn der Mensch selber schafft die Rätsel, nie klopfen sie an seine Tür.
Es ist eine Sache, einen Genuss zu spüren oder sich methodisch daneben zu stellen und über die Genusshaftigkeit der Orange zu spekulieren. Da bleibt der Genuss notwendig auf der Strecke. Daraus aber zu machen, dass Gedanken zum Scheitern verurteilt seien, weil der Mensch es sei, dersie habe, das ist eine Verwechslung von Voraussetzung und Mittel.
Da hast dueinfach einen schönen Satz "spinnen" wollen auf deinem philosophischen Spinnrädchen. Aber weiter will ich da nicht ins Detail gehen, vielleicht hast du ja garnichts ernst gemeint.
Das macht aber nichts, ich habe trotzdem meinen Spaß gehabt.
Wie übrigens auch bei deiner anderen Geschichte.
Bin gespannt, was da noch kommt und freu mich drauf.
Viele Grüße und viel Spaß hier
Novak

PS:

Der Wind aber hatten sich gelegt.
Da ist ein n reingeschlüpft.

 

Hallo Novak,
vielen Dank für deinen Kommentar.
(Das "n" hatte sich übrigens erfolgreich hinter dem "hatte" versteckt, nachdem ich aus den Winden -bis auf einen - alle des Satzes verwiesen hatte..)

Gedanken, des Menschen Freude und Freunde, sind die Früchte unserer Intellektualität, also des Prozesses unseres Denkens. Lichterhannes ist, als Mensch, so tief der Wald auch immer sein mag, nicht frei von dieser Fähigkeit, von dieser Bürde. Dies ist eine hervorragende Spielwiese für jemanden, der , wie du sehr schön schreibst, sein philosophisches Spinnrad in Betrieb nehmen und die Fäden vermeintlichen Sinnes und Unsinnes verweben möchte.
Die "reine Lehre" ist es nicht, ich habe aber als Quelle eigener Inspiration beschlossen, diese des häufigeren zu ignorieren. Es führt nicht immer zu befriedigenden Ergebnissen, das "Chaos" ins Schreibzimmer zu bitten, gelegentlich aber gebiert es Kurioses.
Es ist unklar, ob der Beschreibende hier überhaupt die richtigen Schlüsse aus dem gezogen hat, was ihm bei Lichterhannes begegnete.
Die kursiven Passagen diskreditieren den Intellekt als Mauer zwischen uns und dem Ursprung, dem reinen Empfinden und belustigen sich - irgendwie aber auch scheinheilig - am romantischen Ringen derer, die ausgerechnet den Gaul des Verhinderers satteln, um mit ihm nach dem Ursprung ihrer Sehnsucht zu fahnden, welches hier als Quadratur des Kreises behauptet wird.
Man kann Lichterhannes auch als unfreiwilligen Protagonisten des Sündenfalls lesen.
Die "zahlreichen Ungewichte" sind übrigens gemünzt auf die Reihung der "Vielleichts". Nun ja, mittlerweile habe ich bereits wieder Schwierigkeiten mit meinem eigenen Text und feile an einer schlüssig-absurden Brücke zwischen der eigentlichen Lichterhannes-story und dem kursiven Teil.
Das Schreiben ist ja auch schon ein Vertracktes.
Schön jedenfalls, dass du daran deine Freude hattest!
Gruss
7miles

 

Hej (Lichterhannes hätte ich beinahe geschrieben) 7miles,

ich bin irgendwie schon eine Liebhaberin schwülstiger oder geschraubter Sprache. Gerade in dieser Rubrik.
Aber richtig benutzt sollte sie schon sein. Du greifst hier und da daneben, darunter leidet der ganze Text.

Den Titel finde ich gut (klingt Ludwig Ganghofer-mäßig, dazu passt auch der Wald und die Föhren, die Hütte und der Hund).

Inhaltlich find ich's witzig. Diese Gedanken-Sequenz gefällt mir zwar formal nicht so, aber inhaltlich find ich's okay. Bisschen überkandidelt, aber macht ja nix.

Zum Text:

Es bot sich der Anblick einer kargen Innenwelt.
Als würde der Anblick lauernd in der kargen Innenwelt hocken.

um ihn herum gruppierten sich Sitzgelegenheiten, die wohl einstmals Stühle waren.
Und was sind sie jetzt? Regenschirme?

In einer Ecke verriet schwärzender Ruß das Vorhandensein einer Feuerstelle, neben welcher sich in schwachem Licht die Ahnung einer Bettstatt tarnte.
Was anderes als ihr "Vorhandensein" sollte der Ruß denn verraten? Aber das geht noch im Vergleich zu der Bettstatt, die sich im schwachen Licht "tarnt".
Durch solche Wortwahl wirken die Gegenstände lebendiger, willensfähiger. Wenn ihnen eine entsprechende Rolle zukommt, wenn das Bett gleich einen Stuhl frisst oder den Lichterhannes, dann wäre das kein Problem. Aber ohne das wirkt es wie ein groß angekündigter Zauber, bei dem dann letztendlich nur ein paar Wunderkerzen geschwenkt werden.

Auf dem Boden lagen Gegenstände verstreut, und viele von ihnen waren derart von der Erosion des Gebrauchs gezeichnet, dass man sie nicht mehr zu benennen vermochte.
Wenn Du sie nicht benennst, kann ich sie mir auch nicht vorstellen. Ohne Wort kein Bild. Gegenstände ... das könnten Gummi-Enten sein, Filzknöpfe, Bügeleisen.

In seinem Blick funkelte der feste Wille, sich eine Frucht zu erwählen.
Das macht ihn mir sympathisch, dass er nicht gierig grabscht, sondern wartet, auch wenn ich nicht weiß worauf.

Die Zeit verging und auch der Zeitpunkt einer beherzten Wahl schien vergangen, denn in Lichterhannes erwuchs spürbar eine Unruhe.
Unruhe würde doch aber eher nahelegen, dass der Zeitpunkt der beherzten Wahl nahe, aber eben noch nicht vergangen ist.

Es erschien dabei rätselhaft, ob seine Unfähigkeit, sich eine Frucht zu nehmen, einzig aus der Qual der Wahl resultierte oder ob es ihn darüber hinaus schmerzte, das wunderbare Stillleben durch die Wegnahme eines Teiles des Bildes zu zerstören.
Rätselhaft mag es scheinen, dass jemand so eine Gewese macht, um eine Schale Obst. Oder darum, woher dieses Obst kommt.
Aber ob er unfähig war, sich zu entscheiden oder ob es ihn schmerzte, etwas davon zu nehmen, ist unklar, beides möglich, nicht ganz sicher - aber es scheint nicht rätselhaft. Wem denn?
Vielleicht möchtest Du als Autor, dass es so wäre?

Betrachtete man sich diesen stillen Kampf, so verwunderte es doch sehr, weshalb jemand so ein Gewese um eine Schale mit Obst macht
setze ich ganz automatisch ein, schon bevor ich gelesen habe:

weshalb die Früchte in dieser Schale von einer solchen Frische waren
:D Nur wenn er kämpft und nicht aufhört, hat das Obst 'ne Chance.

der Verdacht mischte sich bei,
Zu was? Zum Kampf? Zur Betrachtung? Zur Verwunderung? Zur Frische? Zu den Früchten!

Es waren - in alphabetischer Folge - folgende Früchte in der Schale:
Warum nicht sortiert nach Anzahl? Ergibt das quergelesen irgendein Lösungswort? Welche Rolle spielt es z.B., ob da eine Zitrone drin war oder nicht - alle anderen Früchte pflegt man sich einfach so in den Mund zu schieben, wenn einem danach ist, aber "Ich schäl mir mal eben die Zitrone" oder" Jetzt hätte ich so richtig Lust auf eine Zitrone" sagt man eher selten.

was jedoch der Tatsache geschuldet sein durfte, dass andere Trauben wiederum den Anblick einer nachgerade obszönen Vollkommenheit verströmten.
Das heisst, die obszönen Trauben haben allein durch ihren Anblick (der ja nur dadurch entsteht, dass jemand sie betrachtet, trotzdem "verströmen" sie den Anblick, irgendeine Form von Inter-being) die anderen Trauben aus der Schale geschubst.

Lichterhannes hatte sich unterdessen entschieden
Klar, die Trauben haben's ihm ja dann am Ende auch leicht gemacht.

schälte sich eine Orange. Er war bereits zum essbaren Teil der Frucht vorgedrungen
Sofern Orangen nicht über mehr als eine Schale verfügen, dringt man durch den Vorgang des Schälens immer unmittelbar zur Frucht durch ... äh, vor.

Die Vorstellung, sich das heilige Geschöpf eines erhabenen Zitrusbaumes einzuverleiben, konnte ferner nicht sein.
Ganz genau.

War es aber eigentlich möglich, einer Frucht näher zu kommen als auf diese Weise?
Glaub nicht.

Nicht Lichterhannes selber wirft diesen Gedanken auf.
Wer dann?

Und träfe dieser zu,
Inwieweit kann ein Gedanke „zutreffen“? Oder anders: Inwieweit kann die Frage "War es aber eigentlich möglich, einer Frucht näher zu kommen als auf diese Weise?" oder jede beliebige andere Frage zutreffen?

späterhin als Narbe dazwischen gedrängt hätte.
So wie sich Dein Kursiv-Text zwischen den Lichterhannes-Text drängt, in etwa?

Etwas nah zu tun, verträgt nicht den Gedanken an diese Nähe.
Das widerspricht jetzt aber der zutreffenden Frage.

Vielleicht sind es mehr noch die Exkremente der Gedanken, als jene selber, vielleicht der Gestank, vielleicht auch die Welt, die in ihrem Gefolge aus ihnen heraus wuchert.
... die was tun, hier ist der Satz einfach zu Ende, da fehlt doch was.

Es ist das Wesen der Gedanken, an ihnen zu scheitern und an den zahlreichen Ungewichten, denn der Mensch selber schafft die Rätsel, nie klopfen sie an seine Tür.
Ich sag mal so: Ich würd für den Satz nicht meine Hand ins Feuer legen wollen.

Doch kennen sie nicht diesen Ort, haben keine Vorstellung von Lichterhannes und vermögen kaum den Grund ihrer sie fortnehmenden Sehnsucht zu erfühlen, der vielleicht in dieser Obstschale oder in Lichterhannes aber jedenfalls für sie unerreichbar und verborgen liegt.
Wer weiß, wer weiß ... wem der Lichterhannes schon durch den Kopf gewackelt ist, ohne dass der oder die betreffende es gewagt hat, ihn aus dem gleichsam gebärenden Gedankendunkel ins helle Licht zu heben.

viel Spaß noch hier,
Ane

 

Hallo Lichterhannes,


Lichterhannes, Lichterhannes - ungezählte Male schon habe ich dir abgeraten, halte dich fern vom Wald! Schlappe nicht zu deiner Hütte. Passiert doch wieder nichts anderes, als dass du in die Schale glotzt mit ihrem verrottungsresitenten Obstgelage. Das wird kein gutes Ende nehmen! Vor aller Augen! Du wirst - nach üblichem theatralischem Gewürge - ohnehin nur wieder zur Orange greifen, diese Entfleischen, deine Jacke vom Haken nehmen und wie stets ignorieren, das die Föhren durchs Fenster glotzen und diesen Prozess auf ihre pseudo-philosophische Weise kursiv bewinden.

Und jetzt hab ich auch noch Ane aus Berlin am Hals. Den Plausibilitäts-TÜV! Volldepp!

7miles

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Ane,
um Missverständnissen gleich den Geist auszuhauchen (geht das?), hier tippt nicht der alte Orangenkarnivore, sondern er selbst, der Autor. Nach Überflug (mit Helikopter/div. Notlandungen) deiner - vorzüglichen - Besprechung des Lichterhannes-Werkes möchte ich gern den Anblick der Dankbarkeit über das hierbei Gesehene und Erlebte und nur knapp Überlebte, sagen wir mal: stülpen.
Nicht wenige deiner Bemerkungen zu diesem Werk sind ..zutreffend, und bis ich Lichterhannes wieder in den Wald lasse, wartet eine Menge Arbeit auf uns.

Ich werde den Lichterhannes (wie ich bereits Novak andeutete) überarbeiten.

Ich kann dabei allerdings nicht garantieren, dass Lichterhannes in der folgenden Fassung sich nicht doch entscheidet, in die Zitrone zu beissen, ungeschälte.

Thx für deinen hilfreichen und putz-amüsanten Kommentar!

Liebe Grüsse

7miles

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi,
für alle, die sich den Lichterhannes zu Gemüte geführt hatten oder die sich interessieren - ich habe ihn auf Kur zu McDonalds geschickt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen, ca. 150 Kg drauf.
Nicht ohne vor dem Werke zu warnen, wünsche ich ggf. viel Vergnügen bei gepflegter Lebenszeitvernichtung im Reiche der geschwollenen Syntax.
thx
7miles

 

Servus 7miles,

ich bin begeistert!

Sie krabbelten von irgendwoher heran, querten die Bank unweit meines Gesäßes, liefen an einem Stützbalken hinunter und verschwanden, nachdem sie noch ein kleines Stück Waldboden bewältigt hatten, unter Lichterhannes Hund.

Schon dieses einen Satzes wegen liebte ich deine Geschichte, aller anderen wegen sowieso.
Vor ein paar Tagen schon las ich die ursprüngliche Version, nicht uninteressiert, muss ich sagen, aber es war auch nicht gerade so, dass ich vor Begeisterung an den Fingernägeln gekaut hätte. Bei dieser neuen Fassung schon, kein Spaß, ich mein, ich kann mir gut vorstellen, dass du einen Gutteil der Leserschaft mit diesem Stil an den Rand des Wahnsinns treibst, scheiß drauf, sag ich mal, mich hast du damit regelrecht verzaubert.
Es ist müßig, einzelne Sätze und Formulierungen zu zitieren, ich wüsste nicht, wo anfangen und wo aufhören, scheint mir das Ganze doch ein wahres sprachliches Gesamtkunstwerk zu sein.
Nicht, dass ich noch mal ein ganzes Buch in so einer Sprache lesen wollte, aber in diesem Umfang war es ein ungemeines Lesevergnügen für mich, ehrlich, potenziert sozusagen durch den Zeitreisefaktor, weil es mich an Jahrzehnte zurückliegende Lektüre erinnerte.
Du hast einen, nein, du befleißigst dich, komme ich nicht umhin zu sagen, eines derart liebenswerten, schönen, augenzwinkernd anachronistischen Stils, dass ich dich förmlich vor mir sehe, wie du während des Schreibens ununterbrochen von einem Ohr zum anderen grinst, nicht weil du den Leser zu verarschen trachtest, sondern weil du einfach wahnsinnigen Spaß am Fabulieren, Formulieren, Jonglieren mit Worten hast.
Und diese deine Freude am Spiel mit der Sprache lese ich aus jedem Satz. Ich musste beim Lesen die ganze Zeit grinsen, schmunzeln, lächeln.
Ich hoffe, ich bleibe nicht der einzige, der dem Charme deiner Geschichte erliegt, und wenn doch, scheiß drauf.

Eine wunderbare Geschichte, vielen Dank, 7miles!

offshore

 

Ich hoffe, ich bleibe nicht der einzige, der dem Charme deiner Geschichte erliegt, und wenn doch, scheiß drauf.
Oh oh oh, ich weiß nicht, ob es auf webseiten einen Fäkalraum gibt, also lieber schnell gelobt, bevor ihr hier noch zur Tat schreitet.
Lieber 7miles, deine Geschichte liest sich sehr schön. Mir ging es genauso wie ernst, ich musste auch einfach schmunzeln und mich freuen. Und zwar ist es ganz besonders der neue Part, der mir so gut gefällt. Der gefällt mir richtig richtig gut. Es hat etwas Hintergründiges und Humoriges, so, wie du beschreibst. Und der Lichterhannes als alternativer Philosophie- und Seinslehrer ist einfach eine wunderbare Figur. Obwohl ich ja auch seinen phlegmatischen Hund liebe.
Ein kleines Bedenken trotzdem: Die Teile aus der alten Geschichte, also die eigentliche "Philosophiebelehrung", die wirken auf mich momentan fast etwas wie ein Fremdkörper. Spontan hab ich gedacht, das sollte der 7miles noch etwas ausdünnen und angleichen. Oder wolltest du ganz bewusst einen Kontrast drin haben? Wenn ja, warum? Und warum so viel philosophischer Erguss? Der lichterhannes spricht/handelt doch schon ganz schön für sich.
Ich les mir das heute Abend noch einmal genau durch und wenn mein Gefühl bleibt und du dazu überhaupt Lust hast, würd ich dir dazu noch mal eine Rückmeldung geben. Jedenfalls mag ich die Geschichte sehr sehr gerne. Bin gespannt darauf, was du sonst noch so zu erzählen hast.
Ich wünsch dir was ....
Viele Grüße von Novak

 

@ Novak
Du hast natürlich recht, liebe Novak, dass gerade unter einer sprachlich so hübschen Geschichte meine etwas derbe Wortwahl mehr als unangemessen klingt. Zu meiner Entschuldigung kann ich höchstens anführen, dass es die Begeisterung für den Text war, die mich gestern Nacht jegliches Augenmaß verlieren ließ.
Ich werde versuchen, mich in Hinkunft einer gewählteren Sprache zu befleißigen, versprochen ...

offshore

 

Hallo 7miles

Meine Güte dieser Naturalismus, in beinah sokratischer Weise vorgetragen. Es ist schön formuliert und dabei rätselhaft verfasst. Zuweilen liessen mich manch eingeschobene Worte ob ihrer Eigenheit auch zögern, überlegend, ob sie dem Sinn ihrer Bildung entsprechen. Doch, kein Zweifel, du hast sie sorgsam gewählt, um dem Leser nicht einfach ein eindimensional erzählendes Geschehen darzubieten.

Das Philosophische an dem Lesestück gebiert sich aus dem Schweigen, dem Akt des Verschlingens und der Naturbetrachtung. Die möglichen Antworten, welche sich daraus ergeben, sind nicht eindeutig. Es ging dir wohl aber weniger darum, dem Leser Antworten zu geben als vielmehr Fragen zu stellen. Eine mir etwas hinterlistig wirkende Vorgehensweise in dieser philosophischen Orientierung – setzte ich dir ernsthaft eine Darstellung philosophischen Naturalismus voraus -, gehen die Vorstellungen deren Vertreter darüber doch weit auseinander. Zudem stehen die Kritiker dieser Theorien, dem skeptisch gegenüber. Dadurch ist der Leser, sofern er im tragenden Gebälk der Philosophie Ausschau hält, letztlich wieder auf sich selbst zurückgeworfen, nach einer Antwort suchend. :D

Was ist dein Name, Fremder?, fragte ich ihn in seine Abkunft hinein..

Der … Abkunft hinein, gleich zwei Punkte folgen lassend, stellte mir doch die Frage dessen Sinnes. Eine Antwort wüsste ich, doch wenn ich weiter suchte, gebiert sich da vielleicht noch ein anderer Sinn.

In der zweiten Fassung war es mir augenscheinlich vergnüglicher zu lesen, als in der Ersten. Wenngleich es sich etwas hinzieht, bis sich die Fragen hartnäckig einfinden. Der Funken der Begeisterung, welche andere Leser empfanden, sprang bei mir nicht über, doch bot es mir ausreichend Stoff zur Unterhaltung und der Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten. Insofern habe ich es gern gelesen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo 7miles,

diese Geschichte mag ich, weil sie anders ist und wegen der kunstvoll verschnörkelten Sprache! Die Szene mit der Orange erinnert mich an eine japanische Tee-Zeremonie: das totale Aufgehen im Augenblick.

Meine Lieblingsszene ist die Beschreibung des phlegmatischen Hundes und der Ameisenstraße, die über ihn wegführt:

Auf der Bank schleppten Ameisen, des Waldes fleißige Raumtruppe, ihre Fracht herum: Nadellaub, Reste verendeten Kleingetiers, Sämereien und dergleichen. Sonderlich viele waren es nicht, so dass es sich wohl um keine Hauptroute ihres Wegesystems handeln mochte.
Räumtruppe?

Eine weitere Ungereimtheit: Du schreibst von Föhren und später von Kiefern, obwohl das dieselbe Gattung von Nadelbäumen ist.

Zum philosophischen Gehalt: Es gab immer wieder philosophische Richtungen, die die Einfachheit als Lebensideal gepredigt haben, etwa die Kyniker, die Stoiker und (entgegen allen Vorurteilen) die Epikuräer. Du machst hier sozusagen show, don't tell!

Gern gelesen!

Berg

 

Hi ernst offshore,

du beschämst mich, Himmel!- "verzaubert", ich bin beglückt und freue mich, dass der alte Lichterhannes dir so
ausnehmend gefallen hat. Ich fürchte,du hast eine Schwäche für diesen Duktus, für diesen geschwurbelten "Anachronismus",
und du hast vollkommen recht: Ich labe mich schreibend an
demselben vor ringendem Vergnügen, wobei, und da hast du auch recht, wie
überhaupt du recht hast, das Augenzwinkernde (Irony isn´t over at all) beigestreut ist
und es sein will,ja, muss - ansonsten wäre es nicht auszuhalten.
Das "Philosophische" liegt mir gleichermaßen am Herzen, so dass die Konstellation,
wie sie im Lichterhannes vorliegt, für mich eine ideale ist, (weswegen ich sie mir auch so hinkonstruiert habe.)

Vielen dank nochmals fürs Lesen und Gefallen!

Gruss

7miles

 

Hallo Novak,

auch dir vielen dank für deinen freundlichen Kommentar.

Ich schrieb dir ja bereits auf deinen vorangegangenen, dass ich mit der Geschichte, obschon ich "an sie glaubte",
noch nicht ganz rund war. Der kursive Teil stak da sehr ungelenk im Text,
Ane wies mich noch - und häufig vollkommen zu recht -
auf einige Un- und Übergereimtheiten hin, weshalb ich dem Text eine
tiefgreifende Neugestaltung zuteil werden zu lassen mir zu verordnen nicht umhin zu kam.
Ich baute ihn aus und tat den Kunstgriff, einen ICHler ins Spiel zu bringen und setzte ihn auf das Räsel Lichterhannes
an.
Gleichzeitig liess ich ihn den vormals kursiven Teil, also die, wie du - wie ich finde eher unzutreffend - schreibst
"Philosophiebelehrung", absorbieren,
um diese in die Handlung geschmeidiger einarbeiten zu können.
Da ging es mir gleich trefflicher von der schreibenden Hand, zumal ich es tatsächlich geniesse, derartige Figuren
schwadronieren zu lassen, sich
brechen zu lassen an Rätselhaftem, Kargem, Natürlichem, Unfasslichem usf. - wortreich kollidieren sie mit einem Phänomen,
welches sie letztlich nicht begreifen (können).
So gesehen geht in der Geschichte für mich der philosophische Part jetzt in Ordnung, nämlich als
gedankeninflatonäre Brechung zum
verschwiegenen aber lust-eruptiven Lichterhannes-Typus, dessen So-Seins.(denn beide dieser Eigenschaften hat
der Ich-Erzähler nicht inne) Wiewohl der Besucher, der ja gleichermaßen
von sich eingenommen wie von Lichterhannes hoch
beeindruckt ist, eine Kaskade an Gedanken, Spekulationen und Interpretationen produziert
und im Lichte dieser
geistigen Leistung durchaus den altbackenen Dünkel gutbürgerlicher,
bücherregal-biegen-machender Deutungs- und Bildungsbeflissenheit verströmt,
so ist gleichwohl nicht von der Hand zu weisen, dass
er Fragen stellt und Gedanken äussert, die einer vertiefenden Beachtung lohnen, losgelöst von der Ironie der Figur selber.
Dass dieser "Fremdkörper" recht vollschlank ausfällt, ist richtig. Ich hatte an dieser Stelle auch überlegt,
ob eine Diät nicht von Vorteil für das Gesamtgefüge gewesen wäre.
Ich kam dann, auch nach Rücksprache mit Lichterhannes, zu dem Erachten,
es so zu belassen. Lichterhannes Besucher i s t gewissermassen ein Fremdkörper, infolgedessen
seine Einlassungen auch nur fremd erscheinen können, so dass sich m.E. ein dieser Geschichte
zuträglicher - genau! -Kontrast herausformt.

Gruss

7miles

 

Hallo Anakreon,

dieser Punkt...

Faszinierend, was in diesem Forum nicht alles wahrgenommen wird, sogar einzelne Punkte in ziemlich
flächigen Texten.
Ich wollte gerade schreiben, dass es sich bei diesem Punkt um ein Flüchtigkeitsfehler handelte,
pfiff mich aber gleich wieder zurück, denn der Satz geht ja so:

"Wie ist dein Name, Fremder?, fragte ich ihn in seine Abkunft hinein.(.)"

Sollte mir da eine unbewusste, wenn nicht freudsche Doppel-Interpuktion unterlaufen sein?
Immerhin ist das ein Schlüsselsatz vom Schlüsselsatzbund,
dergestalt, dass der Ich-Erzähler Lichterhannes in genial vorausschauender, unterbewußter Weise einen "Fremden" nennt,
als er sich nach dessen Namen erkundigt, obendrein blickt er dabei auf einen ohnehin Abkünftigen, welcher
ihm auch noch den Rücken zukehrt.(.)

Und ist es nicht so, dass sich manchmal Situationen zutragen, in welchen einem die Hand zittert bei dem Versuch, den
Schlüssel in das Schloss einer Tür zu stecken, hinter welcher sich ein vermutetes arkanum befindet?

Vielen Dank, Anakreon, für deine gewogenen Worte, auch diesseits funkensprühender Begeisterung.

7miles

 

Hallo Berg!

...vielen Dank.

Allerdings, nicht Welt-Raumtruppe, sondern Wald-Räumtruppe soll´s sein - wieder diese Punkte..

Kiefern und Föhren sind sich sehr ähnlich; ich habe hier den Unterschied zwischen der gemeinen Kiefer und ihrem Gebirgsäquivalent vernachlässigt und am Anfang der Föhre lautmalerisch den Vorzug gegeben..

7miles

 

7miles schrieb:
… weshalb ich dem Text eine tiefgreifende Neugestaltung zuteil werden zu lassen mir zu verordnen nicht umhin kam.

Ich labe mich schreibend an demselben vor ringendem Vergnügen, ...


Alter, was rauchst du für Zeug? Ich will das auch!

offshore

 

Alter, was rauchst du für Zeug? Ich will das auch!

offshore


Ich rauche nicht. Ich drehe mir nur manchmal ein Kunstwerk und versuche es dann in mich hineinzusaugen. Und ich habe herausgefunden, dass das besser funktioniert, wenn ich es vorher anzünde.
Hoffe, ich konnte helfen.
7miles

 

Nun – nach der gestrigen Begegnung mit einer kleinen Miniatur – zog ich mir die Siebenmeilenstiefel an zum Siebenmeilenschritt, um im Nu in Begleitung eines kleinen Rudels gemischter Köter auf Schinderhannes’, pardon einem Napoleonhasser, Lichterhansis Blockhäuslein zu stoßen,

dear 7miles,

und es tut wohl, einen neuen Hauch im Club der Ironiker zu spüren und die Fährte zu Deinem längeren Erstling (was einfacher zu formulieren ist als „ein erstes Langwerk an Kurzgeschichte“) zu erlesen und, wie man hier mit leicht-rheinischem Zungenschlag im Pott so sagt, et jefällt mich!

Bissken Flüchtigkeit​

Ich war auf Lichterhannes Blockhütte gestoßen.
Besser ein Apostroph
… Lichterhannes[’] …
für die unterdrückte Genitivendung („Lichterhansens“ klänge schon sehr geziert, da fiele „Lichterhansis“ schon leichter)

Hier zieht’s das Zeichen zum selbst – oder wird’s vom Pronomen angewidert abgestoßen?:
…, und wenn ich ihn ,selbst unter Zuhilfenahme meines …
Hier hält’s, diplomatisch wie unser Westernwelle, neutral die Mitte
…Wille zu manifestieren , eine Wahl zu treffen.

Ein vereinsamtes n ruft nach Seinesgleichen:
… der Obstschale vereinahmt.

Bissken Zeichensetzung​

Er schaute mir in die Augen, lächelte ein kaum wahrnehmbares Lächeln (ein Temperament, das ihn seinem Hunde nicht unähnlich machte)[,] und schob sich an mir vorbei.
So beschloss ich also[,] auf ihn zu warten.

Die Pilze! Unvermittelt schleuderten sie sich mir wieder in den Sinn...!
Leerstelle vor den abschließenden Auslassungspunkten (in der vorliegenden Fassung bedeuten die Punkte, das ein/mehrere Buchstabe/n ausgelassen wurden, was hier nur in Genetiv oder Dativ ginge.
Ähnlich hier, wenn auch ganz anders (weil’s eher unter obiger Rubrik hätte starten können)
…, ein Kommen und Gehen.Ich maß …

Von Allem ein bissken in der Reihenfolge des Auftritts

Was ist dein Name, Fremder?, fragte ich ihn in seine Abkunft hinein.. Da nannte er mir, ohne sich um zuwenden, seinen Namen. Es war dies das einzige Wort, dass er je mit mir gesprochen hatte: "Lichterhannes".
Das Geheimnis der zwo Punkte (nach „hinein“, von eins bis drei ist alles, außer der zwei drin …, bei der größeren Lösung wäre zwischen letztem Buchstaben und erstem Punkt des Trios eine Leerstelle zu genehmigen.
Schreib ich wohlwissend, was Anakreon nebst dem ollen Siggi geboten wird. Ich bin ein ganz fürchterlicher Sturkopp ...)
Hier wächst dannemals üblicherweise zusammen, was zusammen gehört „um zuwenden“,
und vom einleitenden Relativpronomen darf ein s beurlaubt werden.

Man möchte mich nicht tadeln und mich bezichtigen, von der Warte eines kleingeistigen Zivilisations-Gimpels heraus zu urteilen,
ich bitte darum
jedoch befand sich dieser Raum nichts als karg, wenn nicht schäbig.
Anfangs wird m. E. „möchte“ mit möge verwechselt, bei der Befindlichkeit des Raumes irritiert das Reflexivpronomen – vielleicht deucht es mich falsch, aber es fehlt was wie Präposition oder Adverb.
Hier wär’s noch mal das Reflexivpronomen:
Schälte sich eine Orange?
Orange mit handwerklichem Geschick ...

Bissken Rechtschreibung, wenig genug​

…, Besitztümer dritter…
besser
…, Besitztümer [D]ritter…

Es waren nur allzuviele Gründe …
Allzu viel(e) immer auseinander …

Da scheint mir ein „um“ abhanden gekommen

… eine Art des Spiels: sich nicht wahrnehmen, einander aber wissen.

Zum Abschluss noch eine schöne Formulierung für den Gleich- wie Einklang von Natur und Ästhetik, die m. E. eigentlich mit einem Fragezeichen gekrönt werden kann:
War es womöglich ein planvolles Hinwirken auf den allerhöchsten Genuss einer Frucht von allergrößter Vollendung? Ein Prozess, in welchem die Genussfähigkeit des Tieres und die des Menschen sich nicht allein addierte, sondern zu etwas Höherem zusammenfand.

Gern gelesen vom

Friedel,
dessen Kleinkrämerseele mal'n Leckerchen gegönnt sei.

 

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